VG Osnabrück, Urteil vom 23.04.2002 - 1 A 126/01
Fundstelle
openJur 2012, 38089
  • Rkr:

Zu den Grenzen unzulässiger Wahlwerbung eines Amtsträgers in eigener Sache. - Zur Kausalität eines Wahlfehlers.

Tatbestand

Am 09.09.2001 fand in der Gemeinde C. - zugleich mit der Gemeinderatswahl - die Wahl für das zum 01.01.2003 zu besetzende Amt des hauptamtlichen Bürgermeisters der Gemeinde statt. Gewählt wurde der Beigeladene, der seit 1998 das Amt des stellvertretenden Gemeindedirektors bekleidet. Auf ihn entfielen mit 3.333 Stimmen 54,3 % der 6.139 gültigen Stimmen. Er erzielte damit 527 Stimmen mehr als sein einziger Gegenkandidat, Herr AH. AI., der mithin 2.806 Stimmen (45,7 %) erreichte. Damit übertraf der Beigeladene die für die Mehrheit erforderliche Mindeststimmenzahl um 263 Stimmen. 263 Stimmen sind 7,89 % der für den Beigeladenen abgegebenen 3.333 Stimmen. Wahlberechtigt waren 9909 Wähler, abgegeben wurden 6.264 Stimmen. Damit lag die Wahlbeteiligung bei 63,2 %. Der Beigeladene gehört der CDU an, der Gegenkandidat AH. AI. der SPD. Bei den zugleich durchgeführten Gemeinderatswahlen entfielen von den abgegebenen gültigen Stimmen 56,5 % auf die CDU, 32,5 % auf die SPD, 6,3 % auf die FDP und 4,7 % auf die Grünen. - Am 10.09.2001 stellte der Gemeindeausschuss für die Bürgermeisterwahl die für den Beigeladenen abgegebenen 3.333 Stimmen und die für den Kandidaten AH. AI. abgegebenen 2.806 Stimmen als Wahlergebnis fest.

Mit Schreiben vom 21.09.2001 erhob der Kläger beim Wahlleiter, dem Gemeindedirektor AJ., Wahleinspruch mit der Begründung, die Wahl sei in unzulässiger Weise in ihrem Ergebnis beeinflusst worden. Dazu führte er aus: In dem (dort als Anlage beigefügten) Wahlprospekt habe der Beigeladene dadurch gegen die ihm als stellvertretenden Gemeindedirektor und somit als Amtsträger obliegenden Neutralitätspflicht verstoßen, in dem er in seiner amtlichen Funktion ("Ich als stellvertretender Gemeindedirektor") damit geworben habe, dass die auf ihn entfallenden Stimmen Sofort-Wirkung entfalteten, da er den Vorteil habe, jetzt schon wesentliche Dinge anstoßen zu können ("Deshalb: Ihre Stimme für den hauptamtlichen Bürgermeister AB. hat Sofort-Wirkung!"). Bedenklich sei auch, dass ein Bild des Wahlprospektes den Beigeladenen an seinem Schreibtisch im Rathaus der Gemeinde zeige. Auch damit trete er als stellvertretender Gemeindedirektor und somit als Amtsträger auf. Dies sei in einem Wahlprospekt unzulässig. Die Unzulässigkeiten seien hier auch besonders schwerwiegend, da der Wahlprospekt u.a. an sämtliche Haushalte der Gemeinde C. verteilt worden sei und dementsprechend einen Großteil der Wählerinnen und Wähler beeinflusst habe könnte. Des Weiteren liege eine unzulässige Wahlbeeinflussung durch zwei Interviews des Beigeladenen vor, die kurz vor der Wahl im "AK." veröffentlicht worden seien. Dort habe der Beigeladene nicht als Privatperson, sondern in seiner Funktion als stellvertretender Gemeindedirektor und damit nach außen hin als Amtsträger für die Bereiche dezentrale Verwaltung, Jugendarbeit, Ausbildungsplatzsituation und Standort-Politik jeweils eine Leistungsbilanz seiner bisherigen Tätigkeit abgegeben. Eine weitere unzulässige Wahlbeeinflussung sei in dem Verhalten des Gemeindewahlleiters der Gemeinde C. in den letzten Wochen vor der Wahl zu erkennen. In dieser Zeit seien von der Verwaltung der Gemeinde C. und damit durch den Wahlleiter auffällig viele Presseberichte an das AL. AM. gegeben worden. Die Pressearbeit sei aber in der Vergangenheit von Seiten der Verwaltung bei weitem nicht so intensiv betrieben worden. In der Mehrzahl der Zeitungsberichte seien gemeinsame Ablichtungen von dem Beigeladenen und dem Wahlleiter abgedruckt. Das lasse den Eindruck zu, dass der Gemeindewahlleiter durch diese verstärkte Pressearbeit Wahlwerbung für den Beigeladenen betrieben habe. Dadurch habe der Gemeindewahlleiter gegen seine Neutralitätspflicht verstoßen. In Bezug auf diese verstärkte Pressearbeit trete noch hinzu, dass zu den Ortsterminen, über die in den Zeitungsartikeln berichtet worden seien, lediglich Vertreter der CDU eingeladen worden seien. Darin liege ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz und damit eine Verletzung der Amtspflicht des Gemeindewahlleiters.

