VG Göttingen, Urteil vom 03.04.2003 - 2 A 192/03
Fundstelle
openJur 2012, 39642
  • Rkr:

Kurdische Volkszugehörige aus Syrien mit ungeklärter Staatsangehörigkeit, die vom syrischen Staat keine Einreiseerlaubnis erhalten und somit weder freiwillig in ihre Heimat zurückkehren noch nach dort abgeschoben werden können, haben weder Anspruch auf Asyl noch auf die Festellung von Abschiebungshindernissen nach § 51 Abs. 1 AuslG.

Tenor

Soweit die Kläger ihre Klage zurückgenommen haben, wird das Verfahren eingestellt.

Ziffer 4 des Bescheides des M. vom 01.02.2000 wird insoweit aufgehoben, als Syrien als Zielstaat einer Abschiebung benannt worden ist.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens tragen die Kläger; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Kläger sind kurdische Volkszugehörige und yezidischer Religionszugehörigkeit. Sie stammen aus Syrien; ihre Staatsangehörigkeit ist ungeklärt. Die Kläger reisten am 21.11.1999 in die H. ein und stellten am 26.11.1999 Asylanträge, die sie im wesentlichen damit begründeten, dass sie wegen ihrer Religionszugehörigkeit erhebliche Schwierigkeiten mit ihren arabischen Nachbarn gehabt hätten. Es sei wegen Pachtstreitigkeiten zu tätlichen Auseinandersetzungen gekommen. in diesem Zusammenhang sei der Kläger zu 1. denunziert, von der Polizei in Haft genommen, misshandelt und später vom syrischen Geheimdienst zu angeblichen Betätigungen in der PKK verhört worden; auch hierbei sei es zu Misshandlungen gekommen. Die Klägerin zu 2. sei einem Vergewaltigungsversuch arabischer Nachbarn, bei dem sie erheblich verletzt worden sei, ausgesetzt gewesen.

Mit Bescheid vom 01.02.2000 lehnte das I. die Asylanträge der Kläger ab und stellte unter Androhung der Abschiebung nach Syrien fest, dass bei ihnen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich Syrien sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen.

Die Kläger haben am 07.02.2000 Klage erhoben, die sie hinsichtlich ihres individuellen Schicksals im Wesentlichen mit der Vertiefung ihres Vorbringens vor dem N. begründen. Darüber hinaus sei darin, dass der syrische Staat sie als kurdische Staatenlose ansehe und nicht wieder nach Syrien einreisen lasse, politische Verfolgung zu sehen. Die Einreiseverweigerung erfolge nämlich ausschließlich in Anknüpfung an ihre kurdische Volkszugehörigkeit. Schließlich tragen sie - erstmals im Klageverfahren - vor, türkische Staatsanghörige zu sein. Ihre Väter seien türkische Staatsangehörige gewesen; von ihnen sei auch ihre eigene türkische Staatsangehörigkeit abzuleiten. Als türkische Yeziden seien sie nach der in Niedersachsen vorherrschenden Rechtsprechung als gruppenverfolgt anzusehen.

Soweit mit Klageerhebung zunächst beantragt worden war, die Beklagte zu verpflichten, die Kläger als Asylberechtigte anzuerkennen, wurde die Klage in der mündlichen Verhandlung am 03.04.2003 zurückgenommen.

Die Kläger beantragen,

die Beklagte zu verpflichten, für die Kläger festzustellen, dass bei ihnen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG, hilfsweise Abschiebungshindernisse gem. § 53 AuslG vorliegen und den Bescheid der Beklagten vom 01.02.2000 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beteiligte, der sich nicht geäußert hat, stellt keinen Antrag.

Das Gericht hat über die Behauptung der Kläger, von türkischen Staatsangehörigen abzustammen, Beweis erhoben durch Vernehmung einer Zeugin Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 22.11.2001 Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte, insbesondere auf eine Auskunft des türkischen Generalkonsulats mit Schreiben vom 17.02.2003 (Bl. 236 d.A.) sowie auf die Verwaltungsvorgänge des M. und des Landkreises O. Bezug genommen. Diese Unterlagen waren - wie auch die vom Gericht eingeführten Erkenntnismittel über die Lage in Syrien - Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Gründe

Soweit die Klage zurückgenommen wurde (Anerkennung als Asylberechtigte und Aufhebung von Ziffer 1 des Bescheides vom 01.02.2000), ist das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.

Im Übrigen ist die Klage zwar zulässig, aber im Wesentlichen unbegründet.

Die Kläger haben keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes gemäß § 51 Abs. 1 AuslG oder auf Feststellung eines Abschiebungshindernisses gemäß § 53 AuslG. Dies gilt sowohl bezüglich Syrien als auch hinsichtlich der Türkei.

