OLG Köln, Urteil vom 30.10.2009 - 6 U 100/09
Fundstelle
openJur 2010, 224
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 13. Mai 2009 verkündete Grundurteil der 28. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 28 O 811/08 - abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstre-ckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien sind private Fernsehsendeunternehmen. Am 23.01.2008 strahlte die Klägerin eine Aufzeichnung von Vorgängen während der Kandidatenauswahl zu einer neuen Staffel ihrer Sendereihe "E" – einer sogenannten Casting-Show – aus; gezeigt wurde insbesondere der Zusammenbruch eines 17jährigen Kandidaten nach der Bewertung seines Auftritts durch den Jury-Sprecher E C. Ausschnitte der Sendung verwendete die Beklagte für einen Beitrag, den sie am 24. und 25.01. 2008 mehrfach in ihren Sendungen "N" und "G" ausstrahlte. Die Klägerin sieht darin eine Verletzung ihres exklusiven Senderechts. Sie nimmt die Beklagte, die sich am 25.01.2008 ohne Anerkennung einer Rechtspflicht verpflichtete, weitere Ausstrahlungen des Beitrags zu unterlassen, auf Schadensersatz in Höhe eines fiktiven Lizenzentgelts in Anspruch. Die Beklagte meint, die Verwendung des Sendematerials der Klägerin in ihrem Beitrag sei durch das Recht zur Berichterstattung über Tagesereignisse und das Zitatrecht gedeckt. Das Landgericht hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Mit ihrer Berufung erstrebt die Beklagte die Abweisung der Klage. Die Klägerin verteidigt die angefochtene Entscheidung.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg. Ein Schadensersatzanspruch aus § 97 Abs. 1 S. 1 UrhG in der bis zum 31.08.2008 geltenden Fassung dieser Vorschrift, der allein in Betracht kommt, steht der Klägerin gegen die Beklagte nach dem unstreitigen Sachverhalt nicht zu.

Wie vom Landgericht im Ausgangspunkt zu Recht angenommen, griff die Beklagte in das ausschließliche Verbreitungsrecht der Klägerin aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 UrhG ein, als sie deren Sendematerial in einen redaktionellen Beitrag einbezog und am 24. und 25.01.2008 mehrfach in ihren Magazinsendungen ausstrahlte. Wegen der Schranken ihres Schutzrechts aus § 87 Abs. 4 UrhG in Verbindung mit §§ 50 und 51 UrhG hat die Klägerin den Eingriff aber hinzunehmen.

1. Nach der Schrankenregelung des § 50 UrhG ist zur Berichterstattung über Tagesereignisse die Verbreitung von Werken, die im Verlauf dieser Ereignisse wahrnehmbar werden, in einem durch den Zweck gebotenen Umfang zulässig. Der Sendebeitrag der Beklagten stellt einen nach dieser Vorschrift privilegierten aktuellen Bericht dar und überschreitet in seiner konkreten Ausgestaltung nicht die Grenzen einer zulässigen Verwendung der Fremdleistung.

a) Tagesereignis ist jedes aktuelle Geschehen, das für die Öffentlichkeit von Interesse ist, ohne dass es darauf ankommt, ob es sich um politisch oder kulturell bedeutsame oder eher banale Vorgänge handelt oder ob im Wesentlichen nur die Neugier und das Klatschbedürfnis des Publikums angesprochen werden; aktuell ist es, solange ein Bericht darüber von der Öffentlichkeit noch als Gegenwartsberichterstattung empfunden wird (BGH, WRP 2002, 1302 = GRUR 2002, 1050 [1051] – Zeitungsbericht als Tagesereignis; BGHZ 175, 135 = WRP 2008, 1121 = GRUR 2008, 693 [Rn. 48] – TV-Total; Senat, GRUR-RR 2005, 105 f. – Elektronischer Fernsehprogrammführer).