Der zugleich am 09.09.2001 neu gewählte Rat der Gemeinde C. verhandelte in seiner ersten Sitzung am 07.11.2001 öffentlich über die Gültigkeit der Wahl und beschloss bei 2 Stimmenthaltungen mit 17 gegen 10 Stimmen:

"Die Einwendungen gegen die Wahl sind nicht begründet und werden zurückgewiesen. Die Wahl ist gültig."

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf TOP 9 der Niederschrift über die öffentliche Sitzung des Rates der Gemeinde C. vom 07.11.2001 und die zu jener Sitzung und Verhandlung abgegebenen Stellungnahmen des Gemeindewahlleiters vom 07.11.2001 und des Beigeladenen (undatiert) verwiesen.

Die Wahlprüfungsentscheidung stellte der Beklagte den Beteiligten mit Bescheid vom 13.11.2001 zu und führte zur Begründung aus: In dem Wahlprospekt habe der Beigeladene erkennbar nicht in amtlicher Eigenschaft als stellvertretender Gemeindedirektor der Gemeinde C. Erklärungen abgegeben. Die Erklärungen über die Person des Beigeladenen seien in einem Wahlprospekt der CDU enthalten. Auf dem Foto, dass den Beigeladenen an seinem Schreibtisch zeige, seien keine spezifischen Merkmale dafür erkennbar, dass es sich dabei um einen Schreibtisch im Rathaus der Gemeinde C. handele. Die Interviews im "AK." seien für jedermann als Gespräche mit dem Beigeladenen als Kandidaten für das Amt des hauptamtlichen Bürgermeisters erkennbar. Insofern seien von diesem dort auch keine Erklärungen in amtlicher Eigenschaft abgegeben worden. Die Presseberichte des Gemeindedirektors stützten sich auf die Bestimmung des § 62 Abs. 3 Satz 3 NGO, die hierfür eine Verpflichtung des Gemeindedirektors begründe. In die Ausübung dieser Informationspflicht sei der Beigeladene als der allgemeine Vertreter des Gemeindedirektors eingebunden, insbesondere dort, wo seine Zuständigkeit durch Erledigung von Verwaltungsarbeiten gegeben sei. Es sei nicht zutreffend, dass zu Ortsterminen, über die in Zeitungsartikeln berichtet worden sei, lediglich Vertreter der CDU eingeladen worden seien. Vielmehr seien die Termine vom Gemeindedirektor und den Fachdienstleitern des Rathauses C. oder in der Vertretung des Gemeindedirektors wahrgenommen worden oder es sei jeweils der zuständige Ortsbürgermeister hinzugeladen oder der Bürgermeister um Beteiligung gebeten worden. Ein Verstoß gegen die Neutralitätspflicht liege nicht vor.

Am 13.12.2001 hat der Kläger bei der erkennenden Kammer Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt und vertieft er seine Einwendungen aus dem Wahleinspruchsverfahren und führt dazu aus, aus welchen rechtlichen Erwägungen die beanstandeten Vorwahlaktivitäten des Beigeladenen und des Wahlleiters seiner Ansicht nach wahlfehlerhaft seien, die Fehlerhaftigkeit auch erheblich sei und die Wahl des Beigeladenen für ungültig erklärt werden müsse.

