OLG Rostock, Urteil vom 07.11.2008 - 5 U 153/08
Fundstelle
openJur 2009, 1151
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 10 O 291/06
Zivilrecht Versicherungsrecht
§§ 6, 61 VVG; §§ 7, 12 AKB
Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 31.01.2008 verkündete Urteil des Landgerichtes Rostock - 10 O 291/06 - geändert:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, falls nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen

5. Gegenstandswert des Berufungsverfahrens: 40.303,45 EUR

Gründe

I.

Der Kläger macht Ansprüche aus einer Kasko-Versicherung geltend und trägt vor, sein Fahrzeug sei ihm am 04.05.2005 in Danzig entwendet worden. Zu den Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes nimmt der Senat Bezug auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils, mit dem der Klage stattgegeben wurde. Der Einzelrichter führt zur Begründung aus, die Beklagte sei aus dem Kasko-Versicherungsvertrag zur Zahlung von 40.303,45 EUR verpflichtet. Der Diebstahl des Fahrzeugs stehe aufgrund der Aussage des Zeugen ... fest. Der Anspruch des Klägers sei nicht gem. § 61 VVG wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Schadensfalles ausgeschlossen. Die Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 VVG lägen nicht vor.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihren Klageabweisungsantrag weiter verfolgt. Zur Begründung trägt sie vor, das Landgericht habe verkannt, dass der Kläger den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt habe, indem er das Fahrzeug mit Zündschlüssel im Zündschloss sowie unverschlossen zurückgelassen habe. Der Kläger habe in der konkreten Situation keine Zugriffsmöglichkeit auf das Fahrzeug gehabt. Er habe sich auf der Beifahrerseite einige Meter von dem Fahrzeug entfernt. Deswegen habe er keine Möglichkeit mehr gehabt, dritte Personen an der Entwendung des Fahrzeuges zu hindern. Ein Beschluss der OLG-Koblenz vom 15. Dezember 2006 habe einen absolut gleichgelagerten Sachverhalt zum Gegenstand. Das OLG Koblenz habe die Leistungsfreiheit des Versicherers mit der Begründung bejaht, dem Versicherungsnehmer falle eine grob fahrlässige Herbeiführung der Entwendung des Fahrzeuges zur Last. Auch in jenem Fall habe der Geschäftsführer der Klägerin das Fahrzeug verlassen. Dieses sei unverschlossen geblieben und der Zündschlüssel habe im Zündschloss gesteckt. Das Fahrzeug sei zeitweilig der Aufmerksamkeit des Geschäftsführers der Klägerin entzogen gewesen und dieser habe erst reagiert, als es sich bereits in Bewegung gesetzt habe.

Das Landgericht habe unberücksichtigt gelassen, dass der Schadensfall sich in Polen ereignet habe. Dem Kläger habe bekannt sein müssen, dass das Risiko, in Polen Opfer eines Fahrzeugdiebstahls zu werden, besonders groß sei.

