Niedersächsisches OVG, Urteil vom 20.02.2002 - 13 L 3502/00
Fundstelle
openJur 2012, 37840
  • Rkr:

Für Schüler von Regelschulen der Sekundarstufe I ist ein Schulweg von 4 km - knapp 60 Minuten zu Fuss - zumutbar.

Tatbestand

Die Kläger begehren von dem Beklagten die Übernahme von Schülerbeförderungskosten für das Schuljahr 1997/1998. In diesem Schuljahr besuchten sie beide das J. in L., der Kläger die 9., die Klägerin die 7. Klasse. Ihre Anträge auf Ausstellung von kostenlosen Sammelzeitkarten lehnte der Beklagte mit Bescheiden vom 25. Juni bzw. 3. September 1997 ab mit der Begründung, aufgrund seiner Schülerbeförderungssatzung bestehe ein Anspruch auf Schülerbeförderung bzw. auf Erstattung der Kosten nur dann, wenn der Weg zur Schule bestimmte Mindestentfernungen überschreite. Im Fall der Kläger werde die insoweit maßgebende Mindestentfernung von 4 km nicht überschritten.

Die dagegen eingelegten Widersprüche wies der Beklagte mit Bescheiden vom 23. Juli bzw. 21. Oktober 1997 zurück, wobei er den kürzesten Schulweg mit maximal 3.940 m angab. Ein Schulweg von 4 km für Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I sei im Hinblick auf deren Alter und die vorauszusetzende Belastbarkeit als angemessen anzusehen. Der Schulweg sei auch nicht besonders gefährlich oder ungeeignet. Die geltend gemachten Bedenken in Bezug auf das Asylbewerberheim am M. sowie die Obdachlosenunterkunft am Z. würden nicht geteilt. Es könne nicht unterstellt werden, dass Obdachlose oder Asylanten im allgemeinen eine Gefährdung für Schülerinnen und Schüler darstellten.

Am 27. August bzw. 5. November 1997 haben die Kläger jeweils Klage erhoben und weiterhin geltend gemacht, dass die Festlegung einer Mindestentfernung von 4 km in der Satzung des Beklagten unzumutbar sei. Dies ergebe sich schon aus der Regierungsvorlage zum ÄndG 1980. Zudem sei der Schulweg besonders gefährlich, da im Z. Obdachlose und im M. Asylbewerber untergebracht seien. Bei beiden Personengruppen sei nicht ausgeschlossen, dass sie zu Aggressivität neigten. Hilfe im Notfall sei aufgrund der örtlichen Gegebenheiten nicht zu erreichen. Im Übrigen weise der vom Beklagten im Widerspruchsbescheid genannte Schulweg eine Länge von 4.129 m auf.

Die Kläger haben beantragt,

die Bescheide des Beklagten von 25. Juni und 3. September 1997 und seine Widerspruchsbescheide vom 23. Juli und 21. Oktober 1997 aufzuheben und ihn zu verpflichten, ihnen die Kosten für eine Schülerjahreskarte für die Benutzung der Buslinien der ... zu erstatten.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat erwidert: Das Schulgesetz räume ihm die Möglichkeit ein, abweichend von der früheren 2 km-Grenze eine niedrigere oder eine höhere Grenze festzulegen oder für verschiedene Altersstufen unter Berücksichtigung von Schulformen und Schuljahrgängen unterschiedliche Mindestgrenzen zu bestimmen. Bei der Festsetzung der Grenzen in der Satzung sei auf die durchschnittliche Belastbarkeit der entsprechenden Altersgruppe und der betreffenden Schulform abgestellt worden. Die früheren "Empfehlungen zur Verbesserung der Qualität der Schülerbeförderung" der Nds. "Landeskommission Schülertransport" aus dem Jahre 1979 seien nicht mehr aktuell, weil das Land zwischenzeitlich die Schülerbeförderung kommunalisiert habe. Sein Gesundheitsamt gehe ebenfalls von der Zumutbarkeit eines Schulweges von 4 km aus. Bewegung und frische Luft würden sich positiv auswirken; die Belastung mit einem Ranzen sei insoweit unerheblich. Schließlich habe eine Überprüfung ergeben, dass der kürzeste Schulweg hier lediglich 3.799 m betrage. Dabei entfalle der Weg durch den Z. (Obdachlose).

