VG Hamburg, Urteil vom 02.02.2010 - 4 K 1915/09
Tenor

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 18.03.2009 und des Widerspruchsbescheides vom 14.07.2009 verpflichtet, über den Antrag der Klägerin vom 16.2.2009 auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis erneut zu entscheiden.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis.

Die im Jahr 1971 geborene Klägerin ist kamerunische Staatsangehörige. Nachdem sie am 16.6.1998 einen deutschen Staatsangehörigen geheiratet hatte, reiste sie mit einem Visum zur Familienzusammenführung am 11.12.1998 in das Bundesgebiet ein, wobei sie ihre 1986, 1988 und 1990 geborenen Kinder im Heimatland zurückließ. Die zuständige Ausländerbehörde in Bremen, dem Wohnort ihres Ehemannes, stellte ihr am 17.12.1998 eine bis zum 17.12.2001 befristete ehebezogene Aufenthaltserlaubnis aus. Am 1.10.1999 teilte der Ehemann der Klägerin der Ausländerbehörde mit, dass sich die Klägerin nicht mehr bei ihm aufhalte, dass er sie abmelden werde und dass er nicht mehr die Ehe mit ihr führen wolle, woraufhin die Ausländerbehörde in Bremen die Klägerin zur nachträglichen Befristung der Aufenthaltserlaubnis anhörte. Mit Schreiben vom 7.4.2000 teilte der Ehemann der Klägerin der Ausländerbehörde jedoch mit, dass er die Ehe mit der Klägerin wieder aufnehme. Mit anwaltlichem Schreiben vom 24.5.2000 erklärte der Ehemann jedoch, dass er seit 1999 nicht mehr mit der Klägerin zusammenlebe, die Erklärung vom 7.4.2000 nur unter Druck abgegeben habe und dass nunmehr das Scheidungsverfahren eingeleitet werde. Die Ausländerbehörde in Bremen teilte der Klägerin angesichts ihrer Erwerbstätigkeit am 13.10.2000 mit, dass die Aufenthaltserlaubnis aus Billigkeitsgründen nicht nachträglich befristet, aber auch nicht über den 17.12.2001 hinaus verlängert werde.

Am 25.9.2001 wurde die Ehe der Klägerin geschieden. Über ihren Prozessbevollmächtigten beantragte sie mit Schreiben vom 16.12.2001, ihre Aufenthaltserlaubnis aus Härtegründen zu verlängern, da sie als geschiedene muslimische Frau große Probleme im Falle einer Rückkehr nach Kamerun zu befürchten hätte. Hilfsweise beantragte sie die Erteilung einer Duldung und legte ein ärztliches Attest vom 14.12.2001 vor, in dem ihr eine depressive Reaktion, Alkoholkrankheit und eine akute Pankreatitis bescheinigt wurden. Der Klägerin wurde eine Bescheinigung über die Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis ausgestellt, die mehrmals, zuletzt bis zum 20.12.2002, verlängert wurde. Am 7.11.2002 bescheinigte der Sozialpsychiatrische Dienst des Gesundheitsamtes Bremen der Klägerin, dass sie an einer schweren depressiven Störung, an Alkoholabhängigkeit und Tranquilizermissbrauch leide. Sie leide an der Ablehnung durch ihre Familie im Heimatland; insbesondere ihr Vater drohe ihr mit dem Tod. Reisefähig sei sie derzeit nicht; vielmehr wurde ihr eine stationäre Behandlung empfohlen. Für den Fall einer Abschiebung stellte die begutachtende Psychiaterin und Psychotherapeutin die hohe Wahrscheinlichkeit suizidaler Handlungen fest. Am 19.12.2002 wurde der Klägerin daraufhin gemäß § 55 Abs. 2 und 4 AufenthG wegen ihrer Erkrankung eine Duldung erteilt, gültig bis zum 19.6.2003. Am 23.6.2003 erhielt sie in Bremen eine Duldung nach § 69 Abs. 2 AuslG wegen der Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis; am 4.8.2003 eine Duldung, gültig bis 4.2.2004 wegen Krankheit. Am 3.9.2003 erteilte die Ausländerbehörde in Bremen der Klägerin erneut eine Duldung wegen der Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis.

