Hessisches LAG, Urteil vom 23.05.2011 - 16 Sa 35/11
Fundstelle
openJur 2012, 34566
  • Rkr:

Die Kündigungserklärung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die nicht von allen Gesellschaftern unterzeichnet ist und der keine Vollmachtsurkunde des unterzeichnenden (vertretungsberechtigten) Gesellschafters beigefügt ist, kann vom Empfänger nach § 174 BGB zurückgewiesen werden.

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil desArbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 31.8.2010 – 18 Ca2269/10 – unter Zurückweisung der Berufung im übrigenteilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteiendurch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 21.3.2010 nichtaufgelöst worden ist.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die erstinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits haben dieKlägerin zu fünf Sechstel und die Beklagte zu einem Sechstel zutragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin zuvier Fünftel und die Beklagte zu einem Fünftel zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier Kündigungenund die Weiterbeschäftigung.

Die Beklagten betreiben in der Rechtsform einer Gesellschaftbürgerlichen Rechts eine auf Strafrecht spezialisierteAnwaltssozietät. Sie unterfällt nicht dem betrieblichenGeltungsbereich des § 23 Abs. 1 Kündigungsschutzgesetz.

Die am XXX geborene, geschiedene Klägerin ist seit 6. August1986 bei der Beklagten zu einer Bruttomonatsvergütung von zuletzt2.020,00 € als Sekretärin/Büroassistentin beschäftigt. IhrAufgabenbereich besteht in dem Schreiben nach Diktat, derEntgegennahme und Weiterleitung von Telefonanrufen, derpersönlichen und telefonischen Vergabe von Terminen und derErledigung von Kopier- und sonstigen Büroarbeiten.

Mit Schreiben vom 21. März 2010 (Blatt 31 der Akten), das von 2der 5 Gesellschafter unterzeichnet ist, kündigte die Beklagte dasArbeitsverhältnis zum 30. November 2010. Das Kündigungsschreibenwurde am 23. März 2010 um 20:40 Uhr in den Hausbriefkasten derKlägerin eingeworfen. Mit Schreiben vom 29. März 2010 (Blatt 39, 40der Akten), zugegangen am selben Tag, wies derProzessbevollmächtigte der Klägerin diese Kündigung nach § 174 BGBgegenüber der Beklagten zurück. Mit Schreiben vom 28. April 2010kündigte die Beklagte erneut, diesmal zum 30. November 2010 (Blatt63 der Akten); dieses Kündigungsschreiben ist von sämtlichenGesellschaftern unterzeichnet.

Mit einem am 29. März 2010 eingegangenen Anwaltsschriftsatz hatdie Klägerin die Unwirksamkeit der Kündigung vom 21. März 2010geltend gemacht und die Klage unter dem 06. Mai 2010 hinsichtlichder Kündigung vom 28. April 2010 erweitert.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Kündigung vom 21.März 2010 sei nach § 174 BGB unwirksam. Im übrigen seien beideKündigungen nach § 242 BGB treuwidrig. Bei Vornahme einerAuswahlentscheidung hätte die Beklagte einer kürzer beschäftigtenMitarbeiterin kündigen müssen.

Demgegenüber hat die Beklagte die Kündigung auf Leistungsmängelgestützt.

Wegen der Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts, deserstinstanzlichen Vorbringens der Parteien und der gestelltenAnträge wird auf den Tatbestand der Entscheidung desArbeitsgerichts, Blatt 178 bis 182 der Akten, Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. § 174 BGB sei aufeine BGB-Gesellschaft nicht anwendbar. Die handelndenGesellschafter machten lediglich von ihren gesetzlichen BefugnisGebrauch, weshalb eine Vorlage einer Vollmachtsurkunde nichterforderlich sei. Die Kündigungen seien nicht treuwidrig. Auch wenndie von der Beklagten geschilderten Pflichtverletzungenmöglicherweise im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses nach § 1Kündigungsschutzgesetz nicht Stand hielten, handele es sich nichtum eine missbräuchliche Kündigung. Deshalb bestehe auch keinWeiterbeschäftigungsanspruch.

Dieses Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am13. Dezember 2010 zugestellt worden. Er hat dagegen mit einem am07. Januar 2011 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt unddiese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 10. März2011 am 08. März 2011 begründet.

Die Kündigung vom 21. März 2010 sei bereits nach § 623 BGBformunwirksam, da sie nicht von sämtlichen Gesellschafternunterzeichnet sei. Jedenfalls hätte der Kündigung eine Vollmachtder übrigen Gesellschafter beigefügt sein müssen. Beide Kündigungenseien nach § 11 S. 1 TzBfG unwirksam. Die Beklagte trage selbstvor, dass Herr Rechtsanwalt S ihr am 21. März 2010 angeboten habe,Ihr Arbeitsverhältnis von Vollzeit in eine Teilzeitbeschäftigungumzuwandeln. Weil die Klägerin dies abgelehnt habe, sei siegekündigt worden. Vor diesem Hintergrund seien die behauptetenverhaltensbedingten Kündigungsgründe nur vorgeschoben. DieKündigungen seien treuwidrig, weil auf die 24-jährigeBetriebszugehörigkeit der Klägerin keine Rücksicht genommen wordensei. Der Vortrag der Beklagten zu Schlechtleistungen der Klägerinsei unzutreffend und unsubstantiiert.

Die Klägerin beantragt,

1. unter Abänderung des am 31.8.2010 verkündeten Urteils desArbeitsgerichts Frankfurt am Main -18 Ca 2269/10- wirdfestgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien vom6.8. 1986 weder durch die jeweils arbeitgeberseitige ausgesprocheneordentliche Kündigung vom 21. März 2010 noch durch die am 28.4.2010ausgesprochene ordentliche Kündigung aufgelöst wurde, sonderndarüber hinaus fortbesteht.2. die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin auf der Grundlage desArbeitsvertrags vom 6.8.1986 als Sekretärin/Büroassistentinweiterzubeschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts alszutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigenParteivorbringens das die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagensowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Gründe

I.

Die Berufung ist statthaft, § 8 Abs. 2 ArbGG, § 511 Abs. 1 ZPO,§ 64 Abs. 2b Arbeitsgerichtsgesetz. Sie ist auch form- undfristgerecht eingelegt und begründet worden, § 66 Abs. 1 ArbGG, §519, § 520 ZPO und damit insgesamt zulässig.

II.

Die Berufung ist teilweise begründet.

1. Die Kündigung der Beklagten vom 21.3.2010 ist nach § 174 BGBunwirksam.

a) Zwar ist § 174 BGB in Fällen einer auf gesetzlicher Grundlageberuhenden Vertretungsmacht unanwendbar. Im Falle einerorganschaftlichen Vertretung besteht kein Recht zur Zurückweisung,weil die grundsätzlich vorgeschriebene Eintragung des Vertretersals Organ in ein öffentliches Register, aus dem sich die Person desOrgans und der Umfang seiner Vertretungsmacht ergibt (vergleiche §67 BGB, § 125 Abs. 4 HGB, § 81 Abs. 1 Aktiengesetz, § 39 Abs. 1GmbHG, § 28 Abs. 1 Genossenschaftsgesetz), den Rechtsverkehrschützt. Dies trifft auf eine Gesellschaft bürgerlichen Rechtsnicht zu. Deren Vertretungsverhältnisse können keinem öffentlichenRegister entnommen werden. Sie folgen aus dem zwischen denGesellschaftern geschlossenen Gesellschaftsvertrag. Soweit dieGesellschaft nicht durch alle Gesellschafter handelt, liegt damitauch bei Teilnahme einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts amRechtsverkehr eine Situation vor, die der von § 174 BGB entspricht.Der Empfänger einer für die Gesellschaft abgegebenen Erklärung hatvielfach weder Kenntnis von der Existenz der Gesellschaft noch vonderen Vertretungsverhältnissen. Ein Register steht nicht zurVerfügung. Handelt der Geschäftsführer der Gesellschaft allein, istes ihm demgegenüber ohne weiteres möglich, entweder eine Vollmachtder übrigen Gesellschafter vorzulegen oder die von ihm aus demGesellschaftsvertrag in Anspruch genommene Vertretungsmacht durchdessen Vorlage oder die Vorlage einer Erklärung aller oder derübrigen Gesellschafter über eine von § 709, § 714 BGB abweichendeRegelung der Vertretung der Gesellschaft zu belegen. Unterbleibtein solcher Hinweis, kann eine Erklärung, die nicht von allenGesellschaftern abgegeben wird, nach § 174 BGB zurückgewiesenwerden (BGH 9.11.2001-LwZR 4/01-NJW 2002, 1194, Randnummer 11). Dieentgegenstehende ältere Rechtsprechung des HessischenLandesarbeitsgerichts (25.3.1997-9 Sa 2097/96, ARST 1997,238) isthierdurch überholt.

b) Das Kündigungsschreiben vom 21.3.2010 (Blatt 31 der Akten)ist lediglich von zwei der fünf Gesellschafter der Beklagtenunterzeichnet. Eine Vollmacht war dem Kündigungsschreiben nichtbeigefügt. Die Klägerin konnte daher die Kündigungserklärung vom21.3.2010 nach § 174 BGB zurückweisen.

c) Die Zurückweisung erfolgte auch unverzüglich im Sinne des §121 BGB, das heißt ohne schuldhaftes Zögern. DasKündigungsschreiben vom 21.3.2010 wurde am 23. März 2010 um 20:40Uhr in den Briefkasten der Klägerin eingeworfen. MitAnwaltsschreiben vom 29.3.2010 (Blatt 39, 40 der Akten), derBeklagten am selben Tag zugegangen, wies die Klägerin durch ihrenProzessbevollmächtigten die Kündigung nach § 174 BGB zurück.Zwischen dem Zugang der Kündigungserklärung und dem Eingang derZurückweisung nach § 174 BGB lag weniger als eine Woche, was unterBerücksichtigung der Tatsache, dass die Klägerin Rechtsrateinzuholen berechtigt war, unverzüglich war.

2. Im übrigen ist die Berufung unbegründet.

a) Die Kündigung vom 28.4.2010 ist nicht nach § 1 Abs. 2Kündigungsschutzgesetz sozial ungerechtfertigt, denn dieAnwaltskanzlei der Beklagten unterfällt als Kleinbetrieb nicht dembetrieblichen Geltungsbereich des § 23 Abs. 1Kündigungsschutzgesetz.

b) Die Kündigung vom 28.4.2010 ist nicht treuwidrig, § 242BGB.

aa) Bei der Prüfung der Treuwidrigkeit einer Kündigung ist § 242BGB im Lichte des Artikel 12 Abs. 1 Grundgesetz auszulegen undanzuwenden. Für die Bestimmung des Inhalts und der Grenzen einesKündigungsschutzes außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes ist dieBedeutung grundrechtlicher Schutzpflichten zu beachten. Nach derRechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss der Arbeitnehmerauch außerhalb des Geltungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzesüber die zivilrechtlichen Generalklauseln vor einer sitten- odertreuwidrigen Ausübung des Kündigungsrechts des Arbeitgebersgeschützt werden, § 242, § 138 BGB. Im Rahmen dieserGeneralklauseln ist auch der objektive Gehalt der Grundrechte, vorallem Artikel 12 Abs. 1 Grundgesetz, zu beachten. Maßgeblich sinddie Umstände des Einzelfalls. Der durch die Generalklauselnvermittelte Schutz darf allerdings auch nach der Rechtsprechung desBundesverfassungsgerichts nicht dazu führen, dass außerhalb desKündigungsschutzgesetzes dem Arbeitgeber praktisch die imKündigungsschutzgesetz vorgegebenen Maßstäbe der Sozialwidrigkeitauferlegt werden. In sachlicher Hinsicht geht es darum,Arbeitnehmer vor willkürlichen oder auf sachfremden Motivenberuhenden Kündigungen zu schützen, zum Beispiel vorDiskriminierungen im Sinne von Artikel 3 Abs. 3 Grundgesetz (BVerfG27. Januar 1998 1 BvL 15/87-BVerfGE 97, 169). UnterBerücksichtigung dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben verstößteine Kündigung gegen § 242 BGB, wenn sie Treu und Glauben ausGründen verletzt, die von § 1 Kündigungsschutzgesetz nicht erfasstsind. Eine willkürliche Kündigung liegt nicht vor, wenn einirgendwie einleuchtender Grund für die Kündigung besteht(Bundesarbeitsgericht 28.8.2003-2 AZR 333/02-AP BGB § 242Kündigungsnummer 17; 25. April 2001-5 AZR 360/99-AP BGB § 42Kündigung Nummer 14). Die Darlegungs- und Beweislast für dasVorliegen derjenigen Tatsachen, aus denen sich die Treuwidrigkeitergibt, liegt beim Arbeitnehmer (Bundesarbeitsgericht 23. Mai2003-2 AZR 426/02-AP Kündigungsschutzgesetz 1969 § 1 WartezeitNummer 18). Der verfassungsrechtlich gebotene Schutz desArbeitnehmers wird durch eine abgestufte Darlegungs- und Beweislastgewährleistet. In einem ersten Schritt muss der Arbeitnehmer,soweit er die Überlegungen des Arbeitgebers, die zu seinerKündigung geführt haben, nicht kennt, lediglich einen Sachverhaltvortragen, der die Treuwidrigkeit der Kündigung nach § 242 BGBindiziert. Der Arbeitgeber muss sich sodann nach § 138 Abs. 2 ZPOim einzelnen auf diesen Vortrag einlassen, um ihn zu entkräften.Kommt der Arbeitgeber dem nicht nach, gilt der schlüssige Vortragdes Arbeitnehmers gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden (BAG16.9.2004-2 AZR 447/03-AP BGB § 611 Kirchendienst Nr. 44;21.1.2008- 6 AZR 690/07-NZA-RR 2008,397 Randnummer 27 bis 29).

bb) Diesen Anforderungen genügt der klägerische Vortrag nicht.Die darlegungspflichtige Klägerin hat zwar vorgetragen, dass dieBeklagte bei der Auswahl der zu kündigenden Mitarbeiterin dasgebotene Maß an sozialer Rücksichtnahme außer acht gelassen undstatt der Klägerin eine andere, jüngere und deutlich kürzerbeschäftigte Mitarbeiterin hätte kündigen müssen. EineAuswahlentscheidung hinsichtlich der zu kündigenden Personen istseitens der Beklagten jedoch nicht getroffen worden. Nach demVerteidigungsvorbringen der Beklagten liegt die Kündigung vielmehrin einer Unzufriedenheit mit der Arbeitsleistung der Klägerinbegründet (vgl. die Ausführungen im Schriftsatz vom 25.6.2010,insbes. Bl. 74-81 d.A.). Ob die von der Beklagten behauptetenSchlechtleistungen geeignet sind, die Kündigung sozial zurechtfertigen, bedarf keiner Entscheidung, weil die Kündigung nichtdem Kündigungsschutzgesetz unterfällt, § 23 Abs. 1Kündigungsschutzgesetz. Aus diesem Grund kommt es auch nicht daraufan, ob die Beklagte statt der ausgesprochenen Beendigungskündigungals milderes Mittel eine Änderungskündigung hätte aussprechenmüssen.

c) Die Kündigung vom 28.4.2010 ist nicht nach § 11 S. 1 TzBfGunwirksam. Danach ist die Kündigung eines Arbeitsverhältnisseswegen der Weigerung des Arbeitnehmers, von einem Vollzeit- in einTeilzeitarbeitsverhältnis oder umgekehrt zu wechseln, unwirksam.Nach § 11 S. 2 TzBfG bleibt das Recht zur Kündigung desArbeitsverhältnisses aus anderen Gründen jedoch unberührt.

Zwar trifft es zu, dass die Beklagte der Klägerin zur Vermeidungeiner Beendigungskündigung ein Änderungsangebot auf Fortsetzung desArbeitsverhältnisses in Teilzeit unterbreitet hat. Dies beruhtejedoch darauf, dass die Beklagte eine Organisationsänderung inBetracht zog, nach der die Klägerin ein "ihremLeistungsvermögen angepasstes Aufgabenprofil (Büroarbeiten, z. B.Aktenanlage und -Ablage, Kopieren, Scannen, Standardschreiben -kein Telefondienst)" übernehmen sollte. Hierfür stand nur einverringertes Arbeitsvolumen zur Verfügung. Dies zeigt, dass dieWeigerung der Klägerin das Arbeitsverhältnis in Teilzeitfortzusetzen nicht der eigentliche Grund, sondern lediglich derAuslöser für die Kündigung war, deren Berechtigung deshalb nach §11 Abs. 2 TzBfG unberührt bleibt.

d) Der Weiterbeschäftigungsantrag ist unbegründet, da dasArbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung vom 28.4.2010 zum30.11.2010 endete.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO.

IV.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, § 72 Abs. 2Arbeitsgerichtsgesetz.