Das Verwaltungsgericht hat auf den Beweisbeschluss vom 17. Juni 1999 den Schulweg in Augenschein genommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das darüber gefertigte Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 22. September 1999 Bezug genommen.

Mit Urteil von diesem Tage - dem Beklagten zugestellt am 11. Oktober 1997 - hat das Verwaltungsgericht den Klagen stattgegeben, und zwar im Wesentlichen mit folgender Begründung: Der Beklagte habe die in seinem Gebiet wohnenden Schüler der 1. bis 10. Schuljahrgänge grundsätzlich unter zumutbaren Bedingungen zur Schule zu befördern oder ihnen oder ihren Erziehungsberechtigten die notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Die Schülerbeförderung gehöre zum eigenen Wirkungskreis der Landkreise und kreisfreien Städte, die die weiteren Voraussetzungen bezüglich der Beförderungs- oder Erstattungspflicht, insbesondere eine Mindestentfernung zwischen Wohnung und Schule unter Berücksichtigung der Belastbarkeit und Sicherheit des Schulwegs selbst festlegen könnten. Hier habe der Beklagte durch seine Schülerbeförderungssatzung vom 21. April 1997 von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht und einen Anspruch auf Beförderung zur Schule oder auf Erstattung der notwendigen Aufwendungen bei den Schülern der Sekundarstufe I der Gymnasien davon abhängig gemacht, dass die Entfernung zwischen der Wohnung und der Schule mehr als 4 km betrage. Die im Rahmen der Beweisaufnahme ermittelte Entfernung zwischen der Wohnungstür der Kläger und der Schuleingangstür betrage 3.803 m, so dass sich ein Anspruch der Kläger auf Erstattung der Schülerbeförderungskosten nicht schon wegen Überschreitens der Mindestentfernung ergebe.

Nach der Satzung übernehme der Beklagte die Kosten aber auch in besonders begründeten Ausnahmefällen, unabhängig von der festgelegten Mindestentfernung, sofern der Schulweg zu Fuß nach den objektiven Gegebenheiten für Schüler besonders gefährlich oder ungeeignet sei. Davon sei hier jedoch nicht auszugehen, insbesondere ergebe sich dies nicht daraus, dass sich am M. ein Asylbewerberheim befinde. Weder seien konkrete Vorfälle bekanntgeworden, dass Asylbewerber Schulkinder in irgendeiner Weise angegriffen hätten, noch seien irgendwelche Kenntnisse dafür vorhanden, dass Asylbewerber zur Aggressivität neigten. Eine gesteigerte Wahrscheinlichkeit von Gewaltstraftaten sei auch nicht deshalb zu befürchten, weil der M. in weiten Teilen einseitig bzw. beidseitig unbebaut sei. Entweder könne im Notfall Hilfe durch Dritte erlangt werden oder es bestünden ausreichend Fluchtmöglichkeiten. Zudem sei die Straße ausreichend beleuchtet und liege auch nicht einsam.

Die Kläger hätten jedoch Anspruch auf Erstattung der Schülerbeförderungskosten, weil die Festsetzung einer Mindestentfernung von 4 km in der Schülerbeförderungssatzung für Schüler der Sekundarstufe I von Gymnasien, die im vorliegenden Fall nahezu erreicht werde, ermessensfehlerhaft sei. Das "fußläufige" Zurücklegen eines Weges von 4 km sei für die betroffene Altersgruppe sowohl in zeitlicher als auch in körperlicher Hinsicht nicht mehr zumutbar. Wie die Kammer im Rahmen der Ortsbesichtigung festgestellt habe, sei für das Zurücklegen des Weges mindestens eine Stunde aufzuwenden. Unter Berücksichtigung einer Unterrichtszeit von 5 bis 6 Schulstunden täglich und einer für Hausaufgaben aufzuwendenden Zeit von durchschnittlich 1,5 Stunden ergebe sich eine in Zusammenhang mit dem Schulbesuch bestehende Belastung von täglich 8 bis 9 Stunden. Hinreichende Freizeit "zur Kommunikationenentspannung" sei für die Schüler damit nicht mehr gewährleistet. Hinzu komme in körperlicher Hinsicht, dass der mindestens einstündige Schulweg, der an sich schon eine körperliche Belastung darstelle, durch ungünstige Wetterverhältnissen noch erschwert werde, wobei zumeist eine Schultasche zu tragen sei. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass die Schüler auch durch einen körperlich fordernden Sportunterricht belastet seien, so dass dieser lange Schulweg als unzumutbar erscheine.

