OLG Oldenburg, Urteil vom 30.08.2006 - 5 U 154/05
Fundstelle
openJur 2012, 44746
  • Rkr:

Sind im Rahmen des Pflichtteilsergänzungsanspruchs bei Schenkungen in der Vergangenheit erbrachte Dienstleistungen zu bewerten, so kommt die Berücksichtigung des Kaufkraftschwundes des Geldes ("Indexierung") nicht in Betracht.

Tenor

Auf die Berufung der Klägerinnen wird unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das Urteil der Einzelrichterin der 10. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück vom 16.11.2005 abgeändert:

Der Beklagte wird verurteilt, über den durch das Urteil des Landgerichts bereits zuerkannten Betrag von je 16.990,46 € nebst Zinsen und von 5.537,10 € nebst Zinsen hinaus an die Klägerinnen jeweils weitere 50.569,33 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.2.2004 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben die Klägerinnen zu 38 %, der Beklagte zu 62 % zu tragen. Die Kosten der Berufung werden den Klägerinnen zu 28 %, dem Beklagten zu 72 % auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Klägerinnen bleibt nachgelassen, die Vollstreckung des Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden. Dem Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung der Klägerinnen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden

Gründe

A.

Die Klägerinnen sind die Töchter, der Beklagte ist der Sohn der am xx.xx.2002 verstorbenen Frau H... B.... Der Beklagte - ein ausgebildeter Bäcker- und Konditormeister - arbeitete zunächst, in den Jahren 1962 - 1972, in der Bäckerei und in der Gastwirtschaft, die von seinen Eltern betrieben wurde, ohne dafür eine entsprechende Vergütung zu erhalten. 1973 pachtete er die Bäckerei und die Gastwirtschaft von seinen Eltern an. Mit Testament vom 26.5.1998 setzte Frau H... B... ihren Sohn zu ihrem Alleinerben ein. Bereits zuvor, mit Übergabevertrag vom 20.4.1995, hatte sie diesem das Grundstück L...Straße in B... „im Wege der vorweggenommenen Erbfolge“ übertragen. Der Beklagte ließ die auf dem Grundstück errichtete Gaststätte und Stallgebäude abreißen und bebaute das Grundstück stattdessen im Jahre 2000 mit einem Wohn- und Geschäftshaus.

Zum Nachlass der Erblasserin gehörten neben Schmuck, Hausrat, Giro- und Sparguthaben insbesondere diverse - am R..., in der G...Straße und in der Lo...Straße in B... gelegene - Erbbaugrundstücke. Der Beklagte holte zum Verkehrswert dieser Grundstücke und des Grundstückes in der L...Straße ... Verkehrswertgutachten des Sachverständigen V...ein, wofür ihm insgesamt 8.344,05 € in Rechnung gestellt wurden. Darüber hinaus führte er zwei Rechtsstreitigkeiten (Landgericht Osnabrück, Az. 7 O. 2841/03, Landgericht Münster, Az. 11 O. 114/04) gegen den ehemaligen Ehemann der Klägerin zu 2.), Herrn H... N..., der sich einer Honorarforderung aus einem Architektenvertrag gegen die Erblasserin in Höhe von 57.364,19 € berühmt hatte. Diese konnten durch Vergleich erledigt werden: Der Beklagte zahlte zur Abgeltung sämtlicher Ansprüche des Herrn N... 7.500,-€. Darüber hinaus hatte die Erblasserin mit der Spar- und Darlehenskasse eG D... einen Vertrag zugunsten der Klägerinnen, betr. das Termineinlagekonto Nr. 20177.4.40 abgeschlossen. Gleichwohl zahlte die Bank das Guthaben auf dem Konto in Höhe von 5.537,10 € nach dem Tode der Erblasserin an den Beklagten aus. Die Klägerinnen haben gegen den Beklagten Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche geltend gemacht; auf diese Forderungen zahlte der Beklagte insgesamt 55.308,64 €.

Mit der Klage haben die Klägerinnen weitergehende erbrechtliche Ansprüche verfolgt und beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an sie jeweils 114.902,18 € nebst Zinsen sowie an sie als Gesamtgläubigerinnen weitere 5.537,10 € nebst Zinsen zu zahlen. Dazu haben die Klägerinnen im Wesentlichen behauptet, der Privatgutachter V...habe den Wert der Erbbaugrundstücke mit 220.600,-€ zu niedrig angesetzt. Vielmehr betrage der Gesamtwert insgesamt 319.240,-€. Zudem hätten zum Nachlass ihrer Mutter das Inventar der Kegelbahn, die Kücheneinrichtung mit Kühlraum sowie die Einrichtungen der Gaststätte, der Speise- und Gesellschaftsräume gehört, die einen Wert von jedenfalls 20.000,-€ verkörpert hätten. Bei den Passiva seien die Kosten für den Sachverständigen V...lediglich in Höhe von 5.215,05 € in Ansatz zu bringen. Soweit dieser weiter den Wert des inzwischen mit einem Verbrauchermarkt bebauten Grundstückes in der L...Straße ... ermittelt habe, sei dies für die Berechnung ihrer Pflichtteilsforderungen entbehrlich gewesen. Zudem seien Schenkungen der Erblasserin zu berücksichtigen: Diese habe dem Beklagten das Betriebsgrundstück in der L...Straße ... unentgeltlich zugewendet, das zum Zeitpunkt der Schenkung einen Wert von 500.000,-€ gehabt habe. Überdies habe sie auf die Zahlung der Pachtzinsen verzichtet, die der Beklagte an sie für die Nutzung des Betriebsgrundstückes bzw. des Inventars zu zahlen gehabt habe. Schließlich habe die V...-Bank D... zu Unrecht das Kontoguthaben von 5.537,10 € an den Beklagten ausgekehrt, obwohl die Erblasserin wegen dieses Guthabens mit der Bank einen Vertrag zu ihren Gunsten vereinbart gehabt habe. Der Beklagte hat die Wertangaben der Beklagten bestritten. Darüber hinaus hat er als weitere Nachlassverbindlichkeiten Beträge von 427,32 € und 12.067,28 € geltend gemacht, die er zur Abwehr der Honorarforderung des Architekten N... habe aufwenden müssen. Bei der Übertragung des Betriebsgrundstückes in der L...Straße ... könne von einer Schenkung keine Rede sein. Dieses Grundstück, das lediglich 319.000,-€ wert gewesen sei, habe er zur Abgeltung der seinen Eltern geleisteten Dienste erhalten. Auch habe er erhebliche finanzielle Mittel in den Umbau bzw. die Renovierung der Gaststätte gesteckt, für die er ebenfalls einen Ausgleich habe bekommen sollen. Die vereinbarten Pachtzinsen habe er bis zur Übertragung des Betriebsgrundstückes geleistet. Anschließend habe er, statt der Erblasserin weiterhin wie bisher monatlich 250,-€ als Taschengeld zur Verfügung zu stellen, dieser ein Auto gekauft. Schließlich müsse bei der Pflichtteilsberechnung in Betracht gezogen werden, dass die Erblasserin der Klägerin zu 2.) am 8.3.1985 einen Betrag von 25.000,-DM gegen Verzicht auf weitere Pflichtteilsansprüche gezahlt habe. Diese habe zudem im Jahre 1977 weitere 40.000,-DM von ihrer Mutter als Zuwendung unter Anrechnung auf ihre Pflichtteilsforderung erhalten.

