LG Berlin, Urteil vom 08.09.2009 - 27 O 1068/08
Fundstelle
openJur 2009, 1074
  • Rkr:
Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils beizutreibenden Kostenbetrages zuzüglich 10 % vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin macht gegen die Beklagte presserechtliche Widerrufs- und Geldentschädigungsansprüche geltend.

Die Klägerin betreibt den "..." in Kabul, Afghanistan.

Die Beklagte ist Verlegerin der Tageszeitung "...", in deren Print- und Onlineausgabe vom 3. April 2007 unter der Überschrift "..." der nachfolgend in Kopie wiedergegebene Artikel erschien, der sich mit den Arbeitsbedingungen im Beautysalon der Klägerin befasst:

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In einer dem Artikel nachfolgenden amtlichen Untersuchung der Nato Isaf bestätigten sich die dort gegen die Klägerin erhobenen Vorwürfe nicht.

Mit Anwaltsschreiben vom 2. November 2007 (K 4) ließ die Klägerin die Beklagte zum Abdruck einer Richtigstellung und zur Zahlung einer Geldentschädigung von 10.000 € auffordern. Die Beklagte leistete einen Geldentschädigungsbetrag von 3,000 € und lehnte die weitergehenden Forderungen ab.

Die Klägerin sieht in der erwiesen unwahren Berichterstattung eine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung, Der Artikel habe - wie die von der Nato angestrengten Untersuchungen zeigten - nicht nur vor Ort Aufsehen erregt, sondern auch in ihrem Heimatland Korea Niederschlag gefunden. Als Angehörige des asiatischen Kulturkreises sei sie von den rufschädigenden Äußerungen besonders in ihrem Selbstverständnis betroffen. Eine frühere gerichtliche Geltendmachung des Widerrufsbegehrens sei allein wegen der vorgerichtlichen Vergleichsverhandlungen unterblieben.

Die Klägerin beantragt:

1. Die Beklagte wird verpflichtet, folgenden Widerruf in der ... sowie auf www...de zu veröffentlichen:

"Am 3 April 2007 erschien unter der Überschrift "Leibeigene im Nato-Quartier" ein Bericht, der falsche Tatsachenbehauptungen enthielt. Die Behauptungen, dass die im "..." Beschäftigten wie Leibeigene behandelt werden würden, für Unterbringung ung Verpflegung an die Arbeitgeberin eine Pauschale zu zahlen hätten, diese in einer Zwangsunterkunft verbleiben müssten und ihnen die Reisepässe abgenommen würden, werden als unwahr widerrufen.".

2. Die Beklagte hat an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 7,000,00 € zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Ihres Erachtens fehlt es bezüglich des Widerrufsverlangens am Aktualitätsbezug. Ein unabwendbares Bedürfnis für eine Geldentschädigung sei nicht ersichtlich. Ob sie überhaupt als Betreiberin des erwähnten Beautysalons von weiteren Personen erkannt worden sei, habe die Klägerin nicht dargetan. Es fehle zudem am schweren Verschulden, da sie sich auf die Angaben der ehemaligen Angestellten der Klägerin die noch vor der Nato-Untersuchung ausgetauscht worden sind, habe verlassen dürfen. Auch angesichts der geringen Verbreitung des Beitrags fehle es an einer schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Gründe

Die Klage ist unbegründet.

Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche auf Widerruf und Geldentschädigung aus §§ 823, 1004 BGB, Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG gegen die Beklagte nicht zu.

1. Bezüglich der begehrten Richtigstellung ist zwischenzeitlich das Berichtigungsbedürfnis entfallen. Der Beseitigungs- bzw. Berichtigungsanspruch steht unter dem Gebot der Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Er setzt voraus, dass der Störungszustand fortbesteht und dass zu dessen Beseitigung die erstrebte Maßnahme (noch) geboten ist (so z.B. BGH GRUR 1998, 416, 417). Im vorliegenden Fall erscheint die Durchsetzung des Widerrufsbegehrens im Hinblick auf das konkrete Zeitmoment unverhältnismäßig. Nach einiger Zeit verliert jede Behauptung an Aktualität und gerät schließlich in Vergessenheit. Ein Aktualitätsbezug ist in der Regel zu verneinen, wenn - wie hier - zwischen der Veröffentlichung und der gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs mehr als ein Jahr verstrichen ist (vgl. Kammergericht, Urteil vom 14.4.2009,9 U 56/08; OLG Hamburg ArchPR 1971, 105; Landgericht Hamburg AfP 2007, 273). Die Klägerin hat sich seit der Veröffentlichung mit der gerichtlichen Geltendmachung des Widerrufsverlangens mehr als 15 Monate Zeit gelassen, obwohl vorgerichtliche Vergleichsverhandlungen, die zudem offensichtlich in erster Linie auf Zahlung einer Geldentschädigung gerichtet waren, gescheitert sind. Schon bei Klageeinreichung dürfte die Berichterstattung, in der die Klägerin nicht einmal namentlich Erwähnung findet, dem Bewusstsein der Leserschaft längst entschwunden sein. Dass der der beruflichen Tätigkeit der Klägerin wachsames Interesse entgegenbringende und noch dazu der deutschen Sprache mächtige Leser in Afghanistan oder Korea zwischenzeitlich noch mit den gegen die Klägerin erhobenen Vorwürfen konfrontiert worden sein soll, ist weder dargetan noch ersichtlich.

