VG Göttingen, Urteil vom 14.11.2001 - 2 A 2286/00
Fundstelle
openJur 2012, 37386
  • Rkr:

Zum Einfluss verschiedener gewöhnlicher Aufenthalte (gA) der Eltern und des Wechsels der örtlichen Zuständigkeit auf die Kostenerstattungspflicht bei Jugendhilfe in Form der stationären Vollzeitpflege

Tenor

Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt.

Die Beklagte wird unter Abweisung ihrer Hilfswiderklage gegen den Beigeladenen verurteilt, an die Klägerin 30.527,90 DM zu zahlen

Die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Beigeladenen, die erstattungsfähig sind, trägt die Beklagte.

Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 31.000,-- DM vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin macht einen Kostenerstattungsanspruch wegen in der Zeit vom 01.07.1997 bis zum 09.10.1999 geleisteter Jugendhilfe gegen die Beklagte geltend, die ihrerseits hilfswiderklagend insoweit den Beigeladenen in Anspruch nimmt.

Der am 30.06.1990 geborene D. H. lebte zunächst mit seinen Eltern J. und U. H. in der B.straße 5 in D. (im Kreisgebiet des Beigeladenen gelegen). Nachdem am 10.08.1992 die - psychisch kranke - U. H. vorübergehend ihre Familie verlassen hatte, verfügte das Jugendamt des Beigeladenen gem. § 33 SGB VIII mit Wirkung ab 21.08.1992 die Aufnahme von D. in eine Vollzeitpflegestelle außerhalb der Familie, und zwar bei Frau Z. in E. Unter dem 18.11.1994 wurde den leiblichen Eltern von D. vom Amtsgericht die Personensorge entzogen und auf das Kreisjugendamt übertragen, von dem sie am 22.03.1996 auf das Jugendamt der Klägerin überging.

Ab dem Jahr 1997 gestaltete sich der Aufenthalt von D. H. und seinen Eltern wie folgt: D. lebte bis zum 09.10.1997 bei Frau Z. in E. und wurde sodann am 10.10.1997 bei den Eheleuten N. in E. (Landkreis H.) untergebracht.

Frau H. wurde im Anschluss an einen Aufenthalt im Landeskrankenhaus G. am 16.01.1997 im Übergangswohnheim in G. aufgenommen, wo sie bis Januar 2000 blieb und Eingliederungshilfe gem. § 40 BSHG erhielt. Bereits am 03.02.1997 hatte sie sich von D. ab- und in G. angemeldet.

Herr H. verzog am 01.07.1997 von D. nach G., hielt sich unter verschiedenen Anschriften dort bis zum 14.01.1999 auf und verzog sodann nach B.

Mit Schreiben vom 19.08.1997 machte die Klägerin unter Hinweis auf deren Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII erstmals gegenüber der Beklagten Kostenerstattung gem. § 89 a Abs. 3 SGB VIII für die im Rahmen ihrer Zuständigkeit aufgewendeten Kosten ab dem 01.07.1997 geltend. Im Rahmen einer Mitteilung an die Beklagte vom 15.10.1997 über den Zuständigkeitswechsel infolge der Unterbringung von D. in E. vertrat die Klägerin die Auffassung, dass die Beklagte neben ihrer ab dem 01.07.1997 bestehenden Kostenerstattungsverpflichtung ab dem 10.10.1997 nunmehr auch örtlich zuständiger Jugendhilfeträger sei. Die Beklagte verneinte - nach mehrfachem massiven Drängen der Klägerin - erstmals mit Schreiben vom 03.02.2000 ihre örtliche Zuständigkeit sowie jegliche Kostenerstattungsverpflichtung. Zur Begründung stellte sie im Wesentlichen darauf ab, es stehe nicht fest, dass die Mutter von D. im Übergangswohnheim in G. einen gewöhnlichen Aufenthalt (gA) begründet habe, unabhängig davon komme weder (für die Zeit vom 01.07.1997 bis zum 10.10.1997) eine Erstattungspflicht nach § 89 a SGB VIII noch (für die Zeit vom 11.10.1997 bis 10.10.1999) nach § 89 c SGB VIII in Betracht, da sich die Kindesmutter in Göttingen in einer sog. "geschützten Einrichtung" im Sinne von § 89 e SGB VIII aufgehalten habe. § 89 e SGB VIII fände auch dann Anwendung, wenn - wie hier - nur ein Elternteil in einer "geschützten Einrichtung" Aufnahme gefunden habe, weil nur bei einem solchen Normverständnis sich der vom Gesetzgeber gewollte weitgehende Schutz der Einrichtungsorte verwirklichen lasse.