Der Kläger beantragt,

die Wahlprüfungsentscheidung des Beklagten vom 13.11.2001 aufzuheben und die Wahl des Beigeladenen zum hauptamtlichen Bürgermeister der Gemeinde C. vom 09.09.2001 für ungültig zu erklären.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er macht geltend: Es bestünden bereits hinsichtlich der Zulässigkeit der Klage Zweifel. Aus der abschließenden Sonderregelung des § 45 d NKWG folge, dass den Parteien für Direktwahlen kein Wahlvorschlagsrecht zustehe und demgemäß könnten Parteien nach § 46 NKWG auch keinen Wahleinspruch einlegen. In der Sache sei die Klage auch unbegründet, da weder der Gemeindedirektor noch der Beigeladene durch ihr Verhalten gegen die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zur Neutralitätspflicht verstoßen hätten. Dabei sei bereits zweifelhaft, ob die von der Rechtsprechung zur Neutralitätspflicht von Amtsinhabern entwickelten Grundsätze überhaupt auf den Beigeladenen anzuwenden seien. Die Frage, ob ein amtierender Hauptverwaltungsbeamter bzw. dessen Stellvertreter in seiner Eigenschaft als Amtsinhaber eine Wahlempfehlung zu seinen eigenen Gunsten abgeben dürfe, habe die Rechtsprechung bislang - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden. Zu strenge Anforderungen an eine möglicherweise bestehende Neutralitätspflicht des für seine eigene Person Wahlkampf betreibenden Inhabers eines Amtes würde eine unzumutbare Einengung im Wahlkampf bedeuten. Auch einem solchen Wahlbewerber müsse es unter dem Aspekt der Chancengleichheit möglich sein, im Rahmen seiner privaten Wahlwerbung auf seine beruflichen Erfahrungen und Qualifikationen hinzuweisen. Demgemäß könne ein solcher Wahlbewerber auch auf seine bisherige Tätigkeit Bezug nehmen und dem Wähler den in seiner Person liegenden Vorteil, der sich aus der Wahl eines leitenden Verwaltungsbeamten ergebe, vor Augen führen. Wesentlicher Gegenstand jedes Wahlkampfes sei die Betonung der gegenüber dem Gegenkandidaten bestehenden Vorzüge. Bei dem vom Beigeladenen gegenüber dem Gegenkandidaten in Höhe von 8,6 % der abgegebenen gültigen Wählerstimmen erzielten Vorsprung hätten die von dem Kläger beanstandeten  Wahlaktivitäten des Beigeladenen und des Gemeindewahlleiters aber ohnehin nicht maßgebenden Einfluss auf das Wahlergebnis gehabt.

Der Beigeladene  beantragt ebenfalls,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung nimmt er dahin Stellung, dass die von der Klägerin missbilligten Aktivitäten seine Neutralitätspflicht nicht verletzt hätten.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie auf den von dem Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgang verwiesen.

Gründe

Die streitgegenständliche Anfechtungsklage ist als verwaltungsgerichtliche Wahlprüfungsklage nach § 49 Abs. 2 Satz 1 NKWG, bei der im Erfolgsfall die Wahlprüfungsentscheidung auszuheben und die Ungültigkeit der Wahl festzustellen ist (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 16.02.1999 - 10 L 4498/97 - NVwZ 1999, 1368), zulässig.

Entgegen der Auffassung des Beklagten fehlt der Klägerin auch nicht die Klagebefugnis.

Gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 NKWG kann u.a. jede Partei, die einen Wahlvorschlag eingereicht hat, gegen die Gültigkeit der Wahl mit der Begründung Einspruch erheben, dass die Wahl nicht den gesetzlichen Vorschriften entsprechend vorbereitet oder durchgeführt oder dass sie in anderer unzulässiger Weise in ihrem Ergebnis beeinflusst worden ist. Die Auffassung des Beklagten, dass es für die Direktwahl kein Wahlvorschlagsrecht der Parteien und es demzufolge auch kein Wahleinspruchsrecht der Parteien gebe, ist unzutreffend. Nach der allgemeinen Regelung des § 21 Abs. 1 Satz 1 NKWG können Wahlvorschläge von den Parteien im Sinne des Art. 21 des Grundgesetzes, von Gruppen von Wahlberechtigten (Wählergruppen) und von Einzelpersonen (Einzelbewerberinnen oder Einzelbewerbern) eingereicht werden. Diese Regelung ist für die Direktwahl gemäß § 45 a NKWG entsprechend anwendbar; nach § 45 a NKWG finden auf die Direktwahl die Vorschriften des Nds. Kommunalwahlgesetzes entsprechende Anwendung, soweit sich nicht aus den §§ 45 b bis 45 j NKAG oder aus der Nds. Gemeindeordnung oder der Nds. Landkreisordnung etwa anderes ergibt. Aus diesen Vorschriften ergibt sich jedoch nicht, dass Parteien für die Direktwahl keine Wahlvorschläge einreichen dürften. Die die Wahlvorschläge für die Direktwahl regelnden Bestimmungen des § 45 d NKWG modifizieren das Wahlvorschlagsrecht für die Direktwahl, indem sie die Abweichungen von den allgemeinen Vorschriften ausdrücklich aufzeigen. Zu dem Wahlvorschlagsrecht der Parteien enthält § 45 d keine abweichende Regelung; dieses Wahlvorschlagsrecht wird damit nicht modifiziert und bleibt mithin unangetastet. Die Auffassung des Beklagten, § 45 d NKWG sei eine abschließende Sonderregelung gegenüber § 21 NKWG, ist unhaltbar und die vom Beklagten dafür herangezogene Rechtsprechung und Literatur nicht einschlägig. Dass § 45 d NKWG keine abschließende Sonderregelung ist, liegt auf der Hand, weil diese Regelung, wäre § 21 NKWG unanwendbar, ersichtlich unvollständig wäre. Außerdem ergibt sich der bloß modifizierende Charakter dieser Regelung bereits aus deren Wortlaut und Systematik. Das zeigt insbesondere auch deren § 45 d Abs. 2 NKWG auf. - Dass der Kläger einen Wahlvorschlag (mit dem Kandidaten AH. AI.) eingereicht hat, stellt auch der Beklagte nicht in Frage.

Die Klage ist auch begründet. Die Bürgermeisterwahl vom 09.09.2001 leidet an einem zu ihrer Ungültigkeit führenden Wahlfehler.

Nach § 4 Abs. 1 NKWG ist die Kommunalwahl allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urt. v. 2.03.1977 - 2 BvE 1/76 - BVerfGE 44, 125) vermögen Wahlen demokratische Legitimation im Sinne des Art. 20 Abs. GG nur zu verleihen, wenn sie frei sind. Dies erfordert nicht nur, dass der Akt der Stimmabgabe frei von Zwang und unzulässigen Druck bleibt, wie es Art. 38 Abs. 1 GG gebietet, sondern ebenso sehr, dass die Wähler ihr Urteil in einem freien, offenen Prozess der Meinungsbildung gewinnen und fällen können. Der Grundakt der demokratischen Legitimation, die Wahl der Abgeordneten der Volksvertretung, ist - wie das Bundesverfassungsgericht ausführt - in höchstem Maße der Integrität bedürftig. Im Wahlakt muss sich die Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen hin vollziehen, nicht umgekehrt von den Staatsorganen zum Volk hin. So sehr auch von dem Verhalten der Staatsorgane Wirkungen auf die Meinungs- und Willensbildung des Wählers ausgehen und dieses Verhalten selbst auch Gegenstand des Urteils des Wählers ist, so sehr ist es den Staatsorganen in amtlicher Funktion verwehrt, durch besondere Maßnahmen darüber hinaus auf die Willensbildung des Volkes bei Wahlen einzuwirken, um dadurch Herrschaftsmacht in Staatsorganen zu erhalten oder zu verändern. Eine auf Wahlbeeinflussung gerichtete, parteiergreifende Einwirkung von Staatsorganen als solchen zugunsten oder zulasten einzelner oder aller am Wahlkampf beteiligten politischen Parteien oder Bewerber ist unvereinbar mit Art. 20 Abs. 2 GG. Sie verstößt gegen das Gebot der Neutralität des Staates im Wahlkampf und verletzt die Integrität der Willensbildung des Volkes durch Wahlen und Abstimmungen. - Diese für die Wahl zum Bundestag entwickelten Grundsätze gelten nach Art. 28 Abs. 1 GG auch für den kommunalen Bereich. Aus ihnen ergibt sich die Neutralitätspflicht der Gemeinden und ihrer Organe im Kommunalwahlkampf, mit der der Anspruch der Wahlbewerber auf Chancengleichheit korrespondiert (VGH Kassel, Urt. v. 25.02.1999 - 8 UE 4368/98 - NVwZ 1999, 1365). Demgemäß wird etwa auch eine Wahlempfehlung, die ein Amtsinhaber in dieser Eigenschaft zugunsten eines Wahlbewerbers abgibt, nicht durch das Grundrecht der freien Meinungsäußerung gedeckt (BVerwG, Urt. v. 18.04.1997 - 8 C 5.96 - DVBl. 1997, 1276). Das Gebot der freien Wahl untersagt staatlichen und gemeindlichen Organen sich in amtlicher Funktion vor Wahlen mit politischen Parteien oder Wahlbewerbern zu identifizieren und sie als Amtsträger zu unterstützen. Zulässige amtliche Öffentlichkeitsarbeit findet ihre Grenze dort, wo offene oder verdeckte Wahlwerbung beginnt. Dass ein Amtsinhaber, der sich um seine eigene Wiederwahl oder um die eigene Wahl für ein anderes Amt bewirbt, nicht in unzumutbarer Weise in seinem eigenen Wahlkampf eingeengt werden darf, steht dabei außer Frage (BVerwG, Urt. v. 08.07.1966 - 7 C 192.64 - BVerwGE 24, 315). Auch für den sich in eigener Sache um ein Amt bewerbenden Amtsinhaber gilt, dass dieser nicht in amtlicher Eigenschaft Wahlwerbung betreiben darf. Damit wird einem sich zur Wiederwahl stellenden Amtsträger oder einem anderen sich der Wahl zum Hauptverwaltungsbeamten stellenden Amtsträger der Wahlkampf nicht in unzumutbarer Weise eingeengt. Der Amtsträger kann außerhalb seiner amtlichen Eigenschaft in privater Wahlwerbung seine Tüchtigkeit und Qualifikation für das angestrebte Amt herausstellen. Für diesen Aspekt darf er auch auf sein bisheriges berufliches Wirken hinweisen (vgl. dazu Thiele, Wahlkampfaktivitäten von Amtsträgern, KommunalPraxis N 1999, 100). Die Grenze zur unzulässigen Wahlwerbung hin wird aber dann überschritten, wenn dieser Aspekt nicht mehr im Vordergrund steht, sondern der Amtsinhaber mit Umständen für sich wirbt, die nicht in seiner Person begründet sind, sondern sich aus der Innehabung seines Amtes ergeben. Das ist hier durch den Beigeladenen geschehen.

Entgegen der Auffassung der Beklagten und des Beigeladenen hat der Beigeladene durch den Wahlprospekt ("AA. AB. (  Moderner denken, moderner handeln.") nicht etwa nur sein berufliches Wirken als Ausdruck seiner Tüchtigkeit und Qualifikation für das angestrebte Bürgermeisteramt dargestellt und in den Vordergrund gerückt, sondern er hat seine gegenwärtige Amtsinhaberschaft als ein Instrument dargestellt, durch das er im Falle seiner Wahl bis zum Antritt des Bürgermeisteramtes in besonderer Weise als Amtsträger und in Ausübung des gegenwärtig bekleideten Amtes tätig werden wird. Hier wird nicht mehr die persönliche Tüchtigkeit und die Qualifikation in den Vordergrund gestellt, sondern der Beigeladene verspricht dem Wähler für den Fall seiner Wahl zum Bürgermeister sein gegenwärtiges Amt in bestimmter Weise auszuüben. Er will den Wähler insoweit mit dem Argument überzeugen, dass die von ihm benannten Projekte nur im Falle seiner Wahl sofort in Angriff genommen werden könnten, und zwar nur deshalb, weil er sein gegenwärtiges Amt innehabe und es nach der Wahl in bestimmter Weise einsetzen werde. Er wirbt dabei zudem mit dem Argument, dass die Projekte auch mittelfristig nur zu verwirklichen seien, wenn mit ihnen "heute" begonnen werde; das besagt, dass die Projekte auch mittelfristig nur im Falle seiner Wahl zum Bürgermeister zu verwirklichen seien, und zwar weil er sein gegenwärtiges Amt dazu einsetzen werde. Darin liegt eine unzulässige Beeinflussung des Meinungsbildungsprozesses, die in deutlichem Maße den Rahmen einer zulässigen Wahlwerbung sprengt.