Die Einzelrichterin der 10. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück hat nach Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen Dipl. Ing. R..., O..., und nach Vernehmung von Zeugen der Klage mit Urteil vom 16.11.2005 teilweise stattgegeben und den Beklagten verurteilt, an jede der Klägerinnen 16.990,46 € nebst Zinsen sowie an die Klägerinnen als Gesamtgläubiger 5.537,10 € nebst Zinsen zu zahlen. Im Übrigen hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Wegen der tatsächlichen Feststellungen und der Begründung wird auf das angefochtene Urteil (Bl. 175 II ff. d.A.) Bezug genommen.

Hiergegen wenden sich der Klägerinnen mit der Berufung. Diese meinen, das Landgericht habe zunächst bei der Bewertung der Erbbaugrundstücke außer Acht gelassen, dass das Grundstück S... ca. 11 Monate nach dem Erbfall für 35.000,-€ verkauft worden sei. Danach könne nicht auf die Schätzung des Gutachters zurückgegriffen werden, der den Verkehrswert lediglich mit 24.300,-€ angenommen habe. Die Kosten des Privatgutachtens könnten als Passiva lediglich in Höhe von 5.215,05 € Berücksichtigung finden, da eine Bewertung des Grundstückes L...Straße ... mit dem darauf errichteten Supermarkt nicht notwendig gewesen sei, um ihre Pflichtteilsforderungen zu ermitteln. Die vom Beklagten als Nachlassverbindlichkeit geltend gemachten Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 427,32 € seien weder nachgewiesen noch ansatzweise berechtigt dargestellt. Was ihre Pflichtteilsergänzungsansprüche anbelange, habe das Landgericht den steuerlichen Hintergrund der Grundstücksübertragung auf den Beklagten im Jahre 1995 verkannt. Um Steuern zu sparen, habe die Erblasserin das gesamte Grundstück L...Straße ... nebst Gaststätte, Kegelbahn und Bungalow dem Beklagten unentgeltlich zuwenden müssen. Ebenfalls steuerliche Gründe seien dafür maßgebend gewesen, das Inventar von der Übertragung auszunehmen und dieses bis zur Aufgabe des Geschäftsbetriebes an den Beklagten zu verpachten, der demgemäß monatlich 300,-DM an die Mutter der Parteien für die Nutzung des Inventars habe zahlen müssen. Dieser Annahme stehe § 314 BGB nicht entgegen, da danach nur im Zweifel anzunehmen sei, dass Inventar als Zubehör des Grundstückes anzusehen sei und von der Übertragung des Grundstückes erfasst werde. Das Inventar habe der Beklagte aus dem Vermögen der Erblasserin veräußert, ohne dafür eine Gegenleistung an die Erblasserin zu erbringen, so dass eine Schenkung vorliege, deren Wert jedenfalls mit 20.000,-€ anzusetzen sei. Überdies sei der Beklagte den vereinbarten Pachtzins schuldig geblieben. Für diese Annahme spreche das Ergebnis der Beweisaufnahme; dieses hätte dem Landgericht zumindest Veranlassung geben müssen, sie - die Klägerinnen - als Partei zu vernehmen. Insoweit müsse ebenfalls von einer Schenkung ausgegangen werden, die mit 12.271,01 € in Betracht zu ziehen sei. Was die Übertragung des Grundstückes selbst anbelange, sei der Übergabevertrag nach steuerlicher Beratung aufgesetzt worden. Dementsprechend enthalte dieser - mit Ausnahme der Einräumung eines Wohnrechts für die Erblasserin - keine Hinweise auf Gegenleistungen, die der Beklagte zu erbringen habe oder die dieser in der Vergangenheit bereits geleistet gehabt habe. Als Ausgleich für seine Dienste habe der Beklagte im Übrigen nur das Grundstück nebst Gaststätte erben sollen, während von dem Übergabevertrag auch der mit einem Bungalow bebaute Grundstücksteil erfasst werde. Die in der Vergangenheit erbrachten Dienste hätten allenfalls das Motiv für die Übereignung des Grundstückes dargestellt; insoweit habe es das Landgericht versäumt, eine entgeltliche Grundstücksübertragung von einer - ausgleichspflichtigen - belohnenden Schenkung abzugrenzen. Schließlich spreche auch das Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung für die Annahme einer Schenkung. Abgesehen davon, dass durchgeführte Renovierungsarbeiten dem Wunsch des Beklagten und seiner Ehefrau entsprochen und ohnehin die Erblasserin die dazu erforderlichen Aufwendungen getragen habe, habe der Beklagte nach Bekundung des Notars G... das Grundstück nur für die geleisteten Dienste bekommen sollen, während die Erblasserin die von dem Beklagten behaupteten und vom Landgericht teilweise berücksichtigten Investitionen gegenüber dem Notar nicht erwähnt habe. Bei der Bewertung habe das Landgericht zudem zu Unrecht und ohne Begründung eine pauschale Indexierung des Lohnverzichts und der angenommen Aufwendungen für Renovierungen und Umbauten vorgenommen. Weiter habe das Landgericht bei der Schätzung des Wertes der Arbeitsleistungen nicht hinreichend in Betracht gezogen, dass die Erblasserin dem Beklagten und seiner Ehefrau Kost und Logis gewährt sowie Kleidung und einen Pkw zur Benutzung zur Verfügung gestellt habe. Überdies habe diese ihrem Sohn ab 1978 das Gaststättengrundstück zu einem niedrigen Pachtzins überlassen. Der Umstand, dass die Ehefrau des Beklagten in Bezug auf ihre Tätigkeit in der Gaststätte ihre Arbeitsstelle aufgegeben habe, könne nicht als Vermögenseinbuße angesehen werden, da sich für sie und den Beklagten diese Entscheidung rentiert habe. Unter Berücksichtigung dieser Umstände erreichten die Gegenleistungen des Beklagten nicht annähernd den Wert des ihm übertragenen Grundbesitzes, der nämlich zumindest 400.000,-€ betragen habe.

