LG Göttingen, Beschluss vom 04.11.2002 - 6 T 45/02
Fundstelle
openJur 2012, 38912
  • Rkr:
Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen den Berichtigungs-Beschluss des Amtsgerichts Göttingen vom 01.08.2002 wird als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Gründe

Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung am 17.07.2002 u.a. klageerweiternd den nicht schriftsätzlich angekündigten Antrag gestellt, die Beklagte zur Zahlung von 783,84 Euro zu verurteilen. Unstreitig bezog sich dieser Antrag auf Mietrückstände für die Monate März bis Juli 2002 in Höhe von je 130,64 Euro. Erst im Nachhinein ist aufgefallen, dass die Mietrückstände für die hier geltend gemachten fünf Monate sich insgesamt damit lediglich auf 653,20 Euro beliefen. Wegen dieser offensichtlichen Unrichtigkeit hat das Amtsgericht nach Anhörung der Parteien mit Beschluss vom 01.08.2002 das Protokoll der mündlichen Verhandlung dahingehend berichtigt, "dass die Klägerin den weiteren Antrag gestellt hat, die Beklagte zur Zahlung von 653,20 Euro zu verurteilen". Gegen diesen Beschluss wendet sich die Beklagte mit der sofortigen Beschwerde. Sie ist der Auffassung, das Protokoll habe nicht berichtigt werden dürfen, weil sich bereits aus den Protokollberichtigungsgründen ergebe, dass das Protokoll richtig niedergelegt worden sei; es liege ein unbeachtlicher Motivirrtum vor.

Die sofortige Beschwerde ist nicht statthaft.

Die Voraussetzungen, unter denen eine sofortige Beschwerde statthaft ist, liegen hier nicht vor. Nach § 567 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 ZPO findet die sofortige Beschwerde nur statt, wenn dies entweder im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder es sich um solche eine mündliche Verhandlung nicht erfordernde Entscheidungen handelt, durch die ein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen worden ist.

Gemäß § 164 Abs. 1 ZPO können Unrichtigkeiten des Protokolls jederzeit berichtigt werden. Anders als § 319 Abs. 3 ZPO, der für den Fall der Berichtigung des Urteils ein Rechtsmittel vorsieht, findet sich eine entsprechende Regelung bei § 164 ZPO nicht.

Da das Amtsgericht auch nicht ein das Verfahren betreffendes Gesuch, nämlich den Antrag auf Berichtigung des Protokolls, zurückgewiesen hat, ist eine sofortige Beschwerde auch nicht nach § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zulässig(ebenso: OLG München, OLGZ 80, 465, 466; OLG Koblenz, MDR 86, 593; LAG Hamm, MDR 88, 172).

Damit ist grundsätzlich eine Protokollberichtigung nicht mit einem Rechtsmittel angreifbar (so auch OLG München, a.a.O.; OLG Hamm, Rechtspfleger 1979, 29).

Allerdings ist in der Rechtsprechung wiederholt bei besonders groben Verfahrensverstößen auch die Anfechtbarkeit des eine Protokollberichtigung aussprechenden Beschlusses zugelassen worden (für den Fall der Entscheidung durch hierzu nicht berufene Personen: LAG Hamm, a.a.O.; LG Frankfurt am Main, Juristisches Büro 1993, 744, 745; OLG Hamm, MDR 1983, 410; ebenso OLG Frankfurt, MDR 1986, 152 für den Fall der unzulässigen Berichtigung eines protokollierten Vergleichs; OLG Celle MDR 1961, 1021). All diese von der Rechtsprechung zugelassenen Anfechtungsmöglichkeiten lassen sich unter die Fallgruppe "Anfechtung wegen greifbarer Gesetzwidrigkeit" zusammenfassen: Die Rechtsprechung hat gewohnheitsrechtlich die Möglichkeit der Beschwerde gegen eine nach den gesetzlichen Vorschriften unanfechtbare Entscheidung für derartige Fälle zugelassen, nämlich dann, wenn eine Entscheidung dieser Art, dieses Inhalts oder dieses Gerichts jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und inhaltlich dem Gesetz fremd ist, sie also mit der Rechtsordnung schlechthin unvereinbar ist (vgl. Baumbach/Lauterbach, ZPO, 60. Auflage, § 567 Rdnr. 6).

Ein solcher Fall, der die Zulassung einer außerordentlichen sofortigen Beschwerde rechtfertigt, liegt hier indessen nicht vor. Vielmehr ist hier das Gegenteil festzustellen: Es hat die für die Protokollberichtigung hier allein zuständige Richterin entschieden. Sie war zu dieser Art der Berichtigung auch befugt. Die Auffassung der Beklagten, die meint, offenbare Unrichtigkeiten, zu denen auch Rechenfehler zählen können (vgl. § 319 ZPO) seien von der Protokollberichtigung ausgeschlossen, kann nicht gefolgt werden. Ganz im Gegenteil ist bei der Protokollberichtigung nicht nur die Berichtigung von offensichtlichen Fehlern zulässig (vgl. OLG Koblenz, Rechtspfleger 1969, 137; OLG München, a.a.O.). Nach § 164 ZPO können vielmehr Unrichtigkeiten des Protokolls jederzeit berichtigt werden. Dabei ist nicht vorausgesetzt, dass es sich um eine offenbare Unrichtigkeit handelt, wie sie § 319 Abs. 1 ZPO für den Fall der Urteilsberichtigung verlangt; vielmehr genügt jede Unrichtigkeit, mag sie auch nicht ohne weiteres erkennbar sein (so auch OLG Hamm, OLGZ 79, 376, 380; OLG München, a.a.O.). Die Berichtigung von Rechen- und Kalkulationsfehlern soll nur dann nicht zulässig sein, wenn es sich um den Wortlaut eines protokollierten, vorgelesenen und von den Parteien genehmigten Vergleichs handelt (OLG Hamm, MDR 1983, 410; OLG Frankfurt, MDR 1986, 153); in einem solchen Fall kommt es entscheidend darauf an, welcher Text vorgelesen und genehmigt wurde: würde ein solcher Vergleichstext wegen eines Rechenfehlers berichtigt, würde das Protokoll insoweit unrichtig werden als nunmehr beurkundet wird, der Vergleich sei mit dem berichtigten Inhalt vorgelesen und genehmigt worden, was tatsächlich nicht zutrifft. Ein solcher Fall liegt hier indessen nicht vor: Der Antrag der Klägervertreterin, den das Gericht wegen eines offensichtlichen Kalkulationsfehlers berichtigt hat, ist ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 17.07.2002 nicht vorgelesen und genehmigt worden.

Ob es im Übrigen zutrifft, dass ein solcher Kalkulationsfehler vorgelegen hat, darf das Beschwerdegericht, das an der Sitzung nicht teilgenommen hat, nicht überprüfen.

Damit liegt ersichtlich kein schwerer Verfahrensverstoß vor, der die Zulassung einer außerordentlichen sofortigen Beschwerde rechtfertigen würde.

Die sofortige Beschwerde ist daher mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.