VG Göttingen, Urteil vom 11.10.2000 - 2 A 2307/99
Fundstelle
openJur 2012, 36304
  • Rkr:

In der Regel hat der Sozialhilfeträger einem an Diabetes-Mellitus-Typ I (insulinpflichtig) erkrankten Hilfeempfänger einen Mehrbedarf in Höhe von 100,00 DM (entspricht 50 €) zu bewilligen.

Tenor

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet war, bei der Berechnung des Anspruchs des Klägers auf Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt für den Zeitraum vom 01.06.1998 bis zum 21.07.1999 einen Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung in Höhe von monatlich 100,-- DM zu berücksichtigen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens tragen die Beteiligten je zur Hälfte.

Hinsichtlich der Kostenentscheidung ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Jedem Kostenschuldner bleibt nachgelassen, durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsbetrages die Vollstreckung abzuwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für kostenaufwendige Ernährung im Rahmen der Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt an den Kläger.

Der 49 Jahre alte Kläger, der an Diabetes mellitus (Typ I) leidet, ist schwerbeschädigt. Ausweislich eines Bescheides des Versorgungsamtes Hildesheim vom 01.07.1987 wurden als Behinderungen Diabetes mellitus, inaktive Lungentuberkulose und Wirbelsäulenschaden festgestellt; der Grad der Behinderung beträgt 50 (nach vom Kläger nicht belegter Angabe: 60).

Ab dem 01.12.1991 bezog er Arbeitslosenhilfe in Höhe von etwa 1.000,-- DM im Monat sowie von der namens und im Auftrag des Beklagten handelnden Samtgemeinde W. ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt (Weihnachts- und Bekleidungsbeihilfen sowie zeitweise laufende Hilfe in Höhe von monatlich unter 30,00 DM). Bei der Berechnung seines sozialhilferechtlichen Bedarfs berücksichtigte die Samtgemeinde W. - bis zum 15.11.1998 - gem. § 23 Abs. 4 BSHG die Diabeteserkrankung des Klägers und gewährte ihm einen Mehrbedarf in Höhe von monatlich 122,00 DM.

Nachdem der Kläger unter dem 16.09.1998 erneut einen Antrag auf Gewährung einer Bekleidungs- und Weihnachtsbeihilfe gestellt hatte, holte die Samtgemeinde W. beim Gesundheitsamt des Beklagten eine ärztliche Stellungnahme zu der Frage ein, ob es medizinisch notwendig sei, dem Kläger den Mehrbedarf für kostenaufwendigere Ernährung weiter zu gewähren. Der Amtsarzt kam in seiner Stellungnahme vom 19.11.1998 zu dem Ergebnis, ein solcher Mehrbedarf sei nicht gegeben und führte weiter aus, dass die Ernährung des Klägers aus vitaminreichen frischen Obst- und Gemüseprodukten sowie faserreichen Bestandteilen bestehen sollte und schnell verdauliche Kohlenhydrate dringend zu meiden seien. Insofern unterscheide sich die Ernährung des Klägers in keiner Weise von der modernen Ernährungsempfehlung, die für jede gesunde Person gleichermaßen gelte; es werde dem Kläger empfohlen, eine Ernährungsberatung aufzusuchen.

Daraufhin berücksichtigte die Samtgemeinde W. bei der Berechnung der Sozialhilfeansprüche des Klägers ab Dezember 1998 keinen Ernährungsmehrbedarf mehr und bewilligte mit Bescheid vom 01.12.1998 lediglich eine Nachzahlung laufender Hilfe zum Lebensunterhalt für den Zeitraum vom 01.07.1998 bis zum 15.11.1998 in Höhe von 49,75 DM.