Am 11. November 1999 hat der Beklagte die Zulassung der Berufung beantragt. Dem hat der Senat mit Beschluss vom 11. Oktober 2000 (13 L 4365/99) entsprochen. Die Berufung hat der Beklagte rechtzeitig wie folgt begründet: Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei die Festsetzung einer Mindestentfernung von 4 km für Schüler der Sekundarstufe I - also etwa vom 12. Lebensjahr aufwärts - ermessensfehlerfrei festgesetzt worden. Die Übertragung der Schülerbeförderung als Aufgabe des eigenen Wirkungskreises enthalte zugleich die Ermächtigung, die Erfüllung dieser Aufgabe im Rahmen des Selbstverwaltungsrechts innerhalb eines bestimmten Gestaltungsspielraums auszuformen. Die zumutbare Belastbarkeit im Sinne von § 114 Abs. 1 NSchG werde nicht überschritten. Wie die amtsärztlichen Stellungnahmen vom 27. November 1997 und 16. Januar 1998 bestätigten, würden die physische und psychische Belastbarkeit gesunder Schüler dieser Altersgruppe nicht beeinträchtigt. Dies gelte auch unter Berücksichtigung dessen, dass ein Schulranzen mitgeführt werde. Nach Ansicht des Amtsarztes sei ein täglicher Fußweg durch die frische Luft angesichts der sonstigen "Freizeitaktivitäten" der Kinder sogar eine begrüßenswerte Förderung der Gesundheit, da er Bewegungsmangel, Übergewicht und Haltungsschäden vorbeuge. Im Übrigen ergebe sich bei einer Beförderung mit dem Bus durch Wartezeiten an Haltestellen und notwendige Umsteigemanöver gegenüber dem Fußweg auch keine erhebliche Zeitersparnis. Ferner habe das Verwaltungsgericht unberücksichtigt gelassen, dass sich 12- bis 16-jährige Schüler nicht nur zu Fuß, sondern auch mit dem Fahrrad, Skateboard, Skates und Kickbord fortbewegten und in zahlreichen Fällen auch unentgeltlich mit dem PKW der Eltern oder von Bekannten befördert würden. Daneben habe der Satzungsgeber aber nicht nur die Interessen der Schüler, sondern auch die desolate finanzielle Situation des Landkreises bei der Festlegung der Mindestentfernung zu berücksichtigen.

Schließlich habe das Verwaltungsgericht unberücksichtigt gelassen, dass die Kläger die ihnen entstandenen Aufwendungen für den Schulweg nicht nachgewiesen hätten. Die Satzung bestimme in § 5 Abs. 2, dass bei Anträgen auf Fahrkostenerstattung nur die nachweislich entstandenen notwendigen Aufwendungen erstattet würden, wobei den Anträgen Fahrbelege beizufügen seien. Dies sei hier nicht erfolgt. Die Kläger hätten im Gegenteil im Rahmen des Ortstermins erkennen lassen, dass sie eine Schülerbeförderungskarte nicht gekauft hätten, sondern lediglich Einzelfahrscheine. Diese hatten sie nicht oder nur teilweise aufgehoben. Schon aus diesem Grunde hätte das Verwaltungsgericht die Klagen abweisen müssen.

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klagen abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidern: Der von ihnen geltend gemachte Erstattungsanspruch erfordere nach der Satzung des Beklagten nicht die Vorlage von Einzelnachweisen, die sie auch nicht aufbewahrt hätten. Es seien die notwendigen Aufwendungen zu erstatten, und als solche seien maßgeblich die jeweils günstigsten Tarife bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel.