Wie dem Senat bekannt und zwischen den Parteien unstreitig ist, stößt die Casting-Show der Klägerin auf großes Publikumsinteresse. Schon nach früheren Sendungen war es zu öffentlichen Diskussionen über die vielfach für unangemessen und menschenverachtend gehaltenen Äußerungen des Jury-Mitglieds E C gekommen. Der Zusammenbruch eines Kandidaten vor laufenden Kameras im Zusammenhang mit Äußerungen Cs während der Vorauswahl zu einer neuen Sendestaffel stellt sich vor diesem Hintergrund als ein die Öffentlichkeit bewegendes Ereignis dar, das seiner Qualität nach Gegenstand aktueller Berichterstattung sein konnte (vgl. zur Abgrenzung unter diesem Aspekt BGHZ 175, 135 = WRP 2008, 1121 = GRUR 2008, 693 [Rn. 46 ff.] – TV-Total).

Die Aktualität ergab sich im konkreten Fall aus dem Umstand, dass die Klägerin ihre Aufzeichnung des Vorfalls am 23.01.2008 ausgestrahlt hatte. Die Sendungen der Beklagten am 24. und 25.01.2008 standen damit ersichtlich in engem zeitlichen Zusammenhang. Obwohl das tatsächliche Geschehen selbst zu diesem Zeitpunkt bereits geraume Zeit zurücklag, wurde es aus Sicht des Publikums an den Tagen nach Ausstrahlung der Aufzeichnung durch die Klägerin noch als aktuelles Ereignis empfunden, wie auch die unstreitige Berichterstattung in anderen Medien belegt.

b) § 50 UrhG privilegiert die journalistische Wiedergabe eines Werks, soweit es im Zusammenhang mit dem aktuellen Ereignis in Erscheinung tritt, über das berichtet wird. Die Rechtfertigung für den Ausschluss des Urhebers von den mit der Berichterstattung erzielten Einnahmen entfällt, wenn das Werk selbst den eigentlichen Gegenstand des Berichts bildet; das bedeutet aber nicht, dass es nur unselbständig oder bruchstückhaft im Hintergrund eines anderen Geschehens wiedergegeben werden darf (BGHZ 85, 1 = GRUR 1983, 25 [26 f.] – Presseberichterstattung und Kunstwerkwiedergabe I; BGH, GRUR 1983, 28 [29] – Presseberichterstattung und Kunstwerkwiedergabe II; vgl. zur Entstehungsgeschichte der Regelung Bappert, GRUR 1963, 16), solange nicht die Wiedergabe des Werks in der Wahrnehmung des Publikums die aktuelle Berichterstattung verdrängt (vgl. zur 40-minütigen Hörfunk-Übertragung der bei einem Festakt aufgeführten Musikstücke OLG Frankfurt am Main, GRUR 1985, 380 [382] – Operneröffnung).

Im Streitfall bezieht sich der – den Parteien bekannte und den Mitgliedern des Senats auf Video-DVD (Anlage K 1 in Hülle Bl. 10 d.A.) zur Kenntnis gebrachte – Fernsehbeitrag der Beklagten nicht auf die am 23.01.2008 ausgestrahlte Sendung der Klägerin als solche. Wie aus der Ankündigung durch die Moderatoren der jeweiligen Nsendung und dem Beitrag selbst hervorgeht, ist wesentlicher Gegenstand des Berichts vielmehr das Verhalten des Jury-Mitglieds C während der Kandidatenauswahl im Vorfeld der Casting-Show und die Reaktion des betroffenen Kandidaten. Dabei dienen die Ausschnitte aus der Sendung der Beklagten lediglich als Beleg und Anschauungsmaterial für ihre Berichterstattung über den Vorgang selbst. Wegen der Besonderheiten des Sendeformats, bei dem fernsehunerfahrenen Kandidaten Gelegenheit zu einem Fernsehauftritt gegeben wird, mag die Abgrenzung zwischen Tagesereignis (dem mit der Sendung publik gewordenen Vorfall) und geschützter Leistung (der Sendung selbst) hier weniger klar zu treffen sein als die zwischen einer Ausstellungseröffnung, über die berichtet, und einem Exponat, das zur Illustration des Berichts abgebildet wird (vgl. dazu BGHZ 85, 1 = GRUR 1983, 25 – Presseberichterstattung und Kunstwerkwiedergabe I). Unmöglich ist sie aber nicht. Es liegt hier nicht grundsätzlich anders als beim Aufgreifen des Themas eines bebilderten Zeitungsartikels durch ein NachrichtenN, das für seinen eigenen Druckbeitrag Schlagzeile und Lichtbild des Artikels zur Veranschaulichung verwendet (vgl. BGH, WRP 2002, 1302 = GRUR 2002, 1050 – Zeitungsbericht als Tagesereignis).

c) Bei Abwägung aller maßgeblichen Umstände des Streitfalls hat die Beklagte fremdes Sendematerial nur in einem Umfang verbreitet, der durch den Zweck ihrer Berichterstattung geboten war.