Für den Zeitraum vom 01.07.1998 bis zum 15.11.1998 ging die Samtgemeinde W. von folgendem Bedarf des Klägers aus:

Regelsatz                                                                                                       540,00 DM

Kosten der Unterkunft                                                                               360,00 DM

Heizkostenabschlag abzgl. Warmwasseranteil                                         74,14 DM

Mehrbedarf Diabetes mellitus                                                                       122,00 DM

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Gesamtbedarf                                                                                                        1.096,14 DM

Dem stellte sie folgende anzurechnende Einkünfte des Klägers gegenüber:

Arbeitslosenhilfe                                                                                             1.063,88 DM

Wohngeld                                                                                                            68,00 DM

Absetzungsbeitrag gem. § 76 BSHG (Versicherung)                                         46,79 DM

anzurechnendes Einkommen                                                                1.085,09 DM

und errechnete folgende Ansprüche:

Hilfe zum Lebensunterhalt einschließlich Wohngeld                                    11,05 DM

pauschaliertes Wohngeld                                                                                   181,00 DM

Ab dem 16.11.1998 berechnete die Samtgemeinde Walkenried den Anspruch des Klägers auf Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt wie folgt:

Regelsatz                                                                                                       540,00 DM

Kosten der Unterkunft                                                                               360,00 DM

Heizkostenabschlag abzgl. Warmwasseranteil                                         74,14 DM

---------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Gesamtbedarf                                                                                                            974,14 DM

Dem stellte sie folgende anzurechnende Einkünfte des Klägers gegenüber:

Arbeitslosenhilfe                                                                                             1.063,88 DM

Wohngeld                                                                                                             68,00 DM

Absetzungsbeitrag gem. § 76 BSHG (Versicherung)                                        - 46,79 DM

anzurechnendes Einkommen                                                                  1.085,09 DM

Sie errechnete ein überschießendes Einkommen in Höhe von                      - 110,95 DM

sowie einen Anspruch auf pauschaliertes Wohngeld in Höhe von                         181,00 DM.

Mit weiterem Bescheid vom 01.12.1998 bewilligte die Samtgemeinde W. dem Kläger eine Weihnachtsbeihilfe in Höhe von 48,55 DM, lehnte aber die Gewährung einer Bekleidungsbeihilfe ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Bekleidungsbeihilfe in Höhe von 225,00 DM stehe dem Kläger zwar grundsätzlich zu. Da sein Einkommen jedoch um 110,95 DM im Monat über seinem Bedarf an laufender Hilfe zum Lebensunterhalt liege, sei dieses überschießende Einkommen gem. § 21 BSHG in voller Höhe auf den einmaligen Bedarf anzurechnen. Der Betrag, der auf den Entscheidungsmonat entfalle, könne bis zu sechs weitere Folgemonate vervielfacht werden. Da die Bekleidungspauschale für einen Zeitraum von sechs Monaten gewährt werde, habe der Kläger einen Eigenanteil für die Monate von Dezember 1998 bis Mai 1999, also für sechs Monate zu tragen. Diesem Eigenanteil in Höhe von 665,70 DM (sechs Monate x 110,95 DM) stünden beihilfefähiger Aufwendungen in Höhe von lediglich 225,00 DM gegenüber, so dass dem Kläger keine Bekleidungsbeihilfe zu gewähren sei. Hinsichtlich der Weihnachtsbeihilfe sei zwar grundsätzlich ein Betrag in Höhe von 122,00 DM zu gewähren, aber infolge des überschießenden Einkommens ebenfalls zu kürzen. Wegen des Eigenanteils in Höhe von 37,50 DM in Bezug auf die Bekleidungsbeihilfe verbleibe es bei dem im Rahmen der Weihnachtsbeihilfe einzusetzenden Eigenanteil in Höhe von 73,45 DM, so dass die zu bewilligende Weihnachtsbeihilfe 48,55 DM betrage.

