VG Braunschweig, Urteil vom 11.03.2004 - 3 A 406/03
Fundstelle
openJur 2012, 41113
  • Rkr:

1. Das Kindergeld ist bei der Bedarfsermittlung nach dem GSiG nicht anzurechnen, wenn es in einen gemeinsamen Topf fließt und vom Kindergeldberechtigten nicht konkret dem Bedürftigen zugewendet wird.

2. Zur Verfassungsmäßigkeit des § 4 Abs. 1 GSiG.

Tenor

Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin für den Zeitraum vom 01.01. – 31.12.2003 weitere Grundsicherungsleistungen in Höhe von monatlich 154,00 EUR zu bewilligen. Die Bescheide der Stadt F. vom 05.06.2003 und vom 24.06.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten werden aufgehoben, soweit sie dem entgegenstehen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Anrechnung des ihren Eltern gewährten Kindergeldes auf die ihr gewährten Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz.

Die 1973 geborene Klägerin ist dauerhaft erwerbsunfähig und lebt im Haushalt ihrer Eltern, ihre Mutter ist ihre Betreuerin. Auf ihren Antrag gewährte die für den Beklagten handelnde Stadt F. ihr mit Bescheid vom 05.06.2003 ab Januar 2003 bis zum Juni 2003 Grundsicherungsleistungen und mit Bescheid vom 24.06.2003 Grundsicherungsleistungen für den Zeitraum ab Juli 2003. In beiden Bescheiden wurde auf den Grundsicherungsbedarf 154,00 EUR Kindergeld als Einkommen der Klägerin angerechnet. Gegen beide Bescheide erhob die Klägerin mit zwei Vordrucken „Muster Widerspruch Anrechnung Kindergeld bei der Grundsicherung“ Widerspruch. Mit Schreiben vom 02.07.2003 wies die Stadt F. darauf hin, dass das Kindergeld auch bisher im Rahmen der Bewilligung von Hilfe zum Lebensunterhalt auf den Bedarf der Klägerin angerechnet worden sei. Es werde darum um Mitteilung gebeten, aus welchen Gründen das Kindergeld von den Eltern und Betreuern nicht mehr an die Klägerin weitergeleitet würde. Hierauf erwiderten die Betreuerin der Klägerin mit Schreiben vom 16.07.2003, dass die Grundsicherung gegenüber der Hilfe zum Lebensunterhalt eine eigenständige Leistung sei. Einmalige Leistungen würden regelmäßig wegfallen. Für diese müsse nunmehr das Kindergeld genutzt werden, darüber hinaus aber auch für Freizeit, Urlaub, Arznei und Therapien, die nicht von der Krankenkasse übernommen würden, sowie für erhöhte Fahrtkosten für Besuche usw.. Im Übrigen sei gegen die Anrechnung des Kindergeldes im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt aus Unwissenheit kein Widerspruch erhoben worden. Diese Widersprüche wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30.07.2003 als unbegründet zurück. Hiergegen hat die Klägerin, vertreten durch ihre Betreuerin, am 02.09.2003 Klage erhoben, zu deren Begründung sie vorträgt, dass das Kindergeld grundsätzlich Einkommen des Kindergeldberechtigten sei. Es sei auch nicht mittels eines zweckorientierten Zuwendungsaktes der Klägerin zugewandt worden. Hierfür genüge es nicht, dass das Kindergeld in einen gemeinsamen Topf fließe, aus dem der Aufwand für den Lebensunterhalt der Haushaltsgemeinschaft bestritten wird. Im Falle der Klägerin fließe das Einkommen wie das sonstige Einkommen der Eltern in einen gemeinsamen Topf und werde für die Ausgaben der gesamten Gemeinschaft eingesetzt. Es könne auch nicht vermutet werden, dass die Eltern der Klägerin ihr das Kindergeld zuwendeten. Denn der ursprünglich vorgesehene Verweis im Grundsicherungsgesetz auf § 16 BSHG sei bewusst herausgenommen worden. Durch diese Streichung des Verweises habe die Bereitschaft der Eltern gefördert werden sollen, das behinderte Kind weiterhin im eigenen Haushalt wohnen zu lassen. Das Kindergeld diene gemäß § 31 EStG zudem der steuerlichen Entlastung von Personen, die durch den Unterhalt von Kindern wirtschaftlich belastet seien bzw. der Förderung der gesamten Familie. Eine Anrechnung des Kindergeldes auf die Grundsicherung würde diesem Sinn zuwiderlaufen, weil die Eltern der Klägerin aufgrund der Behinderung ihrer Tochter Aufwendungen für existenziellen Lebensunterhalt ihrer Tochter tätigen müssten, wozu auch die Bedarfe für Betreuung, Erziehung oder Ausbildung des Kindes gehörten, die nicht von dem nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 GSiG gewährten Regelsatz umfasst würden. Bei diesem Mehrbedarf handele es sich beispielhaft um Medikamente, wie Vitamintabletten, die Pille, Arztfahrten, Fahrten zur Krankengymnastik, Fahrten zum Orthopäden, Fahrten zum Neurologen, Fahrten zu regelmäßigen Terminen in die orthopädische Fachklinik, Fahrten zu Konzerten und anderen Veranstaltungen. Ferner um Sonderaufwendungen für Begleitung und Schuhe, wie Spezialeinlagen, orthopädische Sandalen und zusätzliche Bekleidung. Aufgrund der Behinderung der Klägerin gebe es auch zusätzliche Aufwendungen in der Wohnung wegen eines höheren Verschleißes von Haushaltsgeräten usw.. Schließlich gebe es Aufwendungen für Freizeiten mit der Lebenshilfe, der Kirchengemeinde, Wochenendfreizeiten, Clubnachmittage mit der Werkstatt für Behinderte, Discoabende, Kinokonzerte, Feste mit Begleitperson. Bei diesen Aufwendungen handele es sich nicht um Luxusaufwendungen. Schließlich dürfe es nicht zu einer Ungleichbehandlung der Eltern der Klägerin gegenüber denjenigen Eltern behinderter Kinder kommen, deren Kinder vollstationär betreut würden.

Die Klägerin beantragt,

die Bescheide der Stadt F. vom 05.06.2003 und vom 24.06.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 30.07.2003 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin für den Zeitraum vom 01.01. bis 31.12.2003 weitere Grundsicherungsleistungen in Höhe von monatlich 154,00 EUR zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er regt zudem an, vor Entscheidung des Verfahrens in der Hauptsache gemäß Art. 100 des Grundgesetzes eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu der Frage einzuholen, ob die in § 4 Abs. 1 GSiG erfolgte Bestimmung der Landkreise und kreisfreien Städte als Träger der Grundsicherung (ohne dass die Finanzierung abgesichert sei) mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Der Beklagte hält die Zuständigkeitsbestimmung in § 4 Abs. 1 GSiG unter Hinweis auf das Gutachten von Prof. Dr. G. und Prof. Dr. H. zur kommunalen Aufgabenträgerschaft nach dem Grundsicherungsgesetz und die verfassungsrechtlichen Anforderungen an den bundesgesetzlichen Durchgriff auf die kommunale Ebene, welches im Auftrag des Deutschen Landkreistages erstattet worden ist, für verfassungswidrig. Dieses Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass die bundesgesetzliche Bestimmung kommunaler Aufgabenträger von Art. 84 Abs. 1 GG nicht gedeckt sei, weil die bundesgesetzliche Bestimmung der Kreise und kreisfreien Städte zu Trägern der Grundsicherung für den wirksamen Vollzug des Grundsicherungsgesetzes nicht notwendig, ja nicht einmal zweckmäßig sei. Die bundesgesetzliche Bestimmung kommunaler Aufgabenträger, die mit einer milliardenschweren Finanzierungszuständigkeit dieser Kommunen verbunden sei, sei nicht als bloße „punktuelle Annexregelung“ zu begreifen. Die vom Bund im Rahmen des Wohngeldrechts gegenüber den Ländern zu erbringenden Ausgleichsleistungen seien im Rechtssinne eine freiwillige Leistung des Bundes (Art. 104a Abs. 3 GG), um Mehrbelastungen aus der Grundsicherung abdecken zu können. Das vorgesehene Erstattungssystem sei aber nicht so angelegt, dass es sämtliche Mehrausgaben erfasse, insbesondere für die Verwaltungsausgaben der Kommunen fände ein Ausgleich nicht statt. Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit des § 4 Abs. 1 GSiG sei für das vorliegende Verfahren insoweit von Bedeutung, als im Falle einer positiven Entscheidung der streitbefangene Bescheid von einer unzuständigen Behörde erlassen worden und daher rechtswidrig wäre.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und die Niederschrift des Gerichts Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Klägerin steht ab 01.01.2003 ein Anspruch auf Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz ohne Anrechnung des an ihre Eltern gezahlten Kindergeldes in Höhe von monatlich 154,00 EUR zu. Die angefochtenen Bewilligungsbescheide und der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 30.07.2003 sind rechtswidrig, soweit sie dies nicht berücksichtigen und verletzen die Klägerin hierdurch in ihren Rechten.

Der Anspruch der Klägerin auf Bewilligung von Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz ohne Anrechnung von Kindergeld als Einkommen ergibt sich aus § 1 Ziff. 2 i. V. m. § 2 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG, BGBl. 2001, Teil I, 1335 ff.). Dass die Klägerin die grundlegenden Voraussetzungen für die Hilfebewilligung nach dem Grundsicherungsgesetz erfüllt, ist zwischen den Parteien unbestritten. Bei der Hilfeberechnung ist von dem Beklagten jedoch zu Unrecht das für die Klägerin ihren Eltern bewilligte und ausgezahlte Kindergeld in Höhe von monatlich 154,00 EUR als ihr eigenes Einkommen bedarfsmindernd in Ansatz gebracht worden. Das erkennende Gericht hat zur Frage der Anrechenbarkeit des Kindergeldes bei der Gewährung von Grundsicherungsleistungen an volljährige erwerbsgeminderte Kinder, die im Haushalt ihrer Eltern leben und von diesen betreut werden, in seinem Urteil vom 06.11.2003 – 3 A 292/03 – Folgendes ausgeführt:

11„...Danach gilt auch das im Wege des „Familienleistungsausgleichs“ gemäß § 31 EStG 1996 neu ausgestaltete Kindergeld nach dem 10. Abschnitt des Einkommenssteuergesetzes (§§ 62 ff.) als Einkommen im Sinne des § 76 Abs. 1 BSHG. Es ist Einkommen des Kindergeldberechtigten, und zwar in der Regel der Eltern bzw. eines Elternteils. Es kann nur dann zu anrechenbarem Einkommen des Kindes werden, wenn es diesem durch einen gesonderten, zweckorientierten Zuwendungsakt weitergegeben wird. Eine Zuwendung von Kindergeld in diesem Sinne liegt nicht schon dann vor, wenn es dem Kind im Rahmen des ihm im Haushalt gewährten Familienunterhalts als Naturalleistung, wie z. B. durch Unterkunft, Kost oder Bekleidung, zugute kommt. Es genügt deshalb nicht, dass es in einen gemeinsamen Topf fließt, aus dem der Aufwand für den Lebensunterhalt des Kindes gerade mittels des zweckorientierten und mit Rücksicht auf das Kind gewährten Kindergeldes, d. h. gerade aus dem Kindergeld, bestritten wird (vgl. OVG Hamburg, B. v. 03.04.2002 – 4 Bs 20/02 -, NVwZ-RR 2002, 756 ff.).

12Nach Ansicht der Kammer ist diese rechtliche Beurteilung auch auf Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz anzuwenden. Der Gesetzgeber hat nach seinem in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommenden Willen eine eigenständige Sozialleistung geschaffen, deren Zweck es ist, den grundlegenden Lebensbedarf alter und voll erwerbsgeminderter Menschen zu sichern (vgl. BT-Drs. 14/5150, S. 48). In Konsequenz dieser Zielsetzung hat der Gesetzgeber die Vorschriften des BSHG nicht generell für ergänzend anwendbar erklärt, sondern lediglich auf bestimmte Vorschriften des BSHG verwiesen und insbesondere die Frage der Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen bzw. Unterhaltsansprüchen speziell im Grundsicherungsgesetz geregelt (§ 2 Abs. 1 Satz 3 GSiG). Demgegenüber verweist jedoch gerade § 3 Abs. 2 GSiG für den Einsatz von Einkommen und Vermögen auf die Regelungen des BSHG, so dass die dazu ergangene Rechtsprechung nach Ansicht der Kammer Anwendung findet.

Ein weiteres Argument ergibt sich aus § 2 Abs. 1 Satz 3 GSiG. Da danach ein Anspruchsübergang der Unterhaltsansprüche von (behinderten) Kindern gegenüber ihren leiblichen Eltern abgesehen von im Regelfall, so auch hier, nicht gegebenen außergewöhnlich guten Einkommensverhältnissen (Grenzbetrag: 100.000,00 EUR) ausgeschlossen ist und Zielsetzung dieser Regelung ist, einen ansonsten möglichen ökonomischen Anreiz zur stationären Unterbringung eines bedürftigen Kindes (im Sinne einer „Abschiebung in ein Heim“) zu verhindern bzw. zu verringern, spricht auch dies dafür, das den Eltern der Klägerin bewilligte und ausgezahlte Kindergeld nicht als Einkommen der Klägerin zu berücksichtigen (vgl. VG Ansbach, nicht rechtskräftiges Urteil vom 10.07.2003 – AN 4 K 03.00575).

14Etwas anderes ergibt sich entgegen der Ansicht des Beklagten auch nicht aus dem Urteil des Bundesfinanzhofes vom 16.04.2002 (VIII R 50/01 – recherchiert in Juris), in dem über die Auszahlung von Kindergeld nicht an den kindergeldberechtigten Vater, sondern an das Kind direkt entschieden worden ist. Dort ist ein Auszahlungsanspruch des Kindes analog § 74 Abs. 1 S. 1 und 3 EStG bejaht worden, obwohl der Vater gegenüber seinem Kind nicht mehr gesetzlich unterhaltspflichtig war. In § 74 Abs. 1 Satz 3 EStG ist - wie auch in § 48 Abs. 1 Satz 3 SGB I ausdrücklich - geregelt, dass das Kindergeld an das Kind selbst ausgezahlt werden kann, wenn der Kindergeldberechtigte mangels Leistungsfähigkeit gar nicht oder nur in einer Höhe unterhaltspflichtig ist, die niedriger ist als das Kindergeld. Damit soll nach Ansicht des BFH sichergestellt werden, dass auch ohne eine Verletzung der Unterhaltspflicht durch den Kindergeldberechtigten das Kindergeld nicht dem Unterhalt nicht leistungsfähiger Eltern dient, sondern dem Kind zugute kommt. Auf dieser Grundlage gebe es keinen sachlich einleuchtenden Grund dafür, das Kindergeld aufgrund von § 74 Abs. 1 Satz 3 EStG dann an das Kind selbst auszuzahlen, wenn eine Verletzung der Unterhaltspflicht nur wegen fehlender Leistungsfähigkeit der Eltern nicht vorliege, einen derartigen Anspruch des Kindes aber zu verneinen, wenn die – leistungsfähigen – Eltern bereits dem Grunde nach nicht mehr unterhaltspflichtig, aber gleichwohl kindergeldberechtigt (§§ 32, 62, 63 EStG) sind. Wenn das Kindergeld nach dem Wortlaut und Zweck des § 74 Abs. 1 Satz 3 EStG nicht zum eigenen Lebensunterhalt von nicht leistungsfähigen Eltern verwendet werden solle, sei kein Grund ersichtlich, dies anders zu beurteilen, wenn die Eltern sogar leistungsfähig seien. Die bestehende Lücke sei durch eine analoge Anwendung von § 74 Abs. 1 S. 1 und 3 EStG zu füllen.

15Insoweit ist jedoch zu berücksichtigen, dass auch das genannte BFH-Urteil nichts an der grundsätzlichen Berechtigung der Eltern zum Erhalt von Kindergeld ändert. Denn auch in einem Fall von § 74 EStG wird das Kind nach der gesetzlichen Konzeption nicht selbst kindergeldberechtigt. Es kann lediglich die Auszahlung des Kindergeldes an sich selbst verlangen und wird deshalb auszahlungsberechtigt mit der Besonderheit, dass die Festsetzung des – fremden – Steuervergütungsanspruchs gemäß § 67 Satz 2 EStG auch vom Auszahlungsberechtigten beantragt werden kann, der so im Festsetzungsverfahren eine Beteiligtenstellung erlangt (vgl. Finanzgericht Köln, Urt. v. 19.09.2002 – 10 K 1162/02 -, recherchiert in Juris unter Verweis auf die Rechtsprechung des BFH).Trotz dieser ggf. bestehenden Auszahlungsmöglichkeit bleiben Eltern kindergeldberechtigt für volljährige behinderte Kinder wie die Klägerin, solange diese sich nicht vollständig (z. B. aus Vermögen) selbständig unterhalten können. Denn nur dann kann davon ausgegangen werden, dass Eltern kein zusätzlicher Aufwand erwächst, der ihre steuerrechtliche Leistungsfähigkeit mindert (vgl. Finanzgericht Münster, Urt. v. 25.06.2002 – 6 K 7313/00 – Kg unter Verweis auf das BVerfG, Urt. v. 29.05.1990 – 1 BvL 20/84 -, recherchiert in Juris). Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass dann, wenn sich ein volljähriges behindertes Kind nicht vollständig selbst unterhalten kann, gleichgültig ob dieses bei den Eltern oder außerhalb des Elternhauses lebt, Mehraufwendungen vermutet werden, die den Erhalt des Kindergeldes seitens der Eltern rechtfertigen. Darüber hinaus dient der Transferanteil des Kindergeldes gemäß ausdrücklicher Regelung des § 31 Satz 1, 2 EStG der steuerlichen Freistellung eines Einkommensbetrages in Höhe des Existenzminimums eines Kindes bzw. der Förderung der gesamten Familie, welche sich auf alle Familienmitglieder und damit auch auf das Kind, für das der Transferanteil geleistet werde, nicht aber nur auf dieses Kind bezieht (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 23.05.2002 – 12 A 10375/02 -, FEVS 54, 45 ff.). Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass die Eltern der Klägerin im Sinne von § 74 Abs. 1 EStG nicht ihrer gesetzlichen Unterhaltspflicht nachkommen, was allein einen eigenen Auszahlungsanspruch der Klägerin rechtfertigen könnte.

16Stellt danach das Kindergeld grundsätzlich Einkommen der Eltern dar, so ist damit nicht deren Befugnis ausgeschlossen, die staatliche Zuwendung an das Kind weiterzuleiten. Diese Befugnis rechtfertigt sich aus dem Schutzauftrag der Eltern gegenüber ihrem Kind und dem Zweck des Kindesgeldes, das Existenzminimum des Kindes durch steuerliche Freistellung des Einkommens der Eltern abzudecken. Sie beinhaltet aber angesichts dessen, dass das Kindergeld auch der Förderung der Familie dient (s. o.), keine Verpflichtung der Eltern zur Vorteilszuwendung. Wenn dem Kind dementsprechend gegenüber seinen Eltern kein Anspruch auf Zuwendung des Kindergeldes zusteht, hat es jedoch über § 74 EStG ggf. nach Einsatz eines Ergänzungsbetreuers, falls die Eltern bzw. ein Elternteil zum Betreuer bestellt wurden, die Möglichkeit, die Auszahlung des Kindergeldes seitens der Kindergeldkasse an sich selbst zu beantragen, wenn Eltern trotz bestehenden Kindergeldanspruchs dem Kind daraus keinerlei Vorteile zukommen lassen. § 74 Abs. 1 EStG stellt insoweit von seiner Zweckrichtung her lediglich eine Ausnahme vom Zweck des steuerrechtlichen Kindergeldes dar, vorrangig das Existenzminimum des Kindes bei den Eltern steuerlich freizustellen (vgl. Greite, Anmerkung zum Urteil des BFH, a. a. O., FR 2002, 945).

Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Berechtigung der Eltern zum Erhalt des Kindergeldes unter Berücksichtigung des Zwecks der Förderung der gesamten Familie jedenfalls zu einem mittelbaren Vorteil für das volljährige behinderte Kind führt. Auch dies stellt eine zweckgerechte Verwendung des Kindergeldes dar (vgl. VG Ansbach, a. a. O.). Für eine Anrechnung des Kindergeldes als Einkommen der Eltern spricht auch, dass die analoge Anwendung von § 16 BSHG aus der ursprünglichen Fassung des Gesetzentwurfes herausgestrichen wurde, womit die Vermutung finanzieller Unterstützung durch Eltern an im Haushalt lebende Kinder nicht gilt. Auch auf diese Weise wird die Bereitschaft der Eltern gestützt, mit einem behinderten volljährigen Kind in einem Haushalt zu leben, statt dieses in einem Heim unterzubringen. In Anbetracht dieser vielfältigen, für eine Anrechnung des Kindergeldes als Einkommen der Kindergeldberechtigten sprechenden Argumente bedürfte es nach Ansicht der Kammer für eine gegensätzliche Anrechnung (beim Kind) jedenfalls einer eindeutigen gesetzlichen Regelung.“

Nach diesen Grundsätzen ist das für die Klägerin deren Eltern gewährte Kindergeld nicht als Einkommen der Klägerin anzusehen. Eine konkrete Zuwendung und Zurechenbarkeit des in den gemeinsamen Topf fließenden Kindergeldes an die Klägerin durch die Eltern ist nicht erkennbar. Sie ergibt sich entgegen der Ansicht des Beklagten auch nicht aus der Aufzählung der verschiedenen Bedarfe, für die die Eltern der Klägerin nach ihren Angaben Ausgaben für die Klägerin tätigen. Denn allein aus der beispielhaften Aufzählung all dessen, wofür nach den Angaben der Eltern der Klägerin für die Klägerin Aufwendungen entstehen, ergibt sich keine konkrete Zuwendung des den Eltern gewährten Kindergeldbetrages.

Nach alledem steht der Klägerin ein Anspruch auf Bewilligung zusätzlicher Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz in Höhe von monatlich 154,00 EUR für den Zeitraum vom 01.01. bis 31.12.2003 zu. Die angefochtenen Bescheide der Stadt F. i. d. F. des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 30.07.2003 sind aufzuheben, soweit sie dem entgegenstehen.

20Der Anregung des Beklagten, den Rechtsstreit dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 GG zur Entscheidung der Frage, ob die in § 4 Abs. 1 GSiG erfolgte Bestimmung der Landkreise und kreisfreien Städte als Träger der Grundsicherung mit dem Grundgesetz vereinbar ist, vorzulegen, folgt die Kammer nicht. Die Voraussetzungen einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht liegen nicht vor. Es fehlt bereits an der Voraussetzung, dass das Gericht von der Verfassungswidrigkeit der Norm überzeugt sein muss, wobei bloße Zweifel nicht zur Vorlage an das Bundesverfassungsgericht berechtigen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 22, 180 ff.) bestehen keine prinzipiellen verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, dass der Bundesgesetzgeber im Rahmen seiner Gesetzgebungszuständigkeit auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe und Sozialhilfe bestimmt und dabei als punktuelle Annexregelung die Bestimmungen trifft, die sachbezogen und für die Gewährleistung eines wirksamen Gesetzesvollzugs notwendig sind. Dies gilt auch für die Entscheidungen, die Landkreise und kreisfreien Städte, die zu örtlichen Trägern der Sozial- und Jugendhilfe bestimmt sind, ebenfalls zu örtlichen Trägern der Grundsicherungsleistungen zu bestimmen. Dahinter steht das Anliegen, das öffentliche Fürsorgewesen auf einer möglichst bürgernahen und zugleich leistungsfähigen Ebene anzusiedeln. Diese gesetzgeberische Entscheidung ist nach der überwiegenden Auffassung im Schrifttum und in der Rechtsprechung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 16. Aufl., § 96 Rz. 6; Mergler/Zink, BSHG; Knopp/Fichtner, BSHG, 1992,§ 96 Rn. 1; Staatsgerichtshof Stuttgart, Urt. v. 10.05.1999 – Az. 2/97 – in DVBl. 1999, S. 1351 ff. unter Verweis auf den Niedersächsischen Staatsgerichtshof, Urt. v. 25.11.1997 in DVBl. 1998, S. 185 ff.; a. A. G. /H., Kommunale Aufgabenträgerschaft nach dem Grundsicherungsgesetz und wohl auch Mergler/Zink, § 96 BSHG, 29. Lfg. Stand 2000, § 96 Rz. 2). Darüber hinaus hat der Niedersächsische Landesgesetzgeber in dem Niedersächsischen Ausführungsgesetz zum Grundsicherungsgesetz vom 20.11.2002 – Nds. GVBl. S. 728 ff. in § 1 - festgelegt, dass die Landkreise, die kreisfreien Städte und die Region Hannover die Trägerschaft nach dem Grundsicherungsgesetz als Aufgabe des übertragenen Wirkungskreises wahrnehmen. Danach führt die zusätzliche Ausgabenlast für die kommunalen Träger nicht zur Verfassungswidrigkeit der bundesgesetzlichen Aufgabenübertragung, da diese auch durch die landesgesetzliche Aufgabenübertragung bestätigt ist. Die Kostendimension ändert als solche nichts am punktuellen Annexcharakter der getroffenen Übertragung des Gesetzvollzugs durch den Bundesgesetzgeber. Dem erhöhten Finanzbedarf der hierdurch belasteten Kommunen hat der Landesgesetzgeber aufgrund seiner Finanzierungsverantwortung für die Gemeinden und Gemeindeverbände bei der Durchführung des kommunalen Finanzausgleichs Rechnung getragen (vgl. § 2 des Nds. Ausführungsgesetzes zum Grundsicherungsgesetz).

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1 Satz 1, 188 Satz 2 VwGO.

Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 711, 711 ZPO.

Gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO ist die Berufung zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.