LG Hamburg, Urteil vom 21.04.2009 - 324 O 944/08
Fundstelle
openJur 2009, 581
  • Rkr:
IT- und Medienrecht Zivilrecht
§§ 823, 1004 BGB; Artt. 1, 2 GG
Tenor

I.) Die einstweilige Verfügung vom 29.12.2008 wird bestätigt. 

II.) Die Antragsgegnerin hat auch die weiteren Kosten des Verfahrens zu tragen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um den Bestand einer einstweiligen Verfügung.

Der Antragsteller ist ehemaliger Vorstandsvorsitzender und jetziger Aufsichtsratsvorsitzender der „V. AG“. Die Antragsgegnerin strahlte am 15.9.2008 über ihren Radiosender „D.“ ein Interview mit J. G. aus, das sich mit dem Antragsteller befasste. Anschließend stellte sie das Interview unter der Überschrift „P.-Biograph: Es ist Zeit, dass diese Herren abdanken“ auf ihrer Internetseite als Audio- und als Textdatei (Anlage Ast. 1) zum Abruf bereit.

Anknüpfend an dieses Interview hat der Antragsteller eine einstweilige Verfügung der Kammer vom 29.12.2008 erwirkt, durch die der Antragsgegnerin untersagt worden ist, folgende Interviewäußerungen G. erneut zu verbreiten:

1. „F. P. wollte immer diesen Großvater überholen, wollte berühmter werden, [...]“
2. Prof. Dr. h.c. F. P. habe geäußert: „Ich erkläre G. M. den Krieg“.
3. zu verbreiten: „Er [Prof. Dr. h.c. F. P.] will sicherlich mächtigster Mann in Europa werden.“
4. zu verbreiten: „er [Prof. Dr. h.c. F. P.] ist der deutsche Meister im Entlassen von Vorständen. [...] Die ganze Karriere war immer wieder geprägt von Entlassungen, übrigens mit einer ganz üblen Entlassungsmethode. Es dauerte keine halbe Stunde: dann war der Werkschutz da. Dann musste der
Schreibtisch geräumt werden. Mehr als 30, 35 Vorstände hat F. P. in diesem Sinne, wenn ich so sagen darf, auf dem Gewissen.“

Dagegen hat die Antragsgegnerin Widerspruch eingelegt. Sie vertritt die Ansicht, sie sei nicht passivlegitimiert. Eine Verbreiterhaftung scheide wegen der für Interviews geltenden Privilegierung aus. Die angegriffenen Äußerungen seien weder beleidigend noch ehrverletzend. Ohnehin habe sie sich von diesen Äußerungen distanziert. Die Äußerungen zu Ziffern 1.) und 3.) seien zulässige Meinungsäußerungen. Die Äußerung zu Ziffer 4.) sei zulässig, weil der Antragssteller in seiner Amtszeit 29 Vorstände entlassen habe.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die einstweilige Verfügung aufzuheben und den zugrunde liegenden Antrag zurückzuweisen.

Der Antragsteller beantragt,

die einstweilige Verfügung zu bestätigen.

Er trägt vor, bei den Äußerungen zu 1.) und 3.) handle es sich um unzutreffende innere Tatsachenbehauptungen. Die Äußerung zu Ziffer 2.) habe er nicht getätigt. Zu Ziffer 4.) trägt der Antragsteller vor, in seiner Zeit als Vorstands- bzw. Aufsichtsratsvorsitzender sei kein einziger Vertrag eines Vorstandsmitgliedes aufgrund einer Kündigung beendet worden, erst recht nicht fristlos, damit sei es auch in diesem Zusammenhang nicht zu einer Einschaltung des Werkschutzes gekommen.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Gründe

I.)

Die einstweilige Verfügung ist zu bestätigen, denn sie ist auch nach dem Ergebnis der Widerspruchsverhandlung zu Recht ergangen. Dem Antragsteller stehen die begehrten Unterlassungsansprüche gemäß §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog in Verbindung mit Artikeln 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG zu.

1.)

Die angegriffenen Äußerungen verletzen den Antragsteller in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.

a.)