Dass der Wahlprospekt als CDU-Wahlprospekt herausgegeben worden ist, ist unbeachtlich. Die CDU hat den Prospekt für den Beigeladenen und dessen Wahl zum Bürgermeister herausgegeben und es ist der Beigeladene selbst, der sich dort mit eigenen Worten in der dargelegten Weise erklärt.

Der Wahlfehler ist auch so schwerwiegend, dass er zur Ungültigkeit der Wahl führt.

Wie sich schon aus dem Wortlaut des § 46 NKWG ergibt, führt ein Wahlfehler allerdings nur dann zur Ungültigkeit einer Wahl, wenn er das Ergebnis beeinflusst hat. Eine Beeinflussung in diesem Sinne liegt vor, wenn der Wahlfehler dafür, dass der Beigeladene im ersten Wahlgang die erforderliche Stimmenmehrheit erreicht hat, von Einfluss war oder von Einfluss gewesen sein könnte. Dabei darf es sich nicht nur um eine theoretische Möglichkeit handeln; die Möglichkeit muss vielmehr eine nach der allgemeinen Lebenserfahrung konkrete und nicht ganz fernliegende sein (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vgl. Beschl. v. 23.11.1993 - 2 BvC 15/91 - BVerfGE 89, 291 m.w.N.). Danach ist hier für eine zur Ungültigkeit der Wahl führende Kausalität des Wahlfehlers erforderlich, dass die Möglichkeit, ohne diese wahlfehlerhafte Werbung könnten sich wenigstens 264 Wählerinnen und Wähler bzw. knapp 8 % derjenigen Wähler, die den Beigeladenen gewählt haben, für den Gegenkandidaten entschieden haben oder Wähler des Beigeladenen hätten sich in einem für die Mehrheit des Gegenkandidaten hinreichenden Maße der Stimme enthalten, nicht nur eine ganz fernliegende ist. Dass die Wahl ohne den Wahlfehler jeden 12. Wähler des Beigeladenen zu einer Wahl des Gegenkandidaten veranlasst hätte oder entsprechend mehr Wahlenthaltungen erfolgt wären, mag nicht die naheliegendste Möglichkeit sein. Zunächst ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Prospekt einen Monat vor der Wahl und damit zu einem für die Willensbildung wichtigen Zeitpunkt verteilt worden ist und er nahezu alle Wählerinnen und Wähler erreicht hat. Angesichts des Umstandes, dass der Beigeladene in seinem Wahlprospekt suggeriert hat, dass die dort bezeichneten Projekte, deren (zügige) Durchführung für viele Wählerinnen und Wähler - so sicherlich auch die Annahme des Beigeladenen - von Bedeutung bzw. Interesse ist, bei der Wahl des Gegenkandidaten bis zum Jahre 2003 nicht einmal auf den Weg gebracht würden, erscheint die Möglichkeit, dass der Beigeladene nicht die erforderliche Mehrheit erhalten hätte, jedenfalls nicht als ganz fernliegend (vgl. dazu insbesondere auch VGH Mannheim, Urt. v. 17.02.1992 - 1 S 226/91 - ).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11 ZPO.

Die Berufung war vom Verwaltungsgericht nicht zuzulassen, weil dafür die Voraussetzungen nicht gegeben sind.