Hessisches LAG, Beschluss vom 18.01.2011 - 4 Ta 487/10
Fundstelle
openJur 2012, 34031
  • Rkr:

Eine auf die Unterlassung der Durchführung einer Betriebsänderung durch den Arbeitgeber bis zum Abschluss des Beteiligungsverfahrens nach §§ 111, 112 BetrVG gerichtete einstweilige Verfügung ist regelmäßig nur befristet zu erlassen. Die Dauer der Frist ist an der Zeitspanne zu orientieren, die nach dem Stand und dem bisherigen Verlauf der Verhandlungen der Betriebsparteien voraussichtlich bei zügigem Vorgehen für den Abschluss des Beteiligungsverfahrens erforderlich sein wird. Für eine weitergehende Regelung fehlt der Verfügungsgrund.2. Eine derartige Unterlassungsverfügung kann zu einem Zeitpunkt nicht mehr erlassen werden, zu dem das Beteiligungsverfahren einschließlich der Verhandlungen in einer Einigungsstelle über den Abschluss eines Interessenausgleichs bereits hätte abgeschlossen sein können, wenn der Betriebsrat sein Recht zur Anrufung der Einigungsstelle gemäß § 112 Abs. 2 Satz 2 BetrVG unverzüglich ausgeübt hätte und erforderlichenfalls durch die Einleitung eines Bestellungsverfahrens nach § 98 ArbGG hätte durchsetzen können.

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss desArbeitsgerichts Darmstadt vom 24. August 2010 – 4 BVGa 22/10– wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren über das Vorliegen und die Durchführung einer Betriebsänderung.

Die zu 2) beteiligte Arbeitgeberin ist ein Speditionsunternehmen. Sie beschäftigt in ihrem Betrieb in A regelmäßig mehr als zwanzig Arbeitnehmer, die vom antragstellenden Betriebsrat repräsentiert werden. Teil des Betriebes ist ein Sorterband mit bis zu neun Auflagestationen, mit dem die zu verteilenden Pakete erfasst, sortiert und zu den zur Abholung bereit stehenden LKWs transportiert werden. Seit Anfang August 2010 vergab die Arbeitgeberin die Tätigkeiten am Band an einen externen Dienstleister. Der Betriebsrat sieht hierin eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung. Nachdem die Arbeitgeberin Verhandlungen über einen Interessenausgleich ablehnte, da sie die Maßnahme für mitbestimmungsfrei hält, reichte der Betriebsrat am 24. August 2010 den vorliegenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ein. Ein Verfahren auf Bestellung einer Einigungsstelle leitete keiner der Beteiligten ein.

Das Arbeitsgericht wies den Antrag ohne mündliche Verhandlung mit Beschluss vom 24. August 2010 zurück. Der Betriebsrat legte gegen den am 02. September 2010 zugestellten Beschluss am 08. September 2010 sofortige Beschwerde ein, der das Arbeitsgericht erneut ohne mündliche Anhörung durch Beschluss vom 12. Oktober 2010 nicht abgeholfen hat. Den zunächst auf den 14. Dezember 2010 anberaumten Beschwerdetermin verlegte die erkennende Kammer auf Antrag des Betriebsrats auf den 18. Januar 2011.

Der Betriebsrat hält an seiner Auffassung fest, dass eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung vorliege und beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 24. August 2010 – 4 BVGa 22/10 – abzuändern und der Beteiligten zu 2) aufzugeben, die Fremdvergabe von Tätigkeiten in der Abteilung Übernahme/Umschlag aufzuheben.

II.

Die sofortige Beschwerde ist nicht begründet. Es kann dahinstehen, ob ein Verfügungsanspruch besteht. Dem Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung steht jedenfalls entgegen, dass zumindest inzwischen kein Verfügungsgrund mehr vorliegt.

Aufgrund der Verweisung in § 85 Abs. 2 Satz 2 ArbGG setzt auch im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren der Erlass einer einstweiligen Verfügung das Vorliegen eines Verfügungsgrundes voraus. Daher muss eine mit einer einstweiligen Verfügung angestrebte Regelung eines vorläufigen Zustands zur Abwendung wesentlicher Nachteile für den Antragsteller erforderlich sein (§ 940 ZPO). Dies ist regelmäßig dann nicht (mehr) der Fall, wenn der Antragsteller die Möglichkeit hat bzw. hatte, seine Rechtsposition mit Hilfe eines Hauptsacheverfahrens durchzusetzen (vgl. etwa Hess. LAG 22.10.1998 – 15 Ta 577/98NZA-RR 1999/606, zu II).

Dies gilt auch für den in der ständigen Rechtsprechung der Kammer (vgl. etwa LAG Frankfurt/Main 21.09.1982 – 4 TaBV 94/82 – DB 1983/613; 06.04.1993 – 4 TaBV 45/93 – LAGE BetrVG 1972 § 111 Nr. 12, zu II 2; Hess. LAG 27.06.2007 – 4 TaBVGa 137/07 – AuR 2008/267, zu III 3 b; 19.01.2010 – 4 TaBVGa 3/10 – LAGE BetrVG 2001 § 111 Nr. 10, zu II) anerkannten Anspruch eines Betriebsrats gegen den Arbeitgeber, die Durchführung einer Betriebsänderung zu unterlassen, solange das Unterrichtungs- und Beteiligungsverfahren nach §§ 111, 112 BetrVG nicht vollständig abgeschlossen ist. Dieser Anspruch ist kein Selbstzweck, sondern dient der Sicherung des Beteiligungsverfahrens. Daher ist eine derartige einstweilige Verfügung regelmäßig nur befristet zu erlassen. Die Bemessung der Frist ist an der Zeitspanne zu orientieren, die nach dem Stand und dem bisherigen Verlauf der Verhandlungen der Betriebsparteien voraussichtlich bei zügigem Vorgehen für den Abschluss des Beteiligungsverfahrens unabhängig von dessen Ausgang erforderlich sein wird, d. h. ggf. bis zum Abschluss eines Interessenausgleichs oder bis zum Scheitern der Verhandlungen in der Einigungsstelle gemäß § 112 Abs. 2 BetrVG. Für eine über diesen Zeitpunkt hinausgehende vorläufige Regelung fehlt regelmäßig der Verfügungsgrund, da der Betriebsrat die Möglichkeit hat, durch das zügige Betreiben des Mitbestimmungsverfahrens seine Beteiligungsrechte zu wahren (Hess. LAG 27.06.2007 a. a. O., zu III 3 c). Dementsprechend kann eine einstweilige Verfügung mangels Verfügungsgrund zu einem Zeitpunkt nicht mehr erlassen werden, zu dem das Beteiligungsverfahren einschließlich der Verhandlungen in einer Einigungsstelle über den Abschluss eines Interessenausgleichs bereits hätte abgeschlossen sein können, wenn der Betriebsrat sein Mitbestimmungsrecht erforderlichenfalls durch die Einleitung eines Bestellungsverfahrens nach § 98 ArbGG hätte durchsetzen können.

Dies ist hier der Fall. Dem Betriebsrat waren die Umstände, die er als mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung betrachtet, spätestens Mitte August 2010 bekannt. Daher war er in der Lage, dies in der Antragsschrift vom 24. August 2010, mit der er das vorliegende Verfahren einleitete, dezidiert darzulegen. Dementsprechend wäre er bereits zu diesem Zeitpunkt ebenfalls in der Lage gewesen, ein Bestellungsverfahren nach § 98 ArbGG einzuleiten, in dem sein Antrag gemäß § 98 Abs. 1 Satz 2 ArbGG ohnehin nur auf dessen offensichtliche Unbegründetheit hin zu überprüfen gewesen wäre. Ein derartiges Verfahren wäre erstinstanzlich binnen vier Wochen, also noch im September 2010, abzuschließen gewesen (§ 98 Abs. 1 Satz 6 ArbGG). Ein sich daran anschließendes Beschwerdeverfahren, für das die erkennende Kammer nach der Geschäftsverteilung des Hessischen Landesarbeitsgerichts ebenfalls zuständig gewesen wäre, hätte etwa weitere eineinhalb Monate in Anspruch genommen. Damit hätte im Fall der Antragstattgabe die Einigungsstelle Anfang oder spätestens Mitte November 2010 tätig werden können. Aller Voraussicht nach hätte das Mitbestimmungsverfahren daher noch im November, spätestens aber Anfang Dezember 2010, abgeschlossen sein können. Aus diesem Grund besteht jedenfalls inzwischen kein Verfügungsgrund mehr.

Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass es Sache der Arbeitgeberin gewesen wäre, das Beteiligungsverfahren einzuleiten. Die Arbeitgeberin hatte dazu – auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung, dass keine Betriebsänderung vorliege, konsequent – keine Veranlassung. Der Betriebsrat hatte nach § 112 Abs. 2 Satz 3 BetrVG ebenso wie die Arbeitgeberin die Möglichkeit, auf der Grundlage der ihm bekannten Tatsachen die Einigungsstelle anzurufen. Da er diese Möglichkeit, eine endgültige mitbestimmte Regelung herbeizuführen, nicht ergriffen hat, ist es ihm verwehrt, weiterhin die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung durch eine einstweilige Verfügung geltend zu machen.