VG Braunschweig, Beschluss vom 31.07.2002 - 3 B 185/02
Fundstelle
openJur 2012, 38315
  • Rkr:

Unterhaltsansprüche gegenüber einem Ehepartner oder Elternteil, die erst gerichtlich vor dem Amtsgericht eingeklagt werden müssen, sind - wenn nicht eine kurzfristige Entscheidung des Amtsgerichts absehbar ist - keine bereiten Mittel i.S.v. § 2 BSHG.

Tenor

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin und ihrem Sohn ab dem 1. Juli 2002 Hilfe zum Lebensunterhalt einschließlich der Unterkunftskosten in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag nach § 123 VwGO mit dem Ziel, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zur Gewährung laufender Hilfe zum Lebensunterhalt für die Antragstellerin zu verpflichten, hat Erfolg.

Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen werden, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Regelungsanordnung). Da nach Sinn und Zweck des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens die vorläufige Regelung grundsätzlich die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorwegnehmen darf, kann eine Verpflichtung zur Zahlung und Übernahme von Geldleistungen, wie sie im vorliegenden Fall begehrt wird, im einstweiligen Anordnungsverfahren in der Regel nur ausgesprochen werden, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen für einen entsprechenden Anspruch (Anordnungsanspruch) glaubhaft gemacht sind und weiterhin glaubhaft gemacht wird, dass die begehrte Hilfe aus existenzsichernden Gründen so dringend notwendig ist, dass der Anspruch mit gerichtlicher Hilfe sofort befriedigt werden muss und es deshalb nicht zumutbar ist, den Ausgang eines Hauptsacheverfahrens abzuwarten (Anordnungsgrund).

Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf Bewilligung laufender Leistungen zum Lebensunterhalt glaubhaft gemacht.

Gemäß §§ 2, 11 BSHG ist Hilfe zum Lebensunterhalt dem zu gewähren, der seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem aus seinem Einkommen und Vermögen, beschaffen kann.

Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, dass sie einen Anspruch auf Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 11 Abs. 1 BSHG hat.

Nach den glaubhaften Angaben der Antragstellerin lebt diese seit Mitte Februar 2002 von ihrem Ehemann und dem Vater ihres Sohnes getrennt. Sie verfügt, wie sich aus dem der Kammer vorliegenden Verwaltungsvorgang ergibt, lediglich über laufende Einnahmen in Höhe des für ihren Sohn monatlich gezahlten Kindergeldes (154,00 EUR). Ausweislich der im Verwaltungsvorgang befindlichen Kontoauszüge und ihren Angaben im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zahlt ihr Ehemann derzeit für sie und das Kind keinerlei Unterhalt. Weitere Einkünfte hat die Antragstellerin nicht, so dass ein sozialhilferechtlicher Bedarf anzunehmen ist. Dieser Annahme steht auch nicht entgegen, dass die Antragstellerin nach ihren eigenen Angaben im Jahr 2000 (nicht, wie vom Antragsgegner in seiner Antragserwiderung behauptet im Jahr 2002) aus der Scheidung ihrer ersten Ehe eine Abfindungssumme in Höhe von 123.000 DM erhalten hat. Bei im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglicher summarischer Prüfung hält die Kammer in Anbetracht des Lebensstandards der Familie in der Vergangenheit die Angaben der Antragstellerin, das Geld sei vollständig für Urlaube, Autos, Möbel, Kleidung und die Einrichtung der Wohnung in S. verbraucht worden, für glaubhaft. Die Antragstellerin hat auch durch Vorlage eines Kontoauszuges nachgewiesen, der Firma des Ehemannes am 19.09.2000 eine Summe von 25.000 DM überwiesen zu haben. Aus den vorgelegten Kontoauszügen ergibt sich, dass die Antragstellerin seit der Trennung von ihren nunmehr aufgebrauchten Ersparnissen und dem Rückkaufswert ihrer Lebensversicherung, die sie auf Hinweis des Antragsgegners umgehend gekündigt hatte, gelebt hat.

7Zwar führt der Antragsgegner grundsätzlich zu Recht aus, dass die Antragstellerin im Rahmen der §§ 11, 2 BSHG im Wege der Selbsthilfe zunächst gehalten ist, - vorrangige - Unterhaltsansprüche gegen ihren Ehemann durchzusetzen. Sozialhilferechtlich kann sie aber nur auf solche Forderungen verwiesen werden, die als sog. bereite Mittel anzusehen sind, ihr mithin zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes sofort zur Verfügung stehen (vgl. Beschluss der Kammer vom 21.08.2001, - 3 B 241/01 -).

Ausweislich der vorliegenden Unterlagen hat die Antragstellerin bereits unter dem 06.03.2002 beim Amtsgericht Wolfenbüttel Prozesskostenhilfe für ein Verfahren, gerichtet auf die Verpflichtung des Ehemannes zur Zahlung von Unterhalt für seine Frau und sein Kind, beantragt. Nach telefonischer Rücksprache der Berichterstatterin mit der Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin hat insoweit am Tag der gerichtlichen Entscheidung ein PKH-Prüfungstermin vor dem Amtsgericht Wolfenbüttel stattgefunden. Nachdem der Ehemann der Antragstellerin dort nicht erschienen ist, ist der Antragstellerin mit Beschluss vom heutigen Tage Prozesskostenhilfe bewilligt worden. Termin zur mündlichen Verhandlung ist auf den 30.10.2002 bestimmt. Über den von der Antragstellerin nach Aufforderung des Antragsgegners am 16.07.2002 beim Amtsgericht Wolfenbüttel gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird nach den glaubhaften Angaben der Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin und den damit übereinstimmenden Erkenntnissen der Kammer aus anderen Verfahren nicht kurzfristig entschieden.

Angesichts dieser Sachlage ist der Unterhaltsanspruch der Antragstellerin und ihres Sohnes gegenüber dem Ehemann und Vater nicht als bereites Mittel im Sinne der §§ 2, 11 BSHG anzusehen. Der Antragsgegner ist vielmehr gehalten, zunächst Sozialhilfe zu leisten und sich aus dem von der Antragstellerin weiterhin gegen den Ehemann geltend zu machenden Unterhaltsanspruch nach Anspruchsübergang zu befriedigen. Dies hat er ausweislich des Verwaltungsvorganges bisher nicht getan, obwohl die Antragstellerin am 19.07.02 den Antragsgegner von der Einleitung des zivilrechtlichen Verfahrens informiert hat.

Nach alledem ist dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit der Kostenfolge aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO stattzugeben.

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