§ 50 UrhG erleichtert die anschauliche Berichterstattung über aktuelle Ereignisse in Fällen, in denen Journalisten oder ihren Auftraggebern die rechtzeitige Einholung der Zustimmung des Rechteinhabers noch vor der Sendung des Berichts nicht möglich oder zumutbar ist (BGHZ 175, 135 [Rn. 49] = WRP 2008, 1121 = GRUR 2008, 693 – TV-Total). Wie alle auf der Sozialbindung des geistigen Eigentums beruhenden Schrankenbestimmungen ist die der Meinungs- und Pressefreiheit sowie dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit dienende Regelung grundsätzlich eng auszulegen, weil sie das Ergebnis einer schon vom Gesetzgeber vorgenommenen Abwägung zweier verfassungsrechtlicher Positionen darstellt (BGH, WRP 2002, 1302 = GRUR 2002, 1050 [1051] – Zeitungsbericht als Tagesereignis). Das schließt nicht aus, dass im Einzelfall die am Wortlaut orientierte engere Auslegung einer großzügigeren, der Grundrechtsposition des Verwerters Rechnung tragenden Interpretation weichen muss (BVerfG, NJW 2001, 598 [599] = GRUR 2001, 149 – Germania 3; BGH, GRUR 2002, 605 [606] – Verhüllter Reichstag). Wie schon das Landgericht im Ansatz zutreffend angenommen hat, sind die Voraussetzungen einer zulässigen Tagesberichterstattung nämlich ihrerseits im Lichte der Presse- und Rundfunkfreiheit zu interpretieren, so dass ein höheres Interesse der Öffentlichkeit unter Umständen auch eine umfangreichere Nutzung des im wirtschaftlichen Interesse des Rechteinhabers geschützten Sendematerials rechtfertigen kann.

Entgegen der Auffassung der Berufung kommt der Berichterstattungsfreiheit dabei kein Vorrang in dem Sinne zu, dass die Gerichte bei der Abwägung aller maßgeblichen Umstände einen journalistischer Beurteilungsspielraum zu respektieren und sich in Bezug auf den verwendeten Umfang der geschützten Fremdleistungen auf eine bloße Willkürkontrolle zu beschränken hätten. Auch sind die (wirtschaftlich meist bedeutenden) Interessen der Inhaber verwandter Schutzrechte (wie der Sendeunternehmen) im Rahmen der Abwägung nicht von vornherein schwächer zu gewichten als diejenigen einzelner Urheber.

Jedoch vermag der Senat in Ansehung des konkreten, am 24.01.2008 in der abendlichen "N"-Sendung und am 25.01.2008 noch dreimal im "G" der Beklagten ausgestrahlten Fernsehbeitrags keine übertriebene oder unangemessene, weniger durch den Zweck der Berichterstattung als durch den Wunsch nach Partizipation am kommerziellen Erfolg des anderen Sendeunternehmens erklärbare Übernahme fremden Sendematerials zu erkennen. Dieses dient im Rahmen der Rundfunkfreiheit der Beklagten vielmehr durchweg der Veranschaulichung des berichteten Vorfalls und bildet die Grundlage für die in dem Beitrag geübte Kritik an der Art der Äußerungen des Jury-Mitglieds C und ihren Folgen.

Für den zulässigen Umfang der Verbreitung fremder Werke und Leistungen in der Tagesberichterstattung lassen sich keine generellen zeitlichen oder prozentualen Grenzen aufstellen. Während im einen Fall die Übernahme ganzer Werke in eine aktuelle Reportage über ein damit in engem Zusammenhang stehendes Ereignis wegen ihrer Bedeutung für die öffentliche Meinungsbildung notwendig und zulässig sein kann, können im anderen Fall schon kurze Sequenzen einer fremden Sendung ohne erkennbare inhaltliche Relevanz für den Gegenstand der Berichterstattung für die Annahme eines unzulässigen Eingriffs in das Verbreitungsrecht des fremden Sendeunternehmens genügen. Im Streitfall stellt sich der im Verhältnis zur Länge des Gesamtbeitrags sicherlich nicht unerhebliche Umfang des fremden Sendematerials – in den etwa dreieinhalbminütigen redaktionellen Beitrag wurden insgesamt etwa zweiminütige Abschnitte aus der Klägersendung übernommen – unter Berücksichtigung des behandelten Themas und der durch das Medium bedingten Flüchtigkeit der Wahrnehmung noch als sachgerecht und zweckdienlich dar.