Die Klägerin hat am 03.11.2000 Klage erhoben. Sie ist der Ansicht, dass ab dem 01.07.1997 die Kostenträgerschaft gem. §§ 89 a Abs. 3 i.V. 86 Abs. 1 SGB VIII auf die Beklagte übergegangen sei, da ab diesem Tag nunmehr beide Elternteile von D. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in G. begründet hätten. Ab dem 10.10.1997 habe infolge der Unterbringung von D. in Emmerthal die örtliche Zuständigkeit nicht mehr gem. § 86 Abs. 6 SGB VIII bei der Klägerin gelegen, sondern sei nach § 86 Abs. 1 SGB VIII auf die Beklagte übergegangen. Da sie, die Klägerin, weiterhin die Jugendhilfeleistungen bis zum 09.10.1999, an dem der Landkreis H. den Fall gemäß § 86 Abs. 6 SGB VIII übernommen habe, anstelle der Beklagten habe erbringen müssen, sei ihr ein Kostenerstattungsanspruch gem. § 89 c SGB VIII erwachsen. Soweit sich die Beklagte demgegenüber auf den Schutz des Einrichtungsortes gem. § 89 e SGB VIII berufe, gehe dies fehl, da lediglich die Kindesmutter und nicht beide Eltern im Übergangswohnheim ihren Aufenthalt gehabt hätten; insoweit sei der Wortlaut des § 89 e SGB VIII eindeutig und nicht der erweiterten Auslegung, die ihm die Beklagte gebe, zugänglich.

Mit am 19.12.2000 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz hat die Klägerin Kostenerstattung nunmehr nicht mehr bis zum 10.10.1999, sondern nur noch bis zum 09.10.1999 geltend gemacht, da ihre Zuständigkeit an diesem Tag geendet habe. In der mündlichen Verhandlung hat sie dementsprechend die Klage in Höhe von 25,00 DM zurückgenommen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 30.527,90 DM zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

hilfsweise,

widerklagend gegenüber dem Beigeladenen festzustellen, dass dieser die an die Klägerin zu erstattenden Aufwendungen der Hilfe zur Erziehung für das Kind D. H. in der Zeit vom 10.10.1997 bis zum 09.10.1999 der Beklagten und Widerklägerin zu erstatten hat.

Sie vertritt die Auffassung, § 86 Abs. 5 S. 2 SGB VIII könne im vorliegenden Fall nicht bewirken, dass sie solange zuständig bleibe, bis die Eheleute H. in Zukunft irgendwann zufälligerweise ihren gA gemeinsam im Zuständigkeitsbereich eines anderen Jugendhilfeträgers begründeten. Einschlägig für die Bestimmung des Kostenerstattungspflichtigen sei im vorliegenden Fall vielmehr § 86 Abs. 2 S. 2 SGB VIII, da sich die Kindesmutter bei Hilfebeginn nicht mehr in D. aufgehalten habe und es deshalb auf den damaligen gewöhnlichen Aufenthalt des Vaters bei Hilfebeginn ankomme.

