SG Osnabrück, Urteil vom 03.04.2007 - S 16 SO 193/05
Fundstelle
openJur 2012, 45691
  • Rkr:

1. Bei der konduktiven Förderung nach Petö handelt es sich um eine Leistung der medizinischen Rehabilitation, die nach § 54 Abs. 1 S 2 SGB XII an die Restriktionen der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung gebunden ist.2. Daneben ist eine Einordnung als heilpädagogische Maßnahme nicht möglich, selbst wenn ein heilpädagogischer Bedarf (hier: Leistung zur angemessenen Schulbildung nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII) möglicherweise besteht.

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Kosten werden nicht erstattet.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Übernahme von Kosten für eine konduktive Förderung.

Der 1997 geborene Kläger leidet unter einer globalen Entwicklungsverzögerung wegen eines Zustandes nach belastender Perinatalperiode und einer spastischen Diplegie.

Nach einem Grundanerkenntnis des Niedersächsischen Landesamtes für Zentrale Soziale Aufgaben vom 15. August 2000 liegt eine körperlich wesentliche Behinderung im Sinne des § 39 Abs. 1 S. 1 BSHG a.F. in Folge einer Sprachstörung und einer Beeinträchtigung des Stütz- und Bewegungssystems vor.

Nach einer sozialhygienischen Stellungnahme des Gesundheitsamtes J. vom 27. Juli 2000 war zu diesem Zeitpunkt weder ein Sitzen noch ein Stehen möglich. Nach einem Bescheid der K. Pflegekasse vom 12. Januar 2000 liegt eine Pflegebedürftigkeit (Pflegestufe I) vor.

Mit Bescheid vom 2. März 2000 gewährte der Beklagte familienentlastende Dienste in Höhe von 10 Betreuungseinheiten pro Monat. Mit Bescheid vom 26. Februar 2001 wurden diese familienentlastenden Dienste weitergewährt.

Mit Bescheid vom 21. August 2000 gewährte der Beklagte bis auf weiteres Eingliederungshilfe im heilpädagogischen Kindergarten in L.. Dieses Kostenanerkenntnis wurde mit Bescheid vom 30. Juni 2003 verlängert.

Nach einem Abschlussbericht der Heilpädagogischen Hilfe M. vom 16. Juli 2003 fand durch die heilpädagogische Förderung eine Verbesserung in einigen Bereichen statt.

Nach einem Gutachten zur Feststellung des sozialpädagogischen Förderbedarfs des Sonderschuldirektors N. vom 25.03.2004 war der Kläger zu diesem Zeitpunkt jedoch noch in allen Verrichtungen des Alltags auf Hilfe angewiesen. Dies ergibt sich ebenso aus dem Abschlussbericht der Heilpädagogischen Hilfe O. vom 7. Juni 2004.

Am 21. Februar 2005 beantragte der Kläger die Kostenübernahme für eine konduktive Therapie nach Petö in dem Zentrum P.. Die Krankenkasse, Q., hatte die Kostenübernahme mit Bescheid vom 25. November 2004 abgelehnt.

Mit Bescheid vom 4. April 2005 lehnte der Beklagte den Antrag auf Übernahme der Kosten für die konduktive Förderung ab.

Bei der konduktiven Förderung nach Petö handele es sich um eine medizinische Behandlung, weshalb sie Versicherungsgegenstand der Krankenversicherung sei. Im Rahmen der Krankenversicherung werde diese konduktive Förderung jedoch nicht übernommen, da der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen den therapeutischen Nutzen bislang nicht anerkannt habe. Die Eingliederungshilfe könne jedoch nicht weiter gehen als die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Zudem berief sich der Beklagte auf eine Entscheidung des VG Münster (Urteil vom 01.02.2005, Az.: 5 K 3440/02).

Gegen diesen Ablehnungsbescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 12. April 2005 den Widerspruch ein.

Die zitierte Entscheidung des VG Münster berufe sich zu Unrecht auf eine Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Rheinland-Pfalz (Urteil vom 01.09.2004, Az.: 12 A 10886/04). In diesem Zusammenhang sei eine konduktive Förderung nämlich lediglich als medizinische Rehabilitation abgelehnt worden. Eine Übernahme käme jedoch nach dieser Entscheidung für den Fall in Betracht, dass die Förderung ihrer Zielsetzung nach zur Vorbereitung des Schulbesuchs diene. Dies sei vorliegend der Fall.

Diesen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 1. August 2005 zurück. Es könne kein Zweifel daran bestehen, dass es sich bei der Petö-Therapie um eine Förderungsmaßnahme mit medizinischem Charakter handele, da sie seitens der Krankenversicherung als Heil- und Hilfsmittel überprüft worden sei. Hierbei sei der Bundesausschuss jedoch zu dem Ergebnis gekommen, dass der Benefit für die Patienten durch die Anwendung nicht zu belegen sei.

Gegen den Bescheid vom 4. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. August 2005 hat der Kläger am 21. September 2005 Klage erhoben.

