AG Zeven, Urteil vom 15.04.2005 - 3 C 85/05
Fundstelle
openJur 2012, 42802
  • Rkr:
Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von der Gebührenforderung vom 01.12.2004 seiner Prozessbevollmächtigten, Frau Rechtsanwältin ..., in Höhe von noch 224,11 EUR freizustellen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Eine Berufung gegen das Urteil wird gemäß § 511 Abs. 4 ZPO zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger verlangt Freistellung von einer anwaltlichen Gebührenforderung.

Zwischen den Parteien besteht ein Vertrag über eine Rechtsschutzversicherung auf der Grundlage der ARB 75. Der Kläger beauftragte am 19.10.2004 seine jetzige Prozessbevollmächtigte mit der Geltendmachung einer Forderung aus einem Arbeitsverhältnis. Die Beklagte erteilte auf Grund eines Schreibens der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 28.10.2004 (Bl. 45 d. A.) eine Deckungszusage für eine außergerichtliche Tätigkeit. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers forderte den ehemaligen Arbeitgeber des Klägers durch Schreiben vom 28.10.2004 zur Zahlung auf. Dieser wies die Forderungen des Klägers durch Schreiben vom 01.11.2004 zurück. Am 25.11.2004 erteilte der Kläger seiner Prozessbevollmächtigten Klagauftrag. Am 26.11.2004 vereinbarten der Kläger und seine Prozessbevollmächtigte, dass diese parallel zur weiteren Vorbereitung der Klage dem früheren Arbeitgeber ein Vergleichsangebot unterbreiten soll, was daraufhin geschah. Am 30.11.2004 erörterten die Prozessbevollmächtigte des Klägers und der frühere Arbeitgeber das Vergleichsangebot. Es kam zu einer abschließenden Einigung.

Eine Klagerhebung erfolgte nicht mehr.

Die Prozessbevollmächtigte des Klägers fertigte ihre Kostenrechnung vom 01.12.2004. Darin enthalten ist unter anderem eine 1,2 Terminsgebühr gemäß Nr. 3104 VV in Höhe von 193,20 EUR netto (Bl. 15 d. A.). Diese Gebühr ist streitgegenständlich.

Der Kläger trägt vor:

Die Beklagte sei zur Übernahme auch der Terminsgebühr verpflichtet. Die Terminsgebühr sei angefallen.

Der Kläger beantragt,

wie entschieden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor:

Die Terminsgebühr sei nicht angefallen. Denn ein Klagverfahren sei nicht rechtshängig bzw. anhängig gewesen.

Wegen des weiter gehenden Sach- und Streitstandes wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist begründet.

1. Der Kläger kann von der Beklagten Freistellung von der restlichen Gebührenforderung in Höhe von 224,11 EUR verlangen. Der Anspruch ergibt sich aus dem zwischen den Parteien bestehenden Versicherungsvertrag.

Nach dem Versicherungsvertrag hat der Kläger einen Anspruch auf Erstattung bzw. Übernahme der Kosten seiner Rechtsanwältin, soweit sich für diese nach den gesetzlichen Vorschriften ein Vergütungsanspruch ergibt. Hier kann die Prozessbevollmächtigte des Klägers eine Terminsgebühr gemäß Nr. 3104 RVG-VV in Höhe von 224,11 EUR verlangen. Es besteht ein entsprechender Freistellungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte.

Die Parteien streiten um die Frage, ob eine Terminsgebühr nach Nr. 3104 RVG-VV entsteht, wenn der Rechtsanwalt mit dem Gegner nach Klagauftrag, aber vor Anhängigkeit einer Klage ein Gespräch führt und eine Einigung erzielt.

Diese Problematik ist - soweit ersichtlich - gerichtlich bislang noch nicht entscheiden worden. In der Kommentierung werden unterschiedliche Standpunkte eingenommen. Hartmann bejaht die Entstehung einer Terminsgebühr, wenn der Rechtsanwalt einen Prozessauftrag hat (Hartmann Kostengesetze, 34. Auflage Rd.-Nr. 11 zu Nr. 3104 VV-RVG). Gerold-Schmidt-von Eicken-Madert-Müller-Rabe halten die Rechtshängigkeit des streitigen Anspruchs nicht für erforderlich, damit eine Terminsgebühr entsteht (16. Auflage Vorbemerkung 3 VV-Rd-Nr. 84).

Hartung/Römermann stellen auf die Bestellung des Rechtsanwalts zum Prozessbevollmächtigten ab (RVG Praxiskommentar 2004 VV Teil 3 Rd.-Nr. 9 und 10). Gebauer/Schneider halten die Anhängigkeit des Klageverfahrens für erforderlich, damit eine Terminsgebühr entsteht (Anwaltkommentar RVG 2. Auflage VV Vormerkung 3 Rd.-Nr. 127).