Erst mit Schreiben vom 19.11.2004 kündigte die Ausländerbehörde in Bremen an, den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abzulehnen, nachdem sie bemerkt hatte, dass über diesen Antrag noch nicht entschieden worden war. Zugleich stellte sie der Klägerin Fiktionsbescheinigungen aus. Eine erneute amtsärztliche Stellungnahme vom 4.5.2005 kam zu dem Ergebnis, dass eine Abschiebung mit großer Wahrscheinlichkeit die rezidivierende depressive Symptomatik, die gegenwärtig bestehende Anpassungsstörung sowie die die Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit verschlechtern würde. Eine gegenwärtige Suizidgefahr sei nicht gegeben, aber im Falle einer Abschiebung auch nicht auszuschließen.

Am 16.5.2006 erteilte die Ausländerbehörde in Bremen der Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG ohne Wohnsitzbeschränkung im Hinblick auf ihre Erkrankung, die bis zum 16.11.2006 gültig war. Die Klägerin zog am 1.8.2006 nach Hamburg in den Zuständigkeitsbereich der Beklagten um. Am 6.10.2006 wandte sich ein Mitarbeiter des ASB-Büros in Bremen in Vertretung für die Klägerin an die Ausländerbehörde in Bremen und teilte mit, dass die Klägerin eine Niederlassungserlaubnis begehre. Die Klägerin sprach am 16.11.2006 bei der Beklagten vor und erhielt einen Termin für den 31.1.2007, anlässlich dessen sie die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis in Form einer Niederlassungserlaubnis förmlich beantragte. Daraufhin erhielt sie eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 4 AufenthG.

Mit Schreiben vom 12.7.2007 hörte die Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Ablehnung des Antrags an, forderte sie aber zugleich auf, Atteste vorzulegen. Am 15.9.2008 attestierte ihr der in Hamburg ansässige Neurologe und Psychiater Dr. xxx, dass sie unter rezidivierenden depressiven Störungen und stressbedingtem schädlichem Alkoholkonsum leide. Die Klägerin werde mit stabilisierenden Gesprächen und dem Medikament Citalopram behandelt. Die Klägerin teilte mit, dass sie nach dem Tod ihres Vaters ihre Familie in Kamerun besuchen wolle. Der ärztliche Dienst beurteilte am 14.1.2009 insbesondere aufgrund der Eigeneinschätzung der Klägerin deren Reisefähigkeit positiv; auch könnten ihre Erkrankungen dort behandelt werden.

Mit Bescheid vom 18.3.2009 lehnte die Beklagte die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen ebenso ab wie die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Sie forderte die Klägerin zur Ausreise auf und drohte ihr die Abschiebung an. In ihrem Fall komme die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG nicht mehr in Betracht, da sie offenkundig keine Todesdrohungen mehr von ihrem verstorbenen Vater erhalten könne, sofern es diese überhaupt gegeben habe. Auch nach § 26 Abs. 2 AufenthG komme keine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis in Betracht, da kein Abschiebungshindernis mehr vorliege. Auch nach § 104 a AufenthG sei keine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, da ihr erstmals im Mai 2006 eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen erteilt worden sei und nicht bereits im Jahr 1999. Da die Klägerin nicht über einen Zeitraum von sieben Jahren im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG gewesen sei, komme auch die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG nicht in Betracht.