Die Klägerinnen beantragen,

das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit der Klage nicht stattgegeben worden sei, und den Beklagten zu verurteilen, an sie jeweils weitere 70.196,65 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.2.2004 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Die Käufer des Erbbaugrundstückes S... seien nur deshalb bereit gewesen, einen Kaufpreis von 35.000,-€ zu zahlen, weil sie nach dem Tode der Erblasserin die Information erhalten hätten, im Falle einer etwaigen Pflegebedürftigkeit könne der Träger der Sozialhilfe auf das Erbbaurecht zugreifen. Rechtsanwaltskosten in Höhe von 427,32 € seien angefallen, weil sein Rechtsanwalt zur Abwehr der Forderungen des Architekten N... vorprozessual habe tätig werden und die Bauhandwerker O... und K... habe befragen müssen. Eine Schenkung bei der Übertragung des Grundstückes L...Straße ... im Jahre 1995 habe nicht vorgelegen, weil er selbst erhebliche Gegenleistungen erbracht habe. Allein die Differenz zwischen der tatsächlichen Entlohnung und dem Verdienst eines Bäckermeisters in den Jahren 1962 - 1972 mache einen Betrag von 276.962.-€ aus. Dabei sei noch nicht einmal berücksichtigt worden, dass er überdies zusätzlich an den Abenden und an Sonn- und Feiertagen als Gastwirt gearbeitet habe. Diese Leistungen verkörperten - indexiert - einen Wert von weiteren 95.000,-€. Darüber hinaus habe er in das Gaststättengrundstück in den Jahren 1978 bis 1993 insgesamt 130.989,16 € investiert. Er sei durchaus finanziell in der Lage gewesen, derartige Investitionen zu tätigen: Er habe ab 1973 nicht unerhebliche Ersparnisse aus seiner Tätigkeit als Bäckermeister und Gastwirt erzielt. Soweit diese nicht ausgereicht hätten, habe er Darlehen aufgenommen. Er habe überdies ausweislich des Übergabevertrages die Erblasserin von sämtlichen Verpflichtungen freigestellt, die im Zusammenhang mit dem Betrieb der Gaststätte gestanden hätten. Er sei deshalb mit der Erblasserin einig gewesen, dass er das Flurstück xx/1 - den Stammsitz der Familie - als Entlohnung für die erbrachten Arbeitsleistungen und die getätigten Investitionen erhält. Er habe bereits zuvor gegenüber seinen Eltern erklärt gehabt, nach dem Bestehen der Meisterprüfung für den gezahlten Lohn nur zu arbeiten, wenn ihm das Flurstück xx/3- der südliche, mit dem Gaststättengebäude bebaute Teil des Grundstückes - übertragen wird; dies hätten ihm seine Eltern auch zugesagt. Dementsprechend stellten seine Leistungen Gegenleistungen für die Übereignung des Grundstückes dar. Daran könnten der Wortlaut des Übergabevertrages, seine Behandlung durch den Notar G..., die Erklärungen seiner Mutter und der steuerliche Hintergrund nichts ändern: Aus seiner Sicht sei die Übertragung des gesamten Grundstückes - der Flurstücke xx/2 und xx/3- erfolgt, um die von ihm erbrachten Dienstleistungen und Investitionen abzugelten. Zumindest liege unter den genannten Umständen eine Anstandschenkung vor. Was schließlich das Inventar der Gaststätte betreffe, das einen Wert von 20.000,-€ nicht verkörpert habe, sei er davon ausgegangen, mit der Übertragung des Grundstückes L...Straße ... gehe auch das Eigentum an den Einrichtungsgegenständen auf ihn über. Nach der Grundstücksübertragung habe auch eine Pachtzinsvereinbarung hinsichtlich des Inventars nicht mehr vorgelegen. Soweit er monatlich 500,-DM an seine Mutter gezahlt habe, habe es sich um Taschengeld gehandelt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.

B.

Die Berufung der Klägerinnen hat teilweise in der Sache Erfolg. Die Klägerinnen können von dem Beklagten über den bereits vom Landgericht zuerkannten Betrag hinaus jeweils die Zahlung weiterer 50.569,33 € nebst Zinsen verlangen.

I.) Die Pflichtteilsforderung der Klägerinnen gegen den Beklagten gemäß § 2303 BGB beläuft sich jeweils auf 46.428,11 €.

1.) Die Erblasserin hat die Klägerinnen durch Testament vom 26.5.1998 von der Erbfolge ausgeschlossen; die Klägerinnen sind als Töchter der Erblasserin gemäß § 2303 Abs. 1 S. 1 BGB pflichtteilsberechtigt.

2.) Bei der Berechnung des Pflichtteils wird der Bestand und Wert des Nachlasses zur Zeit des Erbfalls zugrunde gelegt, § 2311 BGB.

a.) Der Aktivbestand des Nachlasses ist mit 305.004,-€ zu bewerten.

