VG Braunschweig, Beschluss vom 13.07.2004 - 6 B 297/04
Fundstelle
openJur 2012, 41737
  • Rkr:

1. An die ausdrückliche und rechtskräftige Feststellung des Strafgerichts, der Täter sei zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet, ist die Fahrerlaubnisbehörde grundsätzlich gebunden. Dies gilt nicht, wenn es Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der strafrichterlichen Feststellungen gibt oder wenn neue Umstände zu einer anderen Beurteilung der Fahreignung zwingen und die Behörde daher zum Vorteil des Betroffenen von den strafrichterlichen Feststellungen abzuweichen hat.

2. Der Entziehung der Fahrerlaubnis aufgrund einer strafgerichtlichen Feststellung fehlender Fahreignung steht ein danach eingeholtes Eignungsgutachten mit für den Betroffenen positivem Ergebnis nicht entgegen, wenn die strafrichterliche Feststellung eine andere Eignungsfrage betrifft und die Annahme fehlender Fahreignung daher selbstständig trägt.

3. Die Bindung der Fahrerlaubnisbehörde an die strafgerichtliche Feststellung fehlender Fahreignung gilt bis zum Ablauf der von dem Gericht angeordneten Sperrfrist.

4. Bei der Berechnung einer Sperrfrist, die das Strafgericht gegen einen Täter ohne Fahrerlaubnis angeordnet hat (sog. isolierte Sperre), ist die Einrechnungsregelung des § 69a Abs. 5 Satz 2 StGB auch nicht analog anwendbar.

Gründe

I.

Der Antragsteller, der über eine Fahrerlaubnis der Klasse B verfügte, wendet sich dagegen, dass die Antragsgegnerin ihm die Fahrerlaubnis entzogen hat.

Der Antragsteller führte am 15. Dezember 2000 einen Pkw mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,35 0/00 und am 28. Dezember 2000 mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,17 0/00. Das Amtsgericht Wolfsburg verurteilte ihn im Hinblick auf die erste der beiden Taten mit Strafbefehl vom 1. Februar 2001 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr und entzog dem Antragsteller die Fahrerlaubnis. Hinsichtlich des weiteren Vorfalls verurteilte das Amtsgericht Wolfsburg den Antragsteller am 6. Juni 2001 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis; das Gericht ordnete eine Sperre für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis bis zum Dezember 2002 an.

Nachdem der Antragsteller bei der Antragsgegnerin die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis beantragt hatte, kam ein auf Anforderung der Antragsgegnerin eingeholtes medizinisch-psychologisches Gutachten vom 18. Februar 2003 zu dem Ergebnis, es bestünden weiterhin durchgreifende Zweifel an der Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen.

Am 25. August 2003 verurteilte das Amtsgericht Haldensleben den Antragsteller auf Grund eines Vorfalls vom 3. Juni 2002 wegen vorsätzlichen unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis sowie wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten und setzte die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus (Az. 1 Ds 778 Js 41336/02-10/03). Außerdem ordnete das Amtsgericht an, dem Antragsteller dürfe vor Ablauf von noch neun Monaten keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden. In dem Urteil heißt es unter anderem, der Antragsteller habe sich durch seine Tat als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Urteilsbegründung wird auf die Entscheidung verwiesen (Bl. 15 ff. der Gerichtsakte). Der Antragsteller erhob gegen das Urteil Berufung.

In einem medizinisch-psychologischen Gutachten vom 21. November 2003, das der Antragsteller auf Anforderung der Antragsgegnerin vorlegte, kam das medizinisch-psychologische Institut des TÜV Nord zu dem Ergebnis, beim Antragsteller lägen keine eignungsausschließenden Beeinträchtigungen als Folge eines unkontrollierten Alkoholkonsums vor; im Übrigen müsse nicht erwartet werden, dass der Antragsteller zukünftig ein Kfz unter Alkoholeinfluss führen werde. Wegen der Einzelheiten der von den Gutachtern getroffenen Feststellungen und der zu Grunde gelegten Tatsachen wird auf das Gutachten Bezug genommen (Bl. 59 ff. der Beiakte).

Die Antragsgegnerin erteilte dem Antragsteller auf dieser Grundlage unter dem 15. Januar 2004 eine neue Fahrerlaubnis der Klassen B, M und L. Dabei waren ihr weder das Urteil des Amtsgerichts Haldensleben noch die dieser Entscheidung zu Grunde liegenden Taten des Antragstellers bekannt.

