VG Lüneburg, Gerichtsbescheid vom 18.02.2000 - 1 B 10/00
Fundstelle
openJur 2012, 35754
  • Rkr:
Tatbestand

Die Antragstellerin beantragte am 31. Jan. 2000 Sonderurlaub unter Weitergewährung der Bezüge auf dem Formular „Sonderurlaub für gewerkschaftliche, staatsbürgerliche, fachliche, kirchliche oder sportliche Zwecke“ für die Zeit vom 21.2. bis 29.2.2000, u.zw. für eine Reise der evang.-luth. Paulusgemeinde L nach Israel. Nach Ablehnung dieses Antrages durch den Schulleiter erhob die Antragstellerin Widerspruch und beantragte gleichzeitig Urlaub unter Wegfall der Bezüge gem. § 11 Abs. 1 SonderurlaubsVO. Sowohl dieser (neue) Antrag als auch der Widerspruch wurden mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. Februar 2000 abgelehnt, wobei zur Begründung u.a. ausgeführt wurde, es handele sich weder um eine Veranstaltung der beruflichen Aus- und Fortbildung (§ 2 Abs. 1 SonderurlaubsVO) noch um eine anerkannte Studienfahrt. Auch im Rahmen von § 11 SonderurlaubsVO, der als Auffangvorschrift ausgestaltet sei, komme die Gewährung von Sonderurlaub nur in Betracht, wenn ein anderer Tatbestand grundsätzlich anwendbar wäre, aber im Einzelfall ausscheide. Zudem habe ein wichtiger Grund vorzuliegen und dürften dienstliche Gründe nicht entgegen stehen, was hier jedoch der Fall sei, da die Unterrichtsversorgung nach dem Lehr- und Stundenplan vorrangig sei.

Gründe

Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung gem. § 123 VwGO hat in dem Umfange Erfolg, wie das dem Beschlußtenor zu entnehmen ist.

Das erforderliche (allgemeine) Rechtsschutzbedürfnis für den gestellten Antrag ist gegeben, da die Bemühungen der Antragstellerin, durch behördliche Anträge im Verwaltungswege ihr Antragsbegehren zu erreichen, letztlich nicht weitergeführt und nicht zu einem Erfolg geführt haben (vgl. Finkelnburg/Jank, NJW-Schriften Bd. 12, 3. Aufl., Rdn. 124). Andere, ebenso wie der vorliegende Antrag geeignete Möglichkeiten, das Antragsziel zum jetzigen Zeitpunkt noch zu erreichen, sind nicht ersichtlich.

Soweit es der Antragstellerin im Rahmen des § 123 VwGO um eine Sicherungsanordnung (§ 123 Abs. 1 S. 1 VwGO) geht, liegt es hier so, daß zunächst einmal eine sicherungsfähige Rechtsposition der Antragstellerin vorliegt. Der bei einer Sicherungsanordnung gem. § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO zu fordernde Sicherungsanspruch umfaßt nämlich „alle materiellen oder formellen Rechtspositionen, die mit einer Verpflichtungsklage, einer allgemeinen Leistungs- oder Unterlassungsklage, einer Feststellungsklage oder einer sonstigen Klage durchgesetzt werden können“ (Finkelnburg/Jank, NJW-Schriften Bd. 12, 3. Auflage, Rdn. 142 m.w.N.). Dass hier das von der Antragstellerin geltend gemachte Recht auf Gewährung von Sonderurlaub - in die entsprechenden Vorschriften der SonderurlaubsVO und in die Fürsorgepflicht des Dienstherrn eingebettet - ebenso zu den sicherungsfähigen Rechten iSv § 123 VwGO gehört wie öffentlich-rechtliche Nachbarrechte (OVG Münster, OVGE 18, 313 und 16, 238) oder studentische Mitgliedschaftsrechte (OVG Hamburg, DVBl. 1979, 911), bedarf keiner weiteren Ausführungen, sondern versteht sich von selbst. Denn die Gewährung von Sonderurlaub ist kein Gnadenakt, sondern in die allgemeine Förderungs- und Fürsorgepflicht des Dienstherrn eingelagert, demgemäß der Dienstherr auch für die Fortbildung seiner Beamten zu sorgen hat. Als Mittel der Fortbildung ist u.a. die Gewährung von Sonderurlaub für fachliche Zwecke ins Auge zu fassen (Schnellenbach, Beamtenrecht in der Praxis, 4. Auflage, Rdn. 376 Fußn. 97).

