OLG München, Beschluss vom 21.05.2008 - 31 Wx 62/07
Fundstelle
openJur 2012, 92142
  • Rkr:
Tenor

I. Die sofortigen Beschwerden der Antragsteller zu 1, 2, 4 und 7 gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 30.8.2007 werden zurückgewiesen.

II. Die Antragsgegnerinnen haben die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

III. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.

IV. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 200.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob die Antragsteller als Aktionäre der Antragsgegnerin zu 2, auf deren Antrag die Zulassung ihrer Aktien zum amtlichen Markt an der Bayerischen Börse widerrufen wurde, Anspruch auf eine Barabfindung haben.

Die Antragsteller sind Aktionäre der L. Holding KGaA. Deren Gesamtkapital beträgt 11.059.200 €. Das Grundkapital ist in 3.888.000 Stückaktien aufgeteilt, die seit 1991 an der Bayerischen Börse zum amtlichen Handel zugelassen waren. Die Aktien wurden ferner bis zum 22.7.2005 im Freiverkehr der Frankfurter Börse sowie weiterhin im Freiverkehr der Börse Stuttgart gehandelt. Persönlich haftende Gesellschafter sind J. L. sowie die J. L. GmbH. Mehrheitsaktionärin ist die L. Beteiligungs GmbH, die Antragsgegnerin zu 1, die nach eigenen Angaben 95,21 % der Kommanditaktien hält (3.701.588 von 3.888.000). Die restlichen Kommanditaktien (4,79 %) befinden sich im Streubesitz. Nach § 12 Abs. 4 der Satzung der Antragsgegnerin ist das den Kommanditaktionären nach § 164 HGB zustehende Widerspruchsrecht ausgeschlossen; zugleich wird festgelegt, dass die Vornahme von im Einzelnen aufgeführten Rechtsgeschäften und Handlungen der Zustimmung des Aufsichtsrats bedarf.

In der Hauptversammlung vom 25.2.2005 wurde auf Verlangen der Antragsgegnerin zu 1 als Hauptaktionärin die Übertragung der Aktien der übrigen Aktionäre auf diese gegen eine Barabfindung in Höhe von 28,52 € je Aktie beschlossen. Dieser Beschluss wurde auf Anfechtungsklage für nichtig erklärt mit der Begründung, die vorliegende Ausgestaltung des Wertpapierdarlehens, mit dem die Mehrheitsaktionärin die Beteiligung von 95 % erst erreicht habe, sei rechtsmissbräuchlich. Gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts München vom 23.11.2006 (AG 2007, 173) ist Revision eingelegt, über die noch nicht entschieden ist.

Auf Antrag der Gesellschaft wurde am 6.4.2006 der Widerruf der Zulassung zur Preisfeststellung im amtlichen Handel der Börse München ausgesprochen; die Veröffentlichung des Widerrufs in der Börsenzeitung erfolgte am 7.4.2006. Seit 1.6.2006 werden die Aktien der Antragsgegnerin zu 2 im Freiverkehr in dem Segment M:access der Börse München gehandelt sowie weiterhin im Freiverkehr der Börse Stuttgart. Ein Hauptversammlungsbeschluss wurde hinsichtlich des Widerrufs der Zulassung zum amtlichen Handel der Börse München nicht gefasst. Es wurde auch kein Angebot zum Kauf der Aktien der Minderheitsaktionäre abgegeben.

Nach Auffassung der Antragsteller ist nach der Beendigung der Zulassung zum amtlichen Markt ein Spruchverfahren zur Festlegung der angemessenen Barabfindung durchzuführen. Der Handel der Aktien im Freiverkehr, auch im Segment M:access, sei mit der Notierung im amtlichen oder geregelten Markt nicht vergleichbar. Die Anträge sind am 19.4.2006 (Antragsteller zu 1), am 12.5.2006 (Antragsteller zu 2), 6.7.2006 (Antragsteller zu 3 bis 6) und 21.7.2006 (Antragstellerin zu 7) bei Gericht eingegangen. Die Antragsteller zu 1, 2 und 7 haben ihre Anträge gegen die Hauptaktionärin gerichtet, die Antragsteller zu 3 bis 6 auch gegen die Gesellschaft.

Die Antragsgegnerinnen haben geltend gemacht, ein Spruchverfahren sei unzulässig, da es bereits an einem Hauptversammlungsbeschluss mit einem Pflichtangebot fehle, das Gegenstand der Überprüfung im Spruchverfahren sein könne. Außerdem stelle der Wechsel vom amtlichen Markt in das Handelssegment M:access kein Delisting im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dar. Das für M:access geltende Regelwerk verpflichte zur Veröffentlichung eines Emittentenberichts und zur Einhaltung von Publizitätspflichten. Die Verkehrsfähigkeit der Aktien sei nicht eingeschränkt. Zudem seien die für eine Kommanditgesellschaft auf Aktien geltenden Besonderheiten zu berücksichtigen, insbesondere der fehlende Einfluss der Kommanditaktionäre auf die Geschäftsleitung.

Das Landgericht hat nach Einholung einer amtlichen Auskunft der Börse München die Anträge als unzulässig zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, zwar seien die Regelungen über das Spruchverfahren auf die Fälle des echten Delisting entsprechend anwendbar. Jedoch könnten die für das reguläre Delisting nach der Macrotron-Entscheidung des Bundesgerichtshofs geltenden Überlegungen beim Wechsel in das Segment M:access der Börse München nicht angewandt werden. Das Regelwerk dieses Segments zeige, dass ein funktionsfähiger Markt mit entsprechenden Schutzmechanismen zur Verfügung stehe, die denen des amtlichen Marktes stark angenähert seien. Die vom Bundesgerichtshof angeführten Gründe, die den Wechsel vom amtlichen Markt in den Freiverkehr dem vollständigen Rückzug von der Börse gleichsetzten, träfen hier nicht zu. Es bestünden keine Unterschiede in der Preisbildung. Durch die in § 6 Abs. 2 des Regelwerks M:access festgeschriebenen Veröffentlichungs- und Informationspflichten werde eine Transparenz geschaffen, die den gesetzlichen Regelungen stark angenähert sei. Es werde ein vergleichbares Publizitäts- und Transparenzniveau erreicht wie bei der Notierung im amtlichen oder geregelten Markt. Mit dem Wechsel in das Segment M:access sei auch kein Kursverfall der Aktien eingetreten, weder im Zusammenhang mit der Bekanntgabe noch mit dem Wirksamwerden. Der Umstand, dass nach dem Rückzug aus dem amtlichen Markt etwa die Vorschrift des § 293 Abs. 5 HGB zur Rechnungslegung nicht mehr für die Gesellschaft gelte, rechtfertige keine analoge Anwendung des Spruchverfahrens. Die Gesetzesänderung zu § 29 UmwG, der nun auch das „kalte Delisting“ umfasse, lasse keine Rückschlüsse auf den Wechsel vom amtlichen Markt in das Segment M:access zu.

Gegen die Entscheidung des Landgerichts haben die Antragsteller zu 1, 2, 4 und 7 sofortige Beschwerde eingelegt.

II.

Die sofortigen Beschwerden sind zulässig, jedoch nicht begründet.

Das Landgericht hat zu Recht angenommen, dass im vorliegenden Fall ein Spruchverfahren nicht statthaft ist. Denn die Verkehrsfähigkeit der Aktien der Antragsgegnerin zu 2 ist durch den Handel im Segment M: access der Börse München nach wie vor gewährleistet. Es liegt deshalb kein Fall vor, in dem wegen der Beendigung der Notierung im amtlichen Handel oder dem geregelten Markt (jetzt: regulierter Markt) den Minderheitsaktionären ein Angebot auf Übernahme der Aktien zum vollen Wert unterbreitet werden muss, dessen Höhe sie in einem Spruchverfahren überprüfen lassen können.

