OLG Dresden, Beschluss vom 04.05.2009 - OLG Ausl 41/09
Fundstelle
openJur 2009, 534
  • Rkr:
Strafprozessrecht Prozess- und Verfahrensrecht Strafrecht
§ 71 IRG; § 2 ÃœAG; § 3 ÃœberstÃœbk; § 3 ZP-ÃœberstÃœbk
Tenor

Die Vollstreckung der mit Urteil des Landgerichts Görlitz vom 10. Dezember 2002, Az.: 2 KLs 913 Js 13940/02, verhängten Gesamtfreiheitsstrafe in der Republik Polen wird für zulässig erklärt.

Gründe

I.

Der Verurteilte ist durch das in der Beschlussformel genannte Erkenntnis wegen gemeinschaftlicher schwerer räuberischer Erpressung in Tatmehrheit mit gemeinschaftlichem schweren Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit gemeinschaftlicher vorsätzlicher Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine halbautomatische Selbstladekurzwaffe in Tateinheit mit vorsätzlichem Führen einer halbautomatischen Selbstladekurzwaffe, in Tateinheit mit Freiheitsberaubung in Tateinheit mit Aussetzung sowie wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit vorsätzlicher Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine halbautomatische Selbstladekurzwaffe in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Führen einer halbautomatischen Selbstladekurzwaffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt worden; das Urteil ist seit dem 14. Mai 2003 rechtskräftig.

Die Strafe wird derzeit in der Justizvollzugsanstalt Bautzen vollstreckt. Zwei Drittel der Strafe werden am 03. Juli 2010 verbüßt sein; das Strafende ist für den 03. Juli 2014 vorgemerkt.

Das Landratsamt Bautzen hat mit bestandskräftigem Bescheid vom 12. Dezember 2008 (Geschäftszeichen 32.2-103.19/kr) festgestellt, dass der Verurteilte aufgrund des landgerichtlichen Erkenntnisses sein Recht auf Einreise und Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland verloren hat. Gleichzeitig hat es die Wiedereinreise und den Aufenthalt für die Dauer von 10 Jahren untersagt.

Das Sächsische Staatsministerium der Justiz beabsichtigt, die Republik Polen um Übernahme der weiteren Strafvollstreckung zu ersuchen. Der Verurteilte hat bei seiner richterlichen Anhörung vor dem Amtsgericht Bautzen am 20. März 2009 einer Überstellung nicht zugestimmt.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, die Vollstreckung der durch das Urteil des Landgerichts Görlitz verhängten Freiheitsstrafe in der Republik Polen für zulässig zu erklären.

II.

Die Vollstreckung der durch Urteil des Landgerichts Görlitz erkannten Strafe in der Republik Polen ist zulässig (§ 71 Abs. 4 Satz 1 des Gesetzes über die internationale

Rechtshilfe in Strafsachen (IRG), § 2 Abs. 2 des Gesetzes zur Ausführung des Übereinkommens vom 21. März 1983 über die Überstellung verurteilter Personen (ÜAG) , Art. 3 des Übereinkommens über die Überstellung verurteilter Personen vom 21. März 1983 (ÜberstÜbk), Art. 3 des Zusatzprotokolls vom 18. Dezember 1997 zu dem Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen (ZP-ÜberstÜbk)).

1. Der Verurteilte ist polnischer Staatsangehöriger und damit Staatsangehöriger des in Aussicht genommenen Vollstreckungsstaates (Art. 3 Abs. 1 Buchst. a) ÜberstÜbk). Das gegen ihn durch das Landgericht Görlitz ergangene Urteil ist rechtskräftig. Es kann davon ausgegangen werden, dass zum Zeitpunkt des Eingangs eines Überstellungsersuchens in der Republik Polen noch mindestens sechs Monate der verhängten Freiheitsstrafe zu vollziehen sind (Art. 3 Abs. 1 Buchst. b) und c) ÜberstÜbk).

2. Der Verurteilte hat einer Überstellung zur weiteren Vollstreckung der Strafe in die Republik Polen nicht zugestimmt. Eine Überstellung des Verurteilten in die Republik Polen ist jedoch gleichwohl gemäß Art. 3 ZP-ÜberstÜbk möglich, weil gegen den Verurteilten infolge des landgerichtlichen Urteils eine bestandskräftige Ausweisungsanordnung getroffen worden ist, aufgrund derer es dem Verurteilten nicht gestattet sein wird, nach der Entlassung aus der Strafhaft im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland zu bleiben (Art. 3 Abs. 1 ZP-ÜberstÜbk).

3. Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Republik Polen eine etwaige Rücknahme oder Beschränkung eines Überstellungsersuchens sowie den Grundsatz der Spezialität nicht beachten wird (§ 71 Abs.3 IRG, Art. 3 Abs. 4 ZP-ÜberstÜbk).

4. Einer Überstellung steht auch nicht entgegen, dass die gegen den Verurteilten erkannte Strafe vor dem Inkrafttreten des Zusatzprotokolls zum Überstellungsübereinkommen verhängt worden ist. Denn der Schutzbereich des Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz, der Art und Ausmaß der staatlichen Strafsanktion voraussehbar machen soll, wird durch eine Änderung des Vollstreckungsortes nicht berührt.