Hier liegt es so, dass die Antragstellerin ganz offensichtlich an einer Veranstaltung der politischen Bildung iSv § 2 Nr. 3 b) SonderurlaubsVO teilnehmen will, die im Sinne der gen. Bestimmung förderungswürdig ist. Zwar besteht bei den Fallgestaltungen des § 2 SonderurlaubsVO für die Antragstellerin nur ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Betätigung, wobei vorausgesetzt ist, dass dienstliche Gründe nicht entgegenstehen, aber diese Voraussetzungen liegen im vorliegenden Falle vor. Denn dienstliche Gründe stehen nicht entgegen, weil die Unterrichtsversorgung an der Schule der Antragstellerin, der Orientierungsstufe B, für die hier in Rede stehende eine Woche auch ohne die Antragstellerin sichergestellt werden kann. Der Unterrichtsausfall kann - wie im Widerspruchsbescheid ausgeführt - „teilweise durch Mehrstunden von Kolleginnen und Kollegen aufgefangen“ werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach dem Wortlaut der SonderurlaubsVO dienstliche Gründe nicht nur - wie im Widerspruchsbescheid dargelegt - ein Abwägungsfaktor zu sein haben, sondern „entgegenstehen“ müssen, also in ihrer stärksten Ausprägung mit den Belangen der Antragstellerin nicht mehr vereinbar sein müssen. Das ist hier nicht der Fall. Denn es ist organisatorisch offensichtlich möglich, den Unterrichtsausfall ohne große Nachteile für Schülerinnen und Schüler zu überbrücken. Im übrigen fällt bekanntermaßen an vielen Schulen Unterricht auch aus anderen Gründen aus, so dass unter Abwägung der dafür und dagegen sprechenden Gründe unter Berücksichtigung der Ausfallzeit von 1 Woche hier eine Ermessensreduzierung auf Null anzunehmen ist. Hierbei fällt als Abwägungsfaktor auch ins Gewicht, dass die von der Antragstellerin angestrebte Gewährung von Sonderurlaub für eine Reise nach Israel auf die Schulzeit deshalb festgelegt ist, weil während der Ferien vorwiegend bzw. nur touristische Reisen angeboten werden, jedenfalls Schulbesuche in Israel, wie hier vorgesehen, nicht (mehr) stattfinden können. Zugleich ist damit auch der dienstliche Bezug hergestellt, der für eine Gewährung des Sonderurlaubs spricht.

Daneben ist hier aber auch ein Sicherungsgrund , nämlich die erforderliche Gefahr für den Bestand bzw. die Verwirklichung der geltend gemachten Rechtsposition der Antragstellerin durch Veränderung des derzeit bestehenden Zustandes, gegeben (vgl. Finkelnburg/Jank, aaO, Rdn. 152 ff.). Nach gerichtlicher Einschätzung der hier maßgeblichen Umstände besteht die objektive und zugleich hinreichend konkrete Gefahr, dass das Recht der Antragstellerin auf Förderung und Fürsorge - vor allem Vermögensfürsorge - erheblichen Beeinträchtigungen ausgesetzt sein wird, die u.U. irreparabel und in einem Hauptsacheverfahren nicht mehr auszugleichen sein werden. Das ergibt eine bei lebensnaher Betrachtung den tatsächlichen Lebensverhältnissen gerecht werdende Sichtweise, die auch von der Antragsgegnerin offenbar im Kern geteilt wird. Die Antragstellerin kann nämlich, nachdem ihr offenbar noch im Januar bei der Antragsgegnerin gesagt worden ist, der Gewährung von Sonderurlaub stehe nichts mehr im Wege, der Antrag werde positiv beschieden, wenn sie auf Dienstbezüge verzichte, die anstehende Reise jetzt nur noch unter großem Kostenaufwand (von ca. 5.000,- DM) stornieren. Die drohende Zustandsveränderung mit Nachteilen für die Antragstellerin liegt hier somit jetzt im bloßen Zeitablauf (Finkelnburg/Jank, aaO, Rdn. 163 m.w.N.): Der Anspruch der Antragstellerin, keine weiteren Vermögensbeeinträchtigungen mehr erleiden zu müssen, ist bei einem Versagen des Sonderurlaubs nach den vorliegenden Erkenntnissen mit fortschreitender Zeit unter Aufrechterhaltung des derzeitigen Zustandes einer ernsthaft schwerwiegenden Beeinträchtigung ausgesetzt.