Somit bleibe die seinerzeit vorhandene Zuständigkeit des Beigeladenen bestehen. Ferner müsse man die Vorschrift des § 86 Abs. 5 SGB VIII anwenden, die in Satz 2 eine weitere Zuständigkeitsbestimmung enthalte: Solange die Personensorge beiden Elternteilen gemeinsam oder keinem Elternteil zustehe, bleibe die bisherige Zuständigkeit bestehen. Infolge des Sorgerechtsentzuges zu Lasten der Eheleute H. am 18.11.1994 verbleibe es bis zum Ende der D. gewährten Hilfeart bei der Kostenerstattungspflicht des Beigeladenen. Allein der Wechsel der Pflegestelle unter Beibehaltung der Hilfeart stelle demgegenüber eine einheitliche Leistungserbringung nicht in Frage, insbesondere schließe § 86 Abs. 5 S. 1 SGB VIII die Anwendung des § 86 Abs. 1 S. 1 SGB VIII für den Zeitraum vom 01.07.1997 bis zum 15.01.1999 aus. Aber auch dann, wenn man weder wegen § 86 Abs. 2 S. 2 SGB VIII noch infolge einer analogen Anwendung des § 86 Abs. 5 S. 2 SGB VIII eine wandernde Zuständigkeit zum 01.07.1997 verneinen würde, stünde einem Kostenerstattungsanspruch der Klägerin die Vorschrift des § 89 e SGB VIII entgegen. Die Anwendung dieser Norm führe dazu, dass die Klägerin in analoger Anwendung von § 89 a Abs. 2 SGB VIII einen unmittelbaren Anspruch gegen den Beigeladenen habe. Für den Fall, dass die Beklagte gegenüber der Klägerin kostenerstattungspflichtig sei, habe sie somit einen Rückgriffsanspruch gegen den Beigeladenen, der durch die Hilfswiderklage geltend gemacht werde. Wie dargelegt sei der Beigeladene nämlich entweder in analoger Anwendung des § 86 Abs. 2 S. 2 SGB VIII oder nach § 86 Abs. 5 S. 2 SGB VIII i.V.m. § 86 Abs. 1 S. 1 SGB VIII örtlich zuständig gewesen, so dass er nach § 89 e Abs. 1 SGB VIII für die Zeit ab dem 10.10.1997 der Beklagten kostenerstattungspflichtig sei.

Der Beigeladene beantragt,

die Hilfswiederklage abzuweisen.

Er ist mit der Klägerin der Ansicht, sowohl der Kindesvater als auch die Kindesmutter hätten ihren gewöhnlichen Aufenthalt am 01.07.1997 in G. gehabt, weshalb die Beklagte der Klägerin kostenerstattungspflichtig sei. Das Übergangswohnheim, in dem die Kindesmutter gelebt habe, sei durchaus auf einen dauerhaften Aufenthalt der Bewohner ausgerichtet, dort habe sich Frau H. schließlich für 3 Jahre aufgehalten. Ihrerseits habe die Beklagte allerdings keinen Kostenerstattungsanspruch gem. § 89 e Abs. 1 SGB VIII gegenüber dem Beigeladenen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beteiligten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Gründe

Die zulässige Leistungsklage ist begründet.

Die Beklagte ist der Klägerin für die zwischen dem 01.07.1997 und dem 09.10.1999 an das Kind D. H. geleistete Jugendhilfe kostenerstattungspflichtig. Für den Zeitraum vom 01.07.1997 bis zum 09.10.1997 sind Anspruchsgrundlage für die Kostenerstattung §§ 86 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. 89 a SGB VIII (nachfolgend 1.). Für den daran anknüpfenden Zeitraum bis zum 13.01.1999 (nachfolgend 2.) und schließlich für die Zeit bis zum 09.10.1999 (nachfolgend 3.) richtet sich die Kostenerstattung nach § 89 c SGB VIII. Demgegenüber bleibt der Hilfswiderklage gegen den Beigeladenen mangels Zulässigkeit der Erfolg versagt (nachfolgend 4.).