5. Die der Verurteilung zugrunde liegenden Handlungen würden auch nach dem Recht der Republik Polen eine Straftat darstellen, wenn sie dort begangen worden wären (Art. 3 Abs. 1 Buchst. e) ÜberstÜbk). Diese Bestimmung beinhaltet damit den im Rechtshilferecht häufig anzutreffenden Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit. Es ist deshalb auch bei der Vollstreckungshilfe auf die - sinngemäß umgestellte - Tat abzustellen, wie sie dem Urteil zugrunde liegt. Unter dem Begriff "Handlungen" in Art. 3 Abs. 1 Buchstabe e) ÜberstÜbk ist somit - ähnlich wie für den Begriff "Handlung" in Art. 2 Abs. 1 EuAlÜbk - die Tat im prozessrechtlichen Sinn des § 264 StPO zu verstehen (vgl. Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, IRG 4. Aufl. § 3 Rdnr. 6 m.w.N.). Eine etwaige unterschiedliche tatbestandliche Zuordnung des einheitlichen Lebenssachverhaltes und ihre rechtliche Bezeichnung ist dabei unbeachtlich (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 9. Februar 2009, Az. OLG Ausl 117/08). Vor diesem Hintergrund wären die in dem Urteil des Landgerichts Görlitz abgeurteilten Taten der schweren räuberischen Erpressung und des schweren Raubes sowie des vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr auch in der Republik Polen zumindest als Straftaten gegen das Vermögen gemäß Art. 280, 282 StGB/Republik Polen und als Straftat gegen die persönliche Freiheit gemäß Art. 191 StGB/Republik Polen strafbar.

6. Eine Überstellung des Verurteilten in die Republik Polen ist auch vor dem Hintergrund seines Resozialisierungsanspruchs zulässig.

Die Rechtstellung eines zu einer Freiheitstrafe Verurteilten ist wesentlich durch seinen gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleisteten Anspruch auf Resozialisierung bestimmt. Das Resozialisierungsziel entspricht dem Selbstverständnis einer der Menschenwürde und dem Sozialstaatsprinzip verpflichteten Gemeinschaft. Daraus erwächst bei Ermessensentscheidungen im Bereich des Strafvollzugs dem Verurteilten ein Anspruch darauf, dass die Behörden ihr Ermessen pflichtgemäß ausüben. Dieser Anspruch umfasst auch die gegenüber dem Strafvollzug eigenständige strafvollstreckungsrechtliche Frage, ob der Verurteilte zur Verbüßung seiner Strafe in seine Heimat überstellt wird (BVerfG NJW 1997, 3013 (3014) m.w.N. der verfassungsgerichlichen Rechtsprechung).

Danach ist die grundrechtlich geschützte Position des Verurteilten in eine Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Überstellung zu bringen und zu einem verhältnismäßigen Ausgleich zu gelangen (OLG Celle NStZ-RR 2008, 345 - zitiert nach juris). Dabei ist nach dem Willen des Gesetzgebers namentlich zu prüfen, ob bei Abwägung aller persönlichen Umstände eine Überstellung gegen den Willen des Verurteilten in Betracht kommt, ob angesichts der Vollzugs- und Vollstreckungspraxis im Vollstreckungsstaat eine Überstellung überhaupt zulässig ist und ob ernstliche Gründe für die Annahme bestehen, dass der Verurteilte im Falle seiner Überstellung politisch verfolgt wird. Daneben sind die übergeordneten Wertungen des § 73 IRG (ordre public) zu achten (BT-Drs. 16/2452, S. 6).

Vor diesem Hintergrund ist nicht zu erkennen, dass eine Überstellung des Verurteilten seiner sozialen Wiedereingliederung entgegenstehen könnte.

Nach den Feststellungen des Landgerichts Görlitz ist der Verurteilte in der Republik Polen aufgewachsen. Nach einem mehrjährigen Aufenthalt als Asylbewerber in Griechenland und wenigen Monaten in der Fremdenlegion kehrte er 1990 wieder in die Republik Polen zurück. 1991 heiratete er die deutsche Staatsangehörige und lebte bis zu seiner Inhaftierung 1994 in Weißwasser. Die gegen ihn damals verhängte Freiheitsstrafe von sieben Jahren und acht Monaten verbüßte der Verurteilte bis zum 23. November 1999 in der Bundesrepublik und wurde an diesem Tag zur Vollstreckung der weiteren Restfreiheitsstrafe nach Polen überstellt. Dort wurde er am 11. September 2001 bedingt entlassen. Seine Ehe wurde 1996 geschieden. Für sein aus der Ehe hervorgegangenes Kind zahlt er keinen Unterhalt. Am 17. Dezember 2008 hat der Verurteilte ein Absehen von der weiteren Strafvollstreckung gemäß § 456 a StPO beantragt, weil sein Vater krank sei, den er helfen und unterstützen wolle. Außerdem habe er in Polen eine weitere Strafe von fünf Monaten und 15 Tagen zu verbüßen. Eine Überstellung des Verurteilten in die Republik Polen wäre seiner sozialen Wiedereingliederung deshalb eher förderlich.

Anhaltspunkte für eine der Überstellung entgegenstehende Vollzugs- oder Vollstreckungspraxis, für eine politische Verfolgung oder Verstöße gegen den ordre public sind bei der beabsichtigten Überstellung in die Republik Polen nicht ersichtlich.

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