Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 24.11.2004 - 12 ME 418/04
Fundstelle
openJur 2012, 42111
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Gründe

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem sein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die mit einer Anordnung des Sofortvollzuges versehene Fahrerlaubnisentziehungsverfügung des Antragsgegners vom 1. September 2004 abgelehnt worden ist, bleibt erfolglos. Der angegriffene Beschluss des Verwaltungsgerichts unterliegt unter den Gesichtspunkten, auf die sich der Antragsteller in der Begründung seiner Beschwerde beruft und auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, keinen Bedenken.

Das Verwaltungsgericht hat die von dem Antragsgegner auf der Grundlage der §§ 3 Abs. 1 StVG, 11 Abs. 8, 46 Abs. 1 FeV verfügte Fahrerlaubnisentziehung als offensichtlich rechtmäßig erachtet. Der Antragsteller sei der von dem Antragsgegner unter dem 18. August 2004 ausgesprochenen Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nicht nachgekommen, die auf der Grundlage der §§ 46 Abs. 3, 13 Nr. 2.a) FeV zu Recht erfolgt sei, weil im Falle des Antragstellers Tatsachen bekannt geworden seien, die einen Alkoholmissbrauch im Sinne der Nr. 8.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung wahrscheinlich erscheinen ließen. Das Verwaltungsgericht hat darauf verwiesen, dass der Antragsteller in der Zeit von 1990 bis 1999 insgesamt dreimal durch Straßenverkehrsdelikte, die er im Zustand sehr starker Alkoholisierung (2,21 g ‰ am 17.11.1990, 2,51 g ‰ am 17.6.1997 und 2,73 g ‰ am 6.5.1999) beging, auffällig geworden ist, woraufhin ihm jeweils die Fahrerlaubnis entzogen und nach für ihn positiv verlaufenen medizinisch-psychologischen Untersuchungen wiedererteilt wurde (zuletzt am 30. Januar 2001). Der Antragsteller sei danach zwar nicht wieder durch eine Trunkenheitsfahrt aufgefallen, jedoch in der Zeit vom 29. Mai 2002 bis zum 17. März 2004 mehrfach durch Vorfälle, bei denen er unter Alkoholeinfluss gestanden und teilweise ein aggressives Verhalten an den Tag gelegt habe, polizeilich aktenkundig geworden. Nach dem Bericht des Amtsarztes des Antragsgegners vom 15. Juli 2004 über eine Untersuchung des Antragstellers, der dieser sich auf eine zunächst ergangene Anordnung des Antragsgegners hin unterzogen habe, hätten sich in Form einer Lebervergrößerung, krankhafter Veränderungen von Laborwerten des Leberstoffwechsels und Stand- und Gangunsicherheiten Hinweise auf einen vermehrten Alkoholkonsum ergeben; eine zusätzliche medizinisch-psychologische Untersuchung sei empfohlen worden. Das Verwaltungsgericht hat schließlich darauf hingewiesen, es werde nicht übersehen, dass sich nach dem von dem Antragsteller vorgelegten Attest der praktischen Ärztin B. vom 5. August 2004 bei einer Untersuchung laborchemisch keine Hinweise auf eine Leberschädigung gefunden hätten und sich die Leber sonografisch als grenzwertig groß ohne Hinweise auf eine Fettleber oder sonstige Veränderung darstelle. Auch habe eine Blutuntersuchung durch den Facharzt für Allgemeinmedizin C. vom 3. September 2004 Werte ergeben, die im Normbereich gelegen hätten. Entsprechend hätten jedoch auch bei den bisher bei dem Antragsteller durchgeführten medizinisch-psychologischen Untersuchungen die maßgebenden Werte stets im Normbereich gelegen, trotzdem sei es dann immer wieder zu Trunkenheitsfahrten gekommen.

Mit den Angriffen, die der Antragsteller im Beschwerdeverfahren gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts richtet, vermag er die Feststellung, der Antragsgegner habe gemäß § 11 Abs. 8 FeV zu Recht auf seine Nichteignung geschlossen, weil er das nach § 13 Nr. 2.a) FeV in rechtmäßiger Weise angeforderte Gutachten nicht beigebracht (bzw. verweigert) habe, nicht zu erschüttern.