1. a) Bis zum 30.06.1997, also vor dem hier streitbefangenen Zeitraum, hatte der Beigeladene der Klägerin die Jugendhilfekosten für D. nach §§ 86 Abs. 6 Satz 1 i.V.m. 89 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zu erstatten und diese Verpflichtung auch mit Schreiben vom 06.01.1997 anerkannt. Abweichend von den Regelungen der Abs. 1 bis 5 des § 86 SGB VIII, die im wesentlichen an den gA der Eltern des Hilfeempfängers anknüpfen, war er nämlich als Jugendhilfeträger, in dessen Bereich die Pflegeperson ihren gA hatte, örtlich zuständig geworden. Denn D. hatte - bereits ab dem 22.08.1994 - 2 Jahre bei einer im Landkreis N. wohnenden Pflegeperson, der Pflegefamilie Z. in E., gelebt. Die Kostenerstattung bei einer derartigen sog. "fortdauernden Vollzeitpflege" regelt § 89 a SGB VIII. Erstattungspflichtig ist nach Abs. 1 dieser Vorschrift der örtliche Träger, der zuvor für Jugendhilfemaßnahmen zuständig war. Dies war hier der Beigeladene, da sich die Eltern von D. vor Hilfebeginn in D., also in seinem Zuständigkeitsbereich aufgehalten hatten.

b) Ab dem 01.07.1997, dem Beginn des streitbefangenen Zeitraumes, entfiel die Kostenerstattungsverpflichtung des Beigeladenen infolge Wechsels der örtlichen Zuständigkeit .

Nunmehr lebten beide Eltern von D. in G., d.h. sie hatten im Zuständigkeitsbereich der Beklagten ihren gA. Soweit es den Zuzug des Herrn H. betrifft, liegt diese Erkenntnis auf der Hand und wird von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen.

Aber auch hinsichtlich der Kindesmutter gilt nicht anderes.

Bei der Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs "gewöhnlicher Aufenthalt" ist die für alle Sozialleistungen geltende Vorschrift des § 30 Abs. 3 S. 2 SGB I heranzuziehen (ständige Rechtsprechung des BVerwG, Urteil vom 18.03.1999, a.a.O.; Urteil vom 07.10.1999 -5 C 21.98-, FEVS 51, 385 ff.; Beschluss vom 24.01.2000 -5 B 211/99-, FEVS 51, 389 ff.; vgl. auch Nds. OVG, Urteil vom 12.04.2000 -4 L 4035/99-, FEVS 52, 26 ff.; VG Göttingen, Urteil vom 20.09.2000 -2 A 2197/97-, n.v.). Nach § 30 Abs. 3 S. 2 SGB I hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts ist indessen kein dauerhafter oder längerer Aufenthalt erforderlich, vielmehr genügt es, dass sich der Betreffende dort "bis auf Weiteres" im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs aufhält und den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hat (BVerwG, Urteil vom 18.03.1999, a.a.O., S. 436). Bei den hiernach zu treffenden Feststellungen kommt es - in erster Linie - auf seine objektiven Lebensumstände an. Daneben kann - in zweiter Linie - auch die subjektive Absicht des Betreffenden bei dem Aufenthaltswechsel Berücksichtigung finden. In Fällen, in denen er seinen Aufenthaltsort nicht freiwillig wechselt, schließt allerdings allein dieser Umstand die Annahme eines nicht nur vorübergehenden Verweilens noch nicht aus (Nds. OVG, a.a.O., S. 27).

In Anwendung der vorstehenden Grundsätze gelangt das Gericht - anders als die Beklagte - zu der Überzeugung, dass Frau H. ihren gA bereits mit ihrer Aufnahme im Übergangswohnheim in G. ab Juli 1997 begründet hatte. Die Kammer hat keinerlei tragfähige Anhaltspunkte für die Annahme gewinnen können, dass dieser Aufenthalt von vornherein nur für einen kurzen Zeitraum geplant war oder Frau H. bereits mit Aufnahme in das Übergangswohnheim geplant hatte, alsbald an anderer Stelle ihren Aufenthalt zu nehmen. Die Bewertung der Zukunftsoffenheit eines Entschlusses muss an den Zeitpunkt der Begründung des Aufenthaltes anknüpfen. Aber auch dann, wenn man dies anders sähe und eine retrospektive Beurteilung anstellen würde, wäre das gefundene Ergebnis das gleiche. Denn allein die Verweildauer von knapp 3 Jahren im Übergangswohnheim ist schon ein ausreichender objektiver Anhaltspunkt für die Annahme, dass der Lebensmittelpunkt dort und nirgendwo anders war. Dass Übergangswohnheime grundsätzlich geeignet sind, dort einen gA zu begründen, hat das Bundesverwaltungsgericht geklärt (Urteil vom 24.01.2000 - 5 B 211.99 - FEVS 51, 389f). Gegen diese Erkenntnis spricht auch nicht - wie die Beklagte meint - der Umstand, dass Frau H. nach Abschluss ihres 3-jährigen Aufenthaltes im Übergangswohnheim zurück nach D. gezogen ist, denn der Entschluss, seinen Lebensmittelpunkt an einen Ort, wo man bereits früher gelebt hatte, zu verlegen, führt nicht dazu, dass man sich dort, wo man zuvor wohnte, nicht auf Dauer und zukunftsoffen aufgehalten hat.

Haben beide Eltern von D. also am 01.07.1997 ihren gA in G. gehabt, wurde zu diesem Zeitpunkt die Beklagte nach § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII örtlich für die Gewährung von Jugendhilfe für D. zuständig, ohne indessen die entstehenden Kosten auf einen Dritten abwälzen zu können. Die Zuständigkeitsregelung des § 86 SGB VIII ist so strukturiert, dass in Absatz 1 die Regelung für den "Normalfall" getroffen wird, wonach sich die örtliche Zuständigkeit nach dem gewöhnlichen Aufenthalt der Eltern des Hilfesuchenden richtet. § 86 Abs. 1 SGB VIII geht also davon aus, dass die Kindeseltern einen gemeinsamen gA haben. Demgegenüber regeln die Absätze 2 bis 5 verschiedene Ausnahmefälle. Von Bedeutung für den vorliegenden Fall sind Abs. 2 S. 2, Abs. 3 und Abs. 5 S. 2. Absatz 2 S. 2 regelt den Fall, dass die Elternteile verschiedene gA haben, ihnen aber auch die Personensorge gemeinsam zusteht. In diesem Fall richtet sich die Zuständigkeit nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Elternteils, bei dem das Kind vor Leistungsbeginn zuletzt seinen gA hatte. In Abs. 3 ist geregelt, dass in dem Fall, dass die Elternteile verschiedene gA haben und die Personensorge einem Elternteil zusteht, der eben genannte Absatz 2 S. 2 (sowie der hier nicht interessierende S. 4) entsprechend anzuwenden sei. In Abs. 5 S. 2 ist normiert, dass dann, wenn die Personensorge beiden Elternteilen gemeinsam oder keinem Elternteil zusteht, die bisherige Zuständigkeit bestehen bleibt.

Hiernach gilt Folgendes: Im Fall einer Änderung des für die örtliche Zuständigkeit maßgeblichen gA nach § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII soll gemäß § 89 a Abs. 3 SGB VIII derjenige örtliche Träger der Jugendhilfe kostenerstattungspflichtig werden, der ohne die Anwendung des § 86 Abs. 6 SGB VIII örtlich zuständig gewesen wäre. Da das Gesetz die Kostenerstattung bei fortdauernder Vollzeitpflege also konsequent in Abhängigkeit der Regelungen zum gA (hier: der Eltern des Hilfeempfängers) regelt, wäre die Beklagte somit lediglich "sich selbst" erstattungspflichtig. Gegen dieses Ergebnis kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg auf die Vorschrift des § 89 e SGB VIII berufen, also den Schutz der Einrichtungsorte zu reklamieren. Denn diese Norm ist nur auf solche Fallkonstellationen zugeschnitten, wo entweder beide Eltern gemeinsam oder zumindest der "aufenthaltsbestimmende" Elternteil in einer geschützten Einrichtung untergebracht ist. Ein solcher Fall liegt hier indessen nicht vor, da lediglich die Kindesmutter im Übergangswohnheim untergebracht war. Die Kammer teilt insofern nicht die Rechtsauffassung der Beklagten, dass § 89 e SGB VIII über seinen Wortlaut hinausgehend angewandt werden muss, um den Schutz der Einrichtungsorte effektiv zu gewährleisten. Dass eine solch weitgehende Regelung vom Gesetzgeber beabsichtigt war, findet auch in den Gesetzesmaterialien keine Stütze. § 89 e SGB VIII ist im Übrigen auch deshalb hier nicht einschlägig, weil diese Norm Kostenerstattungsansprüche aufgrund einer Unterbringung betrifft. Hier geht es aber nicht um Kostenerstattung für in Göttingen gewährte Leistungen an Frau H., sonder in E. geleistete Jugendhilfe an D..

2. Für den sich anschließenden Zeitraum vom 10.10.1997 (Aufnahme von D. in der Pflegestelle bei den Eheleuten N. in E., Landkreis H.) bis zum 13.01.1999 (Verzug des Kindesvaters nach B.) besteht die Kostenerstattungspflicht der Beklagten aufgrund §§ 89 c Abs. 1 Satz 1 i.V.m. 86 c, 86 Abs. 1 SGB VIII.

§ 89 c Abs. 1 SGB VIII regelt die Kostenerstattung bei fortdauernder oder vorläufiger Leistungsverpflichtung. Die zunächst aufgrund von § 86 Abs. 6 SGB VIII zur Jugendhilfeleistung verpflichtete Klägerin verlor zwar ihre örtliche Zuständigkeit mit dem Wechsel der Pflegestelle für D. zum 10.10.1997, blieb aber nach § 86 c Satz 1 SGB VIII (solange) weiter zuständig, bis der Landkreis H. den Fall am 10.10.1999 übernahm, da die nunmehr gem. § 86 Abs. 1 (s.o.) SGB VIII örtlich zuständige Beklagte nicht tätig wurde. Für einen solchen Fall sieht § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII vor, dass der tatsächlich Zuständige dem Leistenden die aufgewendeten Kosten zu erstatten hat. Dem vermag die Beklagte - wie bereits oben dargelegt - nicht erfolgreich den Schutz der Einrichtungsorte aus § 89 e SGB VIII entgegenhalten.

3. Für den letzten Zeitabschnitt, also vom 14.01.1999 bis zum 09.10.1999 gründet sich die Kostenerstattungspflicht der Beklagten auf §§ 89 c Abs. 1 Satz 1 i.V.m. 86 c, 86 Abs. 5 Sätze 1 und 2 SGB VIII. Es gilt das soeben unter 2. ausgeführte entsprechend. Dass der Vater von D. von G. nach B. verzog, entlastet die Beklagte nicht, denn den Eltern von D. stand zu diesem Zeitpunkt die Personensorge nicht mehr zu. § 86 Abs. 5 Sätze 1 und 2 regeln für einen solchen Fall des Auseinanderfallens der gewöhnlichen Aufenthalte der nichtpersonensorgeberechtigten Eltern, dass die bisherige örtliche Zuständigkeit bestehen bleibt. Folglich muss die Beklagte auch insoweit der Klägerin nach § 89 c SGB VIII Kostenerstattung leisten.

4. Die gegen den Beigeladenen erhobene Hilfswiderklage ist unzulässig. Widerklagen können gem. § 89 VwGO im Verwaltungsprozess nur gegen den jeweiligen Kläger einer Leistungsklage, sie gegen einen Beigeladenen zu erheben, sieht das Gesetz nicht vor.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3, 188 Satz 2 VwGO; es entspricht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten des mit der Hilfswiderklage überzogenen Beigeladenen, der zudem einen Antrag gestellt und sich somit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, der Beklagten aufzuerlegen.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §  709 Satz 1 ZPO in analoger Anwendung.

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