LG Hamburg, Beschluss vom 14.09.2009 - 628 Qs 26/09
Fundstelle
openJur 2010, 105
  • Rkr:
Tenor

Auf die Beschwerde vom 22. Juni 2009 wird festgestellt, dass die Durchsuchung der Wohnung des Beschwerdeführers, gelegen in der ... Straße....HH, am 21. Februar 2009 rechtswidrig war.

Die Staatskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers.

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer begehrt die gerichtliche Feststellung, dass eine in seiner Wohnung durchgeführte Durchsuchung rechtswidrig war.

Am 21. Februar 2009 gegen 17:38 Uhr suchten Ermittlungsbeamte der Polizei die Wohnung des Beschwerdeführers aufgrund eines Einsatzes „Ruhestörung“ auf. Vor Ort eingetroffen stellten sie fest, dass aus der Wohnung laute Musik drang. Bei der weiteren Bearbeitung der Anzeige vernahmen die Beamten aus der Wohnung des Beschwerdeführers den Geruch von Marihuana. Dieser verneinte die sodann von dem Beamten gestellte Frage, ob er Betäubungsmittel in seiner Wohnung habe. Aufgrund des von den Beamten gehegten Verdachts, dass sich Betäubungsmittel in der Wohnung befinden könnte, betraten und durchsuchten sie diese. Hierbei fanden sie zwei Plastikbeutel, die insgesamt eine Menge von rund 68 Gramm Marihuana beinhalteten. Durch eine zwischenzeitlich durchgeführte kriminaltechnische Untersuchung wurde ein Wirkstoffgehalt von 15,8 % festgestellt, die Gesamtmenge Marihuana enthielt 10,78 Gramm THC (Bl. 37 der Akte).

Mit undatiertem Schriftsatz, eingegangen bei dem Amtsgericht Hamburg am 16. März 2009, hat der Beschwerdeführer über seinen Verteidiger beantragt, durch gerichtliche Entscheidung die Rechtswidrigkeit der Durchsuchung festzustellen. Das Amtsgericht Hamburg hat den Antrag durch Beschluss vom 25. März 2009, Geschäftsnummer 161 Gs 243/09 zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner Beschwerde vom 22. Juni 2009, welcher das Amtsgericht nicht abgeholfen hat.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und führt auch in der Sache zum Erfolg.

1.

Die Beschwerde gegen die Durchsuchungsanordnung ist zulässig. Dem steht nicht entgegen, dass die Durchsuchung bereits vollzogen ist und deshalb aus tatsächlichen Gründen nicht mehr ungeschehen gemacht werden kann. Grundsätzlich dienen Rechtsbehelfe zwar der Beseitigung einer gegenwärtigen, fortdauernden Beschwer. In Fällen tiefgreifender, tatsächlich jedoch nicht mehr fortwirkender Grundrechtseingriffe ist eine Beschwerde auch dann zulässig, wenn sich die Belastung durch die Maßnahme nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung im Beschwerdeverfahren nicht erlangen kann (BVerfG NJW 1997, 2163). Ein solcher Fall eines tiefgreifenden aber abgeschlossenen Grundrechtseingriffs liegt insbesondere bei einer bereits vollzogenen Wohnungsdurchsuchung vor (vgl. BVerfG NJW 1999, 273). Hier ist trotz der prozessualen Überholung eine Beschwerde nicht unzulässig, sondern es ist die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Maßnahme zu überprüfen und gegebenenfalls festzustellen.

2.

Die Beschwerde ist auch begründet. Die Überprüfung ergibt, dass die angefochtene Durchsuchung nicht rechtmäßig war.

Es handelte sich um die Durchsuchung bei einer Person, die einer Straftat verdächtig ist, und damit um eine gemäß § 105 StPO anzuordnende Durchsuchung im Sinne von § 102 StPO. Die Rechtmäßigkeit einer solchen Durchsuchungsanordnung setzt voraus, dass der Anfangsverdacht für die Begehung einer Straftat vorliegt, die Durchsuchung der Ergreifung der Person des Beschuldigten oder dem Auffinden von Beweismitteln dient und ihre Anordnung verhältnismäßig ist.

An diesen Voraussetzungen gemessen war die Rechtswidrigkeit der Durchsuchung feststellen.

a.

Die Rechtswidrigkeit ergibt sich jedoch nicht bereits aus dem Umstand, dass die Durchsuchung nicht aufgrund richterlicher Anordnung durchgeführt wurde.

Zu Recht haben die polizeilichen Ermittlungsbeamten ihre Kompetenz zur Anordnung der Wohnungsdurchsuchung angenommen. Gefahr im Verzug lag vor, § 105 Abs. 1 StPO.

Die Eilkompetenz eröffnet den nichtrichterlichen Organen die Möglichkeit eines Eingriffs, wenn Beweismittel andernfalls gefährdet wären. Gefahr im Verzug ist immer dann anzunehmen, wenn die vorherige Einholung der richterlichen Anordnung den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde (BVerfGE 51, 97 ff). Bei der strafprozessualen Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln soll die Eilkompetenz die Strafverfolgungsbehörden in die Lage versetzen, einen Beweismittelverlust zu verhindern (vgl. BVerfG NJW 2001, 1121-1125). Nur in Ausnahmesituationen, wenn schon die zeitliche Verzögerung den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde, dürfen sie selbst die Anordnung wegen Gefahr im Verzug treffen, ohne sich zuvor um eine richterliche Entscheidung bemüht zu haben (BVerfG, a. a. O.).

Vorliegend lag eine solche Ausnahmesituation vor, die die sofortige Anordnung der Hausdurchsuchung durch die polizeilichen Ermittlungsbeamten erforderlich machte. Es bestand die konkrete Gefahr, dass der Beschwerdeführer unverzüglich Beweismittel zu seiner Überführung, insbesondere das bei der Durchsuchung vorgefundene Betäubungsmittel, unverzüglich vernichten bzw. verschwinden lassen würde. Zutreffend hat das Amtsgericht Hamburg in seinem Beschluss vom 25. März 2009, Geschäftsnummer 161 Gs 243/09, darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer Kenntnis vom Erscheinen der Polizeibeamten im Rahmen ihres Einsatzes wegen Ruhestörung hatte und daher jedes Zuwarten untunlich gewesen wäre, weil konkret zu besorgen war, dass der Beschuldigte die in der Wohnung vorhandenen Betäubungsmittel beseitigt. Dieser musste davon ausgehen, dass die Beamten den typischen Geruch des Marihuanas erkannt hatten und diese Erkenntnis nicht auf sich beruhen lassen würden.

Angesichts dieser Umstände mussten die Ermittlungsbehörden jede zeitliche Verzögerung vermeiden. Schon der Versuch der Einschaltung eines Ermittlungsrichters, aber auch ein Anruf bei der Staatsanwaltschaft Hamburg hätte eine nicht hinzunehmende zeitliche Verzögerung bedeutet, die einen Beweismittelverlust hätte herbeiführen können.

b.

Aufgrund des aus der Wohnung des Beschwerdeführers dringenden Geruchs nach Marihuana, den die Polizeibeamten vor Ort feststellten, lag auch der erforderliche Anfangsverdacht hinsichtlich eines unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Ziffer 3 BtMG vor.

c.

Die Anordnung der Wohnungsdurchsuchung war jedoch angesichts der zu erwartenden Durchsuchungsergebnisse unverhältnismäßig. Mit einer Durchsuchung wird schwerwiegend in die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) eingegriffen. Dem erheblichen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Beschwerdeführers entspricht ein besonderes Rechtfertigungsbedürfnis nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Vorliegend wussten die Polizeibeamten in dem Zeitpunkt, in dem sie sich entschieden, die Wohnung zum Zwecke der Durchsuchung auf Betäubungsmittel hin zu betreten (hierzu der Durchsuchungsbericht vom 21. Februar 2009, Bl. 5 der Akte), lediglich, dass es aus der Wohnung heraus nach Marihuana roch. Hieraus konnten sie lebensnah schließen, dass hier Marihuana konsumiert wurde und möglicherweise noch eine weitere Marihuanamenge im für den Eigenkonsum erforderlichen Umfang vorhanden sein konnte (Hanseatisches Oberlandesgericht StV 2008, 12 f).

Konkrete Hinweise auf größere Betäubungsmittelmengen lagen nicht vor.

Zwar trafen die Polizeibeamten aufgrund des Einsatzes „Ruhestörung“ vor Ort ein und vernahmen aus der Wohnung des Beschuldigten laute Techno-Musik. Hieraus auf das Stattfinden einer Feier mit einer Vielzahl von Menschen zu schließen, lag angesichts der Uhrzeit von 17:38 Uhr (vgl. Bl. 1 der Akte) nicht nahe. Weitere Anhaltspunkte, etwa Stimmengewirr aus der Wohnung oder das Ein- und Ausgehen einer Vielzahl von Personen, gab es nach Aktenlage nicht. Vorliegend kann daher offen bleiben, ob selbst bei begründeter Annahme einer laufenden Feier in der Wohnung der Schluss auf größere Betäubungsmittelmengen in der Wohnung zulässig gewesen wäre.

Angesichts der fehlenden Hinweise auf das Vorhandensein größerer Mengen konnte lediglich eine geringe Menge Betäubungsmittel zum Eigenverbrauch erwartet werden, bei der gemäß § 29 Abs. 5, 31 a Abs. 1 BtMG von Strafe abgesehen werden kann (Hanseatisches Oberlandesgericht a. a. O.). Der Regelungsgehalt dieser Vorschriften verdeutlicht das geringe Verfolgungsinteresse des Staates in diesem Bereich (Hanseatisches Oberlandesgericht a. a. O.). Im vorliegenden Fall überwog damit das grundrechtlich geschützte Interesse an der Unverletzlichkeit der Wohnung aus Artikel 13 GG gegenüber dem geringen Strafverfolgungsinteresse des Staates.

Dass bei der Durchsuchung tatsächlich eine Menge von rund 68 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 15,8 % (Gesamtmenge THC beim Rauchen insgesamt 10,78 Gramm, Bl. 37 der Akte) festgestellt wurde, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Der vorliegende Verdacht ist aus der Perspektive ex ante zu bewerten, eine Durchsuchung zum Zwecke der Ausforschung ist unzulässig (LG Bremen StV 2002, 536).

III.

Ob vorliegend aus der rechtsfehlerhaften Beweiserhebung auch eine Unverwertbarkeit der Beweismittel, insbesondere der Durchsuchungsergebnisse, folgt, oder ob angesichts der tatsächlich vorgefundenen Mengen das Strafverfolgungsinteresse des Staates überwiegt, bedarf derzeit keiner Bewertung und hat der umfassenden Abwägung durch den Tatrichter vorbehalten zu bleiben (hierzu im Einzelnen Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, 50. Auflage 2008, Einl. Rz. 55 f. unter Hinweis auf die Abwägungslehre der Rechtsprechung m. w. N.; LG Heilbronn StV 2005, 380 ff).

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.

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