Der Antragsteller macht in seiner Beschwerdebegründung zunächst geltend, das Verwaltungsgericht habe in seine Bewertung der Erfolgsaussichten des gegen die Fahrerlaubnisentziehungsverfügung eingelegten Rechtsbehelfs zu Unrecht die alkoholbedingten Delikte aus den Jahren 1990, 1997 und 1999 einbezogen. Diese Tatsachen seien bereits Grundlage bestandskräftiger Verwaltungsentscheidungen gewesen, ein neuerlicher Rückgriff auf sie käme im Ergebnis einem voraussetzungslosen Widerruf der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis vom 30. Januar 2001 gleich. Die Fahrerlaubnisentziehung dürfe nur auf Tatsachen gestützt werden, die nach der Wiedererteilung bekannt geworden seien.

5Dieser Einwand geht fehl. In der Rechtsprechung des Senats ist anerkannt (Beschlüsse vom 22.9.2000 - 12 L 3300/00 -, S. 5 f. BA und vom 22.11.2002 - 12 ME 170/02 -, S. 3 BA), dass Tatsachen im Sinne von § 46 Abs. 3 FeV auch in Umständen gefunden werden können, die bereits vor Erteilung der nunmehr entzogenen Fahrerlaubnis vorhanden gewesen sind. Dies rechtfertigt sich aus der Notwendigkeit, bei der Beurteilung der Fahreignung die Persönlichkeit des Kraftfahrers insgesamt in den Blick zu nehmen. Eine - hier nicht eingreifende - Grenze ist einer derartigen Betrachtung nur durch die Vorschriften der §§ 52 Abs. 2 BZRG, 29 StVG über die Tilgung von Eintragungen in das Verkehrszentralregister und deren Verwertbarkeit gezogen.

6Der Antragsteller meint weiterhin, das Verwaltungsgericht habe übersehen, dass nach §§ 46 Abs. 3, 13 Nr. 1 FeV die Anordnung zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens Vorrang vor der Aufforderung zu einer medizinisch-psychologischen Untersuchung habe. Das durch den Antragsgegner zunächst angeordnete und durch den Amtsarzt unter dem 15. Juli 2004 erstattete Gutachten genüge jedoch im Hinblick auf die Kriterien der Wissenschaftlichkeit, Nachprüfbarkeit und Nachvollziehbarkeit nicht den Anordnungen der Anlage 15 zur Fahrerlaubnis-Verordnung und sei deshalb nicht geeignet, als Grundlage für die weitere Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu dienen.

In diesem Zusammenhang vernachlässigt der Antragsteller, dass nur die erste Alternative des § 13 Nr. 2.a) FeV die Voraussetzung aufstellt, dass nach einem eingeholten ärztlichen Gutachten Anzeichen für einen Alkoholmissbrauch vorliegen, während § 13 Nr. 2.a) 2. Alt. FeV das Vorliegen sonstiger Tatsachen, die die Annahme eines Alkoholmissbrauchs begründen, genügen lässt.

Hinzu kommt, dass die von dem Antragsteller beigebrachten ärztlichen Atteste betreffend die Normgerechtigkeit der Größe und der Laborwerte seiner Leber nicht quasi automatisch die Unrichtigkeit der insoweit Zweifel bekundenden amtsärztlichen Stellungnahme vom 15. Juli 2004 belegen. Immerhin wurden bei dem Antragsteller laut Attest des Arztes C. am 3. September 2004 ein GOT-Wert von 28 U/L, ein GPT-Wert von 42 U/L und ein GGT-Wert von 28 U/L festgestellt, während sich die entsprechenden Werte bei der letzten medizinisch-psychologischen Untersuchung des Antragstellers im Januar 2001 noch auf 8, 11 und 18 U/L belaufen hatten. Selbst bei Annahme einer Normgerechtigkeit auch der nunmehr stark angestiegenen Werte, könnte allein deswegen eine bei dem Antragsteller gegebene Alkoholproblematik nicht ausgeschlossen werden. Hinzu kommt weiterhin, dass sich die von dem Antragsteller vorgelegten privatärztlichen Atteste weder mit den in der amtsärztlichen Stellungnahme genannten Stand- und Gangunsicherheiten, noch mit dem Umstand befassen, dass der Antragsteller gegenüber dem Amtsarzt eingeräumt hat, seit dem Tod seiner Ehefrau vor fünf Jahren Alkoholprobleme zu haben. Im Ergebnis ist der Senat der Überzeugung, dass die durch den Antragsgegner unter dem 18. August 2004 verfügte Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens bereits auf der Grundlage des § 13 Nr. 2.a) 1. Alt. FeV gerechtfertigt war.