Im April 2004 nahm der Antragsteller die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Haldensleben zurück. Mit Beschluss des Landgerichts Magdeburg vom 29. April 2004 wurde das Berufungsverfahren abgeschlossen.

Mit Bescheid vom 23. Juni 2004 entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller die Fahrerlaubnis und ordnete die sofortige Vollziehung der Verfügung an. Zur Begründung führte sie aus, aus dem Urteil des Amtsgerichts ergebe sich, dass der Antragsteller ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sei, sodass ihm die Fahrerlaubnis mit sofortiger Wirkung entzogen werden müsse; die vom Amtsgericht angeordnete Sperrfrist laufe erst im Januar 2005 ab.

Gegen den Bescheid erhob der Antragsteller mit Schreiben vom 29. Juni 2004, das am darauf folgenden Tag bei der Antragsgegnerin einging, Widerspruch, über den – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden ist.

Außerdem hat er bei Gericht die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragt. Dazu macht er im Wesentlichen Folgendes geltend:

Die Antragsgegnerin habe die Anordnung sofortiger Vollziehung nicht ausreichend begründet. Die Verfügung sei rechtswidrig, weil die vom Amtsgericht angeordnete Sperrfrist, die ab dem Erlass des strafgerichtlichen Urteils zu berechnen sei, im Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung bereits abgelaufen sei. Im Übrigen habe er mit dem medizinisch-psychologischen Gutachten vom November 2003 den Nachweis erbracht, dass er wieder zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet sei. Die Verfügung sei auch nicht vorschriftsgemäß unterschrieben; dafür genüge es nicht, dass eine Unterschrift auf einer gesonderten Seite nach der Rechtsbehelfsbelehrung und einem weiteren Hinweis angefügt sei.

Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs und einer eventuell nachfolgenden Klage gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 23. Juni 2004 wiederherzustellen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie macht geltend, da das Amtsgericht die fehlende Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen bereits festgestellt hatte, sei eine Eignungsprüfung durch die Fahrerlaubnisbehörde nicht mehr erforderlich gewesen. Das Eignungsgutachten sei im Übrigen in Unkenntnis der erneuten Verurteilung erstellt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin verwiesen.

II.

Der nach § 80 Abs. 5 VwGO statthafte Antrag ist zulässig, aber nicht begründet. Die Antragsgegnerin hat die sofortige Vollziehung des mit Bescheid vom 23. Juni 2004 verfügten Fahrerlaubnisentzuges rechtmäßig angeordnet.

Die Anordnung sofortiger Vollziehung ist formell ordnungsgemäß erfolgt. Die Antragsgegnerin hat insbesondere in noch ausreichender Weise schriftlich begründet, warum das besondere Interesse an dem Sofortvollzug als gegeben erachtet wird (vgl. § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO). Zwar weist der Antragsteller zutreffend darauf hin, dass die Fahrerlaubnisbehörde ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Maßnahme dartun muss und dass sie zur Begründung des Sofortvollzugs daher grundsätzlich nicht allein auf die ihrer Ansicht nach fehlende Eignung des Fahrerlaubnisinhabers zum Führen von Kraftfahrzeugen verweisen darf (vgl. Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl., Rn. 1271). Die Antragsgegnerin hat sich auf einen solchen einfachen Hinweis aber nicht beschränkt. Sie hat vielmehr ausdrücklich auf das zum Zeitpunkt ihrer Verfügung bereits rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts Haldensleben verwiesen, das den Antragsteller auf der Grundlage von § 69 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3 StGB als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen angesehen hat. Mit der rechtskräftigen strafgerichtlichen Feststellung fehlender Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen erlischt eine bestehende Fahrerlaubnis (§ 69 Abs. 3 StGB). Diese Regelung kam hier nicht unmittelbar zur Anwendung, weil der Antragsteller zum Zeitpunkt des amtsgerichtlichen Urteils nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis gewesen ist. Die Antragsgegnerin hat durch die Bezugnahme auf die Feststellungen des Amtsgerichts in noch ausreichender Weise deutlich gemacht, dass die von ihr in Unkenntnis des strafgerichtlichen Verfahrens erteilte Fahrerlaubnis aus ihrer Sicht wegen der Feststellungen des Amtsgerichts und der den Regelungen in § 69 StGB zu Grunde liegenden Wertungen des Gesetzgebers sofort wieder entzogen werden müsse.