Mit Schreiben vom 02.12.1998 legte der Kläger Widerspruch ein und führte zur Begründung aus, die Weihnachtsbeihilfe in Höhe von 122,00 DM sei als einmalige Zahlung zu betrachten und dürfe nicht mit einem Eigenanteil verrechnet werden. Laufende ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt müsse wie bisher in Höhe von 27,77 DM gezahlt werden; zudem habe die Samtgemeinde W. versäumt, einen Absetzungsbetrag gem. § 76 BSHG in Höhe von monatlich 46,79 DM zu berücksichtigen. Schließlich sei die Streichung des Mehrbedarfs für kostenaufwendigere Ernährung ungerechtfertigt. Wegen seiner Diabeteserkrankung und der damit im Zusammenhang stehenden Bluthochdruckerkrankung sowie der festgestellten Schwerbehinderung mit einem Grad von 60 müsse er eine besondere Diät einhalten, die kostenaufwendiger sei als die Ernährung eines gesunden Menschen. Der Amtsarzt habe ihm nicht korrekt untersucht, nur lediglich in einem fünfminütigen Gespräch befragt. Auch habe er sich schon früher bereits einer intensiven Ernährungsberatung unterzogen.

Der Beklagte holte hierauf eine weitere ärztliche Stellungnahme seines Gesundheitsamtes ein. Diese erging am 14.04.1999 und kam zu dem Ergebnis, ein Mehrbedarf sei aus medizinischer Sicht auch im Hinblick auf den Typ I der Diabetes-mellitus-Erkrankung des Klägers nicht zu begründen.

Daraufhin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21.07.1999 den Widerspruch mit der Begründung zurück, der Kläger benötige zwar eine diätetische Behandlung, diese sei aber nicht teurer als bei Zufuhr normaler Kost, weil sich die Nahrung eines Diabetikers in ihrer Zusammensetzung nicht wesentlich von den modernen Ernährungsempfehlungen für gesunde Personen unterscheide. Entgegen der Auffassung des Klägers habe die Samtgemeinde W. sehr wohl den Absetzungsbetrag gem. § 76 in Höhe von monatlich 46,79 DM berücksichtigt. Der niedrigere monatliche Auszahlungsbetrag der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt gründe sich darauf, dass in der Vergangenheit bei der Berechnung des Heizkostenabschlages noch von einem Wert von 2,00 DM pro m² Wohnfläche ausgegangen worden sei. Ein im Jahre 1997 durchgeführter überregionaler Vergleich habe aber zu einer Reduzierung des angemessenen Heizkostenabschlages auf 1,60 DM pro m² geführt. Die Samtgemeinde Walkenried habe auch zu Recht die Gewährung einer Bekleidungsbeihilfe abgelehnt und die Weihnachtsbeihilfe nur eingeschränkt

bewilligt. Diese Berechnungen seien zutreffend nach § 21 Abs. 2 S. 2 BSHG vorgenommen. Kleidungsstücke hätten regelmäßig eine Gebrauchsdauer von mehr als sechs Monaten; die Bekleidungspauschale decke jedoch nur einen sechsmonatigen Bedarfszeitraum ab.

Der Kläger hat am 09.08.1999 Klage erhoben.

Er trägt vor, ihm stehe ein Mehrbedarf zu, weil alle diätetischen Lebensmittel teurer als "normale" Lebensmittel seien. Der von ihm eingereichte Ernährungsplan sei handschriftlich erstellt und zeichne im Wesentlichen auch ein aktuelles Bild seiner Ernährung.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger im Zeitraum von Juni 1998 bis zum 21.07.1999 Hilfe zum Lebensunterhalt unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für kostenaufwendige Ernährung in angemessener Höhe zu gewähren und die Bescheide der Samtgemeinde Walkenried vom 01.12.1998 sowie den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 21.07.1999 aufzuheben, soweit sie dem entgegenstehen.

hilfsweise,

festzustellen, dass die vorgenannten Bescheide rechtswidrig waren, soweit mit ihnen ein Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung in angemessener Höhe versagt worden ist.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er nimmt zur Begründung auf die amtsärztlichen Stellungnahmen und die angefochtenen Bescheide Bezug.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Gründe

Die Klage hat nur im tenorierten Umfang Erfolg.

1. Soweit die Klage mit ihrem Hauptantrag zulässigerweise als Verpflichtungsklage erhoben worden ist, ist sie unbegründet. Denn der angefochtenen Bescheid der Samtgemeinde Walkenried vom 01.12.1998 und der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 21.07.1999 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.