Auch das weitere Beschwerdevorbringen das Antragstellers, das gegen die Annahme des § 13 Nr. 2.a) 2. Alt. FeV als Grundlage für die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gerichtet ist, greift nicht durch. Der Antragsteller macht insoweit geltend, bei ihm seien Verhaltensweisen, die auf eine Alkoholabhängigkeit oder auf einen Alkoholmissbrauch im Sinne der fehlenden Fähigkeit zur Trennung zwischen Alkoholgenuss und Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehrs schließen ließen, nicht feststellbar. Insbesondere lasse sich den durch den Antragsgegner und das Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Polizeiberichten lediglich entnehmen, dass er im privaten Bereich während eines längeren Zeitraums dreimal Alkohol zu sich genommen habe, wobei ein Zusammenhang mit einer Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr nicht bestanden habe.

Durch diese bagatellisierende Einlassung wird der Antragsteller den Fallumständen, die in die Betrachtung einzubeziehen sind, nicht gerecht. Vielmehr lassen sich diesen zur Überzeugung des Senats in hinreichendem Umfang Tatsachen entnehmen, die im Sinne des § 13 Nr. 2.a) 2. Alt. die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens rechtfertigten.

11Aus den in dem beigezogenen Verwaltungsvorgang des Antragsgegners enthaltenen Polizeiberichten ergibt sich, dass der Antragsteller in der Zeit von Juni 2003 bis März 2004 mehrfach tagsüber in stark alkoholisiertem Zustand - wenn auch außerhalb der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr - polizeilich aufgefallen ist. Dies begründet den tatsachengeschützten Verdacht, dass der Antragsteller, der bereits in der Zeit von 1990 bis 1999 dreimal mit erheblichen - weit über dem Wert von 2 ‰ liegenden - Blutalkoholkonzentrationen aktenkundig geworden ist, häufig und in großen Mengen Alkohol zu sich nimmt und entsprechend weit überdurchschnittlich an Alkohol gewöhnt ist. Er hat in der Vergangenheit mit den festgestellten Blutalkoholkonzentrationen von über 2 ‰ auch am motorisierten Straßenverkehr teilgenommen. Trotz der in der Vergangenheit erstatteten medizinisch-psychologischen Gutachten mit für den Antragsteller positivem Ausgang spricht daher Überwiegendes dafür, dass das nunmehr (wiederum) bei dem Antragsteller festgestellte Alkoholproblem die latente Gefahr weiterer Alkoholauffälligkeiten auch im Straßenverkehr in sich birgt. Dies gilt um so mehr vor dem Hintergrund, dass der Antragsteller bei den neuerlich aktenkundig gewordenen Vorfällen ein hohes Aggressionspotenzial erkennen ließ. Der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes (Beschl. vom 18.9.2000 - 9 W 5/00 -, zfs 2001, 92) und des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes (Beschl. vom 9.11.2000 - 2 TG 3571/00 -, LS in: DVBl. 2001, 843), derzufolge eine Alkoholauffälligkeit nur dann Anlass für eine Anordnung nach § 13 Nr. 2.a) 2. Alt. FeV gibt, wenn sie in einem Zusammenhang mit der Teilnahme am Straßenverkehr steht, hat sich der Senat bereits bisher nicht angeschlossen (Beschl. vom 22.11.2002 - 12 ME l 770/02 -, S. 4 BA; vgl. auch: Beschl. vom 28.3.2003 - 12 LA 65/03 -, S. 6 BA) und vermag dies auch weiterhin nicht zu tun. Denn eine solche Interpretation würde der Auffangfunktion der Vorschrift des § 13 Nr. 2.a) 2. Alt. FeV nicht gerecht, mit der sichergestellt werden soll, dass die Fahrerlaubnisbehörde in Fällen eines greifbaren Gefahrenverdachts nicht sehenden Auges untätig bleiben und abwarten muss, bis Verdachtsmomente hinzutreten, die einen unmittelbaren Bezug zum Straßenverkehr aufweisen (so zutreffend: VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 22.1.2001 - 10 S 2032/00 -, DAR 2001, 233; vom 24.6.2002 - 10 S 985/02 -, zfs 2002, 504, 506 f. und Beschl. vom 29.7.2002 - 10 S 1164/02 -, zfs 2002, 555 f.).