Auch aus materiell-rechtlichen Gründen besteht keine Veranlassung, die aufschiebende Wirkung des gegen den Bescheid erhobenen Widerspruchs wiederherzustellen.

Die Anordnung sofortiger Vollziehung ist inhaltlich rechtmäßig, wenn das öffentliche Interesse am Sofortvollzug der Maßnahme die privaten Interessen des von der Vollziehungsanordnung Betroffenen überwiegt. Das ist der Fall, wenn schon bei der im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes allein gebotenen summarischen Prüfung die Rechtmäßigkeit des Fahrerlaubnisentzuges eindeutig zu erkennen ist oder wenn sich die Zweifel an der Fahreignung des Betroffenen so weit verdichtet haben, dass die dringende Besorgnis besteht, der Betroffene werde andere Verkehrsteilnehmer bei einer weiteren Teilnahme am Straßenverkehr ernsthaft gefährden (vgl. Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl., Rn 1273 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

Die hier allein mögliche summarische Prüfung ergibt, dass die Antragsgegnerin die Fahrerlaubnis zu Recht entzogen hat. Rechtsgrundlage für die Fahrerlaubnisentziehung ist die Regelung in § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 FeV, wonach die Fahrerlaubnisbehörde einem Kraftfahrzeugführer die Fahrerlaubnis zu entziehen hat, wenn er sich als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist.

Die Antragsgegnerin hat zu Recht auf diese Vorschriften abgestellt und nicht die Rücknahme der Fahrerlaubnis verfügt, die sie unter dem 15. Januar 2004 in Unkenntnis des strafgerichtlichen Urteils vom 25. August 2003 und der dort getroffenen Feststellungen zur fehlenden Fahreignung erteilt hatte. Gegenüber den allgemeinen Vorschriften über die Rücknahme von Verwaltungsakten in § 48 VwVfG enthalten die straßenverkehrsrechtlichen Bestimmungen über die Entziehung der Fahrerlaubnis die spezielleren Regelungen, die daher auch dann anzuwenden sind, wenn die Fahrerlaubnis rechtswidrig erteilt wurde und deshalb wieder aberkannt werden soll (vgl. Niedersächsisches OVG, Urt. vom 27.09.1991, Nds. MBl. 1992, 225 – LS – ; VG Braunschweig, Beschl. vom 17.09.2002 - 6 B 530/02 - m. w. N.).

Die Fahrerlaubnisentziehung durch die Antragsgegnerin geht auch nicht etwa ins Leere. Die Fahrerlaubnis erlischt nur dann mit der Rechtskraft des strafgerichtlichen Urteils, wenn sie in dem Urteil entzogen worden ist (vgl. § 69 Abs. 3, Abs. 1 StGB). Dies war hier nicht der Fall. Das Amtsgericht Haldensleben hat in seinem Urteil vom 25. August 2003 nicht die Entziehung der Fahrerlaubnis ausgesprochen, weil der Antragsteller eine solche Erlaubnis seinerzeit nicht besessen hat. Die im Januar 2004 – nach Verkündung des strafgerichtlichen Urteils – durch die Antragstellerin neu erteilte Fahrerlaubnis blieb von dem im April rechtskräftig gewordenen Urteil daher unberührt.

Die Voraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 FeV sind erfüllt. Die Antragsgegnerin ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Antragsteller nach gegenwärtigem Sachstand zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet ist.

Das ergibt sich aus dem rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts Haldensleben vom 25. August 2003, in dem das Gericht die fehlende Fahreignung ausdrücklich festgestellt hat. An derartige strafrichterliche Feststellungen ist die Fahrerlaubnisbehörde im Fahrerlaubnisentziehungsverfahren grundsätzlich gebunden (vgl. § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG sowie BVerwG, Urt. vom 15.07.1988, BVerwGE 80, 43, 46 = NJW 1988, 116, 117; Urt. vom 03.09.1992, NZV 1992, 501). Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der tatsächlichen Feststellungen, die der Entscheidung des Amtsgerichts zu Grunde liegen, sind nicht ersichtlich.