Schon aus diesem Rechtsgrund des § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO ist es hier geboten, eine einstweilige Anordnung zugunsten der Antragstellerin zu erlassen. Aber auch unter dem Gesichtspunkt des § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO (Regelungsanordnung) ist eine solche Anordnung hier veranlaßt.

Der erforderliche Regelungsgrund ist - unter Berücksichtigung des den Gerichten eröffneten weiten Regelungsspielraums (Finkelnburg/Jank, aaO, Rdn. 176) - hier darin zu sehen, daß der Antragstellerin mit fortschreitender Zeit Vermögensschäden drohen, die in gewisser Weise auch auf Auskünfte der Antragsgegnerin zurückgehen. Auf diese Weise könnten - falls der augenblickliche Zustand einfach nur beibehalten wird - vollendete Tatsachen zu Lasten der Antragstellerin geschaffen werden, was im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht hinnehmbar ist (vgl. etwa OVG Lüneburg, OVGE 33, 415 f.). Der Regelungsgrund ergibt sich bei § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO daraus, daß nach den Umständen des Einzelfalles eine Regelung „nötig“ erscheinen muß - was hier unter Berücksichtigung der drohenden Vermögensschäden der Antragstellerin und des Zeitablaufs der Fall ist.

Der Regelungsanspruch iSv § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO, also ein streitiges Rechtsverhältnis mit einem aus ihm zumindest glaubhaft gemachten, nicht jedoch notwendigerweise schon vorliegenden Anspruch (Finkelnburg/Jank, aaO, Rdn. 173/174 m.w.N.), ergibt sich hier daraus, daß das Entscheidungsermessen der Antragsgegnerin unter Einbeziehung der Darlegungen im Widerspruchsbescheid und der Sachlage unter dem Aspekt des § 11 Abs. 1 SonderurlaubsVO in einer Weise eingeschränkt zu sein scheint, daß jedenfalls überwiegende Erfolgsaussichten der Antragstellerin für ein Verfahren der Hauptsache bestehen.

Denn dass ein wichtiger Grund auf der Seite der Antragstellerin für die Gewährung des Sonderurlaubs vorliegt, liegt nach Lage der Dinge auf der Hand, zumal es sich ja nicht um eine bloße Ferienreise, sondern um eine Reise als Religionslehrerin handelt, durch die eine Seminarreihe zur theologischen Weiterbildung der ev.-luth. Paulusgemeinde abgeschlossen werden soll. Das Entgegenstehen dienstlicher Gründe kann auch im vorliegenden Regelungszusammenhang nicht mit organisatorischen Schwierigkeiten belegt werden, die ggf. - wie im Widerspruchsbescheid angesprochen - abzuwägen sind mit den Belangen der Antragstellerin. Vielmehr müssen solche Gründe vorliegen, die der Reise von 1 Woche absolut „entgegenstehen“. Daran fehlt es. Auf die obigen Ausführungen sei hier verwiesen. Da der Urlaub im übrigen auch dienstlichen Interessen dient - die Antragstellerin will eine Dia-Reihe für die Schule anfertigen und Video-Aufnahmen machen - , ist sogar in Betracht zu ziehen, ob nicht die Dienstbezüge fortgezahlt werden (§ 11 Abs. 2 SonderurlaubsVO). Allerdings kann dem im vorliegenden Verfahren nicht nachgegangen werden, weil die Antragstellerin darauf im Widerspruchsverfahren und mit ihrem neuen Antrag ganz ausdrücklich verzichtet hat.

Auch dann, wenn man den Regelungsanspruch nicht aus der skizzierten Ermessensschrumpfung (s.o.) herleiten wollte, ergäbe er sich doch auch aus einer - bei offener bzw. uneindeutiger Rechtslage - vorzunehmenden Interessenabwägung (vgl. Finkelnburg/Jank, aaO, Rdn. 193 f. /195 f. m.w.N.). Denn bei Abwägung der hier betroffenen öffentlichen und privaten Interessen unter Einbeziehung ihrer Bedeutung und Dringlichkeit gelangte man ebenfalls dazu, daß eine einstweilige Anordnung zu erlassen wäre.

Unter diesen Umständen war die Antragsgegnerin zur Gewährung von Sonderurlaub zu verpflichten, wobei sich der verfügte Inhalt der einstweiligen Anordnung im Rahmen des Rechtsschutzzieles der Antragstellerin hält und dem Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache Rechnung trägt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

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