Im Übrigen verteidigen die Kläger das angefochtene Urteil. Sie sind insbesondere der Auffassung, dass die Festsetzung einer Mindestentfernung von 4 km ermessensfehlerhaft sei. Maßgeblich müsse vielmehr die "2 km-Grenze" der früher geltende VO über den Schülertransport i.d.F. vom 17. August 1978 bleiben. Auch in der Regierungsvorlage zum ÄndG 1980 sei noch die in der Verordnung enthaltene Grenze als allgemein verbindlich vorgesehen gewesen. Der Beklagte gehe fehl, wenn er meine, er dürfe mehr oder weniger willkürlich Mindestentfernungen festlegen. Maßgeblich müsse bleiben, ob den Schülern der entsprechenden Altersstufe der Schulweg zumutbar sei. Zu Recht habe das Verwaltungsgericht angenommen, dass die physischen und psychischen Grenzen der Belastbarkeit der Schüler bei einem Schulweg von 4 km überschritten seien. Unzutreffend sei auch, dass die finanzielle Lage des Beklagten in die Festlegung der Mindestentfernungen habe einfließen dürfen.

Die Berufungsverfahren 13 L 3502/00 und 13 L 3503/00 sind in der mündlichen Verhandlung miteinander verbunden worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Gründe

Die zugelassene und rechtzeitig begründete Berufung des Beklagten hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Klagen zu Unrecht stattgegeben. Die Bescheide des Beklagten vom 25. Juni und 3. September 1997 und seine Widerspruchsbescheide vom 23. Juli und 21. Oktober 1997 sind rechtlich nicht zu beanstanden.

Zutreffend ist das Verwaltungsgericht von § 114 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 NSchG ausgegangen. Danach hat der Beklagte grundsätzlich die in seinem Gebiet wohnenden Schüler der 1. bis 10. Schuljahrgänge unter zumutbaren Bedingungen zur Schule zu befördern oder ihnen oder ihren Erziehungsberechtigten die notwendigen Aufwendungen für den Schulweg zu erstatten. Die Schülerbeförderung gehört zum eigenen Wirkungskreis der Landkreise und kreisfreien Städte (§ 114 Abs. 1 Satz 3 NSchG), die die weiteren Voraussetzungen der Beförderungs- oder Erstattungspflicht, insbesondere auch die Mindestentfernung zwischen Wohnung und Schule, von der an die Beförderungs- oder Erstattungspflicht besteht, unter Berücksichtigung der Belastbarkeit der Schüler und der Sicherheit des Schulwegs selbst festlegen können (§ 114 Abs. 2 NSchG). Von dieser Ermächtigung hat der Beklagte durch seine Satzung über die Schülerbeförderung im Landkreis L. vom 21. April 1997 Gebrauch gemacht und - abgesehen von besonders begründeten Ausnahmefällen (besonders gefährlicher oder ungeeigneter Schulweg) - einen Anspruch auf Beförderung zur Schule oder Erstattung der notwendigen Aufwendungen für den Schulweg bei Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe I von Hauptschule, Realschule und Gymnasium davon abhängig gemacht, dass der Schulweg mindestens 4 km beträgt (§ 2 Abs. 1a Schülerbeförderungssatzung). Das Vorliegen eines besonders begründeten Ausnahmefalles hat das Verwaltungsgericht mit überzeugender Begründung verneint. Insoweit wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen. Im Hinblick auf das jetzige Vorbringen der Kläger ist lediglich zu ergänzen, dass es in der Tat auf die objektive Gefährlichkeit des Weges ankommt, sich eine Gefahr also nicht erst realisiert haben muss. Geht die Gefahr also etwa vom Straßenverkehr aus, muss es nicht erst zu Unfällen mit Schulkindern gekommen sein, bevor die Gefährlichkeit des Schulweges festgestellt wird. Entgegen der Auffassung der Kläger geht aber von einer Asylbewerberunterkunft eine objektive Gefahr nicht aus. Dagegen spricht auch nicht etwa deren Befriedung durch Zäune.

Da der Schulweg der Kläger nach der vom Verwaltungsgericht durchgeführten Beweisaufnahme 3.803 m beträgt, besteht der geltendgemachte Erstattungsanspruch auch im Übrigen nicht, weil der Schulweg die in der Satzung bestimmte Mindestentfernung von 4 km nicht erreicht. Der Senat teilt dabei die Auffassung der Kläger nicht, ihnen sei durch die Beschreibung des Wegs im Widerspruchsbescheid i.S. des § 2 Abs. 2 Satz 2 der Satzung ein "bestimmter Schulweg empfohlen" worden, der für die Berechnung maßgeblich und länger als 4 km sei. Die Satzung trägt insoweit dem Fall Rechnung, dass die Behörde - etwa aus Gründen der Schulwegsicherheit - einen Schulweg empfiehlt, der länger als der kürzeste, aber gefährlichere Schulweg ist. Dann soll sich die Verwaltung bei der Berechnung nicht auf den kürzeren Weg berufen können. So liegt es hier aber nicht. Der Beklagte hat sich im Widerspruchsbescheid in zweifacher Hinsicht geirrt. Zum einen hat er - offenbar aus Unkenntnis der Örtlichkeit - bei der Ermittlung nicht den kürzesten Weg beschrieben und zudem den längeren Weg mit 3,8 km auch falsch berechnet. Er hat aber nicht einen längeren Weg "empfehlen" wollen. Maßgeblich ist daher allein der tatsächlich kürzeste Weg, den das Verwaltungsgericht in der Beweisaufnahme mit 3.803 m festgestellt hat.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts hält sich die in Rede stehende Festlegung der zumutbaren Schulwegentfernungen (4 km in einer Richtung) in § 2 Abs. 1 a) Schülerbeförderungssatzung auch in den Grenzen des dem Beklagten durch das Niedersächsische Schulgesetz eingeräumten Gestaltungsspielraums. Für das Zurücklegen eines solchen Weges sind nach der allgemeinen Lebenserfahrung von Schülern der betroffenen Altersgruppe knapp 60 Minuten erforderlich. Dies bestätigt sich durch die früher geltende Regelung der Verordnung über den Schülertransport vom 2. August 1974 (Nds. GVBl. Nr. 28/1974). Dort war in § 3 Abs. 2 Satz 2 bestimmt, dass bei der Berechnung je 200 m Fußweg drei Minuten anzusetzen seien. Bei dem 3.803 m langen Schulweg der Kläger ergibt sich somit ein Zeitbedarf von etwa 57 Minuten je Richtung. Dieser Schulweg war den Klägern in dem hier betroffenen Schuljahr als Schüler des 7.  bzw. 9. Schuljahrgangs zuzumuten.

Bei der rechtlichen Beurteilung ist davon auszugehen, dass § 114 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 NSchG mit der Bestimmung, dass die Beförderung "unter zumutbaren Bedingungen" zu erfolgen hat, einen übergeordneten Grundsatz der Zumutbarkeit für den gesamten Bereich der Schülerbeförderung aufstellt. Dieser beansprucht insbesondere auch für die den Landkreisen und kreisfreien Städten im Rahmen des eigenen Wirkungskreises übertragene Regelungsbefugnis, also auch für die Bestimmung einer Mindestentfernung nach § 114 Abs.2 NSchG, Geltung. Nun ist in der Rechtsprechung des Senats zwar seit langem entschieden, dass Wegezeiten von 90 Minuten in einer Richtung unter pädagogischen Gesichtspunkten als äußerste Grenze der Zumutbarkeit anzusehen (Senatsurteile vom 30.11.1983 - 13 OVG A 56/83 -; vom 16.2.1984 - 13 L 3797/92 -), mithin unter dem Gesichtspunkt des übergeordneten Grundsatzes der Zumutbarkeit aber auch noch zulässig sein können. In diesen Entscheidungen hat der Senat jedoch Schulwegezeiten von bis zu 90 Min. ausdrücklich als außergewöhnliche, häufig objektiv unzumutbare Schulwege qualifiziert, bei denen sich eine Kostenbegrenzung nur deshalb rechtfertige, weil sie von den Schülern bzw. ihren Eltern eigenverantwortlich und freiwillig gewählt worden waren (vgl. Senatsurteil vom 16.2.1994, aaO). Dem lag jeweils zugrunde, dass die Schüler nicht eine Regelschule, sondern Waldorfschulen besuchten. Im vorliegenden Fall haben die Kläger indessen ein Gymnasium, also eine Regelschule, besucht, wobei das J. unstreitig auch die zur Wohnung der Kläger nächstgelegene Schule des gewählten Bildungsganges war. In Fortführung der genannten Senatsrechtsprechung ist damit festzustellen, dass Schulwegezeiten von 90 Minuten in einer Richtung im Rahmen der Bestimmung von Schulwegemindestentfernungen für Schüler der Sekundarstufe I beim Besuch von Regelschulen unzumutbar sein können. Schulwege von bis zu 60 Minuten sind für den betroffenen Schülerkreis jedoch zumutbar. Entgegen der Auffassung der Kläger ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Satzung des Beklagten eine einheitliche Regelung für die gesamte Sekundarstufe I getroffen hat, ohne innerhalb der Jahrgangsstufen 7-10 weiter nach dem Alter der Schüler zu differenzieren. Es ist allgemein anerkannt, dass ein Normgeber für einen bestimmten Sachbereich aus Gründen der Praktikabilität, aber auch der Rechtssicherheit, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen darf (BVerwG, Beschl. v. 13.4.1994, KStZ 1994, 231 u. v. 28.3.1995, DÖV 1995, 826). Bei der infragestehenden Bestimmung der Mindestentfernung ist die Pauschalierung im Übrigen unproblematisch, weil sich die Zumutbarkeit der Regelung an der Gruppe der Schüler der jüngsten Jahrgangsstufe - der 7. Klasse - messen lassen muss. Bei der Beurteilung greift der Senat auf die in diesem Zusammenhang vorliegende Entwicklung zurück, die die Ermessensentscheidung des Beklagten im Ergebnis stützt:

Bei der Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs der "zumutbaren Bedingungen" sollten nach der Begründung zur Regierungsvorlage des Entwurfs eines zweiten Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Schulgesetzes (LT-Ds 9/1085, S. 78) die Empfehlungen der "Niedersächsischen Landeskommission Schülertransport" vom März 1979 eine wesentliche Orientierungshilfe bilden. Diese hat eine Gesamtbetrachtung der schulischen Belastung empfohlen und aufgrund einer arbeitsphysiologischen Untersuchung als Richtwerte für Schüler bis zu 15 Jahren eine tägliche Beanspruchung von acht Stunden für zumutbar erklärt (Bericht S. 15). Werden davon die tägliche Unterrichtszeit und die empfohlene Zeit für die Hausaufgaben abgezogen, so würden im öffentlichen Schulwesen für einen Schüler über zehn Jahren als Obergrenze im Regelfall 150 Minuten für den Schulweg (Hin- und Rückweg einschl. Wartezeiten) übrigbleiben, für den Weg in einer Richtung also durchschnittlich 75 Minuten. Für die reine Wegezeit sah § 2 Abs. 2 der - mit Ablauf des Jahres 1980 außer Kraft getretenen - Verordnung über den Schülertransport i.d.F. vom 17. August 1978 (Nds. GVBl. S. 625) für den Sekundarbereich I 60 Minuten als zumutbare Obergrenze vor.

