LG Braunschweig, Beschluss vom 12.04.2006 - 6 Qs 88/06
Fundstelle
openJur 2012, 44330
  • Rkr:
Tenor

Die Beschwerde des Betroffenen gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts Braunschweig vom 14. März 2006 (3 Gs 844/05) und ... werden

v e r w o r f e n.

Der Betroffene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft führt ein Ermittlungsverfahren gegen die Beschuldigten wegen Untreue ...

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft hat das Amtsgericht Braunschweig einen Durchsuchungsbeschluss vom ... erlassen, der neben der Beschlagnahme von Unterlagen und Datenträgern der Firmen ... auch gem. §§ 100 g, 100 h StPO die Auswertung von ggf. zu beschlagnahmenden Datenträgern, wie Textdateien und E-Mailverkehr, gestattete.

Die Durchsuchung ist am 14.03.2006 durch Beamte des LKA ... erfolgt. Dabei bemerkten die Beamten, dass der Betroffene ... seine E-Mails nicht auf der Festplatte des heimischen Rechners, sondern mittels eines webbasierten Services (www...) beim Provider ... AG verwalten ließ. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft erging Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 14.03.2006 (3 Gs 844/06), mit dem der E-Mail-Account des Betroffenen ... bei der ... AG gem. §§ 94, 98 StPO beschlagnahmt wurde ... Die Staatsanwaltschaft beschlagnahmte weiter ... [Ausführungen zum weiteren Beschwerdegegenstand].

Mit seinen Beschwerden vom .. wendet sich der Betroffene gegen die Beschlüsse vom 14.03.2006 (3 Gs 844/06) und ...

Eine Beschlagnahme der E-Mail-Kommunikation beim Provider nach §§ 94, 98 StPO sei wegen Verstoßes gegen Art. 10 GG unzulässig. Solange die Daten auf dem Server des Providers gespeichert seien, unterfielen sie weiterhin dem Schutz des Art. 10 GG. Nach der jüngsten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVG, Beschluss vom 02.03.06, 2 BvR 2099/04) ende der Schutz des Art. 10 GG erst zu dem Zeitpunkt, an dem die Daten auf dem Rechner des Nutzers gespeichert seien. Entscheidend sei dafür, dass die Daten vor der Speicherung auf dem Endgerät des Empfängers weiterhin dem unbemerkten Zugriff Dritter ausgesetzt seien. Die spezifischen Gefahren der räumlich distanzierten Kommunikation bestünden solange, wie sich die Daten nicht in der alleinigen Herrschaft des Teilnehmers befänden. Bei der Speicherung beim Provider - wie hier - befänden sich die Daten aber nicht in der eigenen Herrschaft des Teilnehmers ... Auch eine analoge Anwendung der §§ 99, 100 StPO komme nicht in Betracht.

Eine Beschlagnahme sei allenfalls nach § 100 a StPO möglich, scheide hier aber mangels Katalogtat aus. Zumindest müsse nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz die Beschlagnahme auf E-Mails zwischen dem Betroffenen und den Beschuldigten ..., zwischen dem Betroffenen und den Herren ..., sowie den Firmen ... beschränkt werden. Zudem sollte dem Betroffenen und seinem Rechtsvertreter die Möglichkeit gegeben, werden, bei der Durchsicht der E-Mails zugegen zu sein.

... [Begründung zum weiteren Beschwerdegegenstand]

II.

Die Beschwerden sind zulässig, aber unbegründet.

1)

Der Beschluss vom 14.03.2006 über die Beschlagnahme des E-Mail-Verkehrs beim Provider ist zu Recht auf Grundlage der §§ 94, 98 StPO ergangen.

Bereits vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 02.03.2006 war überwiegend anerkannt, dass der E-Mail-Verkehr als Fernmeldeverkehr zwar grundsätzlich dem Schutzbereich des § 100 a StPO unterfällt, der eigentliche Übermittlungsvorgang aber mit der Speicherung auf dem PC beim Empfänger abgeschlossen ist und daher dem Schutzbereich des Art. 10 GG nicht mehr unterfällt (KK-Nack, StPO, 5. Aufl., § 100 a Rdn. 6, Palm/Roy, NJW, 1996, 1791, LG Hanau NJW 1999, 3647; weitergehend LG Ravensburg NStZ 2003, 325; Beschlagnahme auch beim Provider als Vergleich mit einem im Briefverteilungszentrum lagernden Brief). Teilweise wird dabei für die Beendigung des Übertragungsverkehrs zusätzlich verlangt, dass die E-Mail vom Nutzer bereits abgerufen worden ist (LG Hanau NJW 1999, 3647, Kemper, NStZ 2005, 538, 543).

