Saarländisches OLG, Urteil vom 21.04.2009 - 4 U 395/08
Fundstelle
openJur 2009, 488
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 3 O 141/06
Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 17. Juli 2008 – 3 O 141/06 – wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages Sicherheit leistet.

4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 100.000 EUR festgesetzt.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Im vorliegenden Rechtsstreit nimmt der Kläger die Beklagten aus einem Verkehrsunfall im Wege der Feststellungsklage auf Schadensersatz in Anspruch.

In der Nacht vom 21.9.2002 unternahmen der Beklagte zu 1) und der Kläger, nachdem sie zusammen getrunken hatten, in alkoholisiertem Zustand mit dem Pkw der Mutter des Klägers eine Fahrt nach M.. Das Fahrzeug war bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert. Gegen 1:10 Uhr kam das Fahrzeug auf der L 1XX zwischen L. und B. nach rechts von der Fahrbahn ab, fuhr in den Straßengraben und kam an der linken Böschung zum Stehen. Der Beklagte zu 1) wurde während des Unfallgeschehens aus dem Fahrzeug herausgeschleudert. Der Kläger wurde von Helfern, die als erste am Unfallort erschienen waren, im Fond des Fahrzeugs aufgefunden. Der Kläger erlitt eine Querschnittslähmung ab dem Halswirbelkörper C 7.

Der Kläger hat vorgetragen, er sei in der Unfallnacht lediglich Beifahrer des Beklagten zu 1) gewesen. Der Beklagte zu 1) habe die Fahrt veranlasst. Er habe nicht gewusst, dass der Beklagte zu 1) nicht über eine Fahrerlaubnis verfügt habe. Die Haar- und Sekretansammlungen, welche unstreitig an der Windschutzscheibe festgestellt wurden, würden vom Beklagten zu 1) stammen. Dies erlaube den Rückschluss, dass der Beklagte zu 1) das Fahrzeug auch gesteuert habe. Es sei davon auszugehen, dass der Beklagte zu 1) über die Fahrertür und nicht über den Windschutzscheibenbereich herausgeschleudert worden sei.

Der Kläger hat beantragt festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger den ihm infolge des Unfallgeschehens vom 21.9.2002 auf der Landstraße 1XX von L. nach B. entstandenen und künftig entstehenden materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie haben behauptet, der Kläger selbst sei Fahrer des Unfallfahrzeugs gewesen. Er habe die Fahrt trotz des alkoholisierten Zustandes gewünscht und habe sich dann auch von dem Beklagten zu 1) nicht davon abhalten lassen, selbst zu fahren. Der Kläger habe dem Beklagten zu 1) den Vorschlag gemacht, er solle angeben, dass er das Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt gefahren habe. Er werde ihn dann auch beteiligen. Nachdem er diesem Ansinnen entgegengetreten sei, sei er vom Kläger bedroht worden.

Dessen ungeachtet sei – so die Rechtsauffassung der Beklagten – eine Haftung aus § 7 StVG nach § 8 Abs. 2 StVG ausgeschlossen. Schließlich sei aufgrund der Umstände der Unfallfahrt von einem stillschweigenden Haftungsverzicht auszugehen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung wird auch hinsichtlich der darin enthaltenen Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.

Mit seiner hiergegen gerichteten Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Klagebegehren in vollem Umfange weiter.

Der Kläger vertritt zunächst die Auffassung, das Landgericht habe die straßenverkehrsrechtliche Haftung zu Unrecht auf den Ausschluss des § 8 Nr. 2 StVG gestützt: Es könne keine Rede davon sein, dass der Beklagte zu 1) – die Richtigkeit des Klägervortrags unterstellt – auf bewusste Veranlassung des Klägers die Verfügungsgewalt über das Fahrzeug erhalten habe.

Weiterhin wendet sich die Berufung gegen die Feststellung des Landgerichts, es sei nicht bewiesen, wer das Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt gesteuert habe. Das Landgericht habe nicht deutlich gemacht, dass es dem allgemein gehaltenen Beweisantrag des Klägers, die Fahrereigenschaft durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zu klären, nicht nachkommen werde. Daher habe der Kläger keine Veranlassung gesehen, einen ergänzenden Beweisantrag zu stellen.