Zu berücksichtigen ist nämlich einerseits, dass es sich bei dem redaktionellen Beitrag der Beklagten um einen Fernsehbericht über einen Vorfall handelt, der seinerseits Gegenstand einer anderen Fernsehsendung war; in dieser Konstellation bildet die Wiedergabe von Teilen der anderen Fernsehsendung eine naheliegende und adäquate Art und Weise der Berichterstattung. Dabei beschränkt sich der Beitrag aber andererseits nicht auf die bloße Wiederholung der fremden Sendung oder großer Teile davon. In der Redaktion der Beklagten sind die übernommenen Sendeteile vielmehr entsprechend der Aussageabsicht des Beitrags neu geschnitten und angeordnet worden. Die ausgewählten Szenen werden abwechselnd mit kurzen Stellungnahmen des betroffenen Kandidaten, seines Vaters und eines Medienpsychologen gezeigt und in Beziehung gesetzt sowie in weitem Umfang auch selbst durch die Stimme einer unsichtbaren Kommentatorin aus dem "Off" unterlegt. Auf diese Weise werden die Abschnitte der Klägersendung in einen neuen Zusammenhang und in den Dienst der eigenen kritischen Berichterstattung gestellt. Soweit Szenen aus der Sendung der Klägerin gezeigt und zum Teil auch wiederholt werden, handelt es sich aus der Sicht eines unbefangenen Zuschauers um keine bloße Häufung spektakulärer Momente, sondern um die angemessene Form eines meinungsbildenden Beitrags. Die Auswahl der Szenen erscheint nach Art und Umfang gut geeignet, zunächst die Aufmerksamkeit des Zuschauers zu wecken und ihm sodann in konzentrierter Form – unter Betonung einzelner Aspekte des Geschehens, aber ohne überflüssige Wiederholungen – die Vorgänge bis zum Zusammenbruch des Kandidaten aus dessen Sicht deutlich zu machen.

2. Unabhängig von der Privilegierung des Beklagtenbeitrags als aktuelle Berichterstattung über einen von der Sendung der Klägerin selbst zu unterscheidenden Vorgang wäre die Verwendung fremden Sendematerials auch durch das Zitatrecht gedeckt, das sich aus der entsprechenden Anwendung von § 51 Nr. 2 UrhG auf Filmwerke und Laufbilder ergibt (BGHZ 175, 135 [Rn. 40] = WRP 2008, 1121 = GRUR 2008, 693 – TV-Total).

Die Ausschnitte aus der am 23.02.2008 publizierten Sendung der Klägerin wurden von der Beklagten in ihrem kritischen Bericht als Belegstellen – mit deutlicher Quellenangabe – angeführt. Die Zulässigkeit der Vervielfältigung, Verbreitung und öffentlichen Wiedergabe des fremden Sendematerials hängt davon ab, ob sie in einem durch den Zitatzweck gebotenen Umfang erfolgte. Diese Frage ist zu bejahen; zur Begründung kann auf die vorstehenden Erwägungen verwiesen werden, denn soweit sich der Umfang der Verbreitung fremden Sendematerials unter Würdigung aller Umstände im Rahmen eines aktuellen journalistischen Beitrags als zulässig darstellt (oben zu Nr. 1 lit. c), hält sich die Verwendung auch im Rahmen des Zitatzwecks.

3. Weil ein Schadensersatzanspruch somit dem Grunde nach ausscheidet, war die Klage insgesamt abweisungsreif.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Es bestand kein Anlass, gemäß § 543 Abs. 2 ZPO die Revision zuzulassen. Das Urteil beruht auf anerkannten Rechtsgrundsätzen und ihrer tatrichterlichen Anwendung auf die Umstände des Streitfalles, so dass der Sache weder grundsätzliche Bedeutung zukommt noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung durch den Bundesgerichtshof erfordert.

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