Die Klägerin legte Widerspruch ein und beantragte bei Gericht nach § 80 Abs. 5 VwGO die Anordnung dessen aufschiebender Wirkung. Diesem Antrag entsprach das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 14.3.2009 (4 E 998/09) und beschränkte die angeordnete aufschiebende Wirkung des Widerspruchs auf einen Monat nach Zustellung des Widerspruchsbescheides. Zur Begründung führte die Kammer aus, dass die Klägerin einen Anspruch auf ermessensfreie Bescheidung ihres Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG haben dürfte. Hierfür sei nicht erforderlich, dass das Ausreisehindernis noch fortbestehe. Die Voraussetzung der siebenjährigen Aufenthaltsdauer dürfte durch die gesetzlich vorgeschrieben Anrechnung von Fiktionszeiten sowohl vor Erlass als auch nach Ablauf der erteilten Aufenthaltserlaubnis erfüllt sein. Die Beklagte habe im Widerspruchsbescheid diesbezüglich Ermessen auszuüben. Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht lehnte die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde der Beklagten mit Beschluss vom 29.6.2009 ab (2 Bs 94/09). Es bestätigte die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG kein fortbestehendes Ausreisehindernis von Nöten sei, dass es genüge, wenn bei der Beantragung der Niederlassungserlaubnis noch ein Aufenthaltstitel vorhanden gewesen sei, wofür die Fiktion nach § 81 Abs. 4 AufenthG genüge. Bei der Anrechnung von Fiktionszeiten müsse zwischen den Zeiten vor und nach dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes differenziert werden; in der Sache sei die Anrechnung jedoch zu recht erfolgt. Denn die früher in § 69 Abs. 3 Satz i Nr. 2 AuslG geregelte Fiktionswirkung sei nach dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes gemäß der Übergangsbestimmung des § 102 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. den Sätzen 1 und 2 AufenthG wirksam geblieben und müsse angerechnet werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14.7.2009 lehnte die Beklagte den Widerspruch der Klägerin ab. Sie führte zur Begründung aus, dass sie entgegen den ergangenen gerichtlichen Entscheidungen im Eilverfahren an ihrer bisherigen Rechtsauffassung festhalte. Eine Niederlassungserlaubnis komme nicht in Betracht, da die Klägerin gegenwärtig weder einen der Tatbestände der §§ 22 – 25 AufenthG erfülle noch seit sieben Jahren im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis sei. Sie sei auch gegenwärtig nicht mehr im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis. Daher sei kein Ermessen eröffnet. Eine Petition sei am 29.4.2009 abgelehnt worden. Die Beklagte verwies auf eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 12.1.2005.

Mit der am 29.7.2009 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter und bezieht sich zur Begründung auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts und des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts in den im Eilverfahren ergangenen Beschlüssen.

Im Rahmen eines weiteren gerichtlichen Eilverfahrens (4 E 1917/09) ordnete die Beklagte die aufschiebende Wirkung der Klage am 6.8.2009 an, so dass das Eilverfahren übereinstimmend für erledigt erklärt und eingestellt wurde.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18.3.2009 und des Widerspruchsbescheides vom 14.7.2009 zu verpflichten, über ihren Antrag vom 16.2.2009 auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie nimmt Bezug auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid.

Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 11.11.2009 auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen. Dem Gericht lagen die Sachakten der Beklagten vor.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt.

Gründe

I.

Die gemäß § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO zulässige Bescheidungsklage ist begründet. Denn die Beklagte hat im Bescheid vom 18.3.2009 und im Widerspruchsbescheid vom 14.7.2009 den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Spezialnorm des § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu Unrecht aus tatbestandlichen Gründen abgelehnt, so dass die von der Beklagten zu treffende Ermessensentscheidung noch aussteht.