1. Der Einleitung eines Spruchverfahrens steht nicht entgegen, dass das Delisting in § 1 SpruchG nicht genannt ist. Diese Aufzählung soll nach dem Willen des Gesetzgebers nicht abschließend sein. In der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages ist hierzu festgehalten, dass die Regelungen über das Spruchverfahren über den ausdrücklich genannten Anwendungsbereich hinaus auch für andere Fälle analog angewandt werden können, wie dies vom Bundesgerichtshof für den Fall des Delisting angenommen worden sei (BT-Drucksache 15/838 S. 16; vgl. auch OLG Zweibrücken BB 2007, 2199; Simon SpruchG § 1 Rn. 44; Spindler/Stilz/Drescher AktG § 1 SpruchG Rn. 17 m.w.N.; Klöcker/Frowein SpruchG § 1 Rn. 16). Ob ein Spruchverfahren auch dann eingeleitet werden kann, wenn – wie hier – kein Abfindungsangebot unterbreitet (offen gelassen in BayObLGZ 2004, 200/203; ablehnend Simon aaO Rn. 45; KKSpruchG /Wasmann § 1 Rn. 31 ff.; Krolop NZG 2005, 546/547) und auch kein Hauptversammlungsbeschluss gefasst wurde, bedarf hier keiner Entscheidung.

122. Eine Beeinträchtigung der Verkehrsfähigkeit der Aktien, die entsprechend den übrigen Tatbeständen, in denen ein Spruchverfahren vorgesehen ist, eine Pflicht zu einem Abfindungsangebot auslösen könnte, ist bei dem Wechsel der Antragsgegnerin vom amtlichen Handel in das Segment M: access der Börse München nicht gegeben. Schon deshalb ist für ein Spruchverfahren hier kein Raum.

a) Nach der Macrotron-Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 153, 47/54) ist bei einem regulären Delisting – dem Rückzug der Gesellschaft aus dem amtlichen Handel und dem geregelten Markt (§ 38 Abs. 4, § 52 Abs. 2 BörsG a.F., jetzt: regulierter Markt § 32 BörsG i.d.F v. 16.7.2007) an allen Börsen – ein Beschluss der Hauptversammlung erforderlich. Ferner ist der vermögensrechtliche Schutz der Minderheitsaktionäre dadurch sicherzustellen, dass ihnen ein Pflichtangebot über den Kauf ihrer Aktien zum Anteilswert durch die Gesellschaft oder durch den Großaktionär vorgelegt wird. Wie vom Bundesgerichtshof ausgeführt, werde dem Aktionär mit dem Börsenrückzug der Markt genommen, der ihn in die Lage versetze, den Wert seiner Aktien jederzeit durch Veräußerung zu realisieren. Für die Minderheits- und Kleinaktionäre, deren Engagement bei einer Aktiengesellschaft allein in der Wahrnehmung von Anlageinteressen besteht, bringe der Wegfall des Markts wirtschaftlich gravierende Nachteile mit sich. Eine Einbeziehung der Aktien in den Freihandel soll nach der nicht näher begründeten Auffassung des Bundesgerichtshofs diese Nachteile nicht ausgleichen (BGH aaO).

b) Fraglich ist bereits, ob die vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätze zur Zustimmung der Hauptversammlung und zum „Pflichtangebot“ auch für die Kommanditgesellschaft auf Aktien gelten, bei der – wie hier - die Mitwirkungsbefugnisse der Kommanditaktionäre durch die Satzung eingeschränkt sind. Grundsätzlich kann die nach § 164 HGB erforderliche Zustimmung der Kommanditisten zu außergewöhnlichen Geschäften durch die Satzung ausgeschlossen werden (Baumbach/Hopt HGB 33. Aufl. § 164 Rn. 6). Für die Kommanditgesellschaft auf Aktien gilt das Prinzip der Satzungsstrenge (§ 23 Abs. 5 AktG) nicht, soweit es um die Organisationsverfassung der Gesellschaft geht. Vielmehr besteht für den Satzungsgeber Gestaltungsfreiheit, weil die Verweisung in § 278 Abs. 2 AktG auf das Recht der Kommanditgesellschaft auch die §§ 109, 163 HGB erfasst. Bei der Publikums-KGaA ist der Ausschluss der Zustimmungsbefugnis der Kommanditaktionäre wirksam möglich, wenn dieses Recht auf den Aufsichtsrat übertragen ist (vgl. OLG Stuttgart AG 2003, 527/531; Schmidt/Lutter AktG § 278 Rn. 38). Inwieweit bei Grundlagengeschäften die Befassung der Hauptversammlung notwendig bleibt (vgl. dazu OLG Stuttgart aaO; Hüffer AktG 8. Aufl. § 278 Rn. 17 a; Schmidt/Lutter § 278 Rn. 39; MünchKommAktG/Semler/Perlitt 2. Aufl. § 278 Rn. 369; Bürgers/Körber/Förl/Fett AktG § 278 Rn. 44), kann hier jedoch ebenso dahinstehen wie die Frage, ob der Rückzug aus dem regulierten Markt der Börse bei der Kommanditgesellschaft auf Aktien ein solches Grundlagengeschäft darstellt.

c) Mit der Einbeziehung in das Segment M:access der Börse München ist für die Aktien der Antragsgegnerin zu 2 jedenfalls weiterhin ein funktionierender Markt vorhanden, über den die Minderheitsaktionäre die von ihnen gehaltenen Aktien veräußern können.

aa) Hinsichtlich der Preisfeststellung bestehen keine wesentlichen Unterschiede zum regulierten Markt. Die im Segment M: access festgestellten Preise sind Börsenpreise, was im Übrigen für den Freiverkehr insgesamt gilt (§ 48 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 24 BörsG; § 57 Abs. 2 BörsG a.F.). Als solche müssen sie den Anforderungen des § 24 Abs. 2 BörsG genügen. Sie sind auch als Referenzpreise nach § 24 Abs. 2 Satz 3 BörsG zu berücksichtigen, wie nun durch die ausdrückliche Nennung der Preise eines multilateralen Handelssystems im Sinne von § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 WpHG klargestellt ist (ebenso für § 24 Abs. 3 Satz 4 BörsG a. F.: Schwark/Beck KMRK 3. Aufl. § 24 BörsG Rn. 17). Der Betrieb des Freiverkehrs bedarf nun der schriftlichen Erlaubnis der Börsenaufsichtsbehörde (§ 48 Abs. 3 Satz 1 BörsG). Der Börsenträger unterliegt auch im Hinblick auf den Freiverkehr den Pflichten nach § 5 BörsG hinsichtlich des Betriebs der Börse (vgl. § 48 Abs. 3 Satz 2 BörsG). Dabei hat er die Anforderungen der Finanzmarktrichtlinie an den Betrieb eines multilateralen Handelssystems zu erfüllen (vgl. Finanzausschuss BT-Drucksache 16/4899). Die Börsenaufsichtsbehörde kann – unabhängig von der Börsengeschäftsführung – den Handel im Freiverkehr untersagen, wenn ein ordnungsgemäßer Handel für die Wertpapiere nicht mehr gewährleistet erscheint (§ 48 Abs. 2 BörsG).

Auch tatsächlich wird im elektronischen Handelssystem Max-One der Börse München zwischen den Marktsegmenten nicht unterschieden, wie sich aus der Stellungnahme der Börse München ergibt. Im Freiverkehr der Börse München erfolgt die Preisfeststellung durch einen Skontroführer, der durch die Geschäftsführung im Benehmen mit dem Freiverkehrsausschuss bestimmt wird (§ 7 der Richtlinien für den Freiverkehr der Börse München). Zur Unterstützung der Liquidität der im Segment M: access gehandelten Titel geben die skontroführenden Makler in Abstimmung mit der Börsengeschäftsführung Liquiditäts- und Spreadgarantien ab (§ 7 Abs. 2 Regelwerk M: access). Voraussetzung für die Notiz in M: access ist der Antrag eines Emissionsexperten (§ 5 Abs 1 Regelwerk M: access). Dazu können nur in der IPO- bzw. Emittentenberatung erfahrene Unternehmen bestellt werden, die zum Börsenhandel an einer inländischen Börse zugelassen sind und eine hervorragende Kapitalmarkterfahrung nachweisen (§ 4 Abs. 1 und 2 Regelwerk M: access).

Aus den vorstehenden Darlegungen ergibt sich, dass das Segment M: access der Börse München eine andere Qualität besitzt als der Freiverkehr im allgemeinen zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25.11.2002 (BGHZ 153, 47 – „Macrotron“).

bb) Der Umstand, dass der Handel der Aktien der Antragsgegnerin zu 2 nun in einem Segment der Börse erfolgt, das im Gegensatz zum regulierten Markt nicht öffentlich-rechtlich, sondern privatrechtlich organisiert ist, bewirkt für die hier zu betrachtende Verkehrsfähigkeit der Aktien keinen entscheidenden Unterschied.

Beide Formen der Organisation sind grundsätzlich geeignet, einen funktionierenden Markt zu gewährleisten. Das zeigt auch das Gesetzgebungsverfahren bei der Neufassung des Börsengesetzes. So sah der Regierungsentwurf zum Börsengesetz zunächst vor, auch den Freiverkehr dem öffentlichen Recht zuzuordnen (vgl. § 48 Reg-E BörsG, BT-Drucksache 16/4028). Damit sollte unter anderem der Gestaltungsspielraum der Börsen erhöht werden durch die öffentlich-rechtliche Rechtsnatur der Handelsrichtlinien als Verwaltungsvorschriften (BT-Drucksache 16/4028 S. 89). Entsprechend der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses wurde insofern der Entwurf abgeändert und „geregelt, dass der Betrieb des Freiverkehrs nur durch den Börsenträger möglich ist und die Handelsrichtlinien des Freiverkehrs als Geschäftsbedingungen vom Börsenträger erlassen werden und nicht als öffentlich-rechtliche Vorschriften anzusehen sind. Hierdurch wird die zivilrechtliche Einordnung der Handelsrichtlinien des Freiverkehrs nach der bisher herrschenden Auffassung in der Literatur und der Rechtsprechung im Gesetz bestätigt. Gleichzeitig wird der Freiverkehr damit insoweit anderen multilateralen Handelsplattformen nach § 31 f ff. WpHG gleichgestellt und damit der Wettbewerb zwischen dem Freiverkehr und anderen multilateralen Handelssystemen gefördert“ (BT-Drucksache 16/4899 S. 15). Der Gesetzgeber hat somit die privatrechtliche Organisation des Freiverkehrs nicht als Qualitätsstandard geringerer Stufe, sondern als besonders geeignet angesehen, um die europarechtlichen Vorgaben für einen stärkeren Wettbewerb der Ausführungsplätze umzusetzen (vgl. zu letzterem auch Weber NJW 2007, 3688). Schon deshalb ist zweifelhaft, ob nach der Novellierung des Börsengesetzes noch Raum für ein Spruchverfahren ist, wenn die Aktien einer Gesellschaft unter den nunmehr geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen im Freiverkehr statt im regulierten Markt gehandelt werden. Nicht jeder Unterschied zwischen den einzelnen Marktsegmenten kann für sich genommen Anlass für die Verpflichtung des Hauptaktionärs oder der Gesellschaft zu einem Abfindungsangebot sein, das auch einen Eingriff in deren Rechte darstellt (anders Paefgen/Hörtig WuB I G 7.-1.08).

Die Börse München hat überzeugend dargelegt, dass die Liquidität eines Wertpapiers nicht entscheidend davon abhängt, in welchem Marktsegment es gehandelt wird. Entscheidende Faktoren für die Liquidität sind vielmehr die Anzahl der handelbaren Stücke, die Höhe des Streubesitzes, der Bekanntheitsgrad und die Branchenzugehörigkeit des Unternehmens sowie Unternehmensmeldungen und Geschäftsgang. Das steht im Einklang mit der hier eingetretenen tatsächlichen Entwicklung. Die Aktien der Antragsgegnerin zu 2, von denen sich nur knapp 5 % im Streubesitz befinden, wurden bereits vor dem Wechsel in das Segment M: access in erheblich größerem Umfang im Freiverkehr gehandelt als im amtlichen Markt der Börse München. Wie sich aus der von den Antragsgegnerinnen vorgelegten Aufstellung über die an allem deutschen Börsen verzeichneten Umsätze in dem Zeitraum vom 25.2.2005 bis zum 20.2.2006 ergibt, entfielen bis zur Beendigung der Notierung im Freiverkehr der Börse Frankfurt auf diesen 95,10 % der Umsätze, auf den Freiverkehr der Börse Stuttgart 0,52 %, auf den Freiverkehr der Börse Berlin-Bremen 0,34 % und auf den amtlichen Handel der Börse München 3,4 %. Insgesamt wurden in diesem Zeitraum 146.187 Stück gehandelt. Danach, d.h. ab 22.7.2005, entfielen bei einem Gesamtvolumen von 69.374 Stück auf den amtlichen Handel der Börse München 33,96 % und auf den Freiverkehr der Börse Stuttgart 66,04 % der Umsätze. Die Einstellung der Notierung im amtlichen Handel hat sich auf die Kursentwicklung nicht erkennbar nachteilig ausgewirkt. Vor der Bekanntgabe am 7.4.2006 bewegte sich der Kurs zwischen 36,96 € und 37,84 €, danach zwischen 37 € und 38 €, in dem Zeitraum zwischen Ende Mai und Mitte Juni 2006 ergab sich eine Schwankungsbreite zwischen 34 € und 37 €. Die Möglichkeit zur Veräußerung der Anteile zu vergleichbaren Bedingungen wie während der Notierung im amtlichen Handel war somit für die Anleger weiterhin gegeben.

c) Allerdings stellt der Freiverkehr keinen organisierten Markt im Sinne des § 2 Abs. 5 WpHG dar, denn dieser setzt ein durch staatliche Stellen genehmigtes, geregeltes und überwachtes multilaterales System voraus. Das hat zur Folge, dass kapitalmarktrechtliche Regelungen, die an das Merkmal des organisierten Marktes anknüpfen - wie das WpÜG und zahlreiche Vorschriften des WpHG - nicht gelten, wenn Aktien ausschließlich im Freiverkehr gehandelt werden. Insbesondere entfallen einige Publizitätspflichten. Die Verbote von Insidergeschäften (§ 14 WpHG) und Marktmanipulation (§ 20 a WpHG) erstrecken sich jedoch ausdrücklich auch auf dieses Börsensegment. Auch ist zu berücksichtigen, wenn die Börse für ein dem Freiverkehr zuzuordnendes Segment besondere Vorgaben macht, die dessen Standard demjenigen des regulierten Marktes annähern (vgl. Krolop, Der Rückzug vom organisierten Kapitalmarkt, S. 157). Die im Segment M: access bestehenden Rahmenbedingungen sind geeignet, Transparenz und Publizität im erforderlichen Umfang sicherzustellen, um nachteilige Auswirkungen auf die Preisbildung zu vermeiden, die sich aus dem Wegfall kapitalmarktrechtlicher Informationspflichten infolge der damit verbundenen Verringerung der Markttransparenz ergeben können.

aa) Im Segment M: access sind abweichend vom übrigen Freiverkehr Vorgaben zu beachten, die eine erhöhte Transparenz und Publizität gewährleisten sollen. So ist ohne Zustimmung des Emittenten eine Einbeziehung in das Segment M:access nicht möglich. Der Emittent hat eine Website zu unterhalten, auf der ein unterjähriger Emittentenbericht mit den für die Bewertung des von ihm emittierten Wertpapiers relevanten Informationen veröffentlicht wird; der Emittentenbericht soll sechs Monate nach der Veröffentlichung der Kernaussagen des geprüften Jahresabschlusses auf der "Website" des Emittenten eingestellt werden und auf diesen Bezug nehmen (§ 6 Abs. 2 lit. a Regelwerk M:access). Er muss in seinem Tätigkeitsbereich eingetretene Tatsachen unverzüglich auf seiner Website und durch eine zur Verbreitung von Unternehmensinformationen anerkannte Agentur veröffentlichen, wenn diese Tatsachen wegen ihrer Auswirkung auf die Vermögens- oder Finanzlage oder auf den allgemeinen Geschäftsverlauf des Emittenten geeignet sind, den Börsenpreis der von ihm emittierten Wertpapiere erheblich zu beeinflussen (§ 6 Abs. 2 lit. b). Der Emittent muss ferner auf seiner Website einen Unternehmenskalender veröffentlichen (§ 6 Abs. 2 lit. c), die Kernaussagen des geprüften Jahresabschlusses in einer Pressemitteilung oder in vergleichbarer Form öffentlich bekannt geben und auf seiner Website einstellen (§ 6 Abs. 2 lit. d). Darüber hinaus muss im Segment M:access ein Emittent jährlich an mindestens einer der von der Börse München durchgeführten Analystenkonferenzen teilnehmen (§ 6 Abs. 2 lit. e) und jährlich eine Investorenkonferenz durchführen oder an einer von dritter Seite organisierten Investorenkonferenz teilnehmen (§ 6 Abs. 2 lit. f). Die Einhaltung der Folgepflichten wird auf der Internetseite der Börse München dokumentiert. Zudem sieht das Regelwerk für das Segment M:access gegenüber dem übrigen Freiverkehr weitere Zulassungsvoraussetzungen vor. Dazu gehören insbesondere ein von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht gebilligter Wertpapierprospekt bei Neuemissionen (§ 5 Abs. 3 Regelwerk M:access), ein Grundkapital von mindestens 1 Mio. € und das Vorliegen mindestens eines Jahresabschlusses als Kapitalgesellschaft (§ 6 Abs. 1 Regelwerk M:access).

bb) Die Transparenz- und Publizitätsanforderungen im Segment M:access sind den Anforderungen des geregelten Marktes stark angenähert (vgl. eingehend Schwichtenberg AG 2005, 911). Die Regelungen sind geeignet, dauerhaft einen funktionsfähigen Markt und damit die Verkehrsfähigkeit der dort notierten Aktien zu gewährleisten. Zusätzlich zu den gegenüber dem übrigen Freiverkehr verbesserten rechtlichen Rahmenbedingungen hebt die Notierung im Segment M:access die Aktien der dort vertretenen Unternehmen auch aus der Vielzahl der im Freiverkehr insgesamt gehandelten Wertpapiere heraus. Sowohl die Notierung in diesem Segment, das von der Börse München als Qualitätssegment in das Blickfeld der Anleger gerückt wird, als auch die verpflichtende Teilnahme an Analysten- und Investorenkonferenzen erhöhen die Sichtbarkeit der dort präsenten Unternehmen für die Anleger.

Dabei ist nicht entscheidend, dass nicht alle für die organisierten Märkte geltenden Vorschriften auch im Regelwerk M:access abgebildet sind und es an Sanktionsmöglichkeiten bei Verletzung der Publizitätspflichten fehlt. Denn nicht jedes Zurückbleiben hinter dem für den regulierten Markt geltenden Standard beeinträchtigt die nach der Macrotron-Entscheidung des Bundesgerichtshofs verfassungsrechtlich geschützte Verkehrsfähigkeit der Aktien. Schließlich kann die geringere Regulierungsdichte insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen sowie die an diesen interessierten Investoren von Vorteil sein (vgl. Harrer/Müller WM 2006, 653).

d) Die Beendigung der Notierung im amtlichen Handel hat weiter zur Folge, dass die Antragsgegnerin zu 2 im Sinne der gesellschaftsrechtlichen Vorschriften keine börsennotierte Gesellschaft mehr ist, denn § 3 Abs. 2 AktG setzt die Zulassung der Aktien an einem von staatlich anerkannten Stellen geregelten und überwachten Markt voraus, zu dem der Freiverkehr nicht zählt (vgl. Hüffer § 3 AktG Rn. 6).

aa) An das Merkmal der Börsennotierung knüpfen eine Reihe von aktien- und handelsrechtlichen Vorschriften unterschiedlicher Zielrichtung an, wie etwa zur Einberufung des Aufsichtsrats (§ 110 Abs. 3 Satz 2 AktG), zur Durchführung der Hauptversammlung (§ 130 Abs. 1 Satz 3, § 134 Abs. 1 Satz 2 AktG) oder zur Rechnungslegung und Abschlussprüfung (§ 267 Abs. 3 Satz 2, 293 Abs. 5 HGB). Diese für nicht börsennotierte Gesellschaften zugelassenen Erleichterungen führen jedoch nicht zu einer Absenkung des Schutzniveaus, die mit einer merkbaren Beeinträchtigung der Verkehrsfähigkeit der Aktien verbunden wäre.

Der von den Antragstellern hervorgehobene Ausschluss der Befreiung von Rechnungslegungs- und Prüfungspflichten bei börsennotierten Gesellschaften (vgl. etwa §§ 267 Abs. 3 Satz 2, 293 Abs. 5 HGB), ist ohnehin hinsichtlich der Antragsgegnerin zu 2 ohne praktische Bedeutung, da eine Befreiung von der Erstellung des Konzernabschlusses und Konzernlageberichts nach § 293 Abs. 1 HGB schon angesichts der Größe des Unternehmens nicht in Betracht kommt. Die Antragsgegnerin zu 2 hat 2006 rund 3000 Mitarbeiter beschäftigt, Umsatzerlöse von rund 590 Mio. € erzielt und eine Bilanzsumme von 356 Mio. € ausgewiesen. Die Merkmale, die nach § 293 Abs. 1 HGB eine Befreiung von der Aufstellung eines Konzernabschlusses und Konzernlageberichts ermöglichen, sind damit um ein Vielfaches überschritten.

bb) Auch § 29 Abs. 1 Satz 1 UmwG in der seit 25.4.2007 geltenden Fassung, der nun auch bei der Verschmelzung einer börsennotierten Aktiengesellschaft auf eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft (sog. „kaltes Delisting“) ein Abfindungsangebot vorschreibt, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Für diesen Fall der Verschmelzung hat der Gesetzgeber eine Entscheidung getroffen, die für den Fall des regulären Delisting fehlt. Eine planwidrige Regelungslücke liegt hier nicht vor. Eine analoge Anwendung des § 29 Abs. 1 Satz 1 UmwG scheidet somit aus. Ohne gesetzliche Grundlage besteht kein Anlass, aus der Beendigung der Börsennotierung im aktienrechtlichen Sinne eine Verpflichtung zur Gewährung einer Abfindung herzuleiten. Insbesondere besteht kein verfassungsrechtlich geschütztes Recht der Aktionäre auf Börsenzulassung oder deren Fortbestehen (vgl. Gutte, Das reguläre Delisting von Aktien, S. 152). Ausgangspunkt aller hier zu Grunde liegenden Überlegungen ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27.4.1999 (BVerfGE 100, 289 – „DAT-Altana“), wonach die besonders ausgeprägte Verkehrsfähigkeit von Aktien, durch die sich die Beteiligung an einer Aktiengesellschaft von anderen Unternehmensbeteiligungen unterscheidet, als Eigenschaft des Aktieneigentums bei der Wertbestimmung des in der Aktie verkörperten Anteilseigentums und damit bei der Bemessung der Höhe des Abfindungsanspruchs nach § 305 Abs. 1 AktG nicht außer Acht gelassen werden darf. Die gegenüber anderen Unternehmensbeteiligungen besonders ausgeprägte Verkehrsfähigkeit aber bleibt mit dem Handel im Segment M:access der Börse München in qualitativ ausreichendem Umfang gewährleistet; die verfassungsrechtlich geschützte Substanz des Aktieneigentums wird durch den Wechsel vom amtlichen bzw. regulierten Markt in das Börsensegment M:access nicht beeinträchtigt.

3. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 15 Abs. 2, Abs. 4 SpruchG. Die Anordnung einer Kostenerstattung ist nicht veranlasst, weil das Rechtsmittel keinen Erfolg hatte. Die Festsetzung des Geschäftswerts folgt aus § 15 Abs. 1 Satz 2 SpruchG.