Die gutachterlichen Feststellungen des Sachverständigen B. seien nicht frei von Widersprüchen: Da nur der Beklagte zu 1) Verletzungen im Kopfbereich aufgewiesen habe, könnten die im linken Bereich der Windschutzscheibe gesicherten Haaranhaftungen nur vom Beklagten zu 1) stammen. Dies beweise – sofern man unterstellt, dass der Beklagte zu 1) über die Windschutzscheibe aus dem Fahrzeug herausgeschleudert worden sei – dass nur der Beklagte zu 1) Fahrer gewesen sein könne. Der Sachverständige B. habe keinen Geschehensablauf aufzeigen können, der die Verletzungen der Parteien und den Fahrzeugschaden sowie den feststellbaren Fahrverlauf mit seiner Annahme in Einklang bringen könne, dass der Kläger der Fahrer gewesen sei. Spätestens in diesem Zusammenhang hätte das Gericht das beantragte ergänzende medizinische Sachverständigengutachten einholen müssen.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des am 17.7.2008 verkündeten Urteils des Landgerichts Saarbrücken – 3 O 141/06 – nach Maßgabe des erstinstanzlichen Antrages zu erkennen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Beklagten verteidigen die angefochtene Entscheidung. Selbst auf der Grundlage des Klägervortrags sei der geltend gemachte Schadensersatzanspruch nicht schlüssig. Entscheidend für die Verwirklichung des Haftungsausschlusses des § 8 Nr. 2 StVG sei es, dass der Kläger zu allen Zeiten die uneingeschränkte Verfügungsgewalt über das Fahrzeug innegehabt und ausgeübt habe, ohne darin vom Beklagten zu 1) beeinträchtigt worden zu sein. Darüber hinaus müsse angesichts des gesamten Verhaltens beider Unfallbeteiligten von einem stillschweigenden Haftungsverzicht des Klägers ausgegangen werden. Selbst wenn man die Frage eines Haftungsverzichts anders beurteile, führe jedenfalls die Tatsache, dass der Kläger sich bewusst selbst gefährdet habe, indem er in jeder Phase des Geschehens auf eigene Gefahr gehandelt habe, zum Ausschluss einer Haftung beider Beklagten. Auch unter einem weiteren Aspekt stehe § 254 BGB dem Klagebegehren entgegen: Keiner der beiden Insassen hätte einen Sicherheitsgurt angelegt. Diesen Sachverhalt hätten beide Beteiligten übereinstimmend im Ermittlungsverfahren bestätigt. Auch dies begründe das massive Eigenverschulden des Klägers, da die Verwendung des Gurtes mit Sicherheit seine schweren Verletzungen im Halswirbelsäulenbereich verhindert hätte.

Nach dem Ergebnis der umfassenden erstinstanzlichen Beweisaufnahme habe der Kläger den ihm obliegenden Beweis, dass der Beklagte zu 1) gefahren sei, nicht erbracht.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Berufungsbegründung vom 20.10.2008 (GA II Bl. 264 ff.), auf die Berufungserwiderung der Beklagten zu 2) vom 26.11.2008 (GA II Bl. 284 ff.) und auf die Berufungserwiderung des Beklagten zu 1) vom 21.11.2008 (GA II Bl. 294 ff.) Bezug genommen. Der Senat hat durch erneute Anhörung des Sachverständigen Beweis erhoben. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung (GA II Bl. 319 ff.) verwiesen.

II.

A. Die zulässige Berufung ist nicht begründet, da die angefochtene Entscheidung weder auf einem Rechtsfehler beruht, noch die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§ 513 Abs. 1 ZPO). Dem Kläger steht kein Anspruch aus §§ 7, 18 StVG – soweit es die Haftung der Beklagten zu 2) betrifft: i.V.m. § 3 Nr. 1 PflVG in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung – zu, da die Haftung gemäß § 8 Nr. 2 StVG ausgeschlossen ist (1.). Auch deliktsrechtliche Ansprüche gem. § 823 Abs. 1, § 253 Abs. 2 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 223 StGB bestehen nicht, da der Kläger den ihn obliegenden Beweis dafür, dass das Fahrzeug zum Zeitpunkt des Unfalls vom Beklagten zu 1) gesteuert wurde, nicht führen konnte. (2.).