Die Antragsgegnerin war auch nicht auf Grund nachträglich eingetretener Tatsachen dazu gezwungen, zum Vorteil des Antragstellers von den Fahreignungsfeststellungen des Amtsgerichts abzuweichen (vgl. dazu BVerwG, Urt. vom 15.07.1988, aaO.; Bouska/Laeverenz, Fahrerlaubnisrecht, 3. Aufl., § 3 StVG Erl. 27). Insbesondere steht den Feststellungen des Amtsgerichts das inzwischen vorliegende medizinisch-psychologische Gutachten vom 21. November 2003 nicht entgegen. Gegenstand dieses Gutachtens waren ausschließlich die Fragen, ob nach den zwei Trunkenheitsfahrten des Antragstellers im Jahre 2000 zu erwarten ist, dass er zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen wird, und ob als Folge eines unkontrollierten Alkoholkonsums Beeinträchtigungen vorliegen, die das sichere Führen eines Kraftfahrzeugs in Zweifel ziehen (S. 2 und 4 des Gutachtens). Dementsprechend haben die Gutachter lediglich festgestellt, dass auf den Konsum von Alkohol zurückzuführende Eignungszweifel nicht bestehen (vgl. S. 15 des Gutachtens und § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV i. V. m. Nr. 8 der Anlage 4 zur FeV). Dagegen ist das Amtsgericht Haldensleben in seinem Urteil vom 25. August 2003 unter Bezugnahme auf die Regelungen in § 69 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3 StGB zu dem Ergebnis gekommen, der Antragsteller habe sich durch die von ihm begangene Straftat (d. h. wegen des vorsätzlichen unerlaubten Entfernens vom Unfallort i. V. m. vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis) als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen. Dieser Gesichtspunkt, der die Feststellung fehlender Fahreignung selbstständig trägt (vgl. auch § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV), ist in dem medizinisch-psychologischen Gutachten nicht berücksichtigt worden.

Der Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Antragsgegnerin steht auch nicht entgegen, dass das Amtsgericht Haldensleben in seinem Urteil gemäß § 69a Abs. 1 Satz 3 StGB eine Sperrfrist von neun Monaten angeordnet hat. Zwar ist zumindest zweifelhaft, ob die Antragsgegnerin die Fahrerlaubnis auch dann sofort hätte entziehen dürfen, wenn die Sperrfrist im Zeitpunkt ihrer Verfügung bereits abgelaufen gewesen wäre. Wenn auch die Fahrerlaubnisbehörde nach Ablauf der Sperrfrist nicht ohne weiteres wieder von der Fahreignung auszugehen hat, so hat sie doch jedenfalls eigenverantwortlich zu prüfen, ob der Betroffene nunmehr wieder als geeignet anzusehen ist; dies wird nach Ablauf einer gemäß § 69a Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB angeordneten Sperrfrist zumindest regelmäßig dazu führen, dass die Behörde ein Eignungsgutachten anzufordern hat (vgl. auch § 46 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 FeV sowie Bouska/Laeverenz, aaO., § 69a StGB Erl. 3; Tröndle/Fischer, StGB, 51. Aufl., § 69a Rn. 19). Die Frage kann hier aber offen bleiben, weil die Antragsgegnerin zu Recht davon ausgegangen ist, dass die vom Amtsgericht Haldensleben ausgesprochene Sperrfrist im Zeitpunkt des Erlasses ihrer Verfügung vom 23. Juni 2004 noch nicht abgelaufen war.

Die neunmonatige Sperrfrist begann mit der Rechtskraft des strafgerichtlichen Urteils zu laufen, also im April 2004, und wird daher erst im Januar 2005 beendet sein (vgl. § 69a Abs. 5 Satz 1 StGB). Die Einrechnung der seit der Verkündung des Urteils am 25. August 2003 bis zum Eintritt der Rechtskraft verstrichenen Zeit mit der Folge, dass dieser Zeitraum von etwa acht Monaten abgezogen werden müsste und die Frist somit bereits im Mai 2004 abgelaufen wäre, käme nur auf der Grundlage des § 69a Abs. 5 Satz 2, Abs. 6 StGB in Betracht. Diese Regelung ist hier aber nicht anwendbar. Sie sieht die Einrechnung nur in den Fällen vor, in denen die Fahrerlaubnis nach dem strafgerichtlichen Urteil vorläufig entzogen (§ 111a StPO) oder der Führerschein verwahrt, sichergestellt oder beschlagnahmt war (§ 94 StPO). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Der Antragsteller war bei Verkündung des amtsgerichtlichen Urteils am 25. August 2003 nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis. Diese war ihm bereits im Jahr 2001 vom Amtsgericht Wolfsburg entzogen worden.

Die Einrechnungsregelung in § 69a Abs. 5 Satz 2 StGB ist auf Sperrfristen, die das Strafgericht gegenüber einem Täter ohne Fahrerlaubnis anordnet (sog. isolierte Sperre), auch nicht analog anwendbar (überwiegende Auffassung, s. OLG Nürnberg, Beschl. vom 31.10.1986, DAR 1987, 28; OLG München, Beschl. vom 03.08.1984 - 1 Ws 648/84 -; OLG Düsseldorf, Beschl. vom 11.03.1970, VRS 39, 259; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., § 69a StGB Rn. 10 m. w. N.; Tröndle/Fischer, aaO., § 69a Rn. 13; a. A. OLG Saarbrücken, Urt. vom 21.02.1974, NJW 19074, 1391, 1393 f.; LG Nürnberg-Fürth, Beschl. vom 10.03.1976, NJW 1977, 446; LG Stuttgart, Beschl. vom 22.09.2000, NZV 2001, 180, 181). Eine Analogie käme nur in Betracht, wenn der vorliegende Sachverhalt in allen nach dem Sinnzusammenhang der gesetzlichen Regelung maßgeblichen Hinsichten mit den vom Gesetzeswortlaut umfassten Fällen übereinstimmen würde und daher zwingend gleich zu behandeln wäre. Dies ist jedoch nicht der Fall. Dem Täter, dessen Fahrerlaubnis vorläufig entzogen oder dessen Führerschein von den Strafverfolgungsbehörden einbehalten wird, wird eine Rechtsposition genommen. Dieser Verlust beruht stets auf der Straftat und dem durch sie indizierten Eignungsmangel. Für den Täter, der wie der Antragsteller schon im Zeitpunkt der strafgerichtlichen Entscheidung auf Grund anderer Vorfälle nicht mehr im Besitz einer Fahrerlaubnis ist, bestehen im Zeitraum bis zur Rechtskraft des strafgerichtlichen Urteils keine vergleichbaren Nachteile. Die analoge Anwendung der Einrechnungsvorschrift könnte in diesen Fällen dazu führen, dass ein Zeitraum abgezogen wird, in dem die Fahrerlaubnisentziehung nicht auf der in der fraglichen Entscheidung des Strafgerichts abgeurteilten Tat und den sich daraus konkret ergebenden Eignungsmängeln beruht. Wegen dieser Unterschiede ist eine unterschiedliche Regelung der Sachverhalte jedenfalls vertretbar. Hinzu kommt, dass die für eine Analogie erforderliche Regelungslücke – d. h. eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes – unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte der Vorschriften nicht ersichtlich ist (s. dazu OLG Nürnberg, aaO., S. 28).

Es bestehen auch keine Zweifel daran, dass die angegriffene Verfügung den gesetzlichen Formvorschriften genügt. Insbesondere enthält der Bescheid die vorgeschriebene Unterschrift (vgl. § 37 Abs. 3 Satz 1 VwVfG i. V. m. § 1 Abs. 1 Nds. VwVfG). Auch in dem von dem Antragsteller vorgelegten Exemplar der Verfügung (Bl. 9 ff. der Gerichtsakte) sind die Seiten fortlaufend nummeriert. Daher ist ohne Zweifel davon auszugehen, dass die den Text abschließende Unterschrift des beauftragten Mitarbeiters der Antragsgegnerin auf Seite 3 des Bescheides auf den vorangehenden Text in seiner Gesamtheit bezogen ist.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus der Anwendung des § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf der Regelung in § 20 Abs. 3 GKG i. V. m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG a. F. und § 71 Abs. 1 sowie § 72 Nr. 1 GKG n. F. und entspricht der ständigen Rechtsprechung der Kammer und des Niedersächsischen OVG in Verfahren, in denen Fahrerlaubnisse der Klasse B (einschließlich der davon gemäß § 6 Abs. 3 Nr. 3 FeV umfassten Fahrerlaubnisklassen) betroffen sind. Der sich danach ergebende Betrag von 4 000 Euro war für das vorliegende Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zu halbieren.

Die Beschwerde gegen die Streitwertfestsetzung wegen grundsätzlicher Bedeutung wird nicht zugelassen.