15Dass Gericht ist nach dem Eindruck der mündlichen Verhandlung zwar davon überzeugt, dass beide Kläger vor ihrer Ausreise in Syrien in asylerheblicher Weise individuell und anknüpfend an ihre Religionszugehörigkeit politisch verfolgt worden sind. Es glaubt den Klägern insoweit ihren Sachvortrag zu den Misshandlungen durch syrische Sicherheitskräfte (bezogen auf den Kläger zu 1.) bzw. zu dem Vergewaltigungsversuch durch arabische Nachbarn, hinsichtlich dessen Verfolgung die syrischen Behörden keinen Schutz gewährten (bezogen auf die Klägerin zu 2.). Dies führt indessen nicht zum Erfolg der Klage, da in Übereinstimmung mit der allgemeinen Erkenntnislage das Gericht davon ausgeht, dass die Kläger keine syrische Staatsangehörigen sind, vom syrischen Staat als Staatenlose behandelt werden und ihnen die Rückkehr nach Syrien deshalb auf Dauer versagt werden wird. Deshalb droht ihnen keine Gefahr i.S.v. § 51 Abs. 1 AuslG in Syrien.

16Aber auch in der Türkei droht den Klägern keine politische Verfolgung. Denn zum einen haben sie - faktisch - keine Abschiebung dorthin zu befürchten, da dies weder das N. beabsichtigt noch eine Abschiebungsandrohung nach dort ausgesprochen hat, und zum anderen besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass eine Aufnahmebereitschaft des türkischen Staates gegeben sein könnte, weil die Kläger die von ihnen behauptete türkische Staatsangehörigkeit nicht dem Gericht nachgewiesen haben.

Das Gericht ist nicht davon überzeugt, dass die Kläger die türkische Staatsangehörigkeit besitzen. Hinsichtlich der Klägerin zu 2. wurden keine Unterlagen vorgelegt, die dies belegen könnten. Auch die Aussage der Zeugin P. ist nicht geeignet, die entsprechende Behauptung der Klägerin zu 2. zu beweisen. Die Zeugin hat insoweit lediglich ausgesagt, die Klägerin sei „aus unserer Familie“. Das besagt nicht das Geringste zur Staatsangehörigkeit der Klägerin. Hinsichtlich des Klägers zu 1. ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass der in dem Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister (Bl. 200 f. d.A.) erwähnte Q. der Vater des Klägers zu 1. ist. Q. wird in dem Registerauszug aus ledig bezeichnet; Kinder des Q. sind nicht aufgeführt. Wann die Angaben in das Register ursprünglich eingetragen wurden, ist ebenfalls nicht erkennbar. Namensähnlichkeiten sind ebenfalls nicht feststellbar. Auch die Aussage der Zeugin P. vermochte das Gericht nicht von der Richtigkeit der Angaben des Klägers zu 1. zu überzeugen. Sie kannte den Kläger zu 1. bis zu ihrer Ankunft in Deutschland nicht von Person. Dass er der Sohn des Q. sein soll, hat sie also nur von Anderen gehört und nicht aus eigenem Erleben bestätigen können. Überdies waren die Angaben der Zeugin - aufgrund ihres hohen Alters und mangelnden Erinnerungsvermögens - sehr vage; die Beweisaufnahme hat sich zäh gestaltet, das Gericht hat nicht den Eindruck gewonnen, dass die Zeugin sicher und klar nachvollziehbare Tatsachen schilderte, die im vorliegenden Verfahren verwertbar sein könnten. Schließlich hat auch die Einholung einer Auskunft vom Türkischen Generalkonsulat nicht die Angaben des Klägers zu 1. bestätigen können. Das Generalkonsulat hält - wie das Gericht - die Angaben für unzureichend, um eine türkische Staatsangehörigkeit des Klägers zu 1. nachzuweisen, da dieser seine Beziehung zu den im Registerauszug genannten Personen nicht hat glaubhaft machen können.