1. Gemäß § 8 Nr. 2 StVG gelten die Vorschriften des § 7 StVG nicht, wenn der Verletzte bei dem Betrieb des Kraftfahrzeugs tätig war.

a) Der Haftungsausschluss ist jedenfalls dann unproblematisch erfüllt, wenn der Kläger zum Zeitpunkt des Unfalls am Steuer saß. Der Haftungsausschluss beruht auf der Erwägung, dass das Schutzbedürfnis von Personen, die sich freiwillig der Betriebsgefahr aussetzen, geringer zu erachten ist (Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 4. Aufl., § 19 Rdnr. 9). Dies gilt in besonderem Maße für den Fahrer, der durch seine eigene Handlung die Gefährdung erst schafft und beherrscht. Mithin gehört der Fahrer idealtypisch zu dem in § 8 Nr. 2 StVG erfassten Personenkreis (Jagow/Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht, 20. Aufl., § 8 StVG Rdnr. 8; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., § 8 StVG Rdnr. 4).

b) Aber auch dann, wenn der Beklagte zu 1) das Fahrzeug gefahren hätte, wäre der Haftungsausschluss erfüllt.

Die Frage, unter welchen Voraussetzungen auch der Beifahrer im Sinne von § 8 Nr. 2 StVG beim Betrieb des Kraftfahrzeugs tätig ist, wird nicht einheitlich beantwortet:

aa) Um Wertungswidersprüche zu § 8a StVG zu vermeiden, wird eine Person, die lediglich befördert wird, noch nicht beim Betrieb des Fahrzeugs tätig (Müller, VersR 1995, 491 f.; weitergehend Jagow/Burmann/Heß, aaO., Rdnr. 9, der die Auffassung vertritt, dass ein Beifahrer kein Insasse i.S. des § 8a StVG sei, und recht weitgehend alle Beifahrer dem Haftungsausschluss unterwerfen will): Die Neufassung des § 8a StVG durch das Änderungsgesetz vom 19.7.2002 hat – einer internationalen Rechtsentwicklung Rechnung tragend – die nach vorreformiertem Recht bestehende Differenzierung aufgehoben, wonach der Halter nur den entgeltlich und geschäftsmäßig beförderten Personen gem. § 7 StVG zur Haftung verpflichtet war. Das Kriterium der Entgeltlichkeit erschien dem Gesetzgeber nicht sachgerecht, da auch der unentgeltlich beförderte Insasse der typischen Betriebsgefahr ausgesetzt sei (BT-Drucksache 14/7752, S. 31 f.). Diesem mit der Neufassung von § 8a StVG verfolgten gesetzgeberischen Ziel liefe es zuwider, wenn jede Beförderung zugleich den Haftungsausschluss des § 8 Nr. 2 StVG verwirklichen würde.

bb) Entgegen der Rechtsauffassung der Berufung lassen sich aus der reformierten Vorschrift des § 8a StVG keine weitergehenden Schlüsse ziehen. Insbesondere überzeugt es nicht, die Regelung verallgemeinernd dahingehend zu verstehen, dass ein Beifahrer generell nicht dem Haftungsausschluss des § 8 Nr. 2 StVG unterliegen kann, solange er sich im Einflussbereich der Betriebsgefahr bewegt: Normadressat des § 8a StVG ist zunächst jeder Insasse eines Kraftfahrzeugs. Demgegenüber richtet sich der Haftungsausschluss nach § 8 Nr. 2 StVG nur an diejenigen Insassen, die bei dem Betrieb des Kraftfahrzeugs tätig werden. Diese qualifizierte Voraussetzung wird nicht jeder Beifahrer, erst recht jeder Insasse eines Kraftfahrzeugs erfüllen. Mithin sind die Regelungen der § 8 Nr. 2 und § 8a StVG – bezogen auf die Haftung des Halters gegenüber Beifahrern – miteinander vereinbar, wenn man die Regelung des § 8 Nr. 2 StVG als Ausnahme zu § 8a StVG versteht: Obwohl der Halter gegenüber Beifahrern und Insassen im Grundsatz haftet (§ 8a StVG), gilt dies nicht, wenn sich der Beifahrer in einer Weise verhält, die als Tätigwerden beim Betrieb verstanden werden muss.

