Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 30.01.2007 - 10 ME 264/06
Fundstelle
openJur 2012, 45339
  • Rkr:

Zur Ermessensausübung der Ausländerbehörde.Maßgeblicher Zeitpunkt für die Vereinbarkeit der Widerrufsentscheidung mit dem nationalen Recht ist die Sach- und Rechtslage bei Erlass des Widerrufs. Deshalb kann die Ausländerbehörde allein die Belange des Ausländers ihrer Ermessensentscheidung zugrunde legen, die zum einen offenkundig oder bekannt sind und zum anderen vom Ausländer geltend gemacht worden sind. Hinsichtlich der eigenen Belange trifft den Ausländer eine Mitwirkungspflicht (§ 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG).Bezogen auf die Vereinbarkeit des Widerrufs des Aufenthaltstitels mit der EMRK ist auf die Sach- und Rechtslage der gerichtlichen Entscheidung abzustellen.Zur Bedeutung der familiären Bindung zwischen Eltern und ihren volljährigen Kindern.

Gründe

I.

Die Antragsgegnerin widerrief mit Bescheid vom 22. August 2006 die den Antragstellern 1994 unbefristet erteilten Aufenthaltserlaubnisse, die seit dem 1. Januar 2005 als Niederlassungserlaubnisse fortgegolten haben (§ 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG), und forderte die Antragsteller unter Androhung der Abschiebung auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Widerrufs zu verlassen. Hiergegen haben die Antragsteller fristgerecht Klage erhoben und zugleich beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung anzuordnen. Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die in dem angefochtenen Bescheid der Antragsgegnerin erlassene Abschiebungsandrohung mit folgender Begründung angeordnet: Der zulässige Antrag sei begründet, weil die Widerrufsentscheidung der Antragsgegnerin, durch die die Ausreisepflicht der Antragsteller begründet worden sei, rechtlichen Bedenken unterliege. Die Antragsgegnerin habe dem Schutz der Familie nicht hinreichend Rechnung getragen, weil zwei 18- und 20jährige Kinder mit den Antragstellern in familiärer Lebensgemeinschaft lebten und die Kinder mitgeteilt hätten, sie stünden noch nicht auf eigenen Beinen und seien von den Antragstellern abhängig. Diesen Umstand habe die Antragsgegnerin im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung nicht hinreichend gewürdigt. Die Erwiderung der Antragsgegnerin, eine Schutzwürdigkeit bestehe bei Erreichen der Volljährigkeit bei Kindern nicht mehr, überzeuge in dieser Allgemeinheit nicht. Vielmehr sei im konkreten Einzelfall zu prüfen, ob eine schutzwürdige Lebens- und Beistandsgemeinschaft zwischen Eltern und Kindern weiterhin bestehe. Hierfür spreche im Fall der Antragsteller Überwiegendes.

II.

Die hiergegen fristgerecht erhobene und begründete sowie inhaltlich den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO entsprechende Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.

Die von der Antragsgegnerin dargelegten Gründe, auf deren Überprüfung sich die Entscheidung des Senats beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), führen zu einer Änderung des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts.

Es kann aufgrund des Vorbringens der Beteiligten nicht festgestellt werden, dass das Interesse der Antragsteller, von einer Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes bis zur Entscheidung über seine Rechtmäßigkeit in einem Verfahren zur Hauptsache verschont zu bleiben, das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Durchsetzung überwiegt. Bei der in diesem Rahmen zu treffenden Entscheidung kommt es maßgeblich darauf an, ob der Rechtsbehelf, dessen aufschiebende Wirkung wiederhergestellt werden soll, voraussichtlich Erfolg haben wird. Bei voraussichtlicher Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung wie auch bei vorläufiger Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs als offen gebührt nach der gesetzgeberischen Wertung in §§ 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO, 70 Abs. 1 NVwVG, 64 Abs. 4 Satz 1 Nds. SOG, dass ein Rechtsbehelf gegen die Androhung der Abschiebung nach § 59 Abs. 1 AufenthG keine aufschiebende Wirkung entfaltet, dem Sofortvollzug der Vorrang. Bei angenommener Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts ist dem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes stattzugeben, weil der Vollzug eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes nicht im öffentlichen Interesse liegen kann.

