OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 29.06.2011 - 19 U 130/10
Fundstelle
openJur 2012, 34754
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 26.04.2010 verkündete Urteil der 19. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt/Main abgeändert.

Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

I.

Von der Darstellung eines Tatbestandes wird abgesehen (§§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO).

Gründe

II.

Die Berufung der Beklagten ist begründet. Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Schadensersatzanspruch wegen fehlerhafter Aufklärung im Zusammenhang mit der Beratung, die zu dem Kauf von 19 Lehman Brothers Treasury Co. B.V. Zertifikaten führte, zu.

Nach dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien ist ein Beratungsvertrag stillschweigend durch die Aufnahme des Beratungsgespräches zustande gekommen. Eine Verletzung der aus diesem Vertrag folgenden Beratungs- oder Aufklärungspflichten durch die Beklagte hat der Kläger nicht bewiesen.

Inhalt und Umfang der Beratungspflichten hängen von den Umständen des Einzelfalles ab. Die Beratung muss anleger- und objektgerecht sein. Maßgeblich sind einerseits der Wissensstand, die Risikobereitschaft und das Anlageziel des Kunden und andererseits die allgemeinen Risiken, wie etwa die Konjunkturlage und die Entwicklung des Kapitalmarktes, sowie die speziellen Risiken, die sich aus den besonderen Umständen des Anlageobjekts ergeben. Während die Aufklärung des Kunden über dieses Umstände richtig und vollständig zu sein hat, muss die Bewertung und Empfehlung eines Anlageobjektes unter Berücksichtigung der genannten Gegebenheiten ex ante betrachtet lediglich vertretbar sein. Das Risiko, dass sich eine Anlageentscheidung im Nachhinein als falsch erweist, trägt der Kunde (BGH, Urt. v. 14.07.2009, XI ZR 152/08, Rn. 49 m.w.N.).

Anhand dieses rechtlichen Maßstabes kann die Empfehlung zum Kauf der hier in Rede stehenden Zertifikate nicht als nicht anlegergerecht angesehen werden. Der Kläger hat bei seiner persönlichen Anhörung sein Anlageziel als „wachstumsorientiert“ angegeben und zur Erläuterung hinzugefügt, dass er 10 % seines Portfolios in Geldmarktfonds investiere und den Rest in Aktien. Dem entspricht es, dass sein Wertpapierdepot bei der Beklagten im Umfang von insgesamt rund 150.000,-- EUR zu 95 % aus Aktien, Aktienfonds und Zertifikaten und im Übrigen aus Geldmarktanlagen bestand. Ferner ergibt sich aus den Angaben des Klägers bei seiner persönlichen Anhörung, dass sein bisheriger schriftsätzlicher Sachvortrag, dass er darauf hingewiesen habe, dass er sich demnächst im Ruhestand befinden werde und deshalb daran interessiert sei, das Geld so sicher wie möglich ohne weitere Risiken anzulegen, unwahr war. Danach kann nicht festgestellt werden, dass die dem Kläger empfohlenen Zertifikate, die einem mittleren Risikobereich zuzuordnen waren (OLG Bamberg, Urt. v. 07.06.2010, 4 U 241/09, Rn. 62, juris), mit Rücksicht auf die erhebliche Risikobereitschaft des Klägers und sein Anlageziel ungeeignet waren.

Es kann ferner nicht festgestellt werden, dass die Beratung des Klägers durch die Zeugin Z1 nicht objektgerecht war. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger nicht über die Struktur, die Funktionsweise und die Risiken, die sich aus Veränderungen des Index des EuroSTOXX 50 ergaben, aufgeklärt wurde. Zwar hat der Kläger bei seiner Anhörung angegeben, dass ihm weder irgendwelche Risiken genannt worden seien, noch die Relevanz des Indexverlaufes für die Frage der Bonuszahlungen angesprochen worden sei. Gegen die Richtigkeit seiner Darstellung bestehen jedoch Zweifel, weil die Zeugin Z1 nachvollziehbar dargelegt hat, dass sie den Kläger bei der telefonischen Beratung anhand der ihr vorliegenden Produktinformation eingehend darüber aufgeklärt hat, dass es sich um indexunterstützte Zertifikate handele, unter welchen Voraussetzungen es zu einer vorzeitigen Rückzahlung oder zu Bonuszahlungen komme, und dass die Zertifikate im Falle eines Kursverlustes von 40 % oder mehr in ihrem Wert einem Indexzertifikat vergleichbar seien. Die Aussage der Zeugin Z1 war überzeugend, weil sie sich zur Unterstützung ihres Gedächtnisses auf die von ihr seinerzeit angefertigten Notizen über den Inhalt des Gespräches beziehen konnte.

Die vom Kläger beantragte Vernehmung des Zeugen Z2, der während des telefonischen Beratungsgesprächs im Büro des Klägers anwesend war und das Telefongespräch über die auf laut gestellte Telefonanlage mithörte, durfte nicht erfolgen. Denn die Aussage des Zeugen Z2 über den Inhalt der Beratung und Aufklärung hätte als Beweismittel nicht verwertet werden dürfen, weil seine Vernehmung insoweit die Rechte der Zeugin Z1 aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verletzt hätte. Dass von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG erfasste allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt u. a. auch das Recht am gesprochenen Wort. Das Recht am gesprochenen Wort entspricht einem Grundbedürfnis für die Sicherung des Eigenwertes der Persönlichkeit und ihrer freien Entfaltung in der Kommunikation mit dem anderen und ist in der Rechtsprechung seit langem anerkannt. Zu diesem Grundrecht gehört auch die Befugnis, selbst zu bestimmen, ob der Kommunikationsinhalt einzig dem Gesprächspartner, einem bestimmten Personenkreis oder der Öffentlichkeit zugänglich sein soll (BGH NJW 2003, 1727, 1728 m.w.N.). Die Beweisaufnahme hat nicht ergeben, dass der Kläger die Zeugin Z1 bei dem Telefonat darauf hinwies, dass das Gespräch über die laut gestellte Telefonanlage von einem Dritten mitgehört wurde und dass die Zeugin Z1 dem zustimmte. Weder der zu dieser Frage vernommene Zeuge Z2 noch die Zeugin Z1 haben entsprechende Erklärungen bestätigt. Allerdings wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht, wenn es wie hier nicht um den letztlich unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung einer Person geht, nicht vorbehaltlos gewährleistet, sondern durch die verfassungsmäßige Ordnung eingeschränkt, zu der als Ausfluss des u. a. in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzips die Gewährleistung einer funktionstüchtigen Rechtspflege und das Streben nach einer materiell richtigen Entscheidung gehören (BGH a.a.O. m.w.N.). Die danach gebotene Abwägung zwischen dem gegen die Verwertung sprechenden allgemeine Persönlichkeitsrecht der Zeugin Z1 auf der einen und einem für die Verwertung sprechenden rechtlich geschützten Interesse des Klägers auf der anderen Seite ergeben aber nicht die Zulässigkeit der Vernehmung des Zeugen Z2. Denn das Interesse des Klägers beschränkt sich auf die Verschaffung eines Beweismittels. Die Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Zeugin Z1 wird dadurch nicht gerechtfertigt (BGH a.a.O.).

Wegen des von der Zeugin Z1 nicht angesprochenen Risikos eines Totalverlustes im Falle der Insolvenz der Emittentin bzw. Garantiegeberin war die Beklagte zur Aufklärung nicht verpflichtet. Eine derartige Aufklärungspflicht besteht nur dann, wenn im Anlagezeitpunkt konkrete Hinweise und Anhaltspunkte für eine mögliche Insolvenz der Emittentin (bzw. Garantiegeberin) vorliegen (Senat, Urt. v. 29.12.2010, 19 U 94/10; Senatsbeschl. v. 25.10.2010, 19 U 127/10, juris; OLG Frankfurt ZIP 2010, 567; OLG Dresden, ZIP 2010, 1230; OLG Bamberg, Urt. v. 07.06.2010, 4 U 241/09, Rn. 53, juris). Die danach zur Begründung einer Aufklärungspflicht auf das Insolvenzrisiko erforderlichen konkreten Hinweise oder Anhaltspunkte für eine mögliche Insolvenz der Emittentin bzw. Garantin lagen im Anlagezeitpunkt – 20. Februar 2007 – nicht vor.

Allerdings muss eine Bank bei einer Anlageberatung betreffend den Kauf von Zertifikaten grundsätzlich auf das allgemeine Emittentenrisiko – also die Gefahr, dass der Emittent im Falle der Zahlungsunfähigkeit seinen Verpflichtungen aus dem Zertifikat nicht mehr nachkommen kann – hinweisen (OLG Frankfurt, Urt. v. 21.09.2010, 9 U 151/09, Rn. 55, 57; Urt. v. 17.02.2010, 17 U 207/09, Rn. 70 ff.; OLG Dresden, Urt. v. 11.09.2010, 5 U 1178/09, Rn. 32, juris). Ein solcher Hinweis wurde dem Kläger zwar nach der Aussage der Zeugin Z1 nicht erteilt. Er war aber nach den hier vorliegenden besonderen Umständen entbehrlich. Denn der Kläger wusste anhand der Angaben der Zeugin Z1, dass es sich bei der empfohlenen Anlage um Zertifikate handelte, die von einer ausländischen Bank ausgegeben wurden. Im Bestand seines Wertpapierdepots befanden sich mehrere von Banken emittierte Aktienzertifikate. Er kannte demgemäß die Struktur eines Zertifikates. Danach liegt auf der Hand, dass es dem Kläger auch bekannt war, dass die Rückzahlung des Anlagebetrages bei Fälligkeit von der Zahlungsfähigkeit des Emittenten abhängt. Eines ausdrücklichen Hinweises auf diesen Umstand bedurfte es somit nicht.

Weil der Kläger wusste, dass die Emittentin bzw. Garantiegeberin eine amerikanische Bank war und er auch das allgemeine Bonitätsrisiko kannte, bedurfte es ferner keiner gesonderten Aufklärung mehr darüber, dass die Zertifikate nicht der deutschen Einlagensicherung unterliegen (OLG Bamberg, a.a.O., Rn. 54; OLG Frankfurt, Urt. v. 16.03.2011, 23 U 55/10, Rn. 27, juris).

Die Beklagte hat bei dem Beratungsgespräch eine Aufklärungs- oder Beratungspflicht auch nicht deshalb verletzt, weil sie nicht auf ihre Gewinnspanne bzw. Provision aus dem Verkauf der Zertifikate hinwies. Unabhängig davon, ob es sich bei dem Verkauf um ein Festpreisgeschäft handelte, bei dem ihr eine Gewinnspanne verblieb, oder um ein Kommissionsgeschäft, für das sie von der Emittentin eine Provision erhielt, war sie zur Aufklärung darüber nicht verpflichtet. Eine solche Verpflichtung kann nicht mit den Grundsätzen über die Aufklärungspflicht im Falle einer verdeckten Rückvergütung begründet werden. Eine aufklärungspflichtige Rückvergütung liegt (nur) dann vor, wenn Teile der Ausgabeaufschläge oder Verwaltungsgebühren, die der Kunde über die Bank an die Gesellschaft zahlt, hinter seinem Rücken an die beratende Bank umsatzabhängig zurückfließen (BGH, Urt. v. 15.04.2010, III ZR 196/09, Rn. 10; Urt. v. 27.10.2009, XI ZR 338/08, Rn. 31; Urt. v. 12.05.2009, XI ZR 586/07, Rn. 15, 18; Beschl. v. 20.01.2009, XI ZR 510/07, Rn. 12; Urt. v. 19.12.2006, XI ZR 65/05, Rn. 22, juris). Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 09.03.2011 (XI ZR 191/10, juris) klargestellt, dass Rückvergütungen – anders als Innenprovisionen – nicht im Anlagebetrag enthalten (versteckt) sind, so dass beim Anleger keine Fehlvorstellung über die Werthaltigkeit der Anlage entstehen kann und die Fehlvorstellung des Kunden über die Neutralität der Beratungsleistung der Bank, der mit der Aufklärungspflicht über Rückvergütungen begegnet werden soll, allein darauf beruht, dass die beratende Bank als Empfängerin der Rückvergütung ungenannt bleibt. Aufklärungspflichtige Rückvergütungen sind nach dieser klarstellenden Entscheidung danach Provisionen, die im Gegensatz zu Innenprovisionen nicht aus dem Anlagevermögen, sondern aus offen ausgewiesenen Provisionen wie z.B. Ausgabeaufschlägen und Verwaltungsvergütungen gezahlt werden, so dass beim Anleger zwar keine Fehlvorstellung über die Werthaltigkeit der Anlage entstehen kann, deren Rückfluss an die beratende Bank aber nicht offenbar wird, sondern hinter dem Rücken des Anlegers erfolgt, so dass der Anleger das besondere Interesse der beratenden Bank an der Empfehlung gerade dieser Anlage nicht erkennen kann (BGH a.a.O.).

Nach diesen Grundsätzen hat die Beklagte keine aufklärungspflichtige Rückvergütung erlangt. Die Gewinnmarge bzw. Vertriebsprovision wurde nicht von dem Kläger an die Emittentin und sodann von dieser hinter dem Rücken des Klägers an die Beklagte gezahlt; vielmehr zahlte der Kläger den Kaufpreis für die Zertifikate an die Beklagte; ein Rückfluss hinter seinem Rücken an die Beklagte fand nicht statt. Vielmehr war die Gewinnmarge bzw. Innenprovision im Anlagebetrag enthalten. Das allgemeine Gewinninteresse einer Bank und der sich daraus ergebende Interessenkonflikt begründet nicht schon eine Offenbarungspflicht. Eine allgemeine Pflicht der Banken, Kunden über ihre Gewinnmarge bzw. eine ihr zufließende Innenprovision aufzuklären, besteht nach nahezu einhelliger Auffassung der Oberlandesgerichte nicht (OLG Frankfurt, Urt. v. 02.03.2011, 19 U 248/10; Urt. v. 04.05.2011, 19 U 195/10; Urt. v. 29.12.2010, 19 U 94/10; Urt. v. 16.03.2011, 23 U 55/10; Urt. v. 21.09.2010, 9 U 151/09, jeweils juris; OLG Dresden, ZIP 2010, 1230; OLG Hamburg, WM 2010, 1029 ff.; OLG Celle, ZIP 2010, 876 ff.).

Dem Kläger steht gegen die Beklagte auch nicht wegen des erklärten Widerrufs des Kaufauftrages ein Anspruch auf Rückzahlung des Anlagekapitals zu. Denn er war nicht nach §§ 355 Abs. 1, 312d Abs. 1 S. 1 BGB zum Widerruf berechtigt. Der Vertragsschluss ist nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt (§ 312b Abs. 1 S. 1 BGB). Die Beklagte hat vorgetragen, dass sie nur bei bestimmten Kunden und auch dann nur gelegentlich Finanzdienstleistungen fernmündlich anbietet. Dem ist der Kläger nicht entgegen getreten. Selbst wenn der fernmündlich vereinbarte Kauf der Zertifikate den Vorschriften über Fernabsatzverträge unterliegen sollte, wäre das Widerrufsrecht nach § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB ausgeschlossen. Denn der Preis der Zertifikate unterliegt auf dem Finanzmarkt Schwankungen, auf die die Beklagte keinen Einfluss hat und die innerhalb der Widerrufsfrist auftreten können. Die Möglichkeit derartiger Preisschwankungen wird dadurch belegt, dass der Emissionspreis von 1.000,-- EUR je Stück ausweislich der Kaufabrechnung vom 21.02.2007 (Anlage B3) nicht auch der Kaufpreis war; vielmehr betrug der Kaufpreis eines Zertifikates am 21.02.2007 1.015,45 EUR.

Da die Klage im Ergebnis keinen Erfolg hat, hat der Kläger die Kosten des Rechtsstreits zu tragen (§ 91 Abs. 1 ZPO).

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Zwar weicht die Entscheidung von der Rechtsprechung des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main ab, wonach eine Bank verpflichtet sein soll, im Rahmen einer Anlageberatung darüber aufzuklären, dass sie aus dem Verkauf von Zertifikaten eine Innenprovision erlangt (vgl. zuletzt OLG Frankfurt, Urt. v. 04.05.2011, 17 U 207/10, Rn. 65, juris). Die Rechtsprechung des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main gibt aber deshalb keinen Anlass zur Zulassung der Revision, weil sie von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abweicht, wonach nicht schon ein allgemeiner Interessenkonflikt wegen einer der Bank zukommenden Vertriebsprovision, sondern die wegen der Rückvergütung verursachte Fehlvorstellung bei dem Anleger über die Neutralität der Beratungsleistung der Bank die Aufklärungspflicht begründet (BGH, Beschl. v. 09.03.2011, XI ZR 191/10, Rn. 24, juris).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.