Nach Auffassung des Gerichts ist das Entstehen der Terminsgebühr nicht von der Anhängigkeit des Anspruchs abhängig. Voraussetzung ist vielmehr ausschließlich, dass der Anwalt einen Prozessauftrag hat.

Gegen die Entstehung einer Terminsgebühr bei fehlender Anhängigkeit bzw. Rechtshängigkeit spricht zwar die systematische Stellung der Nr. 3104 im 3. Teil des RVG-VV. Denn dort sind die Gebührentatbestände in den "bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten" und somit in den gerichtlichen Streitigkeiten geregelt (vgl. die Begründung in BT-Dr. 15/1971, S. 210). Allerdings sind in Teil 3 auch weitere Gebühren für den Fall aufgeführt, dass kein Gerichtsverfahren anhängig ist, z. B. die Nr. 3101. Daraus ergibt sich, dass nicht ausschließlich Gebührentatbestände im Zusammenhang mit einem gerichtlichen Verfahren in Teil 3 geregelt sind.

Der Wortlaut der Vormerkung 3 dritter Absatz zum Teil 3 des RVG-VV legt es nahe, das Entstehen der Terminsgebühr auch ohne Anhängigkeit zu bejahen.

Dort heißt es: "Die Terminsgebühr entsteht für die ... Mitwirkung an auf die Vermeidung ... des Verfahrens gerichteten Besprechungen ohne Beteiligung des Gerichts." Maßgeblich ist somit, ob ein gerichtliches Verfahren vermieden wird. Ein gerichtliches Verfahren kann aber nur dann vermieden werden, wenn es nicht zu Stande kommt, wenn also eine Anhängigkeit nicht eintritt. Mit dem Eintritt der Anhängigkeit kann von einer Vermeidung des gerichtlichen Verfahrens nach dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht mehr die Rede sein.

Auch die Motive sprechen dafür, dass eine Terminsgebühr auch ohne anhängiges Gerichtsverfahren entstehen kann. In den Motiven heißt es: "Der Anwalt soll nach seiner Bestellung zum Verfahrens- oder Prozessbevollmächtigten in jeder Phase des Verfahrens zu einer möglichst frühen, der Sach- und Rechtslage entsprechenden Beendigung des Verfahrens beitragen. Deshalb soll die Gebühr auch schon verdient sein, wenn der Rechtsanwalt an auf die Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechungen ohne Beteiligung des Gerichts mitwirkt, insbesondere wenn diese auf den Abschluss des Verfahrens durch eine gütliche Regelung zielen. Solche Besprechungen sind bisher nicht honoriert worden."

Soweit in den Motiven von einer "Bestellung" zum Verfahrens- und Prozessbevollmächtigten die Rede ist, kann dies entgegen der Auffassung der Beklagten nicht als Argument für das Erfordernis einer Anhängigkeit des Verfahrens verstanden werden. Denn die Bestellung erfolgt dadurch, dass der Mandant seinem Rechtsanwalt einen entsprechenden Auftrag erteilt. Die Mitteilung von der Bestellung an das Gericht wird im Gesetz als "Anzeige" der Bestellung bezeichnet, vgl. § 244 ZPO.

Bei der Auslegung ist auch der Anlass und der Sinn und Zweck der gesetzlichen Vorschriften zu berücksichtigen. Die Änderungen der Gebührentatbestände im RVG-VV erfolgten auch deswegen, um die Anzahl der Gerichtsverfahren zu verringern und so eine Entlastung der Gerichte zu bewirken. Würde man die Entstehung einer Terminsgebühr von der Anhängigkeit des Verfahrens abhängig machen, so würde das diesem Ziel entgegenwirken.

Maßgeblich für die Entstehung der Terminsgebühr ist somit nicht der Zeitpunkt der Anhängigkeit, sondern der Zeitpunkt des Prozessauftrags. Die Terminsgebühr kann entstehen, wenn der Mandant seinem Rechtsanwalt einen Prozessauftrag erteilt hat und dieser anschließend zur Vermeidung des gerichtlichen Verfahrens Besprechungen im Sinne der Vormerkung 3 Absatz 3 zu Teil 3 RVG-VV führt. Hier hat der Kläger seiner Prozessbevollmächtigten vor der telefonischen Erörterung einen solchen Prozessauftrag erteilt. Das ergibt sich aus dem handschriftlichen Vermerk, den der Kläger als Anlage 4 zur Klagschrift überreicht hat (Bl. 10 d. A.). Diesen Vermerk hat das Gericht im Rahmen des vereinfachten Verfahrens gem. § 495 a ZPO berücksichtigt und verwertet. Die Terminsgebühr gemäß Nr. 3104 RVG-VV ist daher angefallen.

Nach allem kann der Kläger somit Freistellung von dieser Gebühr verlangen.

2. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 713 ZPO.

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