Die Klägerin erfüllt die Tatbestandsvoraussetzungen des § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG, so dass ihr im Ermessenswege eine Niederlassungserlaubnis erteilt werden kann. Nach § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer, der seit sieben Jahren eine Aufenthaltserlaubnis nach diesem Abschnitt besitzt, eine Niederlassungserlaubnis erteilt werden, wenn die in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 9 bezeichneten Voraussetzungen vorliegen. Unschädlich ist, dass die Klägerin gegenwärtig keine Aufenthaltserlaubnis nach diesem Abschnitt mehr besitzt (1.). Die Anrechnungszeiten von sieben Jahren sind erfüllt (2.); die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG müssen gegenwärtig nicht mehr gegeben sein (3.). Ferner erfüllt die Klägerin die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 9 AufenthG (4.) sowie die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG (5.). Dementsprechend hat sie einen Anspruch auf Neubescheidung ihres Antrags (6.).

1. Das Gericht ist der Auffassung, dass die Klägerin zum gegenwärtigen – grundsätzlich maßgeblichen – Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht mehr im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach diesem Abschnitt sein muss, obwohl der Wortlaut des § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG darauf hindeuten mag. Es genügt, dass sie zum Zeitpunkt der Antragstellung im Besitz einer solchen Aufenthaltserlaubnis war und dass sich daran die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG anschloss. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die den Beteiligten bekannten Ausführungen des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts im Beschluss vom 29.6.2009 (2 Bs 94/09) verwiesen, das darauf abstellte, dass § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG nicht die gleichzeitige Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen und einer Niederlassungserlaubnis fordere, und dass die durch den Verlängerungsantrag ausgelöste Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 AufenthG genüge (ebenso BayVGH, Urteil vom 4.2.2009, 19 B 08.2774, juris). Anderenfalls käme bei zeitlich ablaufenden Aufenthaltserlaubnissen aus humanitären Gründen und den üblichen Zeitläufen von Bescheiderlass, Widerspruchsverfahren und Klageverfahren der Ausländer im Falle der rechtswidrigen Ablehnung der Niederlassungserlaubnis nie in den Genuss einer Niederlassungserlaubnis, da er die abgelaufene befristete Aufenthaltserlaubnis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht vorweisen könnte. Bei der Frage des „gegenwärtigen Besitzes“ einer Aufenthaltserlaubnis nach dem 5. Abschnitt des Aufenthaltsgesetzes muss daher auf den Zeitpunkt der Antragstellung abgestellt werden.

Die Klägerin hat noch während der Gültigkeit ihrer bis zum 16.11.2006 befristeten, nach dem 5. Abschnitt erteilten Aufenthaltserlaubnis in Bremen über einen Mitarbeiter des ASB die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis beantragt, wie sich aus einer E-mail des ASB-Mitarbeiters an die Ausländerbehörde in Bremen vom 6.10.2006 ergibt. Ob dies als rechtzeitige Antragstellung zu bewerten ist, da seit dem Umzug der Klägerin nach Hamburg am 1.8.2006 die Ausländerbehörde in Bremen örtlich unzuständig war, kann dahin stehen. Denn darüber hinaus sprach die Klägerin nach der Versendung der Akte nach Hamburg am 16.11.2006, d.h. noch während der Gültigkeit der befristeten Aufenthaltserlaubnis, bei der Beklagten vor. Zu einer förmlichen Antragstellung kam es am 16.11.2006 bei der Beklagten nicht, da diese ihr keinen Termin an diesem Tag geben konnte. Der Klägerin wurde von der Beklagten ein Termin zur Vorsprache am 31.1.2007 zugewiesen, anlässlich dessen sie erneut förmlich die Erteilung der Niederlassungserlaubnis beantragte. Von einer durch die Klägerin verschuldeten Unterbrechung kann daher keine Rede sein. Die Beklagte hat dies ebenso gesehen und der Klägerin am 31.1.2007 eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 4 AufenthG ausgestellt, wie es bei der rechtzeitigen Stellung eines Verlängerungsantrags gesetzlich vorgesehen ist. Wie sich aus dem Gesetzeswortlaut ergibt, gilt mit der Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 4 AufenthG die Aufenthaltserlaubnis der Klägerin als fortbestehend.