cc) Die eingangs dargestellte Wertung erlaubt den Schluss, dass ein Beifahrer jedenfalls dann i.S. des § 8 Nr. 2 StVG beim Betrieb tätig wird, wenn er den Betrieb durch die Zurverfügungstellung des Fahrzeugs erst ermöglicht und Einfluss auf die Fahrstrecke nimmt: Wer den Betrieb ermöglicht und sich freiwillig in den Wirkungsbereich der von ihm eröffneten Gefahr begibt, bedarf nicht des Schutzes der Gefährdungshaftung. Jedenfalls ist ein solcher Beifahrer kein Insasse des Fahrzeugs, der lediglich die in § 8a StVG geregelte Dienstleistung der Personenbeförderung in Anspruch nimmt.

aaa) Diese Differenzierung steht mit der Kasuistik in Einklang: So wird die Auffassung vertreten, dass der Beifahrer die Voraussetzungen des Haftungsausschlusses bereits dann erfüllt, wenn er die Tür des Kraftfahrzeugs öffnet (OLG München, VersR 1966, 987; Greger, aaO., Rdnr. 11; Hentschel, aaO., Rdnr. 4; aA Müller, VersR 1995, 491 f.). Nach den Anhängern der „Türöffnertheorie“ gehöre das Öffnen der Wagentüre – anders als das bloße Sitzen – zum Betrieb eines Fahrzeugs. Gesichert ist jedenfalls, dass ein Beifahrer, der aussteigt, um nach einem Defekt zu suchen oder das Fahrzeug gegebenenfalls abzusichern, den Haftungsausschluss verwirklicht, da solche Tätigkeiten in engem Zusammenhang mit dem Betrieb des Fahrzeugs stehen (BGH, Urt. v. 18.10.1988 – VI ZR 223/87, MDR 1989, 150).

In einer weiteren Entscheidung (BGHZ 116, 200) hat der Bundesgerichtshof die Auffassung vertreten, dass der Veranlasser eines Transports, der sich dem von ihm veranlassten Betrieb nicht aussetzt, nicht in den Tätigkeitsbereich einbezogen ist (BGHZ 116, 205). Im Umkehrschuss bedeutet dies, dass der Veranlasser der Fahrt, der sich als Beifahrer der von ihm selbst geschaffenen Gefahr aussetzt, den Haftungsausschluss verwirklicht.

bbb) Entgegen der Auffassung der Berufung kann eine weitere Einschränkung des Haftungsausschlusses nicht aus der Regelung des § 11 Nr. 2 AKB hergeleitet werden, wonach Haftpflichtansprüche des Versicherungsnehmers, Halters oder Eigentümers gegen mitversicherte Personen wegen Sach- oder Vermögensschäden, nicht hingegen wegen Personenschäden ausgeschlossen sind. Bereits aus Gründen der Normenhierarchie sind die vertraglichen Versicherungsbedingungen nicht geeignet, den Inhalt der höherrangigen gesetzlichen Haftungsregelungen zu modifizieren. Zudem kann der von der Berufung aufgezeigte Widerspruch durch die unter Nr. 1 b bb aufgeführte Erwägung überwunden werden: Nicht jeder Halter, der sich als Insasse in seinem Fahrzeug befindet, ist notwendigerweise zugleich Veranlasser einer von ihm selbst geschaffenen Betriebsgefahr. Darüber hinaus kann der in § 11 Nr. 2 AKB genannte Personenkreis auch außerhalb des Wageninnern einen Personenschaden erleiden.

cc) Soweit das Landgericht auf der tatsächlichen Ebene festgestellt hat, dass der Kläger dem Beklagten zu 1) – unterstellt man den Sachvortrag des Klägers als richtig – die Verfügungsgewalt über das Fahrzeug einräumte, begegnet die Tatsachenfeststellung im eingeschränkten Prüfungsmaßstab des § 529 ZPO keinen Bedenken: Das Unfallfahrzeug gehörte der Mutter des Klägers. Unstreitig fuhr der Kläger mit diesem Fahrzeug zum Beklagten zu 1). Nach der eigenen Einlassung des Klägers sei dort der gemeinsame Entschluss getroffen worden, nach L. zu fahren (GA I Bl. 115). Der Beklagte zu 1) habe das Fahrzeug gefahren, weil der Kläger ja etwas getrunken gehabt habe. Bei lebensnaher Würdigung dieses Sachverhaltes spricht nichts dafür, dass der Beklagte zu 1) sich ohne oder gar gegen den Willen des Klägers des Fahrzeugs bemächtigte und diesen zum Einsteigen bewegte. Unterstellt man den klägerischen Sachverhalt für wahr, so war es der Kläger, der dem Beklagten die Verfügungsgewalt über das Fahrzeug überließ. Nach der Schilderung des Klägers war dieser im rechtlichen Sinne Veranlasser der Weiterfahrt nach L..

2. Die deliktische Haftung aus § 823 Abs. 1, 2 BGB setzt voraus, dass der Beklagte zu 1) i.S. des § 823 Abs. 1 BGB Schädiger, in tatsächlicher Hinsicht Fahrer des Unfallfahrzeugs war. Auf der Grundlage der im Berufungsrechtszug ergänzten Beweisaufnahme kann der Senat die volle Gewissheit des § 286 ZPO nicht gewinnen. Vielmehr verbleiben valide, nicht nur theoretisch denkbare, nach den Maßstäben der praktischen Vernunft zu vernachlässigende Zweifel, wer das der Mutter des Klägers gehörende Fahrzeug zum Zeitpunkt des Unfalls tatsächlich fuhr.

a) Gemäß § 286 Abs. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht für wahr zu erachten ist. Dieses Beweismaß ist nicht bereits dann erreicht, wenn die zu beweisende Tatsache hinreichend plausibel oder gar in einem naturwissenschaftlich-mathematischen Sinn „mit an Sicherheit grenzend“ überwiegend wahrscheinlich ist. Vielmehr muss der Richter die volle Überzeugung von der Wahrheit der zu beweisenden Tatsache gewinnen. Andererseits darf der Richter nicht die absolute Wahrheit zur Voraussetzung seiner Entscheidungsfindung machen (vgl. Katzenmeier ZZP 117, 195 f., 201 f.). Entscheidend ist vielmehr die subjektive Überzeugung des Richters, die keine absolute, über jeden denkbaren Zweifel erhabene Gewissheit verlangt. Der Richter darf und muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGHZ 53, 254, 256; 61, 165, 169 f.; Zöller, ZPO, 27. Aufl., § 286 Rdnr. 19).

b) Angewandt auf den vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt, beruht die Beweiswürdigung auf folgenden Erwägungen:

aa) Die Anhörung der Parteien hat keine Aufklärung ergeben. Die Angaben stehen in der entscheidenden Frage zueinander in Widerspruch. Ein Plausibilitätsvorsprung ist nicht zu erkennen.

bb) Auch nach der Einholung des Sachverständigenbeweises ist der Senat von der Fahrereigenschaft des Beklagten zu 1) nicht überzeugt.

aaa) Den Bedenken der Berufung Rechnung tragend, hat der Senat den Sachverständigen B. ergänzend dazu befragt, ob sich die von ihm in seinem Gutachten vom 21.5.2007 (GA I Bl. 121 ff.) aufgezeigten Zweifel zerstreuen, wenn man unterstellt, dass die an der Windschutzscheibe im linken Bereich gefundenen Haarspuren tatsächlich vom Beklagten zu 1) stammten. Auch diese Hypothese ermöglicht nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen B. keine eindeutige Zuordnung der Insassenpositionen.

So hat der Sachverständige ausgeführt, es sei unter Berücksichtigung der geringen Größe des verunfallten Fahrzeugs, der im Böschungsbereich aufgetretenen Kräfte und des Umstandes, dass beide Personen nicht angeschnallt gewesen seien, nicht auszuschließen, dass sich der Beifahrer in Richtung des Fahrers und sogar an diesem vorbei bewegt habe. Er könne daher nicht ausschließen, dass die Anhaftungen von Haaren im linken Bereich der Windschutzscheibe vom Beifahrer stammten. Es sei nicht festzustellen, auf welchem Weg der Beklagte zu 1) das Fahrzeug verlassen habe. Da der Sachverständige keine Beschädigungen gefunden habe, die auf ein gewaltsames Aufdrücken der Türe von innen hingedeutet hätten, sei nicht eindeutig, ob der Insasse das Fahrzeug durch die Tür oder durch die Windschutzscheibe verlassen habe. Die festgestellten Schäden im Innenraum schlössen es nicht aus, dass der Fahrer die Beifahrerrücklehne nach hinten verbogen habe und hierbei auf den Rücksitz gelangt sei.

Die Ausführungen des Sachverständigen überzeugen: Der Sachverständige hat die Schwierigkeiten bei der nachträglichen Bestimmung des Unfallherganges nachvollziehbar daraus hergeleitet, dass der gesamte Bewegungsablauf des Fahrzeugs im Nachhinein mangels Vorhandenseins objektiver Anknüpfungstatsachen nicht verlässlich bestimmt werden kann. Da insbesondere die horizontale Ausrichtung nicht feststeht, können die bei dem Erstanstoß auf die Insassen wirkenden Kräfte rechnerisch nicht ermittelt werden. Die Windschutzscheibe muss nicht notwendigerweise infolge eines Anstoßes von innen herausgerissen worden sein. Auch die Deformation des Sitzes lässt nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen keine eindeutigen Schlüsse zu: Die Rücklehne des Beifahrersitzes war im oberen Bereich nach hinten gebogen. Diese Beschädigung kann durchaus von einem in Querstellung befindlichen Insassen hervorgerufen worden sein.

Hinsichtlich des an der Fahrertür vorgefundenen Beschädigungsbildes hat der Sachverständigen B. auf die an der Außenseite vorgefundenen Schäden hingewiesen, die keine Rückschlüsse erlauben, wie diese Beschädigungen auf die Innenseite einwirkten.

bbb) Letztlich stehen die Feststellungen des Sachverständigen B. dem Ergebnis der Begutachtung durch den Sachverständigen Dr. P. im beigezogenen Verfahren 12 O 198/09 des Landgerichts Saarbrücken nicht entgegen: Zwar gelangte der Sachverständige Dr. P. in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass der Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht Fahrer, sondern Beifahrer gewesen sei. Zugleich legte der Sachverständige Dr. P. jedoch dar, dass spurenkundliche Untersuchungen am Fahrzeug beziehungsweise der Oberbekleidung nicht mehr durchgeführt werden könnten und eine 100-prozentige Aussage nur nach Untersuchung der Bekleidung und des Innenraumes unmittelbar nach dem Unfallgeschehen möglich gewesen wäre, weshalb sachverständigerseits darauf hingewiesen werde, dass eine eindeutige Rekonstruktion diesbezüglich nicht möglich sei (Bl. 118 der Beiakte).

ccc) Schließlich war die Einholung eines weitergehenden medizinischen Sachverständigengutachtens zur Frage der Fahrereigenschaft nicht veranlasst, nachdem die auf der Windschutzscheibe gesicherten Spuren – selbst wenn man den Klägervortrag zur Herkunft der Spuren für wahr unterstellt – nicht geeignet sind, den vollen Beweis für den Unfallhergang zu erbringen. Auch war es nicht verfahrensfehlerhaft, dass das Landgericht von der Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens absah: In Anbetracht des Ergebnisses der unfalltechnischen Begutachtung waren weitergehende Erkenntnisse durch die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens nicht zu erwarten.

Da auch der Kläger keinen Beweisantrag auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens gestellt hat und nicht konkret dargelegt hat, welchen Erkenntnisgewinn er sich von der Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens versprochen hat, stellt es keinen Ermessenfehler dar, dass das Landgericht von der Möglichkeit des § 144 Abs. 1 ZPO keinen Gebrauch gemacht hat.

B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, § 711 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung besitzt und weder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung noch die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§ 543 Abs. 2 ZPO).