Überdies stehe der Klageforderung entgegen, dass die Beklagte wegen einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung des Klägers leistungsfrei sei. Der Kläger habe falsche Angaben zu den Umständen der Entwendung gemacht und dadurch die Aufklärungspflicht des § 7 I (2) S. 4 AKB verletzt. Dem Versicherungsvertrag zwischen den Parteien hätten die AKB zugrundegelegen. Die Angaben des Klägers gegenüber der Beklagten seien wahrheitswidrig gewesen und hätten im Widerspruch zu seinen Angaben gegenüber der polnischen Polizei gestanden. In der Anlage zur Schadensanzeige habe der Kläger behauptet, er habe keine konkrete Erinnerung mehr an die Umstände des Schadenseintritts. Gegenüber den Polizeibeamten und Zeugen ... habe der Kläger konkrete Kenntnis über sämtliche Details der Entwendung gehabt. Die Angabe fehlenden Erinnerungsvermögens gegenüber der Beklagten sei schlichtweg falsch. Jedenfalls beim Ausfüllen des Schadensformulars sei der Kläger Herr seiner Sinne gewesen. Der Kläger habe auch bewusst verschwiegen, dass er nach dem Verlassen des Fahrzeuges den Zündschlüssel im Zündschloss stecken gelassen und das Fahrzeug nicht ordnungsgemäß verschlossen habe. Die objektiven Falschangaben des Klägers begründeten die Vermutung für vorsätzliches Fehlverhalten. Einen Nachweis für geringeres Verschulden habe der Kläger nicht geführt.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil des Landgerichts Rostock abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrages. Mit großer Wahrscheinlichkeit sei davon auszugehen, dass er das Fahrzeug verlassen habe, ohne den Zündschlüssel abgezogen zu haben. Der Kläger habe sich ständig in unmittelbarer Nähe des Fahrzeuges befunden. Unstreitig habe er sich bei dem anfahrenden Auto an der Tür festgehalten. Dem von der Beklagten zitierten Urteil liege ein völlig anderer Sachverhalt zugrunde. Wenn der Kläger tatsächlich den Schlüssel im Zündschloss stecken gelassen habe, habe es sich hierbei um ein situationsbedingtes Augenblicksversagens gehandelt. Es sei nicht Art des Klägers, auch bei kurzzeitigem Verlassen seines Fahrzeuges den Zündschlüssel stecken zu lassen. Er habe unter erheblichem Zeitdruck gestanden, als er aus dem Auto gestiegen sei. Das einmalige Vergessen einer Routinehandlung in Folge der Konzentration auf einen anderen Umstand stelle sich als Augenblickversagen dar. Vorsätzlich falsche Angaben zu den Umständen der Entwendung habe der Kläger nicht gemacht. Die polnischen Ermittlungsunterlagen hätten kaum Beweiswert.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat Erfolg.

Die Klage ist nicht begründet. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung aus der Kaskoversicherung zu, da er den Versicherungsfall grob fahrlässig i. S. von § 61 VVG herbeiführte und eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung gem. § 6 Abs. 3 VVG, § 7 I (2) S. 4, VI (2) AKB beging.

1. Die Aktivlegitimation des Klägers ist gegeben. Ob er Eigentümer des Fahrzeuges war, ist nicht entscheidend. Jedenfalls kann er als Versicherungsnehmer Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag geltend machen. Ansprüche der Leasing-Gesellschaft bestehen unstreitig nicht mehr, da dieser der Schaden seitens des Klägers erstattet wurde.

2. Die obergerichtliche Rechtsprechung und mehrere Landgerichte gehen davon aus, dass die Entwendung eines Fahrzeuges in der Regel grob fahrlässig herbeigeführt wird, wenn der Versicherte sein unverschlossenes Fahrzeug mit im Zündschloss steckenden Schlüssel verlässt und sich von seinem Fahrzeug entfernt (OLG Koblenz VersR 2001, 1278; OLG Hamm NZV 1991, 195; OLG Koblenz, Beschluss vom 15.12.2006 - 10 U 903/06; OLG Frankfurt MDR 2003, 632; LG Köln VersR 1993, 348; LG Traunstein VersR 1993, 47). Der Senat folgt dieser Rechtsprechung.

a) Vorliegend hat der Kläger grob fahrlässig i. S. v. § 61 VVG gehandelt, indem er sein Fahrzeug in Polen verließ, dabei den Schlüssel stecken ließ, um das Auto herum auf die Beifahrerseite ging und sich dort mit einem Passanten unterhielt. Grobe Fahrlässigkeit besteht bei Steckenlassen des Zündschlüssels ohne Eingriffsmöglichkeit gegen den Diebstahl (Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., Rn. 12 zu § 61; OLG Koblenz, Beschluss v. 15.12.206 - 10 U 903/06). Besonders der Sachverhalt, der dem Urteil des OLG Hamm vom 26.10.1990 (NZV 1991, 195) zugrundeliegt, ähnelt dem vorliegenden. In jenem Fall hatte der Versicherungsnehmer das versicherte Fahrzeug in einer Parkbox in der ... Straße in ... mit der Fahrzeugfront zur Straße abgestellt, um an der nur wenige Schritte entfernten Trinkhalle eine Zeitung zu kaufen. Beim Verlassen des Fahrzeuges ließ er die Fahrertür unverschlossen und die Zündschlüssel im Lenkradschloss stecken. Als er sich unmittelbar vor dem Kiosk befand, hörte er hinter sich das Geräusch einer zuschlagenden Fahrertür und das Starten des Motors. Er drehte sich um und sah, dass eine fremde Person in seinem Fahrzeug saß. Obwohl er sofort herbeieilte, konnte er die Fahrertür nicht öffnen, da der Täter den Wagen von innen verriegelt hatte. So in etwa liegt es hier. Der Anscheinsbeweis spricht dafür, dass der Kläger die Fahrzeugschlüssel in seinem Pkw stecken ließ und das Fahrzeug unverschlossen auf der Straße stehen ließ und sich dann mehrere Schritte von dem Fahrzeug auf den Bürgersteig hin entfernte, um einen Passanten nach dem Weg zu fragen. Anders lässt sich der Tathergang nicht erklären, denn in der kurzen Zeit hätte der Täter ein verschlossenes Fahrzeug nicht aufbrechen und kurzschliessen können. Dafür spricht auch die eigene Aussage des Klägers vor der polnischen Polizei. Der Zeuge ... bekundete vor dem Landgericht, dass er die Aussage des Klägers, er habe den Schlüssel stecken lassen, richtig beurkundet habe. Dies ist ein entscheidender Punkt, an den der Zeuge sich erinnerte. Der Kläger hat die Richtigkeit des polnischen Protokolls erstinstanzlich nicht bestritten. Der Zeuge ... bestätigte diesen Hergang, konnte sich allerdings nicht mehr genau daran erinnern, ob der Kläger den Zündschlüssel stecken ließ. In der Berufungserwiderung führt der Kläger selbst aus, mit großer Wahrscheinlichkeit habe er den Schlüssel stecken lassen. Damit steht dies zur Überzeugung des Senats fest (§ 286 ZPO), was wiederum bedeutet, dass der Kläger den Versicherungsfall durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt hat (§ 61 VVG). Entscheidend ist, dass dem Kläger aufgrund seiner Entfernung von dem Fahrzeug die jederzeitige sofortige Eingriffsmöglichkeit auf das Fahrzeug fehlte.

b) Die Leistungsfreiheit des Versicherers nach § 61 VVG verlangt, dass sich der Versicherungsnehmer bei der Herbeiführung des Versicherungsfalles grob fahrlässig verhalten hat. Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiven schweren und subjektiven nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus; diese Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten muss (ständige Rechtsprechung des BGH vgl. NJW 1989, 1354).

Objektiv stellt das Unterlassen jeglicher Sicherungsmaßnahmen beim Verlassen eines Fahrzeuges in der Regel einen groben Pflichtverstoß dar. Die vorliegenden Umstände vermögen eine andere Wertung nicht zu begründen. Unerheblich ist, dass das versicherte Fahrzeug nur für kurze Zeit verlassen werden sollte und der Kläger sich auch nur wenige Schritte von ihm entfernte, um sich bei einem Passanten nach dem Weg zu erkundigen. Wie das Tatgeschehen zeigt, reicht ein kurzer Augenblick dazu aus, dass sich ein geschickter Täter des Wagens bemächtigen konnte. Trotz seiner räumlichen Nähe zum Fahrzeug war der Kläger nicht in der Lage, es so zu kontrollieren, dass eine Ingebrauchnahme durch einen Unbefugten unmöglich war. Das Fahrzeug war nämlich seinen Blicken und zumindest seiner Aufmerksamkeit zeitweilig entzogen, was sich darin zeigt, dass er nach eigenen Angaben das Einsteigen des Täters in das Fahrzeug nicht optisch wahrgenommen hat.

Der Kläger hat auch subjektiv grob fahrlässig gehandelt, denn er hat das, was jedem in gegebener Situation einleuchtet, außer Acht gelassen und damit ein Verhalten gezeigt, das einfache Fahrlässigkeit übersteigt. Jedermann ist bekannt, dass Fahrzeugdiebstähle in Polen gang und gäbe sind. Er hätte erkennen können und müssen, dass sein leichtfertiges Absehen von jeglicher Fahrzeugsicherung die Gefahr einer Fahrzeugentwendung i.S.d. § 12 (1) I b AKB deutlich erhöhte, solange er nicht sicher sein konnte, wegen seiner räumlichen Nähe zum Fahrzeug und ständige Aufmerksamkeit jederzeit eine wirksame Kontrolle durch die Möglichkeit rechtzeigten Eingreifens zu haben. Unter diesen Umständen hat ein Augenblicksversagen, das das Unrechtsurteil der groben Fahrlässigkeit nicht verdient (BGH NJW 1989, 1354), nicht vorgelegen, da der Kläger - wie bereits ausgeführt - in Polen besondere Aufmerksamkeit an den Tag legen musste. Dies war kein alltäglicher Vorgang, der jedem passieren kann. Gerade in Polen muss damit gerechnet werden, dass Personen unterwegs sind, die gezielt nach Möglichkeiten zum Fahrzeugdiebstahl insbesondere von Luxusfahrzeugen - wie hier einem Audi A8 - Ausschau halten oder spontan eine passende Gelegenheit ausnutzen.

3. Der Kläger beging eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung gem. § 6 Abs. 3 VVG, § 7 I (2) S. 4, VI (2) AKB, die zur Leistungsfreiheit führt. Gem. § 6 Abs. 3 VVG wird vermutet, dass die Obliegenheitsverletzung vorsätzlich erfolgte. Das Gegenteil hat der Kläger nicht bewiesen. Gem. § 7 I (2) S. 3 AKB war der Kläger verpflichtet, alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestandes und Minderung des Schadens dienlich sein konnte. Wegen Verletzung dieser Obliegenheit besteht gem. § 7 VI (2) AKB Leistungsfreiheit nach Maßgabe des § 6 Abs. 3 VVG. Der Kläger hat der Beklagten den Sachverhalt von vornherein nicht so geschildert, wie er tatsächlich geschehen ist.

Er machte unterschiedliche und nachweislich falsche Angaben. Letzteres gilt schon für die Schadensanzeige vom 06.05.2005, indem der Kläger dort ankreuzte, das Lenkrad sei abgeschlossen und der Zündschlüssel abgezogen gewesen. Dies kann - wie oben unter II. 2.) a) ausgeführt wurde - nicht richtig sein. Hiergegen spricht der Beweis des ersten Anscheins, denn wenn dies so gewesen wäre, hätte der Diebstahl wie geschehen nicht stattfinden können. Zunächst schrieb der Kläger in der Anlage zur Schadensanzeige, vor einem repräsentativen größeren Gebäude sei er aus dem Auto gestiegen, um sich nach dem Hotel zu erkundigen, er habe das Fahrzeug nicht verlassen und was anschließend geschehen sei, liege nicht mehr in seiner Erinnerung. Im Schreiben vom 23.08.05 gab der Kläger an, er habe das Fahrzeug mit der Absicht angehalten, einen Passanten nach dem Hotel "..." zu fragen. Routinemäßig habe er wie immer den Motor abgestellt, den Schlüssel aus dem Zündschloss entfernt und nach dem Aussteigen aus dem Fahrzeug die Tür durch Druck auf die Fernbedienung verriegelt. Um eine Information zu bekommen, habe er einen Passanten, der sich auf der anderen Autoseite befunden habe, befragen wollen. Er habe sich am Fahrzeug befunden. In diesem Moment habe ihm jemand den Schlüssel, der sich noch in seiner Hand befunden habe, entwendet, dabei sei er durch einen Schlag handlungsunfähig gemacht worden. Diesen nachweislich falschen Hergang stellte er als möglich dar. Zu einem körperlichen Angriff ist es nach der Aussage des Zeugen ... nicht gekommen. Kopfverletzungen hatte der Kläger unstreitig nicht. Der vom Kläger als möglich dargestellte Hergang ist damit frei erfunden. Allem Anschein nach wollte der Kläger gegenüber der Beklagten vertuschen, dass er den Schlüssel in dem unverschlossenen PKW steckenliess, da ihm bewusst war, dass dies zum Verlust des Versicherungsschutzes führt.

III.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Anlass zur Zulassung der Revision bestand nicht.

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