Er nahm in der Zeit vom 4. Juli bis 29. Juli 2005 an einer konduktiven Förderung nach Petö in dem Zentrum P. teil. Nach einer Zwischenanamnese des sozialpädiatrischen Zentrums, R., vom 18. August 2005, hat der Kläger im Rahmen der Blocktherapie gute Fortschritte, insbesondere hinsichtlich der Rumpfhaltung und des Sitzvermögens, gezeigt.

Dies ergibt sich ebenfalls aus dem Bericht des Zentrums S. vom 28. Juli 2005. Danach hat der Kläger gelernt, sich lediglich am Sprossenstuhl haltend auf einen Hocker zu sitzen.

Der Kläger ist der Ansicht, dass die Eingliederungshilfe nicht an die Restriktion der Krankenkassen gebunden sei. Es handele sich um eine staatliche Fürsorge, die sich aus dem Sozialstaatsprinzip ergebe.

Zudem lägen mittlerweile erhebliche Fortschritte in den grundmotorischen Bewegungsabläufen vor. Das selbständige Sitzen auf einem Hocker sei zudem entscheidend, um dem Unterricht im Rahmen eines Schulbesuchs folgen zu können.

Der Kläger beantragt,

1. den Bescheid des Beklagten vom 4. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. September 2005 aufzuheben,

2. den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger die Kosten für die konduktive Förderung nach Petö in Höhe von 2.262,00 EUR zu ersetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält seine Bescheide für rechtmäßig. Er ist der Ansicht, dass es sich bei der konduktiven Therapie um eine Maßnahme der medizinischen Rehabilitation handele. Die Tatsache, dass diese Rehabilitationsmaßnahme auch eine Auswirkung im Hinblick auf den Schulbesuch des Klägers habe, führe nicht zu der Einschätzung, dass es sich um eine Eingliederungshilfe handele.

Für den weiteren Vortrag wird auf die Gerichts- sowie die Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen. Die Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung sowie der anschließenden Beratung gewesen.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Die Bescheide erweisen sich nicht als rechtswidrig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten der konduktive Förderung nach §§ 53, 54 SGB XII.

1. Bei der konduktiven Förderung nach Petö handelt es sich um eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation (dazu unter a), die nach § 54 Abs. 1 S 2 SGB XII an die Restriktion der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung gebunden ist (dazu unter b).

30a) Die konduktive Förderung nach Petö stellt eine medizinische Rehabilitation nach § 54 Abs. 1 S 1 i.V.m. § 26 Abs. 2 Nr. 1 bzw. 2 SGB IX dar. Es handelt sich nicht um eine Leistung zur angemessenen Schulbildung nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII i.V.m. § 12 S. 1 Nr. 1 der Eingliederungshilfeverordnung (Eingliederungs-VO).

aa) Für diese Abgrenzung ist der Charakter der Maßnahme und nicht der möglicherweise bestehende Bedarf entscheidend, denn selbst wenn der Kläger einen Bedarf in Bezug auf eine Leistung zur angemessenen Schulbildung hat bzw. hatte, die in Anspruch genommene Leistung aber eine solche der medizinischen Rehabilitation ist, so kommt eine Kostenübernahme wegen der oben genannten Restriktion des § 54 Abs. 1 S. 2 SGB XII nicht in Betracht.

Danach kann die Kammer es dahinstehen lassen, in wie weit ein Sitzen auf dem Hocker den Schulbesuch erleichtert (vgl. dazu: § 12 S. 1 Nr. 1 Eingliederungs-VO), jedenfalls liegt kein Ermöglichen des Schulbesuchs i.S.d. Vorschrift vor.

bb) Für die Abgrenzung zwischen medizinischen und nicht medizinischen Maßnahmen kommt es in erster Linie auf die Zielsetzung der Maßnahme an (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 3. September 2003, Az.: B 1 KR 34/01 R).

(1) In Bezug auf diese Ziele ist entscheidend, ob die Methode eines der in §§ 27 Abs. 1 S. 1, 11 Abs. 2 S. 1 SGB V genannten Ziele (Erkennen oder Heilen einer Krankheit, Verhüten der Krankheitsverschlimmerung, Linderung von Krankheitsbeschwerden, Vermeidung, Beseitigung oder Besserung einer Behinderung) verfolgt und dabei an der Krankheit selbst bzw. an ihren Ursachen ansetzt (vgl. BSG, Urteil vom 3. September 2003, Az.: B 1 KR 34/01 R). In Bezug auf die vorliegende Abgrenzung ist zudem eine Orientierung an den Zielen des § 26 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX, Behinderungen abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen und eine Verschlimmerung zu verhüten, entscheidend.

(2) Ein solcher unmittelbarer Krankheitsbezug ist hier gegeben.