2. Auch hält das Gericht entsprechend der im Eilverfahren geäußerten Rechtsauffassung, die im Ergebnis vom Hamburgischen Oberverwaltungsgericht bestätigt wurde, die Anrechnungszeit von sieben Jahren für erfüllt.

Zwar hat die Anrechnung der Zeiten zwischen der Antragstellung am 12.12.2001 und dem 31.12.2004, als das damals geltende Ausländergesetz auslief, über die Anrechnungsnorm des § 102 Abs. 2 AufenthG und nicht über § 81 Abs. 4 AufenthG zu erfolgen (vgl. HmbOVG, Beschluss vom 29.6.2009, a.a.O.). Danach wird auf die Frist für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG die Zeit des Besitzes einer Aufenthaltsbefugnis oder einer Duldung vor dem 1.1.2005 angerechnet. Die Klägerin hat zwar in Bremen trotz ihrer bereits am 12.12.2001 geltend gemachten Erkrankung keine Aufenthaltsbefugnis, sondern nur eine Duldung bekommen. Dass sie bereits bei der Antragstellung einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis im Hinblick auf ihre Erkrankung gehabt hätte, dürfte unstreitig sein, da die vorgelegten Atteste ihren Gesundheitszustand belegen und die Ausländerbehörde in Bremen dementsprechend von einem Abschiebehindernis ausging. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 102 Abs. 2 AufenthG genügt die vor dem 1.1.2005 erteilte Duldung für die Anrechnungszeit nach § 26 Abs. 4 AufenthG. Der Klägerin kann nicht angelastet werden, dass sie durch die Stellung eines Antrags auf Verlängerung ihrer ausgelaufenen ehebezogenen Aufenthaltserlaubnis zeitgleich in den Genuss der Fiktionswirkung nach § 69 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AuslG kam, da die Ausländerbehörde in Bremen es über einen längeren Zeitraum versäumte, diesen Antrag zu bescheiden. Materiellrechtlich bestand ein Abschiebungshindernis, dem durch die erteilten Duldungen Rechnung getragen wurde. Es entspricht nicht dem Sinn und Zweck des Gesetzes, von der Anrechnungsvorschrift des § 102 Abs. 2 AufenthG solche Fälle auszunehmen, bei denen die formalen und materiellrechtlichen Voraussetzungen für eine Anrechnung vorliegen, weil sie durch eine überlagernde Fiktionswirkung gekennzeichnet sind.

Für den Zeitraum zwischen dem 1.1.2005 und dem 16.5.2006, als die Klägerin lediglich im Besitz einer krankheitsbezogenen Duldung war, sieht das Aufenthaltsgesetz keine Anrechnungs- oder Überleitungsvorschrift vor. Allerdings kann er bei der Fassung des § 102 Abs. 2 AufenthG nicht davon ausgegangen sein, dass in sämtlichen Fällen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG, die später für die Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG relevant werden könnten, die Ausländerbehörden bereits am 1.1.2005 entsprechende Duldungen in Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Abs. 5 AufenthG umgewandelt haben könnten. Dies war praktisch nicht möglich, darf aber nach der Intention des Gesetzgebers nicht zu einer schädlichen Unterbrechung der Anrechnungszeiten führen. Anderenfalls wären Ausländer, die – wie die Klägerin - auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG warteten, obwohl die Voraussetzungen vorlagen, von der Anrechnungsvorschrift des § 102 Abs. 2 AufenthG ausgenommen. Es spricht nichts dafür, dass der Gesetzgeber nur die Duldungsinhaber begünstigen wollte, die vor dem 1.1.2005 eine Aufenthaltsbefugnis oder genau am 1.1.2005 eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen erhielten. Anderenfalls hinge die Anrechnung von Zeiten nicht vom Vorliegen materiellrechtlicher Gegebenheiten, sondern von der Bearbeitungspraxis der Behörden ab. Dementsprechend müssen Duldungszeiten nach dem 1.1.2005 bis zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 AufenthG anzurechnen sein, wenn deren Erteilung beantragt war und – wie hier - die Voraussetzungen hierfür vorlagen (ebenso ausführlich zur gesetzgeberischen Intention OVG Münster, Beschlüsse vom 4.9.2008, 18 E 428/08, und vom 11.5.2009, 18 E 347/09, beide in juris; HmbOVG, Beschluss vom 29.6.2009, a.a.O.; VG Münster, Urteil vom 29.1.2009, 8 K 1318/08, juris; enger insoweit VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 19.5.2008, 11 S 942/08, das einerseits eine Anrechnung von Duldungszeiten erlaubt, wenn sich nahtlos die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG aus humanitären Gründen anschließt, andererseits aber die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG direkt am 1.1.2005 fordert).