Das Landgericht hat den Aktivbestand des Nachlasses mit 8.454,-€ (Hausrat, Schmuck, Bar- und Bankguthaben) und 285.850,-€ (Erbbaugrundstücke) angesetzt. Dies wird von den Parteien im Wesentlichen in der Berufungsinstanz nicht in Zweifel gezogen. Etwas anderes gilt nur hinsichtlich des Grundstückes „S...“ (R... 3). Insoweit hat das Landgericht, gestützt auf das Gutachten des Sachverständigen R... vom 22./26.7.2005, den Verkehrswert auf 24.300,-€ geschätzt. Dagegen wenden die Klägerinnen zu Recht ein, dass dieses Grundstück nur ca. 11 Monate nach dem Erbfall unstreitig zu einem Kaufpreis von 35.000,-€ veräußert worden sei. Denn nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat sich die Bewertung von Nachlassgegenständen am tatsächlich erzielten Verkaufpreis zu orientieren, wenn diese bald nach dem Erbfall veräußert werden (Bundesgerichtshof NJW-RR 1993, S. 131, 131; NJW-RR 1991, S. 900, 901). Ausnahmebedingungen, die es gerechtfertigt erscheinen ließen, im erbrechtlichen Bewertungsrecht die relativ gesicherte Ebene tatsächlich erzielter Verkaufserlöse zu verlassen (Bundesgerichtshof a.a.O.), sind nicht ersichtlich. Die Behauptung des Beklagten, die Käufer hätten das Grundstück zu einem höheren Kaufpreis nur deshalb erworben, weil ihnen zur Kenntnis gelangt sei, dass der Träger der Sozialhilfe im Falle ihrer Pflegebedürftigkeit auf das Erbbaurecht zugreifen könne, ist schon nicht nachvollziehbar: Denn nach dem Erwerb des Grundstückseigentums müssten die Käufer mit einem Zugriff des Sozialhilfeträgers auf diesen Vermögensgegenstand rechnen - worauf schon die Klägerinnen hingewiesen haben. Im Hinblick darauf erhöht sich der Wert der Erbbaugrundstücke um 10.700,-€ (35.000,-€ - 24.300,-€), so dass der Wert des Aktivbestandes mit 305.004,-€ festzusetzen ist.

b.) Passiva sind in Höhe von 26.435,33 € (5.596,68 € + 12.067,28 € + 427,32 € + 8.344,05 €) abzusetzen.

aa.) Der Passivbestand des Nachlasses ist in Höhe von 5.596,68 € unstreitig. Gleiches gilt für die vom Landgericht weiter angesetzten Kosten in Höhe von insgesamt 12.067,28 €, die der Beklagte unstreitig hat aufwenden müssen, um vor dem Landgericht Münster (Az. 11 O. 114/04) eine Honorarforderung des Architekten N... gegen die Erblasserin abzuwenden. Insoweit handelt es sich um sog. Nachlasserbenschulden, die eine Nachlassverbindlichkeit begründen (vgl. Palandt-Edenhofer, BGB, 65.A., § 1967 Rdnr. 8; Damrau-Gottwald, Erbrecht, § 1967 Rdnr. 32). Die Klägerinnen haben in der Berufungsinstanz die Berechtigung dieser Nachlassverbindlichkeit nicht mehr in Abrede genommen.

bb.) Als Nachlassverbindlichkeiten sind weiter die Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 427,32 € anzusetzen. Insoweit handelt es sich - ähnlich wie bei den Kosten des vor dem Landgericht Münster geführten Rechtsstreits - um Nachlassverbindlichkeiten, weil sie ebenfalls unstreitig der Abwehr der Honorarforderung des Architekten N... gedient haben und damit im Rahmen ordnungsgemäßer Verwaltung des Nachlasses entstanden sind (Damrau-Gottwald, a.a.O.). Unerheblich ist dabei, ob der Beklagte als Erbe die Vergütungsforderung des Rechtsanwalts bereits getilgt hat, da ihre Einordnung als Nachlassverbindlichkeit davon nicht abhängt. Der Einwand der Klägerinnen, der Beklagte habe die Berechtigung einer Besprechungsgebühr seines Rechtsanwalts nicht dargetan, ist unsubstantiiert. Denn der Beklagte hat dazu konkret vorgetragen, er habe zur Abwehr der Ansprüche des Architekten vorgerichtlich Rücksprache mit den Bauhandwerkern O... und K... halten müssen. Diese Behauptung wird durch die in dem einstweiligen Verfügungsverfahren vor dem Landgericht Osnabrück eingereichten eidesstattlichen Versicherungen der Herren O... und K... belegt (Landgericht Osnabrück, Az. 7 O. 2841/03, Bl. 31, 35 ff. d.A.).

cc.) Die Kosten, die der Beklagte für die Ermittlung der Grundstückswerte (Gutachten von Buchholz, 8.344,05 €) aufgewandt hat, erkennen die Klägerinnen in Höhe von 5.215,05 € an. Soweit weiter ein Honorar des Sachverständigen für die Ermittlung des Verkehrswertes des Grundstückes L...Straße zur Zeit des Erbfalls angefallen ist, ist dieses ebenfalls als Nachlassverbindlichkeit in Betracht zu ziehen- wie es schon das Landgericht mit zutreffender Begründung angenommen hat. Gemäß § 2314 Abs. 2 BGB sind die Kosten für die Ermittlung des Wertes von Nachlassgegenständen als Nachlassverbindlichkeiten anzusehen. Grundsätzlich kann der Pflichtteilsberechtigte darüber hinaus ein Sachverständigengutachten nur verlangen, das auf den Stichtag des Erbfalls bezogen ist (Staudinger-Haas, BGB, 13. Bearb. (1998), § 2314 Rdnr. 65). Wenn die Klägerinnen davon ausgegangen sind, dass es hier auf den Wert des Grundstückes zum Zeitpunkt des Erbfalles wegen des darauf vom Beklagten vor dem Tod der Erblasserin errichteten neuen Wohn- und Geschäftshauses für die Ermittlung ihrer Pflichtteilsansprüche nicht ankommt, hätten sie dies bereits im Rahmen ihres Auskunftsverlangens klarstellen müssen - was sie nicht dargetan haben.

3.) Der Pflichtteil besteht gemäß § 2303 Abs. 1 S. 2 BGB in der Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Hier hat die Erblasserin unstreitig drei Kinder hinterlassen, so dass die Klägerinnen jeweils 1/6 des Nachlasswertes fordern können (§ 1924 Abs. 1, 4 BGB). Die Pflichtteilsforderungen der Klägerinnen belaufen sich mithin jeweils auf insgesamt 46.428,11 €: 1/6 x (305.004,-€ - 26.435,33 €).

