OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 11.04.2011 - 2 Ss 36/11
Fundstelle
openJur 2012, 34465
  • Rkr:

Der auf den Kauflächen der Zähne getragene Mundschutz ist eine Schutzwaffe im technischen Sinne im Sinne von §§ 17 a I, 27 II Nr. 1 VersG.

Tenor

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.

Der Angeklagte ist des Mitsichführens einer Schutzwaffe bei einer sonstigen öffentlichen Veranstaltung unter freiem Himmel schuldig.

Die Sache wird hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Offenbach zurückverwiesen.

Angewendete Vorschriften: §§ 27 Abs. 2 Nr. 1, 17 a Abs. 1 VersG

Gründe

Das Amtsgericht- Strafrichter – in Offenbach hat den Angeklagten am 2. 11. 2010 vom Vorwurf des Mitsichführens einer Schutzwaffe bei einer öffentlichen Veranstaltung unter freiem Himmel (§§ 27 Abs. 2 Nr. 1, 17 a Abs. 1 Versammlungsgesetz) aus rechtlichen Gründen freigesprochen.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts führte der Angeklagte beim Besuch des DFB-Fussballpokalspiels … gegen … am …. 2009 bei der Personenkontrolle an der Gästekasse des Stadions am … in Stadt1 einen schwarzen Mundschutz im Schuh bei sich, der von einem Ordner bei der Durchsuchung aufgefunden wurde. Nach der vom Amtsgericht weiterhin zugrunde gelegten Einlassung des Angeklagten habe er – auch zum Schutz seiner Freundin - allein für den Fall, dass es aufgrund von Fanrivalitäten zu Auseinandersetzungen gekommen wäre, eine Schutzmaßnahme ergreifen wollen. Ein Einsatz gegen Vollstreckungsbeamte sei hingegen von ihm nicht beabsichtigt gewesen. Der Vorteil des - die Wirkung eines Schlages keineswegs dämpfenden - Mundschutzes liege allein darin, dass die Zähne nicht ausgeschlagen werden könnten.

Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat das Amtsgericht den Angeklagten aus rechtlichen Gründen freigesprochen, weil das Mitführen eines Mundschutzes nicht den Tatbestand des § 27 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 17 a Abs. 1 VersG erfülle, da es sich bei dem Mundschutz weder um eine Schutzwaffe noch um einen „sonstigen Gegenstand“ i. S. d. § 17 a Abs. 1 VersG handele.

Mit ihrer gegen dieses Urteil form- und fristgerecht eingelegten und ebenso begründeten Sprungrevision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts.

Die zulässige Revision hat auch in der Sache Erfolg.

Das angefochtene Urteil hält der sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht stand.

Der von dem Angeklagten bei einer „sonstigen öffentlichen Veranstaltung“ i. S. d. § 17 a Abs. 1 VersG mitgeführte Mundschutz ist entgegen der Auffassung des Amtsgerichts als Schutzwaffe im Sinn dieser Vorschrift anzusehen. Schutzwaffen im technischen Sinn sind nach ihrer Zweckbestimmung, ihren Konstruktionsmerkmalen oder ihren besonderen Eigenschaften von vornherein dazu bestimmt, dem Schutz des Körpers gegen Angriffsmittel bei kämpferischen Auseinandersetzungen zu dienen. Dazu gehören vornehmlich Schutzschilde, Panzerungen sowie Schutzwaffen aus dem polizeilichen oder militärischen Bereich oder aus dem Bereich von Kampfsportarten. In der Mitführung solcher Schutzwaffen sieht der Gesetzgeber ein sicheres und ausreichendes Indiz für offenkundige Gewaltbereitschaft (BT-Drucksache 10/3580, S. 4; Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 16. Auflage, 2010, Rdnr. 14 zu § 17 a; Erbs/Kohlhaas,Bearb. Wache, Strafrechtliche Nebengesetze, Rdnr. 3 zu § 17 a VersG). Diese Gewaltbereitschaft muss nicht sichtbar nach außen in Erscheinung treten, so dass auch unsichtbare Schutzwaffen – z.B. eine unter der Kleidung getragene Schutzweste- von dem Verbot umfasst sind (Ott, Wächter, Heinhold, Gesetz über Versammlungen und Aufzüge, 7. Auflage 2010, Rdnr. 9 zu § 17a VersG). Der hier in Rede stehende Zahnschutz, der auf den Kauflächen der Zähne getragen wird, wird bei bestimmten Kampfsportarten - etwa beim Boxen - zum Schutz der Mundpartie vor den Auswirkungen eines Schlages eines Kontrahenten eingesetzt und ist damit als Schutzwaffe i. S. d. § 17 a Abs. 1 VersG einzustufen (vgl. LG Dresden, Beschl. v. 28. 2. 2007, 3 Qs 20/07, zitiert nach juris; a.A. LG Cottbus, NStZ-RR 2007, 282). Die vom Amtsgericht vorgenommene Differenzierung, dass sich der Mundschutz lediglich zur Vermeidung schwerer Zahnverletzungen eigne, nicht jedoch eine Dämpfung der Schläge erreiche und daher keine Schutzwaffe darstelle, findet im Gesetz keine Stütze. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob das Tragen eines Mundschutzes geeignet ist, eine offenkundige stimulierende Wirkung auf andere Versammlungsteilnehmer auszuüben.

Beim Mitführen von Schutzwaffen im technischen Sinn wird Gewaltbereitschaft und damit die Gefahr unfriedlichen Verhaltens unwiderleglich vermutet. Ob der Gewahrsamsinhaber die Schutzwaffe tatsächlich bestimmungsgemäß verwenden will, ist unerheblich. Die subjektive Bestimmung zu dem Zweck, unmittelbaren Zwang „eines Trägers von Hoheitsbefugnissen“ abzuwehren, ist nur für Schutzwaffen im nichttechnischen Sinn gefordert (Dietel/Gintzel/Kniesel, a.a.O., Rdnr. 20 zu § 17 a).

Das angefochtene Urteil konnte daher keinen Bestand haben und war aufzuheben (§ 353 StPO).

Der Senat konnte den Angeklagten selbst wegen des Mitsichführens einer Schutzwaffe bei einer sonstigen öffentlichen Veranstaltung unter freiem Himmel gemäß §§ 27 Abs. 2 Nr. 1, 17 a Abs. 1 VersG schuldig sprechen. Die tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts zur objektiven und subjektiven Tatseite sind lückenlos und tragfähig, weitere Feststellungen zum Sachverhalt sind nicht zu erwarten. Der Freispruch des Amtsgerichts beruht allein auf einer rechtlich unzutreffenden Subsumtion des rechtsfehlerfrei festgestellten Sachverhalts, so dass der Senat über den Schuldspruch ausnahmsweise in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO selbst entscheiden konnte (vgl. Karlsruher Kommentar-Kuckein, StPO, 6. Auflage, Rdnr. 13 zu § 354 m. w. N.). Eine Verkürzung der Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten ist nicht zu besorgen, da das Amtsgericht keine seiner Einlassung entgegenstehenden Feststellungen getroffen hat (vgl. OLG Koblenz NStZ-RR 1998, 364 f.; Senat, Beschluss vom 13. 12. 2005, 2 Ss 288/05). Angesichts des feststehenden Sachverhalts wäre das Amtsgericht auch bei einer Zurückverweisung der Sache insgesamt unter Aufrechterhaltung der getroffenen Feststellungen an die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts durch den Senat gebunden (§ 358 Abs. 1 StPO) und hätte im Ergebnis nur noch über die Rechtsfolge zu befinden.

Lediglich zur Festsetzung der Rechtsfolge musste die Sache daher an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Offenbach zurückverwiesen werden.