OLG Dresden, Beschluss vom 03.12.2009 - 2 Ws 571/09
Fundstelle
openJur 2009, 1368
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. II StVK 549/09
Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Leipzig vom 26. Oktober 2009 aufgehoben.

2. Die Sache wird zur Entscheidung über den Antrag der Staatsanwaltschaft vom 18. August 2009 an den Jugendrichter des Amtsgerichts Grimma - Zweigstelle Wurzen - gegeben.

3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt dem für die Entscheidung in der Sache berufenen Jugendrichter vorbehalten.

Gründe

I.

1. Der Jugendrichter des Amtsgerichts hatte den Beschwerdeführer am 19. Mai 2008 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Auf seine Berufung hin änderte das Landgericht Leipzig den Schuldspruch in "vorsätzliche Körperverletzung" und verurteilte ihn (nach Auflösung eines Gesamtstrafenbeschlusses des Amtsgerichts Grimma vom 31. Juli 2008) unter Einbeziehung früher verhängter Einzelstrafen aus Urteilen des Amtsgerichts Leipzig vom 14. März 2007 (Az: 225 Ds 154 Js 57651/06) und vom 28. November 2007 (Az: 225 Ds 708 Js 38125/07) sowie des Amtsgerichts Grimma vom 23. Juli 2007 (Az: 3 Ds 151 Js 3972/07) zu der Gesamtfreiheitsstrafe von nunmehr einem Jahr und zwei Monaten. Die im früheren Urteil des Amtsgerichts Grimma ausgesprochene Maßregel einer Fahrerlaubnissperre blieb aufrechterhalten.

Dieses Urteil ist infolge der Verwerfung der Revision des Beschwerdeführers durch Beschluss des 3. Strafsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 20. Mai 2009 am darauffolgenden Tag rechtskräftig geworden, § 34 a StPO.

2. Für die einbezogenen Strafen hatte sich der Beschwerdeführer im Zeitraum vom 25. Februar 2008 bis zu seiner Entlassung am 23. Dezember 2008 in Strafhaft befunden. Infolge der Anrechnung dieser Haftzeit gemäß § 41 Abs. 1 StVollstrO waren nach Eintritt der Rechtskraft am 21. Mai 2009 mehr als zwei Drittel der Gesamtfreiheitsstrafe verbüßt. Die Staatsanwaltschaft Leipzig hat daher die Sache der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Leipzig mit Verfügung vom 18. August 2009, dort eingegangen am 20. August 2009, zur Entscheidung über die Aussetzung des Strafrestes gemäß § 57 Abs 1 StGB vorgelegt.

3. Mit Beschluss vom 26. Oktober 2009 hat die Strafvollstreckungskammer eine Aussetzung des Strafrestes abgelehnt. Hiergegen richtet sich die fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde des Verurteilten. Die Generalstaatsanwaltschaft hält das Rechtsmittel für unbegründet und hat beantragt, die sofortige Beschwerde "aus den zutreffenden, durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräfteten Gründen der angefochtenen Entscheidung" zu verwerfen.

II.

Das Rechtsmittel hat Erfolg. Die von der Staatsanwaltschaft angerufene Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Leipzig war sachlich für die hier zu treffende Entscheidung nicht berufen. Sachlich zuständig ist vielmehr (weiterhin noch) der Jugendrichter des Amtsgerichts Grimma als Gericht des ersten Rechtszugs, § 462 a Abs. 2 Satz 1 StPO.

Zwar liegt die Entscheidungskompetenz in den Fällen des § 454 Abs. 1 StPO in der Regel bei der Strafvollstreckungskammer, § 462 a Abs. 1 Satz 1 StPO. Wenn aber - wie vorliegend - der Verurteilte ausschließlich die nach § 57 Abs. 4 StGB, § 41 StVollstrO anzurechnenden, infolge ihrer Einbeziehung in die neue Gesamtstrafe aber rechtlich nicht mehr selbständig existenten Einzelstrafen verbüßt hat und sich zu dem Zeitpunkt, in dem das Gericht mit der Entscheidung nach § 57 StGB befasst wird, auf freiem Fuß befindet, ist für diese Entscheidung das erkennende Gericht des ersten Rechtszugs zuständig (für vergleichbare Fälle der anzurechnenden Untersuchungshaft bei Wegfall infolge Rechtskrafteintritt: Meyer-Goßner StPO 52. Aufl., § 454 Rdnr. 42 m.w.N.).

Dies folgt aus § 462 a Abs. 2 Satz 1 StPO. Die Voraussetzungen, welche die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer nach § 462 a Abs. 1 Satz 1 begründen würden, liegen (für die neue, allein maßgebliche Gesamtfreiheitsstrafe) nicht vor. Zwar war durch die Vollstreckung der (einbezogenen) Strafen zuvor die sachliche Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer begründet gewesen, so dass aus der eng auszulegenden (OLG Dresden StV 1999, 551) Ausnahmevorschrift des § 462 a Abs. 1 Satz 2 StPO grundsätzlich auch eine Fortwirkungszuständigkeit dieser Kammer für nachfolgende Entscheidungen hergeleitet werden könnte. Jedoch waren die Strafen weder unterbrochen noch ihr Rest zur Bewährung ausgesetzt; auch war die Strafvollstreckungskammer nicht mit einer konkreten Entscheidungsfrage befasst, was ihre weiterwirkende Zuständigkeit begründen könnte. Überdies verloren die einbezogenen Strafen mit Eintritt der Rechtskraft der neuen Gesamtfreiheitsstrafe am 21. Mai 2009 ihre vollstreckungsrechtliche Selbständigkeit; Entscheidungen in Bezug auf sie wären gegenstandslos. Einer möglichen Gleichstellung des vorliegenden Falles mit einer "Unterbrechung" der durch späteren Rechtskrafteintritt überhaupt erst existent werdenden Gesamtfreiheitsstrafe steht schließlich die Wortlautgrenze des Art. 103 Abs. 2 GG entgegen. Daher endete mit dem Ende der rechtlich selbständigen Existenz der Einzelstrafen auch eine mögliche hieraus abzuleitende Fortwirkungszuständigkeit der Strafvollstreckungskammer.

Auch aus § 57 Abs.4 StGB i.V.m. § 41 StVollstrO kann eine Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer nicht hergeleitet werden. Ungeachtet dessen, dass der Beschwerdeführer am 23. Dezember 2008 bereits wieder aus der Strafhaft entlassen worden war (was grundsätzlich zur Beendigung der Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer führt), beschränken sich die Vorschriften allein auf die Berechnung der für die Aussetzung maßgeblichen Strafzeiten und hat keine Auswirkung auf die mit der nachträglichen Strafaussetzung zusammenhängenden Fragen (ebenso für die Fälle der in Strafhaft übergehenden Untersuchungshaft OLG Hamm StV 2003, 685).

Maßgeblich ist allein die neu gebildete Gesamtfreiheits- strafe, deren Vollstreckung nach Eintritt ihrer Rechtskraft einzuleiten war. Aus § 462 a Abs. 1 Satz 1 StPO ergibt sich die sachliche Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer für eine Entscheidung nach § 454 StPO, § 57 StGB allerdings erst dann, wenn der Verurteilte zu dem Zeitpunkt, in dem das Gericht mit der Sache befasst wird, in eine Justizvollzugsanstalt zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe aufgenommen worden ist. Der insoweit entscheidende Zeitpunkt ist daher der Vollzugsbeginn (vgl. hierzu auch BGHSt 26, 187, 189). Diese Fallkonstellation ist vorliegend aber nicht gegeben.

Für die (sachlich vergleichbaren) Fälle des § 460 StPO ist die Zuständigkeit des erstinstanzlichen Gerichts gesetzlich ausdrücklich vorgegeben, § 462 a Abs. 3 Satz 1 StPO.

III.

Nach alledem hat der angefochtene Beschluss keinen Bestand. Eine Entscheidung des Senats in der Sache ist ausgeschlossen. Zwar hat das Beschwerdegericht nach § 309 Abs. 2 StPO grundsätzlich anstelle des Erstgerichts selbst zu entscheiden. Dies gilt aber nicht für Fälle, in denen - wie vorliegend - die angefochtene Entscheidung nicht von dem gesetzlich vorgesehenen Spruchkörper getroffen worden ist und der Mangel im Beschwerdeverfahren nicht in dem Sinne auszugleichen ist, dass das Beschwerdegericht voll an die Stelle des ansich zur Entscheidung berufenen Spruchkörpers treten kann (vgl. BGHSt 38, 312; KK-Engelhardt, StPO 6. Aufl., § 309 Rdnr. 7). Die Staatsanwaltschaft wird die Akten dem zur Entscheidung berufenen Jugendrichter des Amtsgerichts Grimma - Zweigstelle Wurzen - vorzulegen haben. Da es sich bei der Entscheidung des Senats nicht um eine das Verfahren abschließende Entscheidung im Sinne des § 464 StPO handelt, war die Kosten- und Auslagenentscheidung dem zuständigen Jugendrichter vorzubehalten.