Es ist davon auszugehen, dass die gegen die Abschiebungsandrohung gerichtete Klage der Antragsteller aller Voraussicht nach ohne Erfolg bleiben wird. Die von der Antragsgegnerin verfügte Androhung der Abschiebung nach Ablauf der Ausreisefrist von einem Monat ist rechtmäßig ergangen. Sie findet ihre rechtliche Grundlage in § 59 Abs. 1 und 2 AufenthG. Da die Abschiebungsandrohung durch den Widerruf der den Antragstellern erteilten Niederlassungserlaubnisse bedingt ist, teilt sie als Vollstreckungsmaßnahme grundsätzlich auch das rechtliche Schicksal des zu vollstreckenden Grundverwaltungsaktes - hier des Widerrufs der Aufenthaltstitel - (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Mai 1981 - 1 C 169.79 -, BVerwGE 62, 215, 223; Funke-Kaiser in: GK-AufenthG - Stand: Dezember 2004 -, § 59 Rdnr. 133). Indes ist nach dem bisherigen Vorbringen der Beteiligten davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin zu Recht die den Antragstellern erteilten Aufenthaltstitel widerrufen hat.

Rechtliche Grundlage für den Widerruf ist § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG, dessen tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen, da das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Anerkennung der Antragsteller als Asylberechtigte mit Bescheid vom 3. Februar 2005 (Az.: 5136533-132) widerrufen hat; das Verwaltungsgericht hat die dagegen erhobene Klage mit rechtskräftigem Urteil vom 28. Juni 2005 - Az.: 1 A 16/05 - abgewiesen.

7Die Antragsgegnerin hat das ihr in § 52 Abs. 1 Satz 1 AufenthG eingeräumte Ermessen fehlerfrei innerhalb der gesetzlichen Grenzen und in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise ausgeübt (§ 114 Satz 1 VwGO). Dabei ist bezogen auf die Vereinbarkeit der Widerrufsentscheidung mit nationalem Recht maßgeblich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung abzustellen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Juli 2006 - 11 S 951/06 -, ZAR 2006, 414 und Urteil vom 22. Februar 2006 - 11 S 1066/05 -, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. Juli 2006 - 18 A 3138/05 -, InfAuslR 2006, 427). Zwar ist im Fall einer Ausweisung eines freizügigkeitsberechtigten Bürgers einer der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union oder eines gleichgestellten Ausländers aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Regelungen auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. August 2005 - BVerwG 1 B 8.05 -, Buchholz 402.240 § 47 AuslG Nr. 28; Urteil vom 3. August 2004 - BVerwG 1 C 30.02 -, BVerwGE 121, 297; Urteil vom 3. August 2004 - BVerwG 1 C 29.02 -, BVerwGE 121, 315). Da die Antragsteller als serbische Staatsangehörige freizügigkeitsberechtigten Bürgern eines Mitgliedsstaats der Europäischen Union nicht gleichgestellt sind, kann diese Rechtsprechung jedoch auf sie nicht übertragen werden.

Die Antragsgegnerin hat die für die Widerrufsentscheidung maßgeblichen öffentlichen und privaten Belange erhoben und sie ohne Verkennung ihrer tatsächlichen und rechtlichen Bedeutung ihrer Entscheidung zugrunde gelegt. Insbesondere hat sie die zugunsten der Antragsteller sprechenden Belange, soweit diese ihr mitgeteilt worden oder aus den Verwaltungsvorgängen ersichtlich sind, in ihre Entscheidung mit eingestellt. Nach Rechtskraft der Entscheidung über den Widerruf der Anerkennung der Antragsteller als Asylberechtigte hat die Antragsgegnerin die Antragsteller unter dem 28. September 2005 zum beabsichtigten Widerruf der Aufenthaltstitel angehört. Obwohl die Antragsteller nach § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG verpflichtet gewesen sind, ihre Belange und die für sie günstigen Umstände, soweit sie nicht offenkundig oder bekannt sind, unverzüglich geltend zu machen und entsprechende Nachweise beizubringen, haben sie bis zum Erlass des angefochtenen Bescheides dem Widerruf ihrer Aufenthaltstitel entgegenstehende Belange gegenüber der Antragsgegnerin nicht vorgetragen. Die der Antragsgegnerin bekannten Gesichtspunkte, die für ein Verbleiben der Antragsteller sprechen, hat die Antragsgegnerin bei ihrer Entscheidung entsprechend ihrer Bedeutung gewürdigt. Sie hat bei ihrer Ermessensentscheidung die ihr bekannten wirtschaftlichen, familiären und sonstigen Bindungen sowie die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts berücksichtigt. Bezogen auf die familiären Bindungen hat die Antragsgegnerin darauf abgestellt, dass aufgrund der Volljährigkeit der Kinder der Antragsteller eine besonders schützenswerte familiäre Gemeinschaft nicht mehr bestehe. Eine durch die Trennung von ihren Kindern bedingte außergewöhnliche Härte dahin, dass entweder die Antragsteller weiterhin auf den Beistand eines ihrer Kinder angewiesen seien oder eines ihrer Kinder des Beistandes der Antragsteller bedürfe, hätten die Antragsteller nicht geltend gemacht. Sie hätten Umstände, die die Notwendigkeit familiärer Lebenshilfe im konkreten Einzelfall begründeten, nicht vorgetragen.

9Dies ist - auch im Hinblick auf den grundrechtlich gewährleisteten Schutz der Familie - nicht zu beanstanden. Die in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltene wertentscheidende Grundrechtsnorm verpflichtet die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiäre Bindung des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, d.h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dabei umfasst der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG auch die familiäre Bindung zwischen den Eltern und ihren volljährigen Kindern. Es ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten, bei der auf der einen Seite die tatsächlichen familiären Bindungen und auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des 2. Senats vom 31. August 1999 - 2 BvR 1523/99 -, NVwZ 2000, 59 und Beschluss der 2. Kammer des 2. Senats vom 30. Januar 2002 - 2 BvR 231/00 -, NVwZ 2002, 849). Im Hinblick auf die Bedeutung und das Gewicht der schutzwürdigen Belange ist zu beachten, dass sich der Schutz der Familie vorrangig auf die Familie als Lebens- und Erziehungsgemeinschaft bezieht. Die wechselseitigen Bindungen zwischen Eltern und ihren Kindern wandeln sich und verlieren mit zunehmenden Alter der Kinder an Gewicht mit der Folge, dass sich die zusammen mit minderjährigen Kindern im Regelfall bestehende Lebens- und Erziehungsgemeinschaft mit wachsender Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit der Kinder von einer Beistandsgemeinschaft schließlich zu einer Begegnungsgemeinschaft entwickelt. Mit der Vollendung des 18. Lebensjahres tritt die vollständige rechtliche Selbständigkeit in allen Lebensbereichen ein. Die bis dahin bestehende elterliche Sorge (§ 1626 BGB) entfällt und die bisherige Verantwortung der Eltern geht auf den Volljährigen über. Es bedarf daher im Regelfall einer näheren Darlegung, dass der Volljährige weiterhin auf den familiären Beistand und die Fürsorge seiner Eltern angewiesen ist. Übertragen auf das Aufenthaltsrecht gebietet der Schutz der Familie grundsätzlich nicht, volljährigen ausländischen Kindern das dauernde Aufenthaltsrecht mit einem im Bundesgebiet lebenden Elternteil zu ermöglichen (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Juni 1997 - BVerwG 1 C 18.96 -, NVwZ 1998, 189; EGMR, Urteil vom 10. Juli 2003 - 53441/99 [Benhebba ./. Frankreich] -, InfAuslR 2004, 182 bezogen auf Art. 8 Abs. 1 EMRK). Dies gilt entsprechend für einen Elternteil eines volljährigen Kindes mit Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet.

Zum hier maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheides haben weder die Antragsteller dargelegt und nachgewiesen noch ist anderweitig ersichtlich gewesen, dass die volljährigen Kinder der Antragsteller weiterhin ihres Beistandes und ihrer Fürsorge bedürfen. Die Notwendigkeit einer Fürsorge in wirtschaftlicher Hinsicht durch die Antragsteller ist auszuschließen gewesen, da der Lebensunterhalt der Betroffenen durch Sozialleistungen sichergestellt worden ist. Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht aus dem Schreiben der 18-jährigen Tochter und des 20-jährigen Sohnes vom 17. September 2006 abgeleitet, dass der Widerruf ermessensfehlerhaft sei. Dieses Schreiben, das erst nach Erlass des angefochtenen Bescheides gefertigt worden ist, ist allein an den Prozessbevollmächtigten der Antragsteller gerichtet gewesen. Die Antragsgegnerin hat hiervon erst mit der Klage- und Antragsbegründung Kenntnis erlangt. Demnach hat die Antragsgegnerin diese Gesichtspunkte ihrer Ermessensentscheidung nicht zugrunde legen können. Zum anderen wendet die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde zutreffend ein, dass sich weder dem o.a. Schreiben noch dem Beschluss des Verwaltungsgerichts entnehmen lässt, aufgrund welcher konkreten Umstände die Kinder trotz ihres Alters von 18 und 20 Jahren weiter auf die Fürsorge und den Beistand ihrer Eltern angewiesen sind. Allein die Aussage, sie stünden „noch nicht auf eigenen Beinen im Leben“ und sie seien von ihren Eltern abhängig, ist nicht hinreichend konkret und vermag in ihrer Allgemeinheit die Notwendigkeit der familiärer Unterstützung durch die Antragsteller nicht zu belegen.

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung anzuordnen, ist auch nicht aus anderen Gründen zu Recht ergangen. Das weitere Vorbringen der Antragsteller vermag Ermessensfehler der Widerrufsentscheidung nicht zu begründen. Zum einen haben die Antragsteller die geltend gemachten Belange nicht vor Erlass des Widerrufs, sondern erst im Klage- und Antragsverfahren vorgetragen. Aufgrund des Vorbringens kann aber auch nicht davon ausgegangen werden, dass es den Antragstellern aufgrund ihres langjährigen Aufenthalts gelungen ist, sich im Bundesgebiet zu integrieren.

Bezogen auf die wirtschaftliche Integration macht der Antragsteller zu 2. geltend, er sei von November 1995 bis Oktober 1996 einer Beschäftigung nachgegangen und habe später verschiedene Maßnahmen der Berufsförderung absolviert. Indes ist festzustellen, dass der Antragsteller seit etwa zehn Jahren ohne Beschäftigung ist und deshalb nicht zum Lebensunterhalt seiner Familie hat beitragen können. Entsprechendes gilt für die Antragstellerin zu 1. Dem steht nicht entgegen, dass zu Beginn des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland die Antragsteller ihre Kinder betreut haben. Insoweit ist es zumutbar gewesen, dass zunächst einer der Antragsteller sich nachhaltig um eine Vollzeitbeschäftigung bemüht. Hinsichtlich des anderen Antragstellers dürfte es ab dem Jahr 2000 zumutbar gewesen sein, sich um eine Teilzeitbeschäftigung zu bemühen. Indes haben die Antragsteller, die über Arbeitserlaubnisse verfügen, ihre nachhaltigen Bemühungen um einen Arbeitsplatz weder dargelegt noch entsprechende Nachweise beigebracht. Allein die Teilnahme an beruflichen Fördermaßnahmen genügt für eine gelungene wirtschaftliche Integration nicht.

Dass sich die Antragsteller in besonderer Weise und erfolgreich um die Integration ihrer Kinder bemüht haben, belegt ihre eigene Integration indes nicht, auf die aber maßgeblich abzustellen ist. Weiter ist es nicht zu beanstanden, wenn die Antragsgegnerin auch darauf abhebt, dass die Antragsteller den weitaus überwiegenden Teil ihres Lebens in ihrem Heimatland verbracht haben. Die besondere Verbundenheit mit ihrem Heimatland kommt auch darin zum Ausdruck, dass sie trotz ihrer Eigenschaft als anerkannte Asylberechtigte und während des Bezuges von Sozialleistungen zwischen 2002 und 2005 wiederholt in ihr Heimatland zurückgekehrt sind, um dort Reisedokumente zu erhalten.

14Der Widerruf der Aufenthaltstitel der Antragsteller steht auch im Einklang mit Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Mai 2002, BGBl. II S. 1054 - EMRK -). Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens; Art. 8 Abs. 2 EMRK regelt die Zulässigkeit von Eingriffen von staatlichen Stellen in die Ausübung dieses Rechts. Wesentliches Ziel der Vorschrift ist der Schutz des Einzelnen vor willkürlicher Einmischung der öffentlichen Gewalt in das Privat- und Familienleben. Zwar können sich aus Art. 8 EMRK auch positive Verpflichtungen ergeben, deren Reichweite von der Lage der Betroffenen abhängt. Insoweit steht den Konventionsstaaten jedoch ein weiter Gestaltungsspielraum zu (vgl. die zusammenfassende Darstellung im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Juni 1996 - BVerwG 1 C 17.95 -, BVerwGE 101, 265, 272 und Urteil vom 3. Juni 1997 - BVerwG 1 C 18.96 -, NVwZ 1998, 189). Art. 8 EMRK wirkt demnach - nicht anders als Art. 6 Abs. 1 GG - auf die Auslegung und Anwendung des Ausländerrechts ein, ohne jedoch unmittelbar Ansprüche auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung zu begründen (BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1997 - BVerwG 1 C 9.95 -, BVerwGE 105, 35, 41). Die EMRK und damit auch die Garantien des Art. 8 Abs. 1 EMRK enthalten nicht das Recht eines Ausländers, in einen bestimmten Staat einzureisen oder sich dort aufzuhalten und nicht ausgewiesen zu werden (EGMR, Urteil vom 16. September 2004 - 11103/03 [Ghiban ./. Deutschland] -, NVwZ 2005, 1046, 1047 und Urteil vom 16. Juni 2005 - 60654/00 [Sisojeva ./. Lettland] -, InfAuslR 2005, 349). Über die Einreise, den Aufenthalt und die Abschiebung fremder Staatsangehöriger zu entscheiden, ist nach allgemein anerkannten völkerrechtlichen Grundsätzen vielmehr das Recht der Vertragsstaaten (EGMR, Urteil vom 16. September 2004, a.a.O., und Urteil vom 7. Oktober 2004 - 33743/03 - [Dragan u.a. ./. Deutschland] -, NVwZ 2005, 1043, 1044). Ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Familien- und Privatlebens lässt sich angesichts dieser Regelungskompetenz der Vertragsstaaten nicht schon allein mit dem Argument bejahen, ein Ausländer halte sich bereits seit geraumer Zeit im Vertragsstaat auf und wolle dort sein Leben führen (EGMR, Urteil vom 7. Oktober 2004, a.a.O., das eine Familie betraf, die seit 14 Jahren ihren Aufenthalt im Bundesgebiet hatte). Dabei ist bezogen auf die Frage der Vereinbarkeit einer nationalen Maßnahme - hier des Widerrufs - mit der EMRK maßgeblich auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Entscheidung abzustellen (für den Fall einer Ausweisung vgl. Beschluss des Senats vom 4. Juli 2006 - 10 LA 117/05 - und Beschluss vom 18. Januar 2007 - 10 ME 44/07 -; Hailbronner, Ausländerrecht - Stand: Februar 2006 -, § 53 Rdnr. 65 jeweils mit weiteren Nachweisen).

Bezogen auf den Schutz der Familie nach Art. 8 Abs. 1 EMRK verweist der Senat auf seine obigen Ausführungen zu Art. 6 Abs. 1 GG. Art. 8 EMRK kann jedenfalls dort keine weitergehenden als die durch Art. 6 Abs. 1 GG vermittelten Schutzwirkungen entfalten, wo sein Anwendungsbereich sich mit dem des Art. 6 Abs. 1 GG deckt. Dies ist für das Verhältnis der Eltern zu ihren Kindern der Fall (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1997 - BVerwG 1 C 20.97 -, Buchholz 402.240 § 8 AuslG 1990 Nr. 14).

16Im Hinblick auf den Schutz des Privatlebens kommt einer aufenthaltsrechtlichen Entscheidung grundsätzlich Eingriffsqualität in Bezug auf Art. 8 Abs. 1 EMRK nur dann zu, wenn der Ausländer ein Privatleben, das durch persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen charakterisiert ist, faktisch nur noch im Aufenthaltsstaat als Vertragsstaat der EMRK führen kann. Ob eine solche Fallkonstellation für einen Ausländer in Deutschland vorliegt, hängt zum einen von der Integration des Ausländers in Deutschland, zum anderen von seiner Möglichkeit zur (Re-)Integration in seinem Heimatland ab. Gesichtspunkte für die Integration des Ausländers in Deutschland sind dabei eine zumindest mehrjährige Dauer des Aufenthalts in Deutschland, gute deutsche Sprachkenntnisse und eine soziale Eingebundenheit in die hiesigen Lebensverhältnisse, wie sie etwa in der Innehabung eines Ausbildungs- oder Arbeitsplatzes, in einem festen Wohnsitz, einer Sicherstellung des ausreichenden Lebensunterhalts einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel und dem Fehlen von Straffälligkeit zum Ausdruck kommt. Mit zu berücksichtigen ist auch die Rechtmäßigkeit des bisherigen Aufenthalts.

Für eine Integration der Antragsteller in die hiesigen Lebensverhältnisse spricht, dass sie sich seit über zwölf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Sie haben sich auch bemüht, die deutsche Sprache zu erlernen. Weiter sind sie nicht straffällig geworden. Indes ist ihnen die wirtschaftliche Integration trotz ihres langen Aufenthalts nicht gelungen. Trotz ihres langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet haben die beiden Antragsteller eine dauerhafte Beschäftigung nicht finden können mit der Folge, dass sie stets auf Sozialleistungen angewiesen gewesen sind, um den Lebensunterhalt ihrer Familie sicherzustellen. Selbst während des über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr laufenden Widerrufsverfahrens ist es ihnen nicht gelungen, ihren Lebensunterhalt selbst sicherzustellen. Deshalb spricht Überwiegendes dafür, dass sie auch in Zukunft auf Sozialleistungen angewiesen sein werden. Allein der Verweis auf die schwierige Arbeitsmarktsituation rechtfertigt eine andere Beurteilung nicht, zumal die Antragsteller nachhaltige Bemühungen um einen Arbeitsplatz nicht nachgewiesen haben. Andererseits ist davon auszugehen, dass eine Integration der Antragsteller in ihrem Heimatland nicht mit unzumutbaren Schwierigkeiten verbunden ist. So sind sie von dort als Erwachsene gemeinsam ausgereist. Zuvor haben sie dort den größten Teil ihres Lebens, insbesondere als Erwachsene verbracht (vgl. zu diesem Gesichtspunkt EGMR, Urteil vom 27. Oktober 2005 - 32231/02 [Keles ./. Deutschland] -, InfAuslR 2006, 3). Demnach ist davon auszugehen, dass sie mit den sozialen und kulturellen Gegebenheiten ihres Heimatlandes vertraut sind. Sie können sich dort ohne weiteres verständigen und verfügen über qualifizierte Berufsabschlüsse. Ihre besondere Verbundenheit mit ihrem Heimatland haben sie ferner dadurch belegt, dass sie zwischen 2002 und 2005 wiederholt dorthin zurückgekehrt sind und sich um Reisedokumente bemüht haben. Zusammenfassend geht der Senat nicht davon aus, dass die mit dem Widerruf verbundene Beendigung des Aufenthalts der Antragsteller unzumutbar und deshalb unverhältnismäßig im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK ist.