VG Gießen, Urteil vom 15.09.2011 - 3 K 474/10.GI
Fundstelle
openJur 2012, 35121
  • Rkr:

Einzelfall einer Klage gegen die Entziehung des Doktorgrades wegen der wortwörtlichen oder nur minimal umformulierten Übernahme von 38 Passagen, die sich jeweils über 4 bis 32 Zeilen - insgesamt gut 700 Zeilen - erstrecken, aus einer Habilitationsschrift, ohne dass diese Stellen als Zitat gekennzeichnet wurden. Die gelegentliche Neuerung der anderen Schrift in Fußnoten sowie die Aufnahme ins Literaturverzeichnis genügt nicht.

Tenor

Die Ziffer 3 des Bescheides des Dekans der Philipps UniversitätMarburg vom 30. Juli 2009 und die Ziffer 4 desWiderspruchsbescheides der Präsidentin der Philipps UniversitätMarburg vom 19. Februar 2010 werden aufgehoben.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten derBeklagten vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner darf dieVollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung nachMaßgabe der Kostenfestsetzung abwenden, falls nicht der Gläubigervor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung des ihm vom Fachbereich Rechtswissenschaften der Beklagten im Jahr 2003 verliehenen Doktorgrades.

Im Juli 1986 bestand der Kläger die erste juristische Staatsprüfung und im Dezember 1989 die zweite juristische Staatsprüfung jeweils vor dem Landesjustizprüfungsamt des Bayrischen Justizministeriums. Nach eigener Darstellung begann der Kläger im Jahr 1995 mit der Anfertigung seiner Dissertation mit dem Thema „TiTO“; die Dissertation wurde zunächst von Prof. Dr. Y. (Philipps-Universität Marburg) und sodann nach dessen Tod im Dezember 2000 von Prof. Dr. Z. betreut. Unter dem 7. Januar 2003 beantragte der Kläger beim Dekan des Fachbereichs Rechtswissenschaften der Beklagten die Zulassung zur Doktorprüfung im Fachbereich Rechtswissenschaften. Er legte seine Dissertation mit dem Thema „TiTO“ vor und versicherte an Eides statt, dass er die von ihm vorgelegte Arbeit selbstständig angefertigt und andere als die angegebenen Hilfsmittel nicht benutzt sowie jede wörtlich oder inhaltlich übernommene Stelle kenntlich gemacht habe. Im darauf hin eröffneten Prüfungsverfahren bewertete der Gutachter Prof. Dr. Z. die Arbeit mit der Note „cum laude (10 Punkte)“. Der weitere Gutachter Prof. Dr. U. bewertete die Arbeit ebenfalls mit der Note „cum laude (10 Punkte)“. Die Disputation fand am 5. Februar 2003 statt und ergab die Gesamtbewertung „cum laude“. Die Urkunde über das Recht zur Führung des Titels eines Doktors der Rechtswissenschaften händigte der Dekan dem Kläger am 17. November 2004 aus.

Mit Schreiben vom 31. Juli 2007 wandte sich Prof. Dr. X. von der Universität Zürich an die Philipps-Universität Marburg und teilte mit, er sei vor kurzem von einem Kollegen darauf aufmerksam gemacht worden, dass die Dissertation des Klägers Passagen enthalte, die eine große Übereinstimmung mit seiner Habilitationsschrift – „TiTO“ – aus dem Jahr 2000 aufweise. Nach Anhörung des Klägers und längerer Prüfung beschloss der Fachbereichsrat Rechtswissenschaften der Beklagten in seiner Sitzung vom 29. Juli 2009, dem Kläger die Doktorwürde zu entziehen.

Mit Bescheid vom 30. Juli 2009 entzog der Dekan des Fachbereichs Rechtswissenschaften der Beklagten dem Kläger den am 5. Februar 2003 verliehenen Doktorgrad. Des Weiteren wurde dem Kläger untersagt, den Doktorgrad zu führen und der Kläger in Ziffer 3 des Bescheides aufgefordert, die Promotionsurkunde innerhalb von 4 Wochen nach Zugang des Bescheides im Dekanat des Fachbereichs Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg oder bei der Rechtsabteilung der Philipps-Universität Marburg abzugeben und gegebenenfalls gefertigte Kopien der Urkunde nicht mehr zu verwenden und unverzüglich zu vernichten. Zur Begründung des Bescheides führte der Dekan des Fachbereichs Rechtswissenschaften aus, der Doktorgrad sei gemäß § 48 Abs. 1 HVwVfG i. V. m. §§ 33 a, 34 HHG, § 22 Abs. 2 der Allgemeinen Bestimmungen für Promotionsordnungen der Philipps-Universität Marburg, § 19 Nr. 1 der Promotionsordnung des Fachbereichs Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg entzogen worden. Der Kläger habe den Doktorgrad durch Täuschung erworben. Das vom Kläger als Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades vorgelegte Werk „TiTO“ stelle in erheblichen Teilen ein Plagiat der früher – Januar 2000 – erschienenen Habilitationsschrift von Prof. Dr. X. dar. Komplette Passagen seien wortwörtlich aus der Habilitationsschrift übernommen worden, ohne dies durch Fußnoten nachzuweisen und zu kennzeichnen. Insgesamt handele es sich um etwa 38 wortwörtlich übernommene Passagen, welche sich jeweils über 4 bis etwa 33 Zeilen erstreckten; insgesamt seien etwa 700 Zeilen wörtlich aus dem Buch von X. übernommen worden. Neben diesen wörtlichen Übernahmen bestünden zudem auffällige und ganz erhebliche Ähnlichkeiten in der Anlage der Teile 3 und 4 der Schrift des Klägers mit dem Werk von X.. Insbesondere entspreche der gesamte Aufbau, bis in die einzelnen Gliederungspunkte hinein, und die durchgängige Argumentationsstruktur dem Aufbau und der Struktur der Habilitationsschrift von Prof. Dr. X.. Damit habe der Kläger – entgegen seiner ausdrücklich erklärten und schriftlich abgegebenen eidesstattlichen Versicherung vom 7. Januar 2003 – darüber getäuscht, dass die von ihm vorgelegte Dissertation auf einer selbständigen wissenschaftlichen Arbeit beruhe. Dies sei aber zwingende Voraussetzung einer Dissertation und wesentliches Merkmal einer Promotion. Der Plagiatsvorwurf betreffe nicht nur einzelne Stellen und beziehe sich auch nicht nur auf eine gelegentlich unsachgemäße Handhabung der Zitierweise. Vielmehr belegten die aufgefundenen Übereinstimmungen mit der Schrift von Prof. Dr. X. nach Inhalt und Ausmaß, dass die Dissertation des Klägers wiederholt und systematisch fremdes Gedankengut als eigenständige wissenschaftliche Leistung ausweise. Dieser Annahme stehe nicht entgegen, dass an anderen Stellen der Dissertation ein Quellenverweis auf die Originalstelle erfolgt und die Schrift von Prof. Dr. X. im Inhaltsverzeichnis aufgeführt sei. Denn die festgestellten Übernahmen seien nicht bloß unbedeutend. Sie vermittelten vielmehr sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht in einem solchen Ausmaß den falschen Eindruck einer eigenständigen Argumentation, dass der Tatbestand des Plagiats durch vereinzelte Nachweisangaben an anderen Stellen nicht beseitigt werde. Entgegen der vom Kläger geäußerten Auffassung komme es nicht darauf an, ob die Dissertation des Klägers im Übrigen eine eigene Leistung darstelle und ob dem Kläger ohne die beanstandeten Stellen oder bei korrekter Zitierung der Doktorgrad noch hätte verliehen werden können. Derartige Erwägungen im Sinne einer geltungserhaltenden Reduktion könnten nicht angestellt werden. Es sei für die Ursächlichkeit der begangenen Täuschung nicht von Bedeutung, ob für eine andere Arbeit, als sie tatsächlich vorlegt worden sei, der Doktorgrad verliehen worden wäre bzw. hätte verliehen werden können. Maßgeblich sei allein das (vermeintlich) als eigenständige wissenschaftliche Leistung vorgelegte Werk. In Ausübung des ihm eröffneten Ermessens habe der Fachbereichsrat letztlich zu Recht dem Kläger den Doktorgrad entzogen. Dabei habe der Fachbereichsrat die beruflichen und sozialen Folgen, die die Entziehung für den Kläger habe, erkannt und berücksichtigt, im Zuge der Abwägung sei er jedoch zu dem Schluss gelangt, dass das öffentliche Interesse am Ansehen und dem wissenschaftlichen Ruf des Fachbereichs Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg höher zu gewichten sei. Auch wenn der überraschende Tod von Prof. Dr. Y. beim Kläger ein psychisches und zeitliches Druckpotenzial erzeugt haben möge, so rechtfertige dies jedoch nicht eine gravierende Abweichung von den Grundsätzen wissenschaftlichen Arbeitens. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die schriftliche Begründung des Bescheides vom 30. Juli 2009 (Blatt 4 bis 9 der Gerichtsakte) Bezug genommen.

Am 24. August 2009 legte der Kläger gegen den Bescheid der Beklagten vom 30. Juli 2009 Widerspruch ein. Diesen begründete er im Wesentlichen damit, der Vorwurf der arglistigen Täuschung sei nicht begründet. Der Kläger habe ausweislich seiner Dissertation die Habilitationsschrift von Prof. Dr. X. gekannt und in seiner Arbeit verwertet. Die Arbeit von Prof. Dr. X. habe der Kläger vielfach zitiert. Es sei keineswegs so, dass der Kläger die Existenz und die Kenntnis der Habilitationsschrift unterschlagen habe. Hätte der Kläger versucht, arglistig zu täuschen, so hätte er vernünftigerweise die Habilitationsschrift des Herrn Prof. Dr. X. überhaupt nicht erwähnen dürfen. Des Weiteren habe sein früherer Doktorvater, Prof. Dr. Y., empfohlen, die Habilitationsschrift von Prof. Dr. X. einzuarbeiten. Wenn ein Doktorrand den Hinweisen seines Doktorvaters folge und eine ihm benannte Habilitationsschrift in seiner Dissertation verwerte und diese Habilitationsschrift auch zitiere, sei die Annahme einer arglistigen Täuschung von vornherein ausgeschlossen. Der Kläger vertritt die Auffassung, vorliegend hätte die Beklagte die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 HVwVfG beachten müssen, die Jahresfrist sei aber nicht eingehalten worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Februar 2010 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück, hob den Verwaltungsakt des Dekans des Fachbereichs Rechtswissenschaften vom 5. Februar 2003 auf, untersagte dem Kläger den Doktortitel zu führen und forderte den Kläger unter Ziffer 4 seines Bescheides auf, die Promotionsurkunde innerhalb von 4 Wochen nach Zugang des Widerspruchsbescheides bei der Rechtsabteilung der Philipps-Universität Marburg abzugeben und gegebenenfalls gefertigte Kopien der Urkunde nicht mehr zu verwenden und unverzüglich zu vernichten. Zur Begründung des Widerspruchsbescheides trug die Beklagte ergänzend vor, es sei ohne Bedeutung, ob der verstorbene Prof. Dr. Y. dem Kläger geraten habe, die Habilitationsschrift von Prof. Dr. X. einzuarbeiten. Denn in dieser Äußerung habe nicht die Ermunterung oder gar die Weisung gelegen, ganze Passagen ohne Kenntlichmachung zu übernehmen.

Am 22. März 2010 hat der Kläger Klage erhoben und zur Klagebegründung ergänzend ausgeführt, die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 HVwVfG könne nur dann keine Anwendung finden, wenn eine arglistige Täuschung vorliege. Eine solche könne dem Kläger aber nicht angelastet werden. Ein entsprechender Vorsatz sei dem Kläger nicht nachzuweisen. Der Kläger habe vielmehr gutgläubig, vielleicht auch etwas oberflächlich, den Rat seines Doktorvaters berücksichtigt und sich in einem Teil seiner Dissertation an der Habilitationsschrift des Herrn Prof. Dr. X. orientiert. Für den Kläger habe außer Frage gestanden, dass jeder Prüfer seine Dissertation anhand der Habilitationsschrift von Herrn Prof. Dr. X. überprüfen werde. Des Weiteren hat nach Auffassung des Klägers mit dem Fachbereichsrat des Fachbereichs Rechtswissenschaften das unzuständige Gremium gehandelt. Denn nach § 22 der Promotionsordnung des Fachbereichs Rechtswissenschaften vom 2. Juli 2008 sei für den Entzug des Doktorgrades der Promotionsausschuss zuständig gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Klägervorbringens wird auf den Schriftsatz der Klägerbevollmächtigten vom 21. Dezember 2010 (Blatt 46 bis 53 der Gerichtsakte) Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Dekans des Fachbereichs Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg vom 30. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Präsidentin der Philipps-Universität Marburg vom 19. Februar 2010 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Klageerwiderung führt die Beklagte aus, der Fachbereichsrat sei für die Entscheidung über die Entziehung des Doktorgrades zuständig gewesen. Der Fachbereich Rechtswissenschaften habe seit dem 15. Mai 2010 eine neue Promotionsordnung, in deren Anwendungsbereich das vorliegende Verfahren indes nicht falle, denn der zu entscheidende Fall stelle einen Altfall im Sinne des § 24 Abs. 2 der Promotionsordnung vom 15. Mai 2010 dar. Auch materiell-rechtlich sei die Entziehung des Doktorgrades nicht zu beanstanden. Die Behauptung des Klägers, er habe nicht arglistig gehandelt, überzeuge nicht. Vergleiche man die Zitatstellen der Dissertation mit den Plagiatstellen, so sei der Wechsel der Arbeitsmethode nur mit einer entsprechenden Verdeckungsabsicht zu erklären. Der Kläger sei gerade zielbewusst vorgegangen und habe die nach dem Tod seines Doktorvaters entstandene Situation ausgenutzt. Ihm sei klar gewesen, dass seine fertige Arbeit nicht mehr im Entstehen in Ruhe habe begleitet und kontrolliert werden können. So habe er in der Endphase darauf gesetzt, dass die zitatfreie Gestaltung der Plagiatstellen durch sein sonst akzeptables Arbeiten verdeckt werde. Es habe auch kein Anlass für die Korrektoren bestanden, sich eingehend mit der Schrift von Prof. Dr. X. zu befassen. Des Weiteren sei die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 HVwVfG nicht abgelaufen. Denn diese beginne erst zu laufen, wenn nach Überprüfung sämtliche, für die Rücknahmeentscheidung erhebliche Tatsachen vollständig bekannt seien. Der von der Klägerseite bemängelte Zeitablauf von mehr als einem Jahr zwischen der Stellungnahme des Klägers vom 14. Januar 2008 und dem Erlass des Bescheides am 30. Juli 2009 sei mit der schwierigen Tatsachenerhebung und dem nachfolgenden Entscheidungsprozess ausgefüllt gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Klageerwiderung der Beklagten vom 31. Januar 2011 (Bl. 55-60 der Gerichtsakte) verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Behördenakten (2 Hefter) sowie auf die Dissertation des Klägers und die Habilitationsschrift von Prof. Dr. X. verwiesen.

Gründe

Die Klage ist zulässig. In dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang ist sie auch begründet, im Übrigen dagegen unbegründet.

Die Ziffern 1 und 2 des Bescheides des Dekans des Fachbereichs Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg vom 30. Juli 2009 und die Ziffern 1, 2, 3 und 5 des Widerspruchsbescheides der Präsidentin der Philipps-Universität Marburg vom 19. Februar 2010 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten; die Ziffer 3 des Bescheides des Dekans des Fachbereichs Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg vom 30. Juli 2009 sowie die Ziffer 4 des Widerspruchsbescheides der Präsidentin der Philipps-Universität Marburg vom 19. Februar 2010 hingegen erweisen sich als rechtswidrig und verletzen den Kläger insoweit in seinen Rechten und sind daher aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Rechtsgrundlage für die Entziehung des Doktorgrades sind § 33 a des Hessischen Hochschulgesetzes – HHG – in der Fassung vom 18.12.2006, § 22 Abs. 2 der Allgemeinen Bestimmungen für Promotionsordnungen der Philipps-Universität Marburg vom 27.11.2006 (Staatsanzeiger 5/2007, Seite 230 ff), § 19 Nr. 1 der Promotionsordnung des Fachbereichs Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg vom 15.02.1985. Nach § 33 a HHG sollen aufgrund des Hessischen Hochschulgesetzes verliehene Grade und Bezeichnungen entzogen werden, wenn sie durch Täuschung erworben wurden oder nach ihrer Verleihung alte oder neue Tatsachen bekannt werden, die ihre Verleihung ausgeschlossen hätten. Gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1 der Allgemeinen Promotionsordnung der Philipps-Universität Marburg kann nach Aushändigung der Promotionsurkunde der Doktorgrad entzogen werden, wenn sich herausstellt, dass er durch Täuschung erworben wurde. Nach § 19 Nr. 1 der Promotionsordnung des Fachbereichs Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg schließlich kann der Doktorgrad entzogen werden, wenn sich nachträglich herausstellt, dass er durch Täuschung erworben worden ist, oder wenn wesentliche Voraussetzungen für die Verleihung irrigerweise als gegeben angenommen worden sind. Zur Überzeugung der Kammer liegen diese gesetzlichen Voraussetzungen für die Entziehung des Doktorgrades vor.

Entgegen der vom Klägerbevollmächtigten geäußerten Auffassung hat mit dem Fachbereichsrat des Fachbereichs Rechtswissenschaften das zuständige Gremium über die Entziehung des Doktorgrades entschieden; eine Zuständigkeit des Promotionsausschusses war nicht gegeben. Zwar ist gemäß § 22 Abs. 1, 2 der Promotionsordnung des Fachbereichs Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg vom 2. Juli 2008 – PromotionsO 2008 – nunmehr der Promotionsausschuss, der gemäß § 3 Abs. 2 PromotionsO 2008 nicht mit dem Fachbereichsrat identisch ist, für die Entziehung des Doktorgrades zuständig. Die Promotionsordnung 2008 war indes auf das vorliegende Verfahren noch nicht anwendbar. Denn die Promotionsordnung vom 2. Juli 2008 ist erst am 15. April 2010 und damit nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens in Kraft getreten. Darüber hinaus folgt aus § 24 Abs. 2 PromotionsO 2008, dass die streitgegenständliche Entziehung des Doktorgrades als sogenannter „Altfall“ zu werten ist und deshalb die Promotionsordnung des Fachbereichs Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg vom 15. Februar 1985 – PromotionsO 1985 – zu Recht Anwendung gefunden hat. In § 19 PromotionsO 1985 war zwar geregelt, unter welchen Voraussetzungen der Doktorgrad entzogen werden kann, dass zuständige Gremium wurde indes in § 19 PromotionsO 1985 nicht benannt. Allerdings ergibt sich aus § 22 Abs. 2 Satz 3 der Allgemeinen Bestimmungen für Promotionsordnungen der Philipps-Universität Marburg vom 27. November 2006 – Allg. PromotionsO 2006 -, die im Falle einer Regelungslücke ergänzend heranzuziehen ist, dass der Fachbereichsrat die Entscheidung über den Entzug des Doktorgrades trifft. Somit hat vorliegend mit dem Fachbereichsrat des Fachbereichs Rechtswissenschaften das zuständige Gremium gehandelt.

Ohne Bedeutung ist des Weiteren nach Auffassung der Kammer der Einwand des Klägerbevollmächtigten, der Fachbereichsrat des Fachbereichs Rechtswissenschaften sei bei der Entscheidung vom 29. Juli 2009 nicht ordnungsgemäß zusammengesetzt gewesen, insbesondere hätten sich die studentischen Vertreter nicht an der Abstimmung beteiligen dürfen. Angesichts dessen, dass ausweislich des Protokolls der Sitzung des Fachbereichsrats des Fachbereichs Rechtswissenschaften vom 29. Juli 2009 der Fachbereichsrat in dieser Sitzung einstimmig beschlossen hat, dem Kläger die Doktorwürde zu entziehen, konnte sich die Stimmabgabe der drei studentischen Mitglieder (vgl. zur Zusammensetzung des Fachbereichsrates § 50 Abs. 2 HHG) nicht auf das Ergebnis der Beschlussfassung auswirken. Die Beteiligung der studentischen Vertreter am Beschluss des Fachbereichsrates vom 29. Juli 2009 ist deshalb ohne Bedeutung für die formelle Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides des Dekans des Fachbereichs Rechtswissenschaften vom 30. Juli 2009.

Nach Auffassung der Kammer liegen auch die materiellen Voraussetzungen für die Entziehung des Doktorgrades gemäß §§ 19 Nr. 1 PromotionsO 1985, 22 Abs. 2 Allg. PromotionsO 2007, 33 a HHG vor. Die Kammer ist zu der Auffassung gelangt, dass der Kläger seinen Doktorgrad durch Täuschung im Sinne der vorgenannten Vorschriften erworben hat, indem er komplette Passagen aus der Habilitationsschrift von Prof. Dr. X. übernommen hat, ohne diese als Zitate zu kennzeichnen. Er hat die Gutachter damit über die Tatsache getäuscht, dass die von ihm vorgelegte Dissertation insoweit nicht auf einer selbstständigen wissenschaftlichen Arbeit beruht; diese erst später bekannt gewordene Tatsache hätte die Verleihung des Doktorgrades an den Kläger ausgeschlossen.

Mit der Vorlage seiner Dissertation im Januar 2003 versicherte der Kläger an Eidesstatt, dass „er die von ihm vorgelegte Arbeit selbstständig angefertigt und andere als die angegebenen Hilfsmittel nicht benutzt sowie jede wörtlich oder inhaltlich übernommene Stelle kenntlich gemacht habe“. Unabhängig von dieser mit der ersten Fassung der Dissertation eingereichten schriftlichen Versicherung des Klägers sieht das Gericht in der Vorlage der Dissertation durch den Kläger zugleich dessen schlüssige Erklärung, dass es sich bei der vorgelegten Arbeit um eine vollständig selbstständige wissenschaftliche Leistung handele. Dies ergibt sich nach Auffassung des Gerichts bereits aus dem Begriff der Dissertation als sachlich geschlossene, selbstständige, wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Leistung, die einen Beitrag zum Fortschritt der rechtswissenschaftlichen Erkenntnis liefern muss (vgl. § 2 Abs. 2 PromotionsO 1985, § 2 Abs. 1 Allg. PromotionsO 2007, § 31 Abs. 3 HHG). Es entspricht den – von der Rechtsprechung anerkannten – Grundsätzen wissenschaftlichen Arbeitens, Textpassagen aus Werken anderer Autoren kenntlich zu machen und alle verwendeten Hilfsmittel offen zu legen (vgl. VG Darmstadt, Urteil vom 14.04.2011 – 3 K 899/10.DA –, Juris Rz. 33 m. w. N.; siehe auch BVerwG Beschluss vom 20.10.2006 – 6 B 67/06 -, Juris Rz. 5). Gegen diese Grundsätze wissenschaftlichen Arbeitens hat der Kläger nach Ansicht des Gerichts in erheblichem Umfang insbesondere im Teil 4 (Seite 339 bis 419) seiner Arbeit verstoßen.

Das Gericht hat sich in einer auszugsweisen Gegenüberstellung des Teils 4 der Dissertation des Klägers und der Habilitationsschrift von Prof. Dr. X. davon überzeugt, dass der Kläger komplette Passagen aus dem Werk von Prof. X. wortwörtlich oder minimal umformuliert übernommen hat, ohne kenntlich zu machen, dass es sich insofern um Zitate handelt. In Teil 4 der Arbeit des Klägers, der insgesamt 90 Seiten umfasst, finden sich 38 wortwörtlich übernommene Passagen, welche sich jeweils über 4 bis 33 Zeilen und über insgesamt 32 Seiten erstrecken; insgesamt wurden in Teil 4 gut 700 Zeilen wörtlich aus der Habilitationsschrift von Prof. Dr. X. übernommen. Hervorhebenswert ist dabei, dass sich die aufgefundenen Übereinstimmungen des öfteren bis in die Fußnoten erstrecken und wörtliche Zitate Dritter und Seitenangaben in Werken Dritter sowie Zwischenüberschriften (vgl. Seite 401 bis 412 der Arbeit des Klägers) identisch sind. Damit erwecken die Darlegungen in Teil 4 der Dissertation des Klägers den falschen Eindruck, Formulierung und Inhalt des Textes stammten als eigene gedankliche Leistung von ihm. Dem kann der Kläger auch nicht dadurch entgegentreten, dass er darlegt, er habe in seiner Dissertation das Werk von Prof. Dr. X. mehrfach zitiert und dieses auch in das Literaturverzeichnis aufgenommen. Denn jeder Gedankengang, jede Fußnote, die nicht aus eigener gedanklicher Leistung, sondern vom Werk eines Anderen herrühren, sind als solche kenntlich zu machen (vgl. VG Frankfurt am Main, Urteil vom 23.05.2007 – 12 E 2262/05 –, Juris Rz. 14). Insofern weist die Beklagte im angefochtenen Bescheid vom 30. Juli 2009 zutreffend daraufhin, dass die ermittelten Übernahmen sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht den falschen Eindruck einer eigenständigen Argumentation vermitteln, und dass der Tatbestand eines Plagiats durch vereinzelte Nachweisangaben an anderen Stellen der Arbeit nicht beseitigt werde. Das Vorgehen des Klägers stellt sich auch nicht als eine bloß vereinzelte oder unsachgemäße Handhabung des wissenschaftlichen Zitiergebots dar. Vielmehr lassen die von der Beklagten sowie vom Gericht aufgefundenen Stellen den Schluss zu, dass der Kläger fremde Passagen wiederholt und planmäßig als eigenständige wissenschaftliche Arbeit ausgewiesen hat. Die systematische und planmäßige Übernahme fremden Gedankenguts ergibt sich bereits daraus, dass der Plagiatsumfang den gesamten 4. Teil der Dissertation des Klägers betrifft; diesbezüglich hat eine genaue Überprüfung durch das Gericht wie auch durch die Beteiligte stattgefunden. Aufgrund des Umfangs der im 4. Teil vorgefundenen Plagiatsstellen war die genaue Überprüfung von weiteren Teilen der Arbeit des Klägers aus Sicht des Gerichts nicht mehr notwendig. Die von der Beklagten aufgezeigten und vom Gericht überprüften Übernahmen aus dem Werk von Prof. Dr. X. weisen die Gemeinsamkeit auf, dass kompletten Passagen wortwörtlich übernommen worden sind, ohne dass dies in ausreichender Weise kenntlich gemacht worden wäre. Für einen Großteil der Passagen ist die notwendige Quellenangabe erst gar nicht erfolgt. Doch auch soweit in einzelnen Passagen des Teils 4 der Dissertation des Klägers ein Hinweis auf die Habilitationsschrift von X. erfolgt ist, genügt dies nicht, um den Plagiatsvorwurf entfallen zu lassen. Denn auch diesen vereinzelten Nachweisangaben kann nicht entnommen werden, dass im übrigen ganze Passagen wörtlich entlehnt worden sind; zumal die vor und nach dem Nachweis auf die Arbeit von Prof. Dr. X. liegenden Teile der Dissertation des Klägers mit eigenständigen Fußnoten versehen sind. Die Erheblichkeit des Plagiatsumfangs ergibt sich des weiteren daraus, dass die wesentliche Gliederungsstruktur des Teils 4 der Dissertation des Klägers eng an die Gliederung der Schrift von Prof. Dr. X. angelehnt ist. Zudem hat der Kläger im Teil 4 seiner Dissertation auch die Fußnoten im Wesentlichen aus den entsprechenden Passagen der Schrift von Prof. Dr. X. übernommen. In der Gesamtschau erweist sich somit die Übernahme von Gedankengut aus dem Werk von Prof. Dr. X. sowohl in quantitativer wie auch in qualitativer Hinsicht als erheblich.

Entgegen der vom Bevollmächtigten des Klägers vorgetragenen Auffassung ist nach Auffassung des Gerichts unerheblich, ob die Dissertation des Klägers im Übrigen – ohne die Plagiatsstellen – eine eigene wissenschaftliche Leistung darstellt und ob ohne die beanstandeten Stellen bzw. bei korrekter Zitierung dem Kläger der Doktorgrad noch verliehen worden wäre bzw. hätte verliehen werden können. Derart hypothetische Erwägungen im Sinne einer Art geltungserhaltender Reduktion sind nicht zulässig. Es ist für die Ursächlichkeit der vom Kläger begangenen Täuschung nicht von Bedeutung, ob ihm für eine andere Arbeit, als er sie tatsächlich vorgelegt hat, der Doktorgrad verliehen worden wäre; maßgeblich ist vielmehr allein die vorgelegte Arbeit (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.10.2008 – 9 S 494/08 – Juris Rz. 8). Zu den Grundanforderungen wissenschaftlichen Arbeitens gehört, dass der jeweilige Beitrag auf eigenständigen Erwägungen beruht und nicht bloß Passagen aus dem Werk eines anderen Autors übernimmt. Nur eine unter Offenlegung aller verwendeten Quellen und Hilfsmittel erbrachte wissenschaftliche Leistung genügt den Anforderungen an eine eigenständige Dissertation; die wörtliche oder sinngemäße Übernahme von Textpassagen aus fremden Werken ohne hinreichende Kennzeichnung verstößt daher gegen die Grundsätze des wissenschaftlichen Arbeitens und schließt damit die Annahme einer Arbeit als Dissertation im Regelfall aus (vgl. VGH Baden-Württemberg, a. a. O.).

Die wörtliche Wiedergabe von Passagen aus der Habilitationsschrift von Prof. Dr. X. einschließlich der sprachlichen Eigentümlichkeiten und Formulierungen in der Habilitationsschrift lässt keinen anderen Schluss zu, als dass der Kläger Passagen unmittelbar aus der Habilitationsschrift von Prof. Dr. X. abgeschrieben hat. Jedenfalls soweit ein Verweis auf die jeweilige Fundstelle ganz unterblieben ist, liegt hierin unzweifelhaft eine Täuschung über die Urheberschaft der Gedanken. Gleiches gilt auch, soweit kleinere Änderungen – so der Austausch einzelner Worte – vorgenommen worden sind. Auch insoweit ist die Gedankenführung nicht eigenständig entwickelt und darüber getäuscht worden, dass die wissenschaftliche Leistung von einem anderen stammt.

In subjektiver Hinsicht genügt für die Täuschung im Sinne von § 19 Nr. 1 PromotionsO 1985, § 22 Abs. 2 Allg. PromotionsO 2007, 33 a HHG der bedingte Vorsatz. Es sind für das Gericht keine Gesichtspunkte erkennbar, bei der Täuschungshandlung im Sinne dieser Vorschriften strengere Maßstäbe anzulegen als bei der des strafrechtlichen Betruges (so auch Hess. VGH, Beschluss vom 20.06.1989 – 6 OE 2779/88 –, Juris Rz. 5, für den Begriff der Täuschungshandlung im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 1 JAG 1985). Der Kläger handelte vorsätzlich in diesem Sinne. Er nahm es zumindest billigend in Kauf, dass die Prüfer über die Urheberschaft des Teils 4 seiner Dissertation getäuscht würden. Dem Kläger war bewusst, dass dem Leser seiner Dissertation Teil 4 als eigene Leistung des Autors der Dissertation erscheinen würde, denn er war mit den wissenschaftlichen Standards vertraut. Nach Auffassung des Gerichts nahm der Kläger in Kauf, dass die Gutachter die Übernahme von Text und Gliederungsstruktur sowie von Fußnoten aus dem Werk von Prof. Dr. X. nicht bemerken und den Teil 4 als vollständig eigene Leistung des Klägers bewerten würden. Dies billigte der Kläger auch, da er sich nach seinen eigenen Ausführungen in erheblichem Maße durch den Tod seines Doktorvaters Prof. Dr. Y. im Jahr 2000 unter Druck gesetzt sah. Es ist somit nicht glaubhaft, wenn der Bevollmächtigte des Klägers zur Begründung der Klage unter anderem vorträgt, für den Kläger habe außer Frage gestanden, dass jeder Prüfer seine Dissertation anhand der Habilitationsschrift von Prof. Dr. X. überprüfen werde. Denn die klägerischen Umformulierungen des Textes von Prof. Dr. X., die Umstellung der Syntax, die Verwendung von Synonymen, sowie einzelne Auslassungen zeigen den Willen des Klägers, die Übernahme des Textes von Prof. Dr. X. zu verschleiern.

Entgegen der vom Klägerbevollmächtigten vorgetragenen Auffassung steht vorliegend der Entziehung des Doktorgrades auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 HVwVfG nicht entgegen. Das Gericht kann in diesem Zusammenhang offen lassen, ob § 48 Abs. 4, auf den weder die Promotionsordnung 1985 noch die Allgemeine Promotionsordnung 2007 verweist, vorliegend ergänzend Anwendung findet. Denn wegen der vom Kläger begangenen – vom Gericht zuvor dargelegten – arglistigen Täuschung gemäß § 48 Abs. 4 Satz 2 i. V. m. § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 HVwVfG findet die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 HVwVfG vorliegend keine Anwendung; auf die Frage, wann der Beklagten alle für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen vollständig bekannt waren (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 21.12.2006 – 6 B 102/06 – ) kommt es deshalb ebenfalls nicht an.

Ermessensfehler der Beklagten sind trotz der der Entziehung des Doktorgrades immanenten erheblichen Belastung des Klägers nicht ersichtlich. Nach Auffassung des Gerichts ist zunächst ohne Bedeutung, dass die tragenden Ermessenserwägungen der Beklagten nicht bereits im Protokoll der Sitzung des Fachbereichsrates des Fachbereichs Rechtswissenschaften vom 29. Juli 2009 dokumentiert wurden, sondern die Darlegung der Ermessenserwägungen erst im Bescheid des Dekans des Fachbereichs Rechtswissenschaften vom 30. Juli 2009 erfolgte. Desweiteren ist von Seiten des Gerichts nicht zu beanstanden, dass die Beklagte das öffentliche Interesse am Ansehen und dem wissenschaftlichen Ruf der Philipps-Universität Marburg höher bewertet hat, als die beruflichen und sozialen Folgen für den Kläger. Die Entziehung des Doktorgrades erweist sich auch nicht als unverhältnismäßig. Denn die Vorgehensweise des Klägers enthält einen Verstoß gegen die wesensprägenden Grundsatzmerkmale wissenschaftlichen Arbeitens; zudem betrifft die Übernahme fremder Passagen vorliegend nicht nur einzelne Gedanken, sondern ganze Sinneinheiten (vgl. VGH Baden-Württemberg, a. a. O.). Schließlich verweist die Kammer darauf, dass jedenfalls die Vorschrift des § 33 a HHG als „Soll“-Vorschrift ausgestaltet ist. Derartige Normen sind im Regelfall für die mit ihrer Durchführung betraute Behörde rechtlich zwingend und verpflichten sie, grundsätzlich so zu verfahren, wie es im Gesetz bestimmt ist; im Regelfall bedeutet das „Soll“ ein „Muss“. Nur beim Vorliegen von Umständen, die den Fall als atypisch erscheinen lassen, darf die Behörde anders verfahren als im Gesetz vorgesehen und den atypischen Fall nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden (vgl. VG Darmstadt, a. a. O.). Anhaltspunkte für eine solche atypische Fallgestaltung sind nicht ersichtlich. Die Beklagte hat vielmehr das ihr eingeräumte Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Die Ziffern 1 und 2 des Bescheides des Dekans des Fachbereichs Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg vom 30. Juli 2009 und die Ziffern 1, 2, 3 und 5 des Widerspruchsbescheides der Präsidentin der Philipps-Universität Marburg vom 19. Februar 2010 erweisen sich somit als rechtmäßig.

Die „Einziehung“ und Rückforderung der Doktorurkunde in der Ziffer 3 des Bescheides des Dekans des Fachbereichs Rechtswissenschaften sowie in Ziffer 4 des Widerspruchsbescheides der Präsidentin der Philipps-Universität Marburg hingegen erweist sich als rechtswidrig. Zwar findet die „Einziehung“ und Rückforderung der Doktorurkunde ihre Rechtsgrundlage grundsätzlich in § 52 Satz 1 HVwVfG. Nach dieser Bestimmung kann die Behörde die aufgrund des (später zurückgenommenen) Verwaltungsaktes erteilten Urkunden, die zum Nachweis der Rechte aus dem Verwaltungsakt oder zu deren Ausübung bestimmt sind, zurückfordern, wenn der Verwaltungsakt unanfechtbar zurückgenommen wurde; nach herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur reicht statt der Unanfechtbarkeit auch die Vollziehbarkeit der Maßnahme aus. Vorliegend wurde der Kläger aufgefordert, die Promotionsurkunde innerhalb von „4 Wochen nach Zugang des Bescheides bzw. des Widerspruchsbescheides“ abzugeben, mithin bereits vor der Unanfechtbarkeit bzw. der Vollziehbarkeit des angefochtenen Bescheides. Eine solche „sofortige“ Rückforderung der Promotionsurkunde ist weder vom Gesetzeswortlaut noch vom Sinn des § 52 Satz 1 HVwVfG gedeckt und deshalb rechtswidrig.

Die Kosten sind dem Kläger insgesamt aufzuerlegen, da die Beklagte nur zu einem geringen Teil unterlegen ist (§ 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 15.000,-- € festgesetzt.

Gründe

Das Gericht hat den Streitwert gemäß § 52 GKG i. V. m. Ziffer 18.6 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom 7./8. Juli 2004 festgesetzt.

Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte