Hessischer VGH, Beschluss vom 20.12.2011 - 5 B 2017/11
Fundstelle
openJur 2012, 35485
  • Rkr:

Die sich aus § 11 Abs. 1, Abs. 3 HessKAG ergebende Möglichkeit des Erlasses einer Satzung zur Erhebung von Straßenausbaubeiträgen kann sich zu einer Pflicht zum Erlass einer derartigen Satzung verdichten, wenn ein Ausgleich des Gemeindehaushalts der betreffenden Kommune nicht gelingt.

Diese Pflicht kann durch die Kommunalaufsicht durchgesetzt werden.

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss desVerwaltungsgerichts Gießen vom 26. September 2011 - 8 L 2643/11.GI- wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Antragstellerin zutragen.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf5.000,-- € festgesetzt

Gründe

I.

Die Antragstellerin - eine Kommune - verfolgt im Beschwerdeverfahren ihr in erster Instanz erfolgloses Begehren weiter, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen die mit Sofortvollzug versehene Anordnung der Kommunalaufsicht, rückwirkend zum 1. Juni 2011 eine Straßenbeitragssatzung zu erlassen, wieder herzustellen. Nach Ergehen des ablehnenden Beschlusses des Verwaltungsgerichts am 26. September 2011 hat die Antragsgegnerin am selben Tag eine Straßenbeitragssatzung beschlossen. Diese Satzung sieht in § 3 für die Antragstellerin einen Anteil des beitragsfähigen Aufwands von 50 % vor, wenn die Verkehrsanlage überwiegend dem Anliegerverkehr, von 75 %, wenn sie überwiegend dem innerörtlichen und von 90 %, wenn sie überwiegend dem überörtlichen Durchgangsverkehr dient. Nach § 18 - überschrieben mit "Vertrauensschutz" - findet die Satzung keine Anwendung auf Straßenbaumaßnahmen, deren Ausführung zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Satzung bereits geplant oder mit deren Ausführung bereits zu diesem Zeitpunkt begonnen worden ist. Daraufhin erließ der Antragsgegner als Kommunalaufsicht im Wege der Ersatzvornahme mit Verfügung vom 4. Oktober 2011 eine Änderungssatzung zu der von der Antragstellerin beschlossenen Straßenbeitragssatzung. Darin setzte er den Anteil, den die Antragstellerin am beitragsfähigen Aufwand zu tragen hat, auf die Sätze herab, die eine Kommune gemäß § 11 Abs. 3 Hessisches Kommunalabgabengesetz - Hess KAG - mindestens zu tragen hat. § 18 der Satzung wurde gestrichen.

II.

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 26. September 2011 ist zulässig, aber nicht begründet. Die Antragstellerin begehrt auch im Beschwerdeverfahren die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Anweisungsverfügung des Antragsgegners mit Androhung der Ersatzvornahme vom 23. Mai 2011 zum Erlass einer Straßenbeitragssatzung durch die Antragstellerin. Der Senat hat aufgrund der im Beschwerdeverfahren allein zu überprüfenden, von dem Bevollmächtigten der Antragstellerin vorgebrachten Beschwerdegründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -) - ebenso wie das Verwaltungsgericht - keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verfügung und der Anordnung des Sofortvollzugs, die es rechtfertigen, die aufschiebende Wirkung gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO wiederherzustellen.

Soweit der Bevollmächtigte der Antragstellerin zur Begründung der Beschwerde vorträgt, das Verwaltungsgericht habe durch nicht hinreichende Berücksichtigung des Vortrags in seinem Schriftsatz vom 24. September 2011 das Recht der Antragstellerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, kann dies - unabhängig davon, dass der Senat keine Anhaltspunkte für die Begründetheit dieses Vorwurfs sieht - bereits deshalb nicht zum Erfolg der Beschwerde führen, da die Antragstellerin ausreichend Gelegenheit hatte, im Rahmen des Beschwerdeverfahrens die von ihr für wichtig gehaltenen Gesichtspunkte darzulegen.

Auch der Vortrag seitens der Antragstellerin, in den Ortsteilen "Pfordt" und "Unter-Schwarzen" hätten keine straßenbeitragsrelevanten Maßnahmen stattgefunden und würden auch nicht vorgenommen, so dass keine Straßenbeitragssatzung erforderlich sei, weckt keine durchgreifenden Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Anweisung des Antragsgegners als Kommunalaufsicht. Bereits das Verwaltungsgericht hat die von Seiten des Antragsgegners vorgelegten Indizien, insbesondere die Fotografien, nach Auffassung des Senats zutreffend bewertet. Letztlich gibt dies allerdings nicht allein den Ausschlag. Es ist in dem Bereich einer modernen Kommune ausgeschlossen, dass in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf Dauer keine beitragsrelevanten Ausbaumaßnahmen an den Straßen und ihren Nebenanlagen vorgenommen werden (müssen). Etwas anderes ist mit den Pflichten der Kommune aus der ihr obliegenden Straßenbaulast nicht vereinbar.

Zu keinem anderen Ergebnis führt auch der Vortrag der Antragstellerin, es bestehe bereits rechtlich keine Pflicht für sie zum Erlass einer Straßenbeitragssatzung und auch tatsächlich sei ihre Finanzsituation deutlich besser, als sie der Antragsgegner darstelle, was das Verwaltungsgericht ungeprüft übernommen habe.

Gemäß § 92 Abs. 1 Satz 1 Hessische Gemeindeordnung - HGO - in der Fassung vom 7. März 2005 (GVBl. I Seite 142, zuletzt geändert durch Gesetz vom 24. März 2010, GVBl. I Seite 119) hat die Gemeinde ihre Haushaltswirtschaft so zu planen und zu führen, dass die stetige Erfüllung ihrer Aufgaben gesichert ist. Gemäß § 92 Abs. 4 HGO soll der Haushalt in jedem Haushaltsjahr ausgeglichen sein. Ist der Haushaltsausgleich nicht möglich, ist ein Haushaltssicherungskonzept aufzustellen, das von der Gemeindevertretung zu beschließen und der Aufsichtsbehörde mit der Haushaltssatzung vorzulegen ist. Nach § 93 HGO erhebt die Gemeinde Abgaben nach den gesetzlichen Vorschriften. Sie hat die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Einnahmen soweit vertretbar und geboten aus Entgelten für ihre Leistungen und im Übrigen aus Steuern zu beschaffen, soweit die sonstigen Einnahmen nicht ausreichen. Gemäß § 11 Abs. 1 Hess KAG können die Gemeinden zur Deckung des Aufwands für die Schaffung, Erweiterung und Erneuerung öffentlicher Einrichtungen Beiträge von den Grundstückseigentümern erheben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser öffentlichen Einrichtungen nicht nur vorübergehende Vorteile bietet. Zu diesen öffentlichen Einrichtungen gehören auch die in der kommunalen Straßenbaulast stehenden Straßen (vgl. § 11 Abs. 3, Abs. 5 bis Abs. 11 Hess KAG). Diese nach dem Wortlaut des Gesetzes der Gemeinde zustehende Möglichkeit der Erhebung von Beiträgen ("können"), kann sich jedenfalls dann zu einer Pflicht zum Erlass einer Beitragssatzung - und damit Beitragserhebung - verdichten, wenn die Gemeinde ihren oben aufgeführten haushaltsrechtlichen Pflichten nicht nachkommt oder nachkommen kann. In diesen Fällen verdichtet sich das satzungsgeberische Ermessen unter Berücksichtigung des Vorrangs der Einnahmenbeschaffung aus Entgelten für die Leistung der Gemeinde (§ 93 Abs. 2 HGO) zu einer Pflicht, eine Beitragssatzung zu erlassen (vgl. Hessischer VGH, Beschlüsse vom 12. Januar 2011 - 8 B 2106/10 -, Juris, und vom 15. März 1991 - 5 TH 642/89 -, GemHH 1992, 206 = NVwZ 1992, 807; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 3. September 1998 - B 2 S 337/98 -, LKV 1999, 233; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 8. Aufl., § 29 Rn. 13 ff). Dies gilt auch hinsichtlich einer Satzung als Rechtsgrundlage für die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen. Eine derartige Pflicht des Satzungsgebers zum Erlass einer Beitragssatzung kann auch - wenn der Satzungsgeber dieser Pflicht nicht nachkommt - im Wege der Kommunalaufsicht durchgesetzt werden. Dies ist mit der verfassungsrechtlich garantierten Selbstverwaltungsgarantie der Gemeinden aus Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz - GG - vereinbar. Die staatliche Rechtsaufsicht über die Gemeinden ist ein von Verfassungs wegen vorgesehenes Korrelat der kommunalen Selbstverwaltung (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 2010 - 8 C 43.09 -, BVerwGE 138, 89 = HSGZ 2011, 343).

Diese Voraussetzungen für eine Pflicht der Antragstellerin, Straßenausbaubeiträge zu erheben - und damit die erforderliche Rechtsgrundlage für die Erhebung zu schaffen - liegen auch unter Berücksichtigung des Vortrags im Beschwerdeverfahren bei der im Eilverfahren möglichen summarischen Betrachtungsweise jedenfalls vor. Unstreitig beträgt das Defizit des Ergebnishaushalts der Antragstellerin für das Haushaltsjahr 2011 in etwa 650.000 €. Da § 92 Abs. 4 HGO das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts für jedes Haushaltsjahr vorgibt ("soll"), besteht bereits für das Haushaltsjahr 2011 die Pflicht der Antragstellerin, vorrangig die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Einnahmen aus Entgelten für ihre Leistungen zu beschaffen. Allerdings hat die Antragstellerin auch nicht glaubhaft gemacht, dass für die kommenden Haushaltsjahre die von ihr behauptete positive Entwicklung mit Überschüssen in Höhe von wenigen tausend Euro tatsächlich zu erwarten ist. Dies ergibt sich aus den vom Antragsgegner mit Schriftsatz vom 16. November 2011 vorgelegten Aufstellungen, insbesondere der Anlage 6. Hinzu kommt, dass sich nicht erkennen lässt, dass die Antragstellerin im Rahmen ihrer Einnahmeentwicklung in der Lage sein wird, ihre bisher aufgelaufenen Defizite aus dem laufenden Haushaltsjahr und früheren Haushaltsjahren auszugleichen. Insofern kann sie nicht auf gesetzlich mögliche Entgelte im Sinne von § 92 Abs. 4 HGO - d.h. auch nicht auf mögliche Straßenausbaubeiträge - verzichten.

Soweit der Bevollmächtigte der Antragstellerin sich darüber hinaus auf einen Beschluss des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 1. August 2011 (- 4 K 1392/10.KO -, Juris) beruft, das die Regelung in §§ 10,10 a Rheinland-Pfälzisches KAG über wiederkehrende Straßenbeiträge für verfassungswidrig hält, und sie deshalb dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt hat, führt auch dies nicht zum Erfolg der Beschwerde. Der Senat teilt jedenfalls für das hessische Recht diese Bedenken nicht und hält es für mit Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz vereinbar, dass § 11 Abs. 1, Abs. 3 Hess KAG Grundstückseigentümer, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung "Straße" nicht nur vorübergehende Vorteile bietet, zur Deckung des Aufwands für den Um- und Ausbau, der über die Straßenunterhaltung und -instandsetzung hinausgeht, an der Deckung des Aufwands beteiligt. Insofern hält sich dies im Rahmen der dem Eigentum innewohnenden Pflichten.

Da damit der Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 13. Mai 2011 auch im Beschwerdeverfahren ohne Erfolg bleibt, scheidet auch die Anordnung der Aufhebung der vom Antragsgegner durch Ersatzvornahme durchgeführten Vollziehung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO aus. Gesondert ist die Verfügung über die Durchführung der Ersatzvornahme vom 4. Oktober 2011 von Antragstellerseite nicht zum Gegenstand des vorliegenden Verfahrens gemacht worden, so dass der Senat darüber nicht zu entscheiden hat. Er weist allerdings darauf hin, dass Bedenken bestehen können, ob die Änderung des § 3 der von der Stadtverordnetenversammlung der Antragstellerin am 26. September 2011 beschlossenen Straßenbeitragssatzung durch die 1. Änderungssatzung auf die in § 11 Abs. 3 Hess KAG vorgesehenen Mindestsätze der Aufwandsbeteiligung der Kommune im Wege der Ersatzvornahme des Antragsgegners eine Grundlage in dessen Verfügung vom 13. Mai 2011 findet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über die Höhe des Streitwerts auf § 47, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 Gerichtskostengesetz - GKG -. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO und § 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).