Nach der nun vorliegenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 02.03.2006 (2 BvR 2099/04) sind nach Abschluss des Übertragungsvorgangs im Herrschaftsbereich des Kommunikationsteilnehmers gespeicherte Kommunikationsverbindungsdaten nicht mehr durch Art. 10 Abs. 1 GG, sondern nur durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und ggf. Art. 13 Abs. 1 GG geschützt (BVerfG, aaO). Die spezifischen Gefahren der räumlich-distanzierten Kommunikation bestünden nicht mehr im Herrschaftsbereich des Empfängers, der eigene Schutzvorkehrungen gegen den ungewollten Datenzugriff treffen könne. Ein unbemerkter Zugriff Dritter auf die gespeicherten Daten ohne seine Kenntnis könne dann in der Regel nicht stattfinden, und er habe es in erheblichem Umfang selbst in der Hand, ob die bei ihm vorhandenen Daten dauerhaft gespeichert werden. Dabei käme es nicht entscheidend darauf an, ob der Nutzer die Löschung der in seiner Sphäre gespeicherten Verbindungsdaten in jedem Fall sicher bewirken kann; maßgeblich sei vielmehr, dass insoweit eine Vergleichbarkeit mit den sonst in seiner Privatsphäre gespeicherten Daten gegeben sei.

12Vorliegend besteht die Besonderheit, dass die E-Mails bestimmungsgemäß nicht auf dem Endgerät des Betroffenen, sondern ihm auf einem Speicherplatz beim Provider zur Verfügung gestellt werden. Nach Ansicht der Kammer ist die Situation des Teilnehmers bei endgültiger Speicherung auf einem auswärtigen Speicherplatz bei seinem Provider aber ohne weiteres vergleichbar mit der Speicherung auf einem beim Teilnehmer selbst bereitgestellten Endgerät. Auch hier ist der Übermittlungsvorgang durch Einsatz des Nachrichtenmittlers beendet, da der Provider dem Empfänger die E-Mail auf den von ihm angemieteten Platz auf dem Server des Providers endgültig zur Verfügung stellt. Ein zusätzlicher Abruf beim Nachrichtenübermittler und Übertragung der E-Mail aus dessen Mailbox auf das Endgerät des Teilnehmers (siehe dazu LG Hanau NJW 1999, 3647) ist weder vorgesehen noch erforderlich, da die E-Mails dem Teilnehmer auf dem Server des Providers in einem eigenen Postfach bereits endgültig zur Verfügung gestellt werden. Der Teilnehmer hat es daher in gleicher Weise wie bei einem in seiner Herrschaftssphäre bereitgestellten Endgerät in der Hand, die E-Mail zu lesen, weiterzuspeichern oder aber auch zu löschen. Gegen den unbefugten Zugriff Dritter ist der Teilnehmer dadurch geschützt, dass er den unberechtigten Zugriff durch Verwendung eines nur ihm bekannten Passworts verhindern kann. Damit gelangt die E-Mail bei endgültiger Zurverfügungstellung auf dem angemieteten Speicherplatz beim Provider in gleicher Weise in den Herrschaftsbereich des Teilnehmers wie bei der Zurverfügungstellung auf dem heimischen Endgerät. Dies beruht auf der identischen Interessen - und Schutzlage, ohne dass es auf die jeweilige konkrete technische Ausgestaltung ankommt. Insoweit besteht ein erheblicher Unterschied zu der Situation, dass die E-Mail nur in einer Mailbox des Nachrichtenmittlers zwischengespeichert ist und es noch eines Abrufs des Teilnehmers und einer Übertragung des Nachrichtenmittlers auf das Endgerät des Teilnehmers bedarf. Vor diesem letzten Übertragungsakt hat der Teilnehmer noch keine Herrschaft über die für ihn vorgesehene E-Mail, so dass insoweit noch die typischen Gefahren der räumlich distanzierten Kommunikation bestehen. Dagegen kann es weder bei einer Zurverfügungstellung bereits auf dem Endgerät des Teilnehmers noch bei der endgültigen Bereitstellung auf einem ausschließlich für ihn beim Provider vorgesehen Speicher darauf ankommen, dass der Teilnehmer auch durch Öffnen der E-Mail Kenntnis von deren Inhalt genommen hat. Entscheidend ist, dass es keines weiteren Übertragungsbeitrags durch den Nachrichtenmittler bedarf und der Übertragungsvorgang, der durch Art. 10 GG geschützt werden soll, abgeschlossen ist. Nach der Beendigung des Übertragungsvorgangs kann ausschließlich der berechtigte Teilnehmer über das weitere Schicksal der E-Mail entscheiden. Es kommt nicht darauf an, ob und in welcher Weise er davon auch Gebrauch macht.