Mit zutreffender Begründung hat das Landgericht die Anrechnung von Zuwendungen auf die Pflichtteilsforderungen der Klägerinnen gemäß § 2315 BGB abgelehnt, weil sich nicht feststellen lässt, dass die Erblasserin vor oder bei der Zuwendung erklärt hat, die Zuwendung solle auf den Pflichtteil angerechnet werden. Soweit die Klägerinnen etwa nachträglich mit einer Anrechnung einverstanden gewesen sind, liegt ein Pflichtteilsverzichtsvertrag vor, der gemäß § 2348 BGB der notariellen Form bedurft hätte (vgl. Münchener Kommentar-Lange, BGB , 4.A., § 2315 Rdnr. 6).

II.) Darüber hinaus steht den Klägerinnen gegen den Beklagten ein Pflichtteilsergänzungsanspruch gemäß § 2325 BGB in Höhe von jeweils 48.786,-€ zu.

1.) Der Pflichtteilsergänzungsanspruch gemäß § 2325 BGB setzt eine Schenkung der Erblasserin im Sinne von § 516 BGB innerhalb von 10 Jahren vor dem Erbfall voraus. Dazu bedarf es objektiv einer Bereicherung des Vertragspartners aus dem Vermögen des Erblassers und der Einigung der Parteien über die Unentgeltlichkeit der Zuwendung - wobei es maßgeblich auf den Zeitpunkt der Zuwendung ankommt (Palandt-Edenhofer, a.a.O., § 2325 Rdnr. 7 m.w.N.).

Grundsätzlich ist es zunächst Sache der Vertragsparteien, Leistung und Gegenleistung zu bewerten und danach festzulegen (Senat, NJW-RR 1997, S. 263, 264; FamRZ 1998, S. 516, 516; Palandt-Edenhofer, a.a.O., § 2325 Rdnr. 19). Dabei sind die Parteien nicht gehindert, bereits in der Vergangenheit erbrachte Leistungen als Gegenleistungen anzuerkennen (Senat, NJW-RR 1997, S. 263, 264). Dies gilt jedenfalls dann, wenn Dienstleistungen zunächst nicht unentgeltlich, sondern in der erkennbaren Absicht künftiger Entlohnung erbracht worden sind (dazu Keim, FamRZ 2004, S. 1081, 1083 f.; Münchener Kommentar-Kollhosser, a.a.O., § 516 Rdnr. 21; Oberlandesgericht Düsseldorf, NJW-RR 2001, S. 1518, 1519) - was etwa auch dann anzunehmen ist, wenn die Dienste aufgrund des Versprechens künftiger Erbeinsetzung geleistet worden sind (vgl. Bundesgerichtshof NJW 1965, S. 1224). Behauptet der Zuwendungsempfänger eine derartige Vereinbarung mit dem Erblasser, hat er zunächst substantiiert die von dem Pflichtteilsberechtigten behauptete Unentgeltlichkeit zu bestreiten (Bundesgerichtshof NJW-RR 1996, S. 705, 706). Danach ist hier in der Übertragung des Grundstückes von der Erblasserin auf den Beklagten mit Vertrag vom 20.4.1995 eine (gemischte) Schenkung zu sehen.

a.) Der Übergabevertrag vom 20.4.1995 enthält keine Hinweise auf Gegenleistungen des Beklagten. Vielmehr beschränkt er sich im Wesentlichen auf die Vereinbarung der Grundstücksübertragung, die im Wege vorweggenommener Erbfolge erfolgen soll. Diese Fassung des Übergabevertrages hindert die Annahme einer entgeltlichen Zuwendung jedoch nicht (Bundesgerichtshof NJW 1995, S. 1349, 1350) - worauf bereits das Landgericht zu Recht hingewiesen hat.

b.) Der Beklagte hat dazu behauptet, er habe - jedenfalls - den südlichen Teil des Grundstückes L...Straße in B... für die seinen Eltern geleisteten Dienste und Investitionen in das Gaststättengebäude erhalten sollen - was ihm seine Eltern immer wieder zugesagt hätten . So habe er in den Betrieben der Eltern in den Jahren 1962 - 1972 tagsüber als Bäcker und Konditor, abends als Gastwirt gearbeitet und dafür lediglich ein Taschengeld erhalten; nach Anpachtung der Bäckerei und der Gastwirtschaft von seinen Eltern im Jahre 1973 habe er erhebliche finanzielle Mittel in die Renovierung und den Umbau der Gaststätte und der Kegelbahn gesteckt. Die Klägerinnen haben nicht bestritten, dass der Beklagte zunächst in der Bäckerei bzw. der Gastwirtschaft gearbeitet hat, ohne eine entsprechende Vergütung zu erhalten. Sie wenden sich aber gegen die Bewertung der Dienstleistungen des Beklagten und behaupten, diese hätten lediglich ein Motiv für die Zuwendung des Grundstückes dargestellt, was der Annahme einer Schenkung nicht entgegenstehe. Die weiter vom Beklagten behaupteten Kosten für Renovierungs- und Umbauarbeiten habe nicht der Beklagte aufgebracht, sondern vielmehr die Erblasserin selbst. Abgesehen davon seien diese ohnehin nicht Grundlage der Grundstücksübertragung gewesen.

c.) Unter Berücksichtigung des unstreitigen Parteivortrages und der Aussage des Zeugen G... ist hier davon auszugehen, dass der Beklagte das Grundstück als Ausgleich - als Gegenleistung - für die von ihm in der Vergangenheit erbrachten Dienstleistungen hat erhalten sollen.

aa.) Wie o.a., haben die Klägerinnen nicht in Abrede genommen, dass der Beklagte zunächst ohne angemessene Vergütung in der Bäckerei und der Gastwirtschaft der Eltern der Parteien gearbeitet hat und ihm die Eltern dafür die Übertragung des Gaststättengrundstückes versprochen haben. Danach sollte der Beklagte also nicht etwa seine Dienstleistungen unentgeltlich erbringen, sondern dafür einen Ausgleich erhalten - wobei dahingestellt bleiben kann, ob dieser bereits zu Lebzeiten der Eltern der Parteien hat erfolgen sollen. Damit korrespondiert die Bekundung des Notars G..., der ausdrücklich ausgesagt hat, der Beklagte habe das in der L...Straße ... in B... gelegene Grundstück „als Ausgleich für die im Betrieb seiner Eltern geleisteten Dienste“ bekommen sollen. Die Erblasserin hat sich also dem Beklagten gegenüber nicht etwa unabhängig von den konkreten Leistungen erkenntlich zeigen, sondern diesem vielmehr die für seine Dienste versprochene Gegenleistung zukommen lassen wollen - was gegen die Annahme einer lediglich belohnenden Schenkung spricht (vgl. dazu Oberlandesgericht Düsseldorf, DNotZ 1996, S. 652, 653 f.). Dieser Annahme steht der von den Klägerinnen geschilderte steuerrechtliche Hintergrund des Übergabevertrages nicht entscheidend entgegen; insoweit wird auf die zutreffenden Erwägungen des Landgerichts zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. Abgesehen davon geht der Senat ohnehin von einer gemischten Schenkung aus.