(a) Zwar erscheint es im Rahmen der konduktiven Förderung nach Petö als wichtiger ein erstrebtes Ziel, als die richtige Qualität der Bewegungsabläufe zu erreichen (vgl. hierzu: Karch/Hanefeld/Ritz/Schlack, Konduktive Förderung nach Petö, Stellungnahme der Gesellschaft für Neuropädiatrie, abgerufen unter: http://www.neuropaediatrie.com/aerzte/ Stellungnahme/petoe.htm) weshalb vor allem die Eigenaktivität bzw. gruppendynamischer Prozesse gefördert werden (Konduktive Förderung nach Petö, Zusammenfassender Bericht des Untersuchungsausschusses „Heil- und Hilfsmittel“ des gemeinsamen Bundesausschusses über die Beratung gem. § 138 SGB V vom 18. Mai 2005, S. 38 u. 39).

(b) Dennoch setzt die Petö-Therapie bei der Krankheit selbst an. Dies ergibt sich daraus, dass - zumindest in Bezug auf die Blockförderung - ca. 70 % der Zeit darauf verwendet werden, die Motorik selbst zu verbessern. Die Anknüpfung an die motorische Störung ist als therapeutisch und medizinisch anzusehen (vgl. hierzu umfassend: Blank/Voß in: Konduktive Förderung nach Petö - Evaluation einer alltags- und aufgabenorientierten Therapie bei Kindern mit Cerebralparesen im Kindergarten- und Vorschulalter, S. 115 aus der Rechtsprechung hierzu: BSG, Urteil vom 3. September 2003, Az.: B 1 KR 34/01 R, OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 01.09.2004, Az.: 12 A 10886/04; VG Sigmaringen, Urteil vom 08.07.2004, Az.: 2 K 967/03).

Zudem kann darauf abgestellt werden, dass die Petö-Therapie - auch in Bezug auf die individuellen Zielsetzungen - an der Vermittlung von grundlegenden Fähigkeiten interessiert ist.

Im vorliegenden Fall lag die Zielsetzung beispielsweise in der Förderung des Sitzens auf dem Hocker und im Schneider- und Langsitz, die Förderung der Bewegungsformen auf dem Boden (Drehen um die Längsachse, rollen und robben) und die Förderung von handmotorischen Bewegungen (vgl. hierzu und den weiteren Zielen das Schreiben des Sozialpädiatrischen Zentrums vom 18.08.2005, Bl. 32 f. der GA und den Bericht über die konduktive Therapie vom 18.07.2005, Bl. 34 ff. der GA).

40(c) Vor diesem Hintergrund tritt zurück, dass es sich bei der Maßnahme um einen ganzheitlichen Ansatz handelt, der auch pädagogische und psychologische Zielsetzung verfolgt (vgl. hierzu näher: Blank/Voß, Konduktive Förderung nach Petö, S. 117). Aufgrund der eben erörterten Verteilung der Inhalte der Maßnahme tritt dieser Umstand hinter dem krankheitsheilenden Ansatz zurück (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 3. September 2003, Az.: B 1 KR 34/01 R).

(3) Dem steht die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 30.05.2002 (Az.: 5 C 36/01) nicht entgegen:

Zwar ist das BVerwG in diesem Urteil - ohne weitere Begründung - davon ausgegangen, dass es sich bei der Petö-Therapie um eine heilpädagogische Maßnahme handele. Doch befasst sich die Entscheidung im Kern nur mit der Rechtsfrage, ob für heilpädagogische Maßnahmen im Rahmen der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung der Maßstab der allgemeinen ärztlichen oder sonstigen fachlichen Kenntnis oder nur derjenige der Geeignetheit und Erforderlichkeit gilt.

Durch die Aufhebung des zu dieser Zeit noch geltenden § 40 Abs. 1 Nr. 2 a BSHG a.F. sowie des § 11 Eingliederungshilfe-VO a.F und die gleichzeitige Neufassung des § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BSHG (jetzt § 54 Abs. 1 S. 1 SGB XII) hat der Gesetzgeber jedoch das Problem auf die (vom Bundesverwaltungsgericht noch nicht zu erörternde) Abgrenzung zwischen heilpädagogischen und medizinischen Maßnahmen verlagert (vgl. hierzu im einzelnen: OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 01.09.2004, Az.: 12 A 10886/04).

b) Für eine medizinische Rehabilitation nach § 54 Abs. 1, S. 1 i.V.m. § 26 Abs. 2 SGB IX gilt die Restriktion des § 54 Abs. 1, S. 2 SGB XII.

Dementsprechend ist entscheidend, ob der Gemeinsame Bundesausschuss nach § 91 Abs. 1 SGB V, also die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, die Deutsche Krankenhausgesellschaft, die Bundesverbände der Krankenkassen, die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See und die Verbände der Ersatzkassen, gemäß § 138 SGB V zuvor den therapeutischen Nutzen der Maßnahme anerkannt hat und in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V Empfehlungen für die Sicherung der Qualität bei der Leistungserbringung abgegeben hat. Dies ist vorliegend nicht der Fall.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

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