Die genannten Zeiten bilden keine feste Obergrenze, die bei der gerichtlichen Kontrolle als normativer Maßstab unmittelbar anwendbar wäre, zumal die Verordnung über den Schülertransport mit den darin enthaltenen Zeitgrenzen außer Kraft getreten ist. Mit der Übertragung der Schülerbeförderung auf die Landkreise und kreisfreien Städte als Aufgabe des eigenen Wirkungskreises hat der Gesetzgeber - wie bereits dargestellt - diese zugleich ermächtigt, im Rahmen ihres Selbstverwaltungsrechts innerhalb eines Gestaltungsspielraums die Erfüllung dieser Aufgabe auszuformen. Hält sich - wie hier - die zuständige Behörde aber im Rahmen der früheren Empfehlungen und Regelungen, so spricht dies - auch angesichts feststellbarer Gegenstimmen in der Literatur - immerhin nicht dagegen, dass die Grenzen dieses Gestaltungsspielraumes eingehalten sind. Dies bestätigt sich durch die ärztlichen Stellungnahmen des Gesundheitsamtes des Beklagten, die das Absolvieren entsprechender Schulwege zu Fuß nicht für unschädlich, sondern aus medizinischer Sicht sogar für wünschenswert halten. Dagegen haben die Kläger substantiiert nichts vorgetragen. Nicht überzeugend erscheint auch das Argument des Verwaltungsgerichts, die Schülerinnen und Schüler seien im Übrigen bereits durch einen Sportunterricht beansprucht. Abgesehen davon, dass die Geringfügigkeit des Sportunterrichts an deutschen Schulen allenthalben beklagt wird, ist nichts dafür ersichtlich, dass - gesunde und auch nicht behinderte - Schüler der Sekundarstufe I durch einen knapp 60 Minuten langen Schulweg auch unter Berücksichtigung des Schulsports an physische Grenzen gelangen könnten. Zusammenfassend lässt sich damit feststellen, dass die Bestimmung der Mindestentfernung, von der an die Beförderungs- oder Erstattungspflicht besteht, für die Sekundarstufe I von den Beklagten in rechtlich nicht zu beanstandender Weise getroffen worden ist (§ 114 Abs. 2 S. 2 NSchG).

Im übrigen hatten es die Kläger aber auch in der Hand, an den weitaus meisten Unterrichtstagen sowohl in zeitlicher als auch in körperlicher Hinsicht  den Aufwand ihres Schulweges maßgeblich zu reduzieren, indem sie nämlich - wie es bei Schülern allgemein üblich ist - ihre Fahrräder benutzten. Abgesehen von extremen Witterungslagen war ihnen dies, worauf der Beklagte zutreffend hingewiesen hat, ebenfalls zuzumuten. Dem können die Kläger nicht mit Erfolg entgegenhalten, ihre Räder seien in der Schule verschiedentlich gestohlen oder beschädigt worden. Diese Problematik hätte mit der Schulleitung besprochen werden müssen. Der Vater der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass die Schule auch eine Regelung durch Abschließen des Abstellraums getroffen hatte. Auf die Einhaltung der Schutzmaßnahmen hätten die Kläger und ihr Vater hinwirken können, wären sie an der Benutzung der Räder - wie offenbar zahlreiche andere Schüler - tatsächlich interessiert gewesen.

Scheitern die von den Klägern geltendgemachten Ansprüche also an den rechtlich nicht zu beanstandenden Regelungen der Schülerbeförderungssatzung des Beklagten, so muss die Berufung darüber hinaus Erfolg haben, weil die Kläger die geltendgemachten Erstattungsansprüche auch nicht schlüssig begründet und nachgewiesen haben.

Nach § 114 Abs. 1 Satz 2 NSchG, worauf § 1 Abs. 1 der Schülerbeförderungssatzung ausdrücklich Bezug nimmt, richtet sich der Anspruch entweder auf Beförderung zur nächsten Schule oder auf Erstattung der (notwendigen) Aufwendungen. Ein Erstattungsanspruch kann aber nur im Hinblick auf Aufwendungen geltend gemacht werden, die tatsächlich erbracht worden sind. Dies setzt der Rechtsbegriff "Erstattung" voraus. Da der Beklagte den Klägern die Benutzung eines privaten Kraftfahrzeugs für die Schülerbeförderung nicht gestattet hat (§ 3 Abs. 2 Schülerbeförderungssatzung), waren die Kläger zur Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu den jeweils günstigsten Tarifen verpflichtet (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Schülerbeförderungssatzung). In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht haben sie angegeben, nicht Schülerjahreskarten, sondern jeweils lediglich Einzelfahrscheine erworben zu haben. Ein Erstattungsanspruch hätte danach lediglich in Höhe der Kosten der Einzelfahrscheine, begrenzt durch die Kosten einer Schülerjahreskarte, geltendgemacht werden können. Die Einzelfahrscheine hätten die Kläger zum Nachweis ihrer Aufwendungen dem Beklagten aber vorlegen müssen, was nicht mehr möglich ist, weil sie die Fahrscheine nicht aufbewahrt haben. Mangels Nachweises der Aufwendungen können die Kläger mithin keinerlei Erstattung beanspruchen, also auch nicht eine solche in Höhe der Kosten von Schülerjahreskarten.