Zwar wurde unzutreffend ein Mehrbedarf des Klägers nach § 23 Abs. 4 BSHG wegen seiner Diabeteserkrankung, dessen angemessene Höhe die Kammer mit monatlich 100,-- DM bestimmt, nicht berücksichtigt (dies wird im Hinblick auf den gestellten Hilfsantrag noch näher auszuführen sein). Doch wirkte sich dieser Fehler im Ergebnis nicht aus. Denn der Kläger verfügte im streitbefangenen Zeitraum über Einkommen, das seinen sozialhilferechtlichen Bedarf auch dann überstieg, wenn man ihm einen Mehrbedarf zugesteht. Die Samtgemeinde W. ermittelte nämlich in der Anlage 2 zu ihrem Bescheid vom 01.12.1998 für die Zeit ab dem 16.11.1998 ein den Bedarf des Klägers überschreitendes Einkommen in Höhe von monatlich 110,95 DM. Da sich an seinen Einkommensverhältnissen zumindest bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides am 21.07.1999 (nur über diesen Zeitraum kann in Fällen wie dem Vorliegenden nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Klage geführt werden) nichts änderte, die Berechnung - abgesehen von der Frage des Mehrbedarfs - fehlerfrei ist und vom Kläger im Klageverfahren auch nicht mehr beanstandet wird, sieht die Kammer insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und nimmt gemäß § 117 Abs. 5 VwGO auf die angefochtenen Bescheide Bezug.

2. Der im Rahmen einer Feststellungsklage erhobene Hilfsantrag ist zulässig.

Insbesondere liegt ein Feststellungsinteresse vor. Die aufgeworfene Rechtsfrage kann sich nämlich trotz Ablaufs des vom Hauptantrag streitbefangenen Zeitraums wegen geänderter Einkommensverhältnisse des Klägers für die Beteiligten zukünftig erneut stellen. Sie hat auch Bedeutung für die sozialhilferechtlichen Ansprüche des Klägers. Mehrbedarfszuschläge beeinflussen nicht nur die Höhe des laufenden sozialhilferechtlichen Bedarfs von Hilfeempfängern (§ 22 BSHG), sondern wirken sich auch auf Ansprüche auf einmalige Leistungen aus (§ 21 Abs. 1 a BSHG). Eine Folge des Wegfalls des Mehrbedarfszuschlages für den Kläger war, dass er nunmehr unter die Regelung des § 21 Abs. 2 BSHG fiel, wonach einmalige Leistungen wie die Bekleidungs- und Weihnachtsbeihilfen ihm nur soweit gewährt wurden, wie es ihm nicht zugemutet werden konnte, aus dem seinen sozialhilferechtlichen Bedarf überschießenden Teil des Einkommens über einen gewissen Zeitraum, der bis zu sieben Monate betragen konnte, Mittel anzusparen, um den Hilfebedarf daraus zu decken. Da ohne Berücksichtigung des streitbefangenen Mehrbedarfs ein überschießendes Einkommen in Höhe von ca. 110,00 DM pro Monat vorhanden war und der Beklagte - angesichts der Lebensdauer von Kleidungsstücken - einen Anspruchszeitraum von sechs Monaten als angemessen ansah (was nicht zu beanstanden sein dürfte), erhielt der Kläger keine Bekleidungsbeihilfe mehr.

Der Hilfsantrag ist auch begründet. Die Samtgemeinde W. und der Beklagte hätten bei der Berechnung des Anspruchs des Klägers auf Hilfe zum Lebensunterhalt zu seinen Gunsten einen Mehrbedarf gem. § 23 Abs. 4 BSHG wegen der Erkrankung an Diabetes Mellitus Typ I in (angemessener) Höhe von monatlich 100,-- DM berücksichtigen müssen.

§ 23 Abs. 4 BSHG regelt, dass für Kranke, Genesende, Behinderte oder von einer Krankheit oder Behinderung Bedrohte, die einer kostenaufwendigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anzuerkennen ist.

Die Gewährung eines Mehrbedarfs setzt auf der Tatbestandsebene voraus, dass

(a) ein Krankheit besteht, bei der nach ärztlicher Beurteilung eine besondere Ernährung geeignet und notwendig ist,

(b) die besondere Ernährung teurer als die Normalernährung ist.

Liegen die vorgenannten Voraussetzungen vor, ist auf der Rechtsfolgenseite zu entscheiden, (c) in welcher Höhe der Mehrbedarf "angemessen" ist.

(a) Die dem Gericht vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen belegen, dass der Kläger unter Erkrankung: Diabetes mellitus Typ I leidet, er ist "insulinpflichtig". Nach allgemeiner Auffassung, die vom Beklagten auch nicht in Zweifel gezogen worden ist, ist es notwendig, dass sich Diabetiker des Typs I sich grundsätzlich wegen ihrer Krankheit "besonders" zu ernähren haben, also die Erforderlichkeit einer speziellen Kostform gegeben ist. Nach den Erkenntnissen der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin - DGEM - (vgl. Kleinere Schriften des Deutschen Vereins <DV> Heft 48, 2. Auflage 1997, S. 37 ff./41 ff.) gilt für die Zusammensetzung ihrer Kost:

Aufnahme von weniger als 10 Energieprozent in Form von gesättigten Fetten, d. h. vergleichsweise wenig tierische Produkte (außer Fisch) und Zufuhr von mehrfach ungesättigten bzw. monoungesättigten Fetten,

Bevorzugung komplexer Kohlenhydrate in Form ballaststoffreicher Nahrungsmittel mit möglichst intakter Struktur,

Meidung übermäßiger Eiweißzufuhr (0,8 gr./kg reichen für die Bedarfsdeckung aus),

Alkoholkonsum von weniger als 30 gr. täglich und immer im Zusammenhang mit kohlenhydrathaltigen Mahlzeiten wegenHypoglykomiegefahr,

Kochsalzzufuhr von weniger als 6 gr./Tag zur Beeinflussung der häufig vorliegenden u. a. die nephropathieförderndenHypathornie.

Wegen der Insulingabe müssen die Wirkung blutzuckersenkender Prinzipien und blutzuckererhöhender Mahlzeiten bei Diabetikern des Typs I zeitlich und quantitativ aufeinander abgestimmt werden. Insbesondere ist die Anpassung der Kohlenhydratauswahl und

-verteilung an die Form der Insulintherapie erforderlich. Nach einem Gutachten zum Kostenaufwand für Langzeitdiäten der Deutschen Gesellschaft für Ernährung - DGE -(vgl. DV, a.a.O., S. 49 ff/56 f.) bedarf die Diät bei Indikation Diabetes mellitus Typ I immer einer individuellen ärztlichen Verordnung. Die Kostform sei im Prinzip eine vollwertige Ernährung unter besonderer Berücksichtigung der Energiezufuhr und der Qualität der Kohlenhydrate und Fette. Die Kohlenhydrate müssten optimal über den Tag verteilt werden, die Energiezufuhr muss bedarfsgerecht geschehen. Proteine und Fette müssen entsprechend den Empfehlungen der vollwertigen Ernährung aufgenommen werden.

Die den Kläger betreffenden ärztlichen Stellungnahmen des Gesundheitsamtes des Beklagten widersprechen nicht den vorstehenden Darlegungen. Auch das Gesundheitsamt geht davon aus, dass der Kläger sich speziell ernähren muss, kommt dann aber zu dem (nicht näher begründeten) Ergebnis, dass diese spezielle Ernährung keinen zusätzlichen Kostenaufwand erfordern würde.

(b) Die besondere Ernährung, die der Kläger zu beachten hat, ist kostenaufwendig. Diese Feststellung reicht jedoch nicht allein aus, um einen Mehrbedarf zu begründen, sie muss auch teurer sein als die normale Ernährung. Diese Anspruchsvoraussetzung erschließt sich allerdings nicht bereits allein aus dem Wortlaut der Norm (hier: "kostenaufwendig"), sondern erst aus ihrer Entstehungsgeschichte. § 23 Abs. 4 BSHG wurde durch das Gesetz zur Umsetzung des föderalen Konsolidierungsprogrammes "FKPG" vom 23.06.1993 (BGBl I S. 944) neu gefasst. Der hier interessierende Teil der Vorschrift lautete in seiner alten Fassung "kostenaufwendiger". Warum in der Neufassung nicht mehr der Komperativ des Begriffs "kostenaufwendig" verwendet wird, kann den Gesetzesmaterialien nicht entnommen werden (vgl. hierzu DV, a.a.O., S. 8 ff). Die Kammer folgt insoweit der Auffassung von Wienand (a.a.O.), dass der Gesetzgeber nicht erkannt hat, dass er mit der Beseitigung des Komperativs eine sachliche Änderung eingeführt hat, es handelt sich wohl um einen "redaktionellen Fehler".

Die Ernährung des Kranken muss daher tatsächlich "kostenaufwendiger" als die eines Gesunden sein. Dies trifft auf die Ernährung von Diabetikern des Typ I zu. Der anzustellende Kostenvergleich hat sich auf den sozialhilferechtlich anerkannten Regelbedarf an Ernährung (Ernährungsanteil im Regelsatz unter 50 %) zu beziehen. Die Anerkennung eines Mehrbedarfs ist somit begrifflich nur in Bezug auf einen Regelbedarf möglich, der Aufwand muss über den im Regelsatz enthaltenen Betrag für Ernährung hinausgehen.

Die Kammer folgt insoweit den Erkenntnissen des DV (a.a.O., S. 32 ff/36), der höhere Aufwendungen, die um 100,00 DM über dem Regelsatz liegen, als notwendig ansieht und folgendes Verfahren zur Ermittlung der Höhe der Krankenkostzulagen gewählt hat:

Bezugspunkte der Untersuchung sind einerseits die angemessenen Ausgaben für die krankheitsbedingte Kostform und andererseits der durch den Regelsatz bereits gedeckte Bedarf. Der Aufwand für die einzelnen Kostformen wurde in einem ernährungswissenschaftlichen Gutachten der DGE modellhaft ermittelt. Dieses Gutachten weist jeweils zwei Beträge auf, zum einen Nettoaufwendungen: Aufwand für Lebensmittel, die zur Einhaltung einer Kostform hervorgegebenen Energiebedarf und mittlerem Konsumniveau auf der Basis von 60 Tagesspeiseplänen durchschnittlich erforderlich seien. Zum anderen eben diese Nettoaufwendungen, allerdings unter zusätzlicher Berücksichtigung eines Aufschlags von 20 %, der durch den Schwund und Verderb bei Lagerung und Zubereitung der Speisen sowie Verluste aus nicht vollständigem Speisenverzehr begründet wird und eines weiteren Zuschlages von 2 % wegen des Aufwands für Gewürze und Zutaten. Die Erhöhung des für die Bedarfsdeckung erforderlichen Nettoaufwand um insgesamt 22 % entspricht im Übrigen dem bereits in den Empfehlungen des DV von 1974 gewählten Verfahren, das aber in der Rechtsprechung nicht unumstritten war. So wurde gerade der Zuschlag für Schwund und Verderb nicht in Höhe von 20 %, sondern lediglich noch in Höhe von 12 %.wegen des durchgehend - auch bei Beziehern geringerer Einkommen - in den Haushalten vorhandenen Kühlschranks nicht mehr anerkannt (vgl. Nds. Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 22.11.1996 - 4 L 2826/94 -, FEVS 47, S. 554; OVG Berlin, Urteil vom 23.02.1995, FEVS 46, 201/203 f).

(c) Die Höhe der empfohlenen Krankenkostzulage wird sodann durch Ermittlung der Unterschiedsbeträge zwischen folgenden Größen bestimmt:

dem notwendigen Ernährungsaufwand für eine spezielle Kostenverordnung

dem idealtypischen Ansatz für Ernährung im Bemessungssystems für die Regelsätze der in der Sozialhilfe.

Zur Berechnung des notwendigen Aufwandes für eine Kostform: Grundlage sind die Berechnungen der DGE zu den durchschnittlichen Aufwendungen für eine Kostform bei einem mittleren, "gesellschaftlich üblichen" Konsumniveau. Diese Aufwendungen liegen oberhalb des notwendigen Ernährungsbedarfs im Sinne des § 12 BSHG, der durch Sozialhilfeleistungen zu decken ist. Die notwendigen Kostformen sind auch unterhalb des berechneten mittleren Konsumniveaus zusammen zu stellen, ohne dass hierdurch die diätetische Qualität gesenkt würde und in deren Folge eine weitere Beeinträchtigung der Gesundheit der Hilfeempfänger zu befürchten wäre. Der DV - und auch insoweit schließt sich die Kammer ihm an - sieht als notwendigen Aufwand für eine Kostform lediglich den im Gutachten der DEG ausgewiesenen Nettoaufwand an (also ohne Schwundaufschlag). Das Gutachten der DEG berücksichtigt den Preisstand Mitte des Jahres 1993. Für die Ermittlung der Krankenkostzulage sind die entsprechenden Beträge mit 30 zu multiplizieren, um einen Monatsbetrag zu erhalten, der mit Hilfe der Teuerungsrate für die Haushaltsgruppe "Nahrungsmittel, Getränke und Tabakwaren" im Preisindex für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte bis Jahresende 1997 fortzuschreiben ist.

Neben dem notwendigen Gesamtaufwand für eine Krankenkostform bildet der durch den Regelsatz bereits gedeckte Ernährungsbedarf die zweite Bezugsgröße für die Bestimmung der Höhe von Krankenkostzulagen. Der Anteil für Ernährung im Regelsatz eines Haushaltsvorstandes ist mit 50 % anzusetzen, bezogen auf den im Jahre 1996 gültigen Regelsatz folglich mit 263,00 DM und ist für die Ermittlung des Mehrbedarfs im Rahmen einer Differenzberechnung in Ansatz zu bringen. Eine pauschale Bemessung ist auch sachgerecht, da der Mehrbedarf wegen krankheitsbedingter kostenaufwendiger Ernährung seinen Bezugspunkt im Regelsatz hat. Hier ist zu beachten, dass der energetische Bedarf nicht für alle Erwachsenen gleich ist, sondern u.a. in Abhängigkeit von Lebensalter und Geschlecht eine große Spannweite aufweist. Da der Regelsatz für Alleinstehende und Haushaltsvorstände jedoch unabhängig von den vorgenannten Variablen gilt, muss auch der über den Regelbedarf hinausgehende Mehrbedarf pauschal bemessen werden.

Der DV hat nach den vorstehenden Grundsätzen sodann folgende monatliche Aufwandsbeträge für verschiedene Kostformen errechnet:

Kostformen

Energiegehalt (Kilokalorien)

notwendiger Aufwand (DM)

50% des Regelsatzes für einen HV

Differenz (DM)

empfohlene Krankenkostzulage (DM)

Vollkost

2100

300

263

37

./.

leichte Vollkost

2100

307

263

44

./.

Diabeteskost

2400

366

263

103

./.

Diabetes mellitus I

2100

342

263

79

100

Grundlage für die vorgenannten Empfehlungen des DV ist u.a. das Gutachten zum Kostenaufwand für Langzeitdiäten der DEG (a.a.O., 49 ff.). Hierin sind Richtwerte für die tägliche Energiezufuhr für Jugendliche und Erwachsene bei leichter Tätigkeit aufgestellt worden. Männer der Altersgruppe 25 bis unter 51 Jahre (wie der Kläger) benötigen demnach 2400 kc, in der Altersgruppe von 51 bis unter 65 Jahre nur noch 2200 kc. Die Tageskosten von Verpflegung bei einer Erkrankung an Diabetes mellitus Typ I betragen danach bei einem Energiegehalt der notwendigen Nahrung von 2100 kc (-) zwischen 8,80 DM und 10,96 DM (ohne Zuschlag). Im DEG-Gutachten wird zu Recht darauf hingewiesen, dass der finanzielle Aufwand an der Ernährung nicht zwangsläufig vom Energiegehalt der Tagesverpflegung abhängig ist. So ist unter Umständen eine Ernährung von 2400 kc pro Tag genauso teuer wie eine von 2000 kc pro Tag, da der individuelle Nährstoffbedarf der gleiche ist oder sein kann. Die Qualität der Lebensmittel hinsichtlich des Nährstoffgehaltes ist für den Preis ausschlaggebend. Die höhere finanzielle Belastung durch eine besondere Ernährung für Kranke kommt durch die qualitative Verbesserung der Lebensmittel unter Berücksichtigung der Nährstoffdichte zustande. Ferner ist der Einsatz von Diätprodukten in der Regel teurer als der von Lebensmitteln des "normalen Verzehrs". Dies ist besonders bei der Einhaltung der eiweißarmen, der blutarmen und auch der energiereduzierten Kost spürbar.

Diese Erkenntnisse des DV decken sich im Wesentlichen mit einem Gutachten des Bundesgesundheitsamtes vom 02.04.1991 (a.a.O., S. 67 ff./ 69 ff.). Danach folge die heutige Diabetesdiät prinzipiell den Regeln einer gesundheitsbewussten, normalen Ernährung. Für Diabetiker gälten deshalb grundsätzlich die gleiche Nährstoffbedürfnisse wie für Gesunde, um entsprechend den Empfehlungen der DGE eine bedarfsdeckende, vollwertige Ernährung zu sichern. Die notwendigen diätetischen Maßnahme hingen von individuell unterschiedlichen Voraussetzungen und Einstellbarkeit der diabetischen Stoffwechsels ab, etwa der Möglichkeit einer reindiätetischen Handlung oder der Notwendigkeit einer zusätzlichen medikamentösen Behandlung mit Insulingaben. Für normgewichtige Diabetiker (wie es der Kläger ist) werde bereits eine Diät empfohlen, deren Fettgehalt 35 % der Gesamtenergiezufuhr ausmache und nicht mehr als 1/3 davon als gesättigte Fettsäuren enthalte. Die noch immer weit verbreitete und einseitige Einschränkung der Kohlenhydratzufuhr in der Diabetesdiät sei unberechtigt, da die Erkenntnisse sich gewandelt hätten. Bei den heute empfohlenen sog. kohlenhydratreichen Diabetesdiäten sollten aber die blutglucosewirksamen Kohlenhydrate als Richtwert 50 % der Gesamtenergiezufuhr ausmachen. Eine Liberalisierung der Aufnahme von niedermolekularen Kohlenhydraten sei dabei nach wie vor nicht ratsam. Dies schließe andere kontrollierte Regelungen im Einzelfall mit ärztlichem Einverständnis nicht aus. Aus diesem Grunde seien diätetische Lebensmittel für Diabetiker, denen herkömmliche Zuckerprodukte nicht zugesetzt sein dürfen, wissenschaftlich anerkannt und erleichterten die Diätführung von Diabetikern. Dies gelte insbesondere für Konfitüren, Obstkonserven, Backwaren und alkoholfreie Getränke, die mit Zuckeraustauschstoffen und Süßstoffen hergestellt und dadurch geeignet seien, den besonderen Ernährungserfordernissen von Diabetikern zu dienen. Auch Fertiggerichte müssten den Anforderungen der Diätverordnung entsprechen und die Tatsache berücksichtigen, dass die meisten Diabetiker eine energiereduzierte Diät benötigten. Die diätetischen Lebensmittel für Diabetiker seien in der Regel teurer als Lebensmittel des allgemeinen Verzehrs. Aus diesem Grunde könnten durch die diätetische Behandlung für den betroffenen Diabetiker durchaus mehr Kosten entstehen, die über denen einer vollwertigen Normalkost lägen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. VwGO; bei der Kostenverteilung geht die Kammer von einer wirtschaftlichen Gleichwertigkeit von Haupt- und Hilfsantrag aus; ihre vorläufige Vollstreckbarkeit gründet sich auf §§ 167 VwGO i.V.m. 708, 711 ZPO.