bb.) Dagegen liegen nach der Aussage des Notars G... keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme vor, die Erblasserin habe mit der Übertragung des Grundstücks auch Investitionen des Beklagten in das Gaststättengrundstück abgelten wollen. Denn danach haben diese Investitionen bei den Vertragsverhandlungen keine Rolle gespielt. Dies verkennt der Beklagte, der im Übrigen selbst noch mit Schriftsatz vom 28.9.2004 ausdrücklich dargetan hat, die Übertragung des Grundstückes sei Äquivalent für die seinen Eltern geleisteten Dienste gewesen - und damit nicht Äquivalent für die geleisteten Dienste und die getätigten Investitionen, wie er dann in der Berufungserwiderung behauptet hat. Etwas anderes folgt weder aus den von dem Beklagten vorgelegten schriftlichen Erklärungen der Erblasserin noch aus der Bekundung der Zeugin H... B... - S.... Daraus geht hinreichend deutlich nur hervor, dass der Beklagte und seine Ehefrau - ggf. in Erwartung einer Erbeinsetzung des Beklagten durch seine Eltern - die Kosten für Renovierungsarbeiten übernommen haben; ihre Einbeziehung in den Vertrag vom 20.4.1995 folgt daraus nicht. Im Übrigen hat dafür auch keine Veranlassung bestanden. Denn die Investitionen sind nach dem Vortrag des Beklagten zu einer Zeit erfolgt, als dieser bereits die Gaststätte von seinen Eltern angepachtet hatte. Diese sind damit - jedenfalls in erster Linie - dem Beklagten und seiner Ehefrau zugute gekommen, die ihre Einkünfte aus dem Betrieb der Bäckerei und Gastwirtschaft erzielt haben. Diese müssen sich auch rentiert haben. Denn der Beklagte hat selbst dargetan, dass er aufgrund seiner Tätigkeit als Bäcker- bzw. Konditormeister und Gastwirt erhebliche Ersparnisse habe erwirtschaften können und imstande gewesen sei, erhebliche Kredite aufzunehmen - und offensichtlich auch zu bedienen. Abgesehen davon haben diese Investitionen selbst nach Angaben des Beklagten jedenfalls überwiegend nicht einmal das Vermögen der Erblasserin vermehrt: So hat der Beklagte selbst das Eigentum an dem neu angeschafften Kücheninventar, dem Gaststättengeschirr und der Kegelbahn für sich reklamiert. Etwas anderes könnte für die Aufwendungen gelten, die für die Dachsanierung, die Fenstererneuerung und die Erneuerung der Heizungsanlage angefallen sind. Insoweit handelt es sich jedoch um neuen Vortrag, mit dem der Beklagte gemäß § 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen ist.

d.) Sind - wie o.a. - lediglich die Dienstleistungen des Beklagten als Gegenleistungen für die Übertragung des Grundstückes anzusehen, ist eine gemischte Schenkung zu vermuten, da Leistung und Gegenleistung in einem auffälligen Missverhältnis stehen.

aa.) Nunmehr unstreitig ist der Wert des Grundstückes L...Straße in B... mit 400.000,-€ anzusetzen. Da es hier gemäß § 2325 Abs. 2 S.2 BGB maßgeblich auf den Zeitpunkt der Schenkung ankommt, ist davon der Wert des der Erblasserin eingeräumten Wohnrechts abzuziehen (vgl. dazu nur Palandt-Edenhofer, a.a.O., § 2325 Rdnr. 20), so dass sich der Wert der Leistung der Erblasserin auf 375.000,-€ beläuft.

bb.) Der Wert der von dem Beklagten geleisteten Dienste bleibt hinter dem Grundstückswert deutlich zurück.

aaa.) Wäre die Übertragung des Gaststättengrundstückes unterblieben, hätte der Beklagte von der Erblasserin für die geleisteten Dienste eine Vergütung in Höhe der üblichen Vergütung (§ 612 Abs. 2 BGB) nach dem Wert der Leistung zum Zeitpunkt ihrer Erbringung begehren können (vgl. Bundesgerichtshof NJW 1965, S. 1224, 1224 f.; Palandt-Sprau, a.a.O., § 812 Rdnr. 92; Münchener Kommentar- v. Sachsen Gessaphe, BGB , 4.A., § 1619 Rdnr. 27 ff.; Staudinger-Lorenz, BGB, 13. Bearb. (1999), § 812 Rdnr. 107; RGRK-Heimann-Trosien, BGB, 12.A., § 812 Rdnr. 93. Dabei ist unerheblich, ob der Vergütungsanspruch für die in der Vergangenheit erbrachten Dienstleistungen auf § 611 f. BGB oder auf Bereicherungsrecht (§ 812 Abs. 1 S. 2 HS 2 BGB) gestützt wird: Denn im Fall eines Bereicherungsanspruchs erschiene es unangemessen, dem Gläubiger „Wertsteigerungen“ durch die Wahl eines späteren Berechnungszeitpunktes zugute kommen zu lassen, obwohl sich diese im Vermögen des Bereicherungsschuldners nicht niederschlagen konnten (Münchener Kommentar-Lieb, BGB , 4.A., § 818 Rdnr. 57). Bei der Bewertung der Dienstleistungen des Beklagten ist also vom durchschnittlichen Bruttoverdienst auszugehen, den ein Bäckermeister in den Jahren 1962 - 1972 hat erzielen können. Dieser beträgt nach den Angaben des Beklagten in der Klageerwiderung insgesamt 82.284,-€ (1962: 5.016,-€; 1963: 5.424,-€; 1964: 5.820,-€; 1965: 6.420,-€; 1966: 6.936,-€; 1967: 7.272,-€; 1968: 7.644,-€; 1969: 8.160,-€; 1970: 8.952,-€; 1971: 9.996,-€; 1972: 10.644,-€) - was von den Klägerinnen letztlich nicht in Abrede genommen wird.