2. Der Klägerin steht gegen die Beklagte auch kein über den bereits geleisteten Betrag von 3.000 € hinausgehender Anspruch auf eine Geldentschädigung wegen der Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu.

Nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen kommt eine Geldentschädigung zum Ausgleich für erlittene Persönlichkeitsrechtsverletzungen dann in Betracht, wenn es sich um eine schwerwiegende Verletzung handelt und wenn sich die erlittene Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend ausgleichen lässt. Die Gewährung des Anspruchs auf eine Geldentschädigung findet ihre Rechtfertigung in dem Gedanken, dass der Verletzte andernfalls wegen der erlittenen. Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts ohne Rechtsschutz und damit der vom Grundgesetz vorgesehene Schutz der Persönlichkeit lückenhaft bliebe (BGH NJW 1995, 861, 864; BVerfG NJW 1973, 1221, 1224; Kammergericht Afp 1974, 720., 721). Aufgrund der Schwere der Beeinträchtigung und des Fehlens anderweitiger Ausgleichsmöglichkeiten muss dabei ein unabwendbares Bedürfnis für einen finanziellen Ausgleich bestehen (BGH LM BGB § 847 Nr. 51). Ob eine schuldhafte Verletzung des Persönlichkeitsrechts schwer ist, bestimmt sich unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach Art und Schwere der zugefügten Beeinträchtigung, dem Grad des Verschuldens sowie Anlass und Beweggrund des Handeins; des Verletzers (BGH NJW 1996, 1131, 1134). Dabei kann schon ein einziger jener Umstände zur Schwere des Eingriffs führen (Kammergericht a.a.O.).

Zwar durfte die Beklagte nicht wie geschehen identifizierbar und ohne ausreichende Recherche über die gegen die Klägerin erhobenen Vorwürfe, deren Haltlosigkeit die Beklagte nicht in Abrede stellt, berichten. Die mit dem die Klägerin unter Nennung falscher Tatsachen zu Unrecht der "Haltung von Leibeigenen" bezichtigenden Beitrag einhergehende schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung ist jedoch mit der gezahlten Geldentschädigung von 3.000 € angemessen ausgeglichen. Eine weitergehende Geldentschädigung ist nicht gerechtfertigt. Angesichts der - wenn auch unzureichenden - Anonymisierungsbemühungen ist von einem geringen Verschulden der Beklagten, die sich auf die Angaben der zwischenzeitlich nicht mehr im genannten Beautysalon tätigen Angestellten verlassen hat, auszugehen. Die Klägerin dürfte anhand Beitrags allenfalls im engsten Umfeld erkannt worden sein. Beeinträchtigende Folgen der Berichterstattung hat die Klägerin - abgesehen von den kurzfristigen Ermittlungen der Nato Isaf - nicht genannt. Dass es durch den streitgegenständlichen Artikel zu nachteiligen Auswirkungen in ihrem sozialen Umfeld gekommen sei, ist nicht dargetan. Etwaige weitere berufliche Konsequenzen sind ebenso wenig benannt. Mangels konkreter Angaben der Klägerin kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Beitrag in einer deutschen Regionalzeitung in Korea, dem Heimatland der Klägerin, oder in Afghanistan, ihrem beruflichen Aufenthaltsort, eine massive Rufschädigung mit sich gebracht hat. Ein einziger Blogeintrag auf einer koreanischen Seite ist für einen 3.000 € übersteigenden Entschädigungsbetrag ebenso wenig ausreichend wie der pauschale und abstrakte Hinweis auf die Tragweite rufschädigender Äußerungen im asiatischen Kulturkreis.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs 1, 709 ZPO

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