Bei den Äußerungen zu Ziffern 1.) und 3.) handelt sich um – unstreitig unzutreffende - innere Tatsachenbehauptungen über den Antragsteller. Die in dem angegriffenen Interview enthaltenen Aussagen G., der Antragsteller habe „immer diesen Großvater überholen“ und „berühmter werden“ wollen, sowie der Antragsteller wolle „sicherlich mächtigster Mann in Europa werden“, stellen sich dem durchschnittlichen Rezipienten gerade nicht als bloße persönliche Bewertung G. dar, auf die er mit Hilfe objektiver Indizien lediglich subjektiv geschlossen hat (vgl. zu diesen Kriterien im

Zusammenhang mit der Abgrenzung zwischen Meinungsäußerungen und inneren Tatsachenbehauptungen: BGH, U. v. 22.4.2008, Az.: VI ZR 83/07, Absatz-Nr. 19, www.bundesgerichtshof.de). Vielmehr musste der durchschnittliche Rezipient annehmen, G. gebe über ihm positiv bekannte innere Einstellungen des

Antragstellers Auskunft. Denn die in Rede stehenden Interviewantworten enthalten gerade keinerlei tatsächliche Indizien, aus denen sich darauf schließen lassen könnte, dass der Antragsteller immer berühmter als sein Großvater werden wollte, bzw. nunmehr beabsichtige, „mächtigster Mann in Europa“ zu werden. Alleine die in dem Interview ebenfalls enthaltene Aussage, dass der Großvater des Antragstellers als möglicherweise größter Konstrukteur aller Zeiten gelte und der Antragsteller

zunächst Vorstandsvorsitzender und sodann Aufsichtsratschef des „größten europäischen Autokonzerns“ gewesen sei, können dafür – selbst bei großzügiger Betrachtung – nicht ausreichen. Hinzu kommen die apodiktische Formulierung der angegriffenen Äußerungen („F. P. wollte ...“ bzw. „Er will sicherlich ...“) sowie der Umstand, dass der durchschnittliche Rezipient von einem Mann, der als „P.- Biograph“ auftritt, besonders intime Kenntnisse (auch) über die inneren Befindlichkeiten der von ihm beschriebenen Persönlichkeit erwartet.

Im Übrigen würden die Äußerungen zu Ziffern 1.) und 3.) auch dann das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Antragstellers verletzen, wenn man sie als Meinungsäußerungen ansehen wollte, denn die Antragsgegnerin hat für sei keinerlei tragfähige Anknüpfungstatsachen vorgetragen.

b.)

Bei der dem Antragsteller zugeschriebenen Äußerung zu Ziffer 2.) handelt es sich unstreitig um ein Falschzitat.

c.)

Der tatsächliche Kern der Aussage zu Ziffer 4.) ist schon deshalb als unwahr anzusehen, weil die Antragsgegnerin lediglich vorträgt, der Antragsteller habe „in seiner Karriere 29 Vorstände entlassen“. Angesichts des Vortrags des Antragstellers, wonach in seiner Amtszeit als Vorstands- bzw. Aufsichtsratsvorsitzender kein einziger Vertrag eines Vorstandsmitgliedes aufgrund einer Kündigung beendet worden sei, hätte die Antragsgegnerin ihren Vortrag mindestens noch dahingehend

substantiieren müssen, welche Vorstände gekündigt worden seien. Im Übrigen hat der Antragsteller eine eidesstattlichen Versicherung des Leiters des „Konzern Personal Top Management“ der V. AG, W. v. R., vom 15.12.2008 vorgelegt, in der dieser bestätigt, dass es in der gesamten Arbeitszeit des Antragstellers als Vorstands- bzw. Aufsichtsratsvorsitzenden keine Kündigung eines Vorstandsmitgliedes gegeben habe, im Zusammenhang mit dem Ausscheiden von Vorständen sei auch niemals der Werkschutz eingeschaltet worden.

Soweit die Äußerung zu Ziffer 4.) wertende Elemente enthält, fehlt es für sie demnach an einer hinreichenden tatsächlichen Grundlage.

2.)

Haftungsbeschränkungen unter dem Gesichtspunkt der eingeschränkten Verbreiterhaftung ergeben sich zugunsten der Antragsgegnerin nicht.

Selbst wenn von einem bloßen Verbreiten der angegriffenen Interviewäußerungen durch die Antragsgegnerin auszugehen wäre, könnte dies nach der Rechtsprechung des Hanseatischen Oberlandesgerichts nicht zu einer Haftungserleichterung zugunsten der Antragsgegnerin führen. In seinem Urteil vom 25.10.2005 zum Az.: 7 U 68/05 hat das Hanseatische Oberlandesgericht ausgeführt:

Für Presseinterviews gilt die allgemeine Verbreiterhaftung ohne Einschränkung, zumal die Printmedien in der Lage sind, den Inhalt der Aussagen ihrer Interviewpartner vor deren Publikation zu überprüfen.

Dasselbe muss für einen Radiosender gelten, der – wie vorliegend – ein Interview nachträglich auf seiner Internetseite zum Abruf bereithält. Das Hanseatische Oberlandesgericht ist – soweit ersichtlich – von seiner soeben angeführten Rechtsprechung bislang nicht abgerückt. Das gilt insbesondere hinsichtlich des von der Antragsgegnerin angeführten Urteils des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 5.8.2008 zum Az.: 7 U 37/08, denn darin heißt es:

Selbst die Vertreter der Ansicht, dass die Verbreiterhaftung hinsichtlich von Äußerungen
in Interviews besonderen Einschränkungen unterliege, ... (Hervorhebung durch die
Kammer).

Eine Verbreiterhaftung der Antragsgegnerin wäre wohl aber selbst dann zu bejahen, wenn man mit der – von der Antragsgegnerin ebenfalls angeführten – Rechtsprechung des Oberlandesgerichts München (U. v. 12.12.2006, Az.: 18 U 4341/06) annehmen wollte, dass der Verbreiter eines Interviews nur für besonders schwere Beeinträchtigungen von Persönlichkeitsrechten haftet. Denn derartige schwere Beeinträchtigungen dürften in den angegriffenen Äußerungen zu erblicken sein, dienen sie doch nach dem Verständnis des durchschnittlichen Rezipienten der Untermauerung des im fettgedruckten Eingangsabsatzes des angegriffenen Interviews wiedergegebenen Vorwurfs, der Antragsteller sei ein egoistischer und egozentrischer Machtmensch, von dem zu befürchten sei, dass er das ganze Unternehmen ... an die Wand fahren könnte.

Auf all dies kommt es allerdings bereits nicht an, da nach dem Maßstab, den das Hanseatische Oberlandesgericht in seiner o.g. Entscheidung vom 5.8.2008 vorgegeben hat, vorliegend schon gar nicht von einem bloßen Verbreiten der angegriffenen Äußerungen durch die Antragsgegnerin, sondern von einem Zu-Eigenmachen auszugehen ist. In jenem Verfahren hat das Hanseatische Oberlandesgericht ausgeführt:

Soweit die Beklagte darzulegen versucht, dass sie hinsichtlich dieser Tatsachenbehauptung über den Kläger nicht der Verbreiterhaftung unterliege, ist vorab darauf hinzuweisen, dass es darauf schon deshalb nicht ankommt, weil die Beklagte diese Behauptung nicht nur verbreitet hat, sondern sie sich in einer Weise zueigen gemacht hat, dass sie ihr als eigene Behauptung zuzurechnen ist. Denn der Verbreiter, der die kritische Äußerung eines Dritten in der Weise veröffentlicht, dass er sie als Bestandteil in einen von ihm selbst gestalteten Beitrag einbettet, der dem Rezipienten als
eine eigene Kritik des Verbreiters erscheint, macht sich diese Äußerung zueigen (BGH, Urt. v. 6. 4. 1976, BGHZ 66, S. 182 ff., 190 f.). So liegen die Dinge hier, denn die Beklagte hat die Äußerung W.’s – von der zu ihren Gunsten unterstellt werden kann, dass W. sie tatsächlich so getätigt hat –, wonach der Kläger ein „... Interview ... mit E. J. geführt haben will“, das „schon zwei Jahre zuvor in der B. erschienen“ sei, unter die Überschrift „Heute wird offen gelogen“ gesetzt und damit ausdrücklich in den Kontext der Angabe von Beispielen für erlogene Behauptungen gestellt. Dass diese Überschrift ebenfalls ein Zitat von W. ist und als Zitat durch das Setzen von Anführungszeichen gekennzeichnet wird, steht dem Zueigenmachen durch die Beklagte nicht entgegen;
denn die Beklagte war es selbst, die eben dieses Zitat als Überschrift ihres Beitrages ausgewählt hat. Die Beklagte bringt durch diese Auswahl und Montage des Materials dem Leser gegenüber zum Ausdruck, dass in dem Beitrag nunmehr tatsächliche Beispiele für Lügen offenbart werden sollen, und nicht etwa ein Beitrag, in dem den Lesern mitgeteilt werden soll, welche Vorgänge nur nach der subjektiven Sicht des Interviewten als „Lügen“ anzusehen seien [Namen durch die Kammer abgekürzt].

Übertragen auf den vorliegenden Fall muss hieraus folgen: Indem die Antragsgegnerin die Interview-Äußerungen G. unter die Überschrift „[...] Es ist Zeit, dass diese Herren abdanken“ setzte, stellte sie diese Äußerungen in den Kontext der Angabe von Beispielen für Gründe für diese Forderung. Dass diese Überschrift durch die vorangestellten Worte „P.-Biograph:“ als Zitat gekennzeichnet war, steht dem Zueigenmachen durch die Antragsgegnerin nicht entgegen, da es die Antragsgegnerin selbst war, die eben dieses Zitat als Überschrift ihres Beitrages ausgewählt hat. Die Antragsgegnerin hat demnach auch im vorliegenden Fall durch die Auswahl und Montage des Materials dem Leser gegenüber zum Ausdruck gebracht hat, dass in dem Beitrag nunmehr tatsächliche Gründe für die in der Überschrift erhobene Rücktrittsforderung offenbart werden sollen, und nicht etwa ein Beitrag, in dem den Rezipienten mitgeteilt werden soll, welche Vorgänge nur nach der subjektiven Sicht des Interviewten als Gründe für die Rücktrittsforderung anzusehen seien.

Nach Auffassung der Kammer besteht vorliegend sogar noch deutlich mehr Anlass, von einem Zu-Eigenmachen auszugehen, als in dem vom Hanseatischen Oberlandesgericht entschiedenen Parallelfall. Denn vorliegend bezog die Interviewerin bereits in ihrer ersten Frage persönlich sehr deutlich gegen den Antragsteller Stellung, indem sie feststellte, das Abstimmungsverhalten des

Antragstellers im-Aufsichtsrat habe „das Fass zum Überlaufen gebracht“, der Antragsteller habe dafür gesorgt, dass Porsche gegenüber den Arbeitnehmervertretern „eine Niederlage“ habe hinnehmen müssen. Hierbei mag es sich um zulässige Meinungsäußerungen handeln; dies ändert aber nichts daran,

dass der durchschnittliche Rezipient ausgehend von diesen Äußerungen umso mehr Anlass haben musste zu unterstellen, dass sich die Antragsgegnerin die folgenden Interviewäußerungen G. zu Eigen machen wolle. Daran konnten die vereinzelten, eher zurückhaltenden Nachfragen der Interviewerin im weiteren Verlauf des Interviews („Kann es wirklich sein, dass diese Unternehmer, die ja wirklich ihre Erfolge auch gebracht haben, ihre persönlichen, ihre Familienfehden wirklich auf dem Rücken der Unternehmen austragen werden bis zuletzt?“ und „Sie sehen das alles sehr, sehr kritisch, sind ja auch nicht ohne Grund Vertreter der kritischen Aktionäre bei D., Herr G.“) aus der Sicht des durchschnittlichen Rezipienten nichts mehr ändern. Dies gilt umso mehr, als die Interviewerin abschließend die Frage stellte, ob es – offenbar quasi als Gegenentwurf zum Fall des Antragstellers – „nicht auch große Unternehmen hier in Deutschland, von Eigentümerfamilien geführt“ gebe, die „sehr positiv agieren, auch im Sinne ihrer Arbeitnehmer“.

3.)

Die Wiederholungsgefahr ist durch die rechtswidrige Erstbegehung indiziert (zur Indizwirkung der rechtswidrigen Erstbegehung vgl. BGH, NJW 1994, 1281, 1283).

II.)

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.