36bbb.) Für eine Berücksichtigung des Kaufkraftschwundes des Geldes („Indexierung“) besteht in diesem Zusammenhang keine Veranlassung.

aaaa.) Der Wert der Leistungen des Beklagten hat sich nicht dadurch erhöht, dass er eine Vergütung bzw. einen Ausgleich dafür erst viele Jahre später erhalten hat. So hätte der Beklagte etwa auch dann lediglich eine Vergütung in Höhe der vereinbarten bzw. der üblichen Entlohnung nach dem Wert der Arbeitsleistungen zum Zeitpunkt ihrer Erbringung verlangen können, wenn er ausdrücklich einen Arbeitsvertrag mit seinen Eltern abgeschlossen und die Auszahlung der Vergütung sodann zunächst nicht verlangt bzw. gestundet hätte.

bbb.) Die Fälle, in denen der Bundesgerichtshof eine Berücksichtigung des Kaufkraftschwundes für geboten gehalten hat, sind mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar. So hat der Bundesgerichtshof im Rahmen des Zugewinnausgleichsanspruchs eine Berücksichtigung der Geldentwertung für angezeigt gehalten, weil lediglich ein scheinbarer Vermögenszuwachs vorliege, wenn bei der Differenzrechnung Anfangs- und Endvermögen mit einem äußerlich gleichen, in Wahrheit aber unterschiedlichen Maßstab bewertet werden (BGHZ 61, S. 385, 388). Soweit Vorempfänge bei der Pflichtteilsberechnung zu berücksichtigen sind, ist nach Auffassung des Bundesgerichtshofs der Kaufkraftschwund ebenfalls zu berücksichtigen. Andernfalls führe es zu einer Verzerrung, wenn sich der Wertmesser Geld in dem Zeitraum, der zwischen der Zuwendung und dem Erbfall liegt, geändert habe: Je nach Ausmaß des Kaufkraftschwundes, den das Geld in diesem Zeitraum erlitten hat, könne diese so weit gehen, dass entgegen dem Willen des Gesetzes wirtschaftlich so gut wie kein oder gar kein Ausgleich mehr erfolge (BGHZ 65, S. 75, 77). Derartige triftige Gründe für die Berücksichtigung des Kaufkraftschwundes sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.

ccc.) Zu Recht weisen die Klägerinnen weiter darauf hin, dass grundsätzlich von dem Wert der Dienstleistungen nicht nur die Taschengeldzahlungen, sondern auch die Ersparnisse abgesetzt werden müssen, die der Beklagte dadurch erzielt hat, dass ihm seine Eltern unstreitig Kleidung, Verpflegung und Unterkunft zur Verfügung gestellt haben. Das Landgericht hat insoweit monatlich 200,-€ für Kost und Logis berücksichtigt sowie Taschengeldzahlungen in Höhe von 70 - 80 DM /Monat. Im vorliegenden Fall erscheint es jedoch als gerechtfertigt, einen solchen Abzug nicht vorzunehmen, weil der Beklagte unstreitig zusätzlich neben seiner Arbeit als Bäcker noch an den Abenden und an Wochenenden in der Gastwirtschaft der Eltern mitgearbeitet hat. Die Klägerinnen haben zwar behauptet, dass der Beklagte für diese Tätigkeiten ein Entgelt erhalten habe, ohne dass dieses durch die Bücher gelaufen sei. Dieser Vortrag erscheint jedoch in seiner Allgemeinheit als unsubstantiiert, schon weil der Beklagte unstreitig in den Jahren 1962 - 1972 Taschengeldzahlungen erhalten hat.

cc.) Danach haben also der Leistung der Erblasserin in Höhe von 375.000,-€ lediglich Leistungen des Beklagten in Höhe von 82.284,-€ gegenübergestanden. Dies begründet die Vermutung, dass sich die Vereinbarung zwischen der Erblasserin und dem Beklagten vom 20.4.1995 als gemischte Schenkung darstellt. Dieser Annahme steht nicht entgegen, dass - wie schon o.a. - die Vertragspartner im Rahmen der Vertragsfreiheit den Wert der auszutauschenden Leistungen selbst bestimmen und also auch die Größe eines sich etwa ergebenden Überschusses festlegen können. Dieser Befugnis sind jedoch - soweit eine Beurteilung als erbrechtlich relevante Schenkung in Frage steht - Grenzen gesetzt. Der Schutzzweck des § 2325 BGB erfordert es, dem Pflichtteilsberechtigten im Sinne einer tatsächlichen Vermutung hier unter Umständen eine Beweiserleichterung zu gewähren. Ist bei einem Vertrag, durch den wesentliche Vermögensteile einem anderen zugewendet werden, ein auffallendes, grobes Missverhältnis zwischen den - bei verständiger und den Umständen nach noch vertretbarer Beurteilung - zugrunde zu legenden Werten von Leistung und Gegenleistung festzustellen, dann ist im Einklang mit der Lebenserfahrung davon auszugehen, dass die Vertragsparteien dies erkannt haben und sich in Wahrheit über die Unentgeltlichkeit der Bereicherung einig waren (Bundesgerichtshof NJW 1981, S. 1956; Senat, NJW-RR 1997, S. 263, 264; FamRZ 1998, S. 516, 516; Palandt-Edenhofer, a.a.O., § 2325 Rdnr. 19). Diese Vermutung hat der Beklagte hier nicht erschüttert. Nach seinem Vortrag sollten mit der Grundstücksübertragung sowohl die geleisteten Dienste als auch die von ihm in das Gaststättengrundstück getätigten Investitionen abgegolten werden. Dieses Vorbringen hat sich jedoch in der Beweisaufnahme - wie schon oben ausgeführt - nicht bestätigt: Nach der Bekundung des Zeugen G... ist es vielmehr allein um einen Ausgleich für die geleisteten Dienste gegangen. Soweit der Zeuge weiter ausgesagt hat, nach den Erläuterungen der Erblasserin habe der Beklagte für seine Arbeit im elterlichen Betrieb „über Jahrzehnte kein Geld bekommen“, stehen diese Äußerungen der Erblasserin schon nicht im Einklang mit dem Vortrag des Beklagten selbst, wonach dieser lediglich in den Jahren von 1962 - 1972 unentgeltlich tätig gewesen ist, im Jahre 1973 Gaststätte und Konditorei von seinen Eltern angepachtet und in der Folgezeit nicht unerhebliche Ersparnisse hat erwirtschaften können.

e.) Da die von dem Beklagten getätigten Investitionen im Wesentlichen ihm selbst zugute gekommen sind (s.o.), kommen diese auch nicht als Grundlage einer Anstandsschenkung gemäß § 2330 BGB in Betracht. Im Hinblick darauf ist der Pflichtteilsergänzungsanspruch der Klägerinnen in Höhe von jeweils 48.786,-€ gerechtfertigt: 1/6 x (375.000,-€ - 82.284,-€).

2.) Das Inventar ist nicht werterhöhend im Rahmen des Pflichtteilsergänzungs-anspruchs zu berücksichtigen.

a.) Die Klägerinnen haben bereits nicht nachgewiesen, dass das streitgegenständliche Inventar im Eigentum der Erblasserin gestanden hat. Dies geht zu ihren Lasten, weil sie als Pflichtteilsberechtigte die Zugehörigkeit eines Gegenstandes zum fiktiven Nachlass und die Unentgeltlichkeit darzulegen und zu beweisen haben (Palandt-Edenhofer, a.a.O., § 2325 Rdnr. 24). Wie schon oben ausgeführt, hat der Beklagte behauptet, dass er selbst nach Anpachtung der Gaststätte das Kücheninventar, das Gaststättengeschirr und die Kegelbahn angeschafft und bezahlt habe - was im Übrigen hinsichtlich des Kücheninventars durch die Bekundung der Zeugin H... B...-S... gestützt wird. Da das vom Pächter neu angeschaffte Inventar nicht ohne weiteres Eigentum des Verpächters wird (vgl. dazu Wolf/Eckert/Ball, Hdb. des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts, 9.A., Rdnr. 1583 ff, 1589), hätte es den Klägerinnen oblegen, den Vortrag des Beklagten zu widerlegen. Soweit sie sich dazu auf Steuerunterlagen und Kaufbelege berufen, ist der Beklagte zu ihrer Vorlegung nach § 422 ZPO mangels Vorlegungsanspruchs der Klägerinnen nicht verpflichtet. Denn die Vorlage derartiger Belege würde letztlich den Beklagten dazu zwingen, den anspruchstellenden Klägerinnen das Beweismittel zu beschaffen, mit dem sie die Schenkung belegen können (vgl. Baumgärtel/Laumen-Baumgärtel, Hdb. der Beweislast im Privatrecht, 2.A., § 2325 Rdnr. 5). Dem Angebot, den Zeugen Ö... zu vernehmen, war ebenfalls nicht nachzugehen, da dieser nach Parteiangaben verstorben ist (Bl. 61 II d.A.). Was schließlich den Antrag auf Auskunft des Finanzamtes betrifft, steht einem entsprechenden Ersuchen § 30 AO entgegen. Zudem läuft der Beweisantrag der Klägerinnen auf einen Ausforschungsbeweis hinaus, nämlich in den Steuerunterlagen danach zu suchen, ob und inwieweit der Beklagte Investitionen steuerlich geltend gemacht hat.

b.) Etwas anderes mag hinsichtlich des Mobiliars im Gaststätten- und Speiseraum gelten. Es erscheint jedoch sehr zweifelhaft, dass die im Schriftsatz vom 12.7.2004, S. 4 genannten Einrichtungsgegenstände bei der Übertragung des Grundstückes auf den Beklagten 1995 bzw. bei dem Abriss der Gaststätte im Jahre 1999 noch einen nennenswerten Wert verkörpert haben. Zudem fehlen mangels konkreter Angaben insbesondere zum Alter und zum Erhaltungszustand der Gegenstände hinreichende Anhaltspunkte für eine Schätzung nach § 287 ZPO.

3.) Die von den Klägerinnen behauptete Schenkung von Pachtzinsansprüchen ist ebenfalls unbewiesen geblieben. Denn die dazu vernommenen Zeugen W..., E... und B... haben zu den entsprechenden Absprachen zwischen der Erblasserin und dem Beklagten keine konkreten Angaben machen können. Den weiteren Anträgen der Klägerinnen - Vorlage der Steuerbescheide 1973 - 1994 und Auskunft des Finanzamtes Q... - ist aus den oben unter Ziff. 2.) genannten Gründen nicht nachzugehen. Für eine Parteivernehmung der Klägerinnen nach § 448 ZPO liegen die Voraussetzungen ebenfalls nicht vor, zumal diese offenbar ohnehin keine konkrete Angaben zu den Absprachen zwischen der Erblasserin und dem Beklagten machen können. Der Beklagte hat dazu im Übrigen keine widersprüchlichen Angaben gemacht: Dieser hat nie bestätigt, dass es eine Pachtzinsvereinbarung, betr. das Gaststätteninventar, gegeben hat. Soweit er nach der Übertragung des Gaststättengrundstückes Zahlungen an seine Mutter erbracht hat, hat er klargestellt, dass es sich um Taschengeldzahlungen bzw. eine Alimentierung gehandelt hat.

III.) Insgesamt stehen den Klägerinnen gegen den Beklagten also Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche in Höhe von jeweils 95.214,11 € zu (46.428,11 € + 48.786,-€). Darauf hat der Beklagte unstreitig jeweils 27.654,32 € geleistet. Das Landgericht hat den Klägerinnen jeweils Zahlungsansprüche in Höhe von 16.990,46 € zugesprochen, so dass die Klägerinnen von dem Beklagten jeweils die Zahlung weiterer 50.569,33 € verlangen können.

IV.) Die Zinsforderung folgt aus den §§ 288, 286 BGB.

C.

Die Nebenentscheidungen stützen sich auf die §§ 91, 92, 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Zudem hat der Senat in Bezug auf die von den Parteien übereinstimmend für erledigt erklärte Widerklage die §§ 91 a, 93 ZPO angewendet. Danach hat der Beklagte hinsichtlich der Widerklage die Kosten zu tragen, weil die Klägerinnen bereits in der mündlichen Verhandlung vom 6.10.2004 die mit Schriftsatz vom 28.9.2004 geforderten Auskünfte erteilt haben.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor.