OLG Hamm, Beschluss vom 05.11.1984 - 1 Ws 273/84
Fundstelle
openJur 2012, 72600
  • Rkr:
Tenor

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.

Dem Angeklagten wird Rechtsanwalt Weckmüller, Bochum, als Pflichtverteidiger beigeordnet.

Gründe

Die Staatsanwaltschaft hat gegen den Angeklagten am 30. Januar 1984 Anklage wegen Betruges erhoben. Sie hat gegen ihn den Vorwurf erhoben, er habe am 19. Oktober 1983 im Auftrage einer Bekannten, der Zeugin ..., bei der Firma ... in ... einen Gebrauch Pkw für 700,- DM gekauft, jedoch wahrheitswidrig der Zeugin erklärt das Fahrzeug habe 1.000,- DM gekostet, worauf die Zeugin ihm dieser Betrag gegeben habe.

Ferner hat die Staatsanwaltschaft Bochum den Angeklagten am 13. März 1984 wegen versuchten Diebstahls in 2 Fällen angeklagt. Er soll einmal zwischen dem 26. und 30. November und zum anderen Mal am 12. Dezember 1983 in einer Spielhalle in der ... in ... sog. Ronden (runde, durchlöcherte Metallscheiben), die in Größe und Gewicht einem 5-DM-Stück entsprachen, in Geldspielautomaten geworfen haben, um Geld zu gewinnen.

Die Staatsanwaltschaft hat insgesamt sechs Zeugen benannt.

Das Amtsgericht hat beide Anklagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung miteinander verbunden. In der Hauptverhandlung vom 18. Mai 1984 hat es den die Taten bestreitenden Angeklagten freigesprochen. Im Urteil hat der Strafrichter ausgeführt, es könne, entsprechend der Einlassung des Angeklagten, nicht ausgeschlossen werden, daß er zunächst auf eigene Rechnung den Pkw bei dem Gebrauchtwagenhändler für 700,- DM gekauft und alsdann das Fahrzeug, selbst als Verkäufer auftretend, einige Tage später an die Zeugin ... mit Gewinn verkauft habe. Zwar habe die Zeugin ... ausgesagt, für sie sei klargewesen, daß der Angeklagte den Pkw in ihrem Auftrage habe kaufen sollen. Die Eheleute ... die Inhaber der Gebrauchtwagenhandlung, hätten sich nur an den Verkauf des Fahrzeugs zu einem Preise von 700,- DM an den Angeklagten erinnern können.

Nach den Urteilsfeststellungen steht zwar fest, daß die sog. Ronden in einem Geldspielautomaten des Spielsalons gefunden sind und durch sie im zweiten Fall der Betrieb des Apparates blockiert war, ferner, daß am 12. Dezember 1983 zuvor der Angeklagte an dem Automaten gespielt hatte, ohne daß jedoch jemand beobachtet hatte, daß er etwa die Ronden eingeworfen hatte. Doch konnte nach den Urteilsausführungen nicht ausgeschlossen werden, daß nach dem Angeklagten noch ein anderer Kunde, der somit möglicherweise als Täter in Frage kommt, an dem Automaten gespielt hat, bevor die Blockierung festgestellt wurde. Wie im Urteil ausgeführt, hat in der Hauptverhandlung der Zeuge ... (Aufsicht in dem Spielsalon) bekundet, er könne nicht sicher ausschließen, daß nach dem Angeklagten noch ein weiterer Kunde an dem Automaten gespielt habe, bevor schließlich ein weiterer Spieler ihn auf die Blockierung aufmerksam gemacht habe.

Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt. Zur Prüfung der Frage, ob die Berufung durchgeführt werden soll, hat sie durch die Kriminalpolizei die für die zwei Fälle des versuchten Diebstahls benannten Zeugen ... und ... nochmals vernehmen lassen. ... hat ausgesagt, er habe, entgegen den Urteilsausführungen, in der Hauptverhandlung vor dem Strafrichter ausgesagt, er könne ausschließen, daß nach dem Angeklagten vor Feststellung der Störung des Automaten noch ein anderer Kunde mit dem Gerät gespielt habe.

Danach hat die Staatsanwaltschaft die Berufung begründet.

Sie hat insbesondere ausgeführt, durch die Zeugen ... (Mitinhaber des Unternehmens, welches die Spielhalle betreibt) und ... (Hallenleiter des Spielhallenbetriebes) könne der Angeklagte der Begehung der versuchten Diebstähle überführt werden. Hinsichtlich des Betruges sei die Aussage der Zeugin ... nicht richtig gewertet worden. Auch sei durch Befragen der Zeugen nicht geklärt worden, ob der Angeklagte tatsächlich bereits einige Tage vor dem Verkauf des Wagens an die Zeugin ... bei dem Händler gewesen sei.

Mit dem angefochtenen Beschluß hat der Vorsitzende der Strafkammer, die über die Berufung verhandeln wird, den Antrag des Angeklagten auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers zurückgewiesen, da die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO nicht vorlägen. Weder wegen der Schwe[xxxxx] der Taten noch der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage sei es geboten, daß ein Verteidiger mitwirke.

Hiergegen richtet sich die in zulässiger Weise eingelegte Beschwerde des Angeklagten. Sie ist auch begründet.

Nach der - hier allein in Frage kommenden - Vorschrift des § 140 Abs. 2 StPO ist dem Angeklagten ein Verteidiger zu bestellen. Dieses ist zum jetzigen Zeitpunkt des Verfahrens geboten, nachdem der bisherige Wahlverteidiger mit Schriftsatz vom 31. Oktober 1984 das Mandat niedergelegt hat.

Die Mitwirkung eines Verteidigers ist wegen der Schwierigkeit der Sachlage geboten.

Der Angeklagte wird sich in der Berufungshauptverhandlung vor eine schwierige Beweiswürdigung gestellt sehen. Sie überfordert ihn, einer gerade 22 Jahre alt gewordenen Lagerarbeiter. Eine nüchterne und kritische Beweiswürdigung wird für ihn dadurch erschwert, daß er weil daß viel für ihn vom Ausgang dieser Berufungshauptverhandlung abhänge Im Falle der Verurteilung droht ihm eine empfindliche Freiheitsstrafe. Daß in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht nach dem Hauptverhandlungsprotokoll die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft "nur" eine Freiheitsstrafe von vier Monaten ohne Strafaussetzung zur Bewährung beantragt hat, gibt ihm nicht die Gewähr, daß die Berufungshauptverhandlung nicht zu einer weit empfindlicheren Strafe führen kann. Das ist umso mehr möglich, als nach dem unklaren Hauptverhandlungsprotokoll des Amtsgerichtes nicht auszuschließen ist, daß diese Strafe von vier Monaten nur für die Fälle des versuchten Diebstahls beantragt worden ist.

Schließlich weiß der Angeklagte, daß er im Falle der Verurteilung in dieser Sache mit dem Widerruf der Aussetzung der Vollstreckung eines sechsmonatigen Restes einer Jugendstrafe rechnen muß. Auf die Schwierigkeit der Beweiswürdigung deutet es schon hin, daß im bisherigen Verfahren der Strafrichter und die Staatsanwaltschaft zu einer unterschiedlichen Bewertung der Beweise gekommen sind. Das rechtfertigt allein allerdings noch nicht ohne weiteres die Beiordnung eines Pflichtverteidigers. In der Berufungshauptverhandlung wird hinzukommen, daß von besonderer Bedeutung die Entwicklung des Aussageverhaltens des Zeugen ... ist, dessen Bekundung für die Fälle des versuchten Diebstahls von ausschlaggebender Bedeutung sein dürfte. Nachdem, nach dem strafrichterlichen Urteil, dieser Zeuge in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht nicht hat ausschließen kennen, daß nach dem Angeklagten möglicherweise noch ein anderer Kunde die Ronden eingeworfen hat, hat er dieses nach seiner späteren polizeilichen Vernehmung mit Sicherheit ausgeschlossen und will vom Strafrichter mißverstanden worden sein. Zur sinnvollen Vorbereitung für die Berufungshauptverhandlung ist deswegen für den Angeklagten die Kenntnisnahme von dieser Vernehmung und früheren Protokollen über die Vernehmung des Zeugen wichtig. Er kann die Kenntnis jedoch nur dadurch, gewinnen, daß ein Verteidiger für ihn Akteneinsicht nimmt, da er persönlich keinen Anspruch auf Akteneinsicht hat (§ 147 StPO). Schließlich wird bei der Beweiswürdigung der nicht einfach zu beurteilende Umstand zu bewerten sein, daß nach der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht die Belastungszeugen - was allerdings entgegen der Ansicht der Verteidigung noch keineswegs rechtlich bedenklich war - nochmals vernommen und hierdurch ganz besonders auf die Umstände hingewiesen worden sind, die zu einer Überführung des Angeklagten führen können.

Da aus den aufgeführten Gründen die Beweiswürdigung den Angeklagten - unter Berücksichtigung seiner persönlichen Verhältnisse - überfordert, war der angefochtene Beschluß aufzuheben.

Der Senat hat - ausnahmsweise - davon abgesehen, die Sache zur Bestellung des Verteidigers durch den Vorsitzenden der Strafkammer gemäß § 141 Abs. 4 StPO an das Landgericht zurückzugeben, und hat von der ihm als Beschwerdegericht zustehenden Befugnis, selbst den Pflichtverteidiger zu bestellen, Gebrauch gemacht, um das Verfahren zu beschleunigen. Der Senat hat Rechtsanwalt Weckmüller, den früheren Wahlverteidiger, zum Pflichtverteidiger bestellt, da dieser das Vertrauen des Angeklagten hat, er bereits den Akteninhalt kennt und keine Gesichtspunkte ersichtlich sind, die gegen seine Bestellung zum Pflichtverteidiger sprechen.

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