18Sind die Kläger im vorliegenden Verfahren somit als Staatenlose, die aus Syrien stammen, anzusehen, führt eben diese Staatenlosigkeit aus Rechtsgründen dazu, dass die Klage unabhängig von dem individuellen Vorbringen zur Verfolgung im Ergebnis erfolglos bleibt. Das erkennende Gericht folgt hinsichtlich Rechtsstellung von staatenlosen Kurden aus Syrien, dem Zielland der Abschiebung laut Bundesamtsbescheid, der Rechtsauffassung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (Urteil vom 27.03.2001 – 2 L 2505/98 -). Hiernach kommt es bei Staatenlosen darauf an, ob ihnen im Land ihres gewöhnlichen Aufenthaltes bei der Wiedereinreise eine politische Verfolgung im Sinne des Asylrechts bzw. des § 51 Abs. 1 AuslG droht. Insoweit wären im Falle der Kläger nur dann die Verhältnisse in Syrien maßgeblich, wenn sie noch eine Möglichkeit hätten, wieder nach Syrien einzureisen. Denn ein Staat, der einem Staatenlosen die Wiedereinreise verweigert, löst damit seine Beziehungen zu diesem Staatenlosen und hört auf, für ihn das Land des gewöhnlichen Aufenthaltes zu sein. Der syrische Staat steht dem Staatenlosen in einem solchen Fall in gleicher Weise gegenüber wie jeder andere auswärtige Staat. Dann ist es aber unerheblich, ob ein Staatenloser in dem Land, das früher das Land seines gewöhnlichen Aufenthaltes gewesen ist, von politischer Verfolgung bedroht ist. Nach der aktuellen Erkenntnislage, die im vorgenannten Urteil das Oberverwaltungsgerichts nachgezeichnet wurde und die auch für den hier zu entscheidenden Fall Bedeutung erlangt, haben solche Kurden, die aufgrund der 1962 durch den syrischen Staat vollzogenen Ausbürgerung staatenlos geworden sind, sowie ihre Nachfahren, die seit ihrer Geburt staatenlos sind, keine rechtliche oder tatsächliche Möglichkeit nach Syrien zurückzukehren, wenn sie das Land – wie die Kläger – ohne eine Erlaubnis verlassen haben. Hiernach ist festzuhalten, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, der gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblich ist, nicht mehr Syrien, sondern Deutschland das Land des gewöhnlichen Aufenthalts der Kläger ist. Auf die Frage, ob den Klägern wegen ihrer kurdischen Volkszugehörigkeit sowie ihres individuellen Verfolgungsvorbringens in Syrien politische Verfolgung im Sinne des Art. 16 Abs. 1 GG oder des § 51 Abs. 1 AuslG droht, kommt es deshalb nicht mehr entscheidungserheblich an. Der Status der Kläger richtet sich vielmehr - was aber nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist - ausschließlich nach dem Übereinkommen über die Rechtstellung der Staatenlosen vom 28.09.1954. Die Kammer folgt in diesem Zusammenhang nicht der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts Magdeburg (Urteil vom 30.01.2003 - 9 A 155/02 MD -) hinsichtlich der Annahme politischer Verfolgung wegen Verweigerung der Wiedereinreise. Zum einen hält es die dort wiedergegebenen Annahmen der Gutachter, das die Einreiseverweigerung an asylerheblichen Merkmalen anknüpfe, nicht für zwingend. Zum anderen - insoweit selbstständig die Entscheidung tragend - hat die Kammer dogmatische Bedenken, den vom VG Magdeburg beschrittenen Weg im Bereich des § 51 Abs. 1 AuslG zu beschreiten. § 51 Abs. 1 AuslG schützt einen Ausländer vor Abschiebung in einen bestimmten Zielstaat. Kommt aber eine Abschiebung in diesen Staat schon deshalb gar nicht in Betracht, weil dieser Staat - wie hier - auf Dauer überhaupt nicht aufnahmebereit ist, bedarf der Ausländer des Schutzes durch § 51 Abs. 1 AuslG nicht.

Anhaltspunkte für das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG, die auf andern Tatsachen als das Vorbringen der Kläger zu § 51 AuslG fußen, hat das Gericht nicht; solche sind auch nicht von den Klägern vorgetragen worden.

20Die Abschiebungsandrohung begegnet allerdings rechtlichen Bedenken. § 50 Abs. 2 AuslG sieht die Bezeichnung des Zielstaates der Abschiebung nur für den Regelfall vor. Zielstaat wird zumeist der Staat sein, dessen Staatsangehörigkeit der Ausländer besitzt, bei Staatenlosen der Staat des gewöhnlichen Aufenthalts; es kann je nach den Umständen des Falles aber auch ein sonstiger zur Aufnahme bereiter oder verpflichteter Drittstaat sein. Ist indes die Staatsangehörigkeit des Ausländers ungeklärt und - wie wohl regelmäßig - auch ein aufnahmebereiter anderer Staat nicht erkennbar, so liegen besondere Umstände vor, die ein Absehen von der Zielstaatsbezeichnung rechtfertigen. Hinzu kommt, dass die Abschiebung nach Syrien - wenn sie denn möglich wäre - wegen der dort erlittenen politischen Verfolgung der Kläger ohnehin unzulässig wäre. Da die Abschiebungsandrohung - auch wenn sie für die Kläger keine konkrete Gefahr bedeutet - weiterhin Gültigkeit beansprucht, ist sie aufzuheben.

Im übrigen wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylVfG auf den angefochtenen Bescheid in vollem Umfang Bezug genommen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 2, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, 83 b AsylVfG; ihre vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.