Vom 16.5.2006 bis zum 16.11.2006 war die Klägerin im Besitz der Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG. Zwischen dem 16.11.2006 und dem 18.3.2009, als der ablehnende Bescheid erlassen wurde, genoss die Klägerin, wie oben geschildert, die Fiktionswirkung gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG, wonach die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG als fortbestehend galt.

Im Ergebnis sind zu Gunsten der Klägerin zwischen dem 12.12.2001 und dem 18.3.2009 im Sinne des § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG mehr als sieben Jahre und zwei Monate anzurechnen. Ob nach Bescheiderlass weitere Zeiten angerechnet werden können, kann daher dahingestellt bleiben.

3. Wie die Kammer und das Hamburgische Oberverwaltungsgericht im Eilverfahren ausgeführt haben, müssen die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG zum Zeitpunkt der Erteilung der Niederlassungserlaubnis nicht mehr vorliegen. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die ausführlichen Entscheidungsgründe im Beschluss der Kammer vom 14.5.2009 (a.a.O.) und im Beschluss des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 29.6.2009 (a.a.O.) verwiesen (ebenso VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 29.5.2007, 11 S 2093/06, juris, mit ausführlicher Begründung zu Gesetzeswortlaut, Systematik, Sinn und Zweck). Als Regelung zur aufenthaltsrechtlichen Verfestigung knüpft § 26 Abs. 4 AufenthG nicht an den Fortbestand des Ausreisehindernisses an wie bei der Verlängerung befristeter Aufenthaltserlaubnisse nach § 26 Abs. 2 AufenthG. Vielmehr hat die Norm ebenso wie die Vorgängervorschrift des § 35 Abs. 1 AuslG allein die wirtschaftliche, soziale und sprachliche Integration des Ausländers in die Lebensverhältnisse in Deutschland im Blick. Der anderslautenden, nicht begründeten Rechtsauffassung des OVG Münster (Beschluss vom 12.1.2005, 18 B 60/05, juris) schließt sich das Gericht aus den oben genannten Gründen nicht an. Insofern ist unerheblich, ob die Klägerin nach wie vor aus gesundheitlichen Gründen nicht abgeschoben werden könnte.

4. Die Klägerin erfüllt auch die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 9 AufenthG. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen der Kammer im Beschluss vom 14.5.2009 (a.a.O.) verwiesen, welchen die Beklagte nicht entgegen getreten ist.

5. Die Klägerin erfüllt die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG, insbesondere besitzt sie einen gültigen kamerunischen Reisepass und hat keine Ausweisungsgründe gesetzt.

6. Die Klägerin besitzt einen Anspruch auf Neubescheidung ihres Antrags auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis gemäß § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO. Die Beklagte hat bislang das ihr nach § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zustehende Ermessen nicht ausgeübt, da sie davon ausging, die Tatbestandsvoraussetzungen lägen bereits nicht vor. Damit fehlt die Spruchreife des Klagebegehrens, so dass entsprechend dem Antrag der Klägerin die Beklagte zur Neubescheidung des Antrags unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten ist.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung auf §§ 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Zitate10
Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte