LAG Niedersachsen, Urteil vom 11.05.2006 - 7 Sa 1077/05
Fundstelle
openJur 2012, 44404
  • Rkr:

1. Es bleibt unentschieden , ob eine Vereinbarung wirksam ist, nach der ein Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung einer Reinigungskraft nicht besteht, wenn in den Schulferien in den Reinigungsobjekten der Arbeitsprozess ruht.2. Diese Zeiten ohne Arbeitsleistung und Vergütung sind jedenfalls nicht bei der Berechnung der Urlaubsvergütung auf der Basis der regelmäßigen Arbeitszeit und des Durchschnittslohnes der letzten 12 Monate zu Lasten der Reinigungskraft zu berücksichtigen.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil desArbeitsgerichts Göttingen vom 26.05.2005, 2 Ca 824/04, unterZurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und wiefolgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 14,59 €brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über demBasiszinssatz seit dem 27.12.2004 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 10% und dieBeklagte zu 90%.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, wie die Urlaubsvergütung nach dem allgemeinverbindlichen Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Beschäftigten im Gebäudereinigerhandwerk zu berechnen ist und dabei insbesondere über die Frage, ob sich die Zeiten in den Schulferien, während derer eine Arbeitsleistung nicht zu erbringen ist, verdienstmindernd auswirken.

Die 1943 geborene Klägerin ist seit dem 01.06.1994 bei der Beklagten beschäftigt. Sie wird als Reinigungskraft in der S. Schule in D. eingesetzt. Ihre regelmäßige tägliche Arbeitszeit beträgt 1,23 Stunden, der Stundenlohn 7,68 € brutto.

Der von den Parteien abgeschlossene Arbeitsvertrag vom 17.06.1994 (Bl. 60 d.A.) enthält unter anderem folgende Regelung:

„5.

Ein Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitslohnes besteht nicht, wenn in den Reinigungsobjekten infolge Werksurlaubes, Schulferien usw. der Arbeitsprozeß ruht. ... "

Der kraft vertraglicher Inbezugnahme sowie aufgrund Allgemeinverbindlichkeitserklärung auf das Arbeitsverhältnis anwendbare Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Beschäftigten in der Gebäudereinigung enthält in § 14 für die Berechnung der Urlaubsvergütung folgende Regelung:

„2.1

Während des Urlaubs erhält der/die Beschäftigte den für seine/ihre regelmäßige Arbeitszeit durchschnittlichen Lohn der letzten 12 Monate; unberücksichtigt bleiben dabei unverschuldete Fehltage, wie z.B. Krankheitstage außerhalb des gesetzlichen Entgeltfortzahlungszeitraumes, Kurzarbeitszeiten, usw.

Bei der Berechnung des Lohnes bleiben außer Ansatz: Einmalvergütungen, Aufwendungsersatz, wie z.B. Gratifikationen, Fahrtkosten und Auslösung. Sofern der/die Beschäftigte weniger als 12 Monate im Unternehmen beschäftigt ist, werden diese Monate der Durchschnittsberechnung zu Grunde gelegt.

Für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall enthält § 5 RTV eine entsprechende Regelung.

Die Klägerin hatte im Oktober 2004 insgesamt 10 Tage Urlaub. Hierfür gewährte die Beklagte Urlaubsentgelt in Höhe von 79,87 € brutto (Bl. 59 d.A.).

Die Beklagte legte bei der Berechnung der Urlaubsvergütung die tatsächlich von der Klägerin geleisteten Arbeitstage (195) im Verhältnis zu der Anzahl der Arbeitstage ohne Unterbrechungen während der Schulferien (231) zu Grunde. Für die im Streit stehenden Urlaubstage wurden mithin pro Tag 1,04 Stunden (1,23 Stunden x 195 Arbeitstage : 231 Arbeitstage = 1,04 Stunden) vergütet.

Die Klägerin ist demgegenüber der Auffassung, bei der Berechnung der Urlaubsvergütung müssten für die 10 Tage jeweils die regelmäßige Arbeitszeit von 1,25 Stunden zu Grunde gelegt werden, so dass sich ein Zahlungsanspruch in Höhe von 96,00 € ergebe. Die Differenz in Höhe von 16,13 € macht sie mit der vorliegenden Klage geltend.

Das Arbeitsgericht hat durch ein der Beklagten am 14.06.2005 zugestelltes Urteil vom 26.05.2005, auf dessen Inhalt zur weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes und dessen Würdigung durch das Arbeitsgericht Bezug genommen wird (Bl. 25 - 29 d.A.), dem Klagebegehren entsprochen.

Hiergegen richtet sich die am 29.06.2005 eingelegte und am 05.08.2005 begründete Berufung der Beklagten.

Die Beklagte ist der Auffassung, die Parteien hätten in Ziffer 5 des Arbeitsvertrages wirksam vereinbart, dass während der Schulferien keine Arbeits- und Lohnzahlungsverpflichtungen bestehen. Dies wirke sich bei der Durchschnittsberechnung für die Urlaubsvergütung aus. Da das Entgelt an den Tagen, an denen gearbeitet werde, gleichbleibend hoch sei, wirke sich die Berechnung über den Zeitfaktor aus. Nach dem Tarifvertrag blieben lediglich "unverschuldete Fehltage" nicht berücksichtigt. Fehltage, die durch die Schulferien in den jeweiligen Objekten entständen, fielen nicht unter diese Regelung.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Göttingen vom 26.05.2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe des Schriftsatzes ihres Prozessbevollmächtigten vom 13.09.2005 (Bl. 54 - 58 d.A.).

Gründe

Die Berufung der Beklagten ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig, §§ 519, 520 ZPO, 64, 66 ArbGG.

Sie ist überwiegend nicht begründet.

24Das Arbeitsgericht ist zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass die Zeiten, in denen die Klägerin während der Schulferien nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet war, sich nicht verdienstmindernd auf die Urlaubsvergütung auswirken.

Maßgeblich für die Berechnung der Urlaubsvergütung ist § 14 Ziffer 2.1 RTV. Danach hat die Klägerin einen Anspruch auf den für ihre regelmäßige Arbeitszeit durchschnittlichen Lohn der letzten 12 Monate. § 14 RTV stellt somit einerseits ab auf die "regelmäßige Arbeitszeit" der Klägerin (Zeitfaktor), andererseits auf den "durchschnittlichen Lohn der letzten 12 Monate" (Geldfaktor). Wie diese Begriffe zu verstehen sind, ist durch eine Auslegung des Tarifvertrages zu klären.

Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Wortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dieser zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzu ziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vgl. BAG vom 23.02.2005, 4 AZR 79/04).

Der Tarifwortlaut stellt zunächst auf die "regelmäßige Arbeitszeit" der Klägerin ab. "Regelmäßig" bedeutet sprachlich, dass etwas nach gewissen Regeln abläuft, sich in gleichen Abständen wiederholt (vgl. Bertelsmann Wörterbuch der deutschen Sprache).

Bezüglich der Arbeitszeit der Klägerin ist eine Regelmäßigkeit in diesem Sinne darin zu sehen, dass die Klägerin an den Tagen, an denen sie Reinigungsarbeiten zu verrichten hat, unstreitig jeweils 1,23 Stunden eingesetzt wird. Nicht zu berücksichtigen sind demgegenüber bei der Bemessung der regelmäßigen Arbeitszeit die Tage, an denen außerhalb der üblichen Regel mehr oder weniger Stunden anfallen. Maßgeblich ist vielmehr der Normalfall.

29Zulasten der Klägerin gehen deshalb nicht die Tage, an denen sie während der Schulferien nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet war. Da während dieses Zeitraums nach der arbeitsvertraglichen Regelung eine zu leistende Arbeitszeit gerade nicht anfiel und auch keine Lohnzahlungspflicht der Beklagten bestand, können diese Zeiten begrifflich auch nicht zur Berechnung der regelmäßigen Arbeitszeit mitgezählt werden. Es musste deshalb auch nicht entschieden werden, ob diese arbeitsvertragliche Bestimmung rechtsunwirksam ist (so das LAG Hamm vom 20.10.2005,16 Sa 801/05).

Dieses Auslegungsergebnis deckt sich mit dem Grundsatz des § 1 BUrlG, wonach der Arbeitgeber verpflichtet ist, das geschuldete Entgelt für die infolge der urlaubsbedingten Arbeitsbefreiung ausfallende Arbeitszeit zu zahlen (Lohnausfallprinzip). Dass die Tarifvertragsparteien eine hiervon abweichende Regelung treffen wollten, kann dem Tarifvertrag nicht entnommen werden.

Bestätigt wird dies schließlich durch den zweiten Halbsatz des § 14 Ziffer 2.1 RTV. Hier haben die Tarifvertragsparteien ausdrücklich geregelt, dass unverschuldete Fehltage unberücksichtigt bleiben. Die dort aufgeführten Beispielsfälle zeigen, dass sowohl in der Sphäre der Arbeitnehmer liegende Fehltage (Krankheitstage außerhalb des gesetzlichen Entgeltfortzahlungszeitraumes) als auch in der Sphäre des Arbeitgebers liegenden Fehltage (Kurzarbeitszeiten) nicht zu einer Minderung des Urlaubsentgelts führen sollen, wenn sie unverschuldet sind.

Dass im Gegensatz zu § 11 Abs. 1 Satz 3 BUrlG Arbeitsausfälle nicht ausdrücklich genannt sind, ist unschädlich. Die Tarifvertragsparteien haben abweichend vom Bundesurlaubsgesetz als Oberbegriff "unverschuldete Fehltage" gewählt und durch die Beispielsfälle und die Formulierung „usw.“ zum Ausdruck gebracht, dass sie darunter alle Tage ohne Vergütungspflicht verstehen, solange diese für den Arbeitnehmer unverschuldet ist.

Für die Klägerin sind während der Schulferien an sich keine "Fehltage" angefallen, da nach dem Inhalt des Arbeitsvertrages an diesen Tagen von vornherein weder eine Arbeits- noch eine Vergütungspflicht besteht. Diese Tage dürfen aber auch nach Sinn und Zweck der tariflichen Regelung nicht bei der Bemessung der Urlaubsvergütung berücksichtigt werden, da die Nichtarbeit jedenfalls von der Klägerin nicht zu vertreten und damit unverschuldet ist.

Die Beklagte ist deshalb verpflichtet, für die Urlaubstage der Klägerin als Zeitfaktor eine regelmäßige Arbeitszeit von 1,23 Stunden zu Grunde zu legen.

Diese Stunden sind mit dem durchschnittlichen Lohn der letzten 12 Monate zu vergüten, so genannter Geldfaktor.

Die Parteien haben nicht dargelegt, welchen konkreten Lohn die Klägerin während der letzten 12 Monate vor der im Streit stehenden Urlaubsgewährung bezogen hat. Sie haben allerdings zu Protokoll vom 11.05.2006 übereinstimmend klargestellt, dass die Klägerin durchschnittlich 1,23 Stunden pro Arbeitstag gearbeitet hat (Bl. 79 d.A.). Damit steht für die Kammer fest, dass die Klägerin während des maßgeblichen Referenzzeitraumes auch durchschnittlich den tariflichen Stundenlohn von 7,68 € brutto bezogen hat.

Aus den bereits dargelegten Gründen mindert sich der Durchschnittslohn nicht durch die arbeitsvertragliche Vereinbarung, dass ein Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitslohnes nicht besteht, wenn in den zu reinigenden Objekten in Folge der Schulferien der Arbeitsprozess ruht. Denn in eine Durchschnittsberechnung nicht einbezogen werden dürfen Zeiten, zu denen von vornherein keine wechselseitigen Hauptpflichten aus dem Arbeitsvertrag bestehen. Zudem besagt die tarifliche Regelung, dass Zeiten ohne Arbeitsvergütung unberücksichtigt bleiben und somit auch nicht zu einer Minderung des durchschnittlichen Lohns führen, soweit sie für die Klägerin unverschuldet sind.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet war, für 10 Urlaubstage im Oktober 2004 jeweils 1,23 Stunden mit einem Stundenlohn von 7,68 € brutto zu vergüten. Hieraus errechnet sich ein Zahlungsanspruch der Klägerin in Höhe von 94,46 € brutto. Abgerechnet und ausgezahlt hat die Beklagte lediglich 79,87 € brutto, so dass noch ein Restanspruch in Höhe von 14,59 € brutto besteht.

Soweit das Arbeitsgericht der Klägerin einen darüber hinausgehenden Anspruch zugesprochen hat, war das Urteil auf die Berufung der Beklagten abzuändern und die Klage abzuweisen. Die Klägerin hat bei ihrer Berechnung zu Unrecht eine regelmäßige Arbeitszeit von 1,25 Stunden zu Grunde gelegt. Im Berufungsverfahren war nach den Ausführungen der Parteien in der Berufungsbegründungsschrift und der Berufungserwiderungsschrift eine tägliche Arbeitszeit von 1,23 Stunden unstreitig.

Die Kosten des Rechtsstreits waren gemäß § 92 ZPO verhältnismäßig zu teilen.

Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG. Die Auslegung der im Streit stehenden Tarifnorm ist für eine Vielzahl von Arbeitsverhältnissen bundesweit von Bedeutung.

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