Auch die vom Betroffenen begehrte Beschränkung auf bestimmte E-Mails mit bestimmten Teilnehmern oder Betreffzeilen war nicht geboten. Nach § 94 StPO können Gegenstände beschlagnahmt werden, die als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können. Für die erforderliche Beweisgeeignetheit reicht dabei die potentielle Beweisbedeutung des beschlagnahmten Materials aus (BVerfG, Beschluss vom 13.12.1994, 2 BvR 894/94, NJW 1995, 2839, 2840, BGH, Beschluss vom 05.01.1979, 1 BJs 226/78 bei Pfeiffer, NStZ 1981, 9394, Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 94 Rdn. 6). Für die Annahme einer potentiellen Beweisbedeutung ist dabei auch nicht erforderlich, dass derzeit bereits aufgezeigt werden kann, welcher Beweisführung der Gegenstand dienen soll; es genügt, wenn anzunehmen ist, dass sich dies im Laufe des Ermittlungsverfahrens herausstellt (BGH, aaO).

Ausgangspunkt für die Beschlagnahme ist hier der ...Vertrag zwischen den Beschuldigten ... und Herrn ..., wobei auch der Betroffene und ihm zuzurechnende Firmen in dem Vertrag genannt werden und diesen teilweise Aufgaben zugewiesen werden. Angesichts des bestehenden Firmengeflechts ist daher vor Sichtung des E-Mail- Verkehrs des Betroffenen für die Staatsanwaltschaft nicht endgültig absehbar, welche einzelnen E-Mails für das Ermittlungsverfahren zur Ermittlung von belastenden und entlastenden Umständen von Bedeutung sein können. Dies gilt in gleicher Weise für die Teilnehmer des jeweiligen E-Mail-Verkehrs als auch für die - in der Regel vorher nicht erkennbaren - Inhalte der E-Mails. Darin liegt angesichts der Erheblichkeit der strafrechtlichen Vorwürfe auch kein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass der Betroffene zwar nicht Verdächtiger oder Beschuldigter ist, auf Grund seiner Nennung in dem ... Vertrag aber eine geschäftliche Beziehung zu den in diesem Verfahren Beschuldigten besteht. Soweit sich nach Durchsicht der E-Mails ergibt, dass einzelne, mehrere oder sämtliche E-Mails nicht als Beweismittel in Betracht kommen, sind diese ohnehin an den Betroffenen zurückzugeben (Meyer-Goßner, StPO, 48. Auflg, § 10 Rn 2). In seinen anderweitigen geschäftlichen Interessen kann der Betroffene schon deshalb nicht verletzt sein, weil die Staatsanwaltschaft zur Geheimhaltung verpflichtet ist.

Für die Teilnahme des Betroffenen und/oder seines Rechtsbeistands bei der Durchsicht fehlt es an einer Rechtsgrundlage. Die Rechte des von einer Durchsuchung Betroffenen werden in den Vorschriften der §§ 106 ff StPO geregelt. Danach hat der von einer Durchsuchung Betroffene gem. § 106 Abs. 1 StPO ein Anwesenheitsrecht bei der Durchsuchung und gem. § 107 StPO nach Beendigung der Durchsuchung auf Verlangen einen Anspruch auf ein Verzeichnis der beschlagnahmten Gegenstände. Vorliegend soll der gesamte E-Mail-Bestand nach Mitteilung der Staatsanwaltschaft vom Provider gespiegelt und sodann auf einer CD übergeben werden. Ein Anspruch des Betroffenen, dass der Inhalt der CD bereits bei Erhalt durch den Provider ausgedruckt und ausgewertet wird, ist dagegen nicht ersichtlich. Auch eine Teilnahme an der anschließend nach § 110 StPO durchzuführenden Durchsicht des Inhalts ist aus § 110 StPO nicht herzuleiten.

2) ... [Ausführungen zum weiteren Beschwerdegegenstand]