Hessisches LAG, Urteil vom 28.01.2011 - 3 Sa 960/10
Fundstelle
openJur 2012, 34029
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des ArbeitsgerichtsKassel vom 01. April 2010 – 1 Ca 130/09 – wird auf ihreKosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin gegen dieBeklagte einen Schadensersatzanspruch wegen der Zahlung vonBeträgen hat, welche sie zur Abwehr der Zwangsvollstreckung auseinem vorläufig vollstreckbaren Urteil geleistet hat.

Die Beklagte war in der Zeit von 7. Februar 1995 bis zum 31.Dezember 2007 bei der Klägerin bei einem Bruttomonatsgehalt von4.018,11 € beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand derTVöD Anwendung. Die Klägerin kündigte das Arbeitsverhältnis mit derBeklagten mit Schreiben vom 25. April 2007 zum 31. Dezember 2007.Ferner kündigte sie das Arbeitsverhältnis mit weiterem Schreibenvom 28. Juni 2007 außerordentlich und hilfsweise fristgerecht zum31. Dezember 2007.

Die Beklagte hat vor dem Arbeitsgericht Kassel - 5 Ca 193/07-Kündigungsschutzklage gegen beide Kündigungen erhoben. DasArbeitsgericht hat mit Urteil vom 26. September 2007 festgestellt,dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die Kündigungvom 25. April 2007 noch durch die Kündigung vom 28. Juni 2007beendet worden ist.

In einem weiteren Prozess hat die Beklagte für den Zeitraum vonJuli 2007 bis April 2008 Annahmeverzugsansprüche gegenüber derKlägerin vor dem Arbeitsgericht Kassel - 3/4 Ca 213/07 - geltendgemacht. Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 15. Mai 2008 derKlage für den Zeitraum von Juli 2007 bis April 2008stattgegeben.

Nach Zustellung der abgekürzten vollstreckbaren Ausfertigung desUrteils des Arbeitsgerichts Kassel vom 15. Mai 2008 forderte dieBeklagte die Klägerin mit Schreiben des Prozessbevollmächtigten derBeklagten vom 23. Juni 2008 zur Zahlung der Annahmeverzugsansprüchezur Vermeidung der Zwangsvollstreckung auf. Daraufhin zahlte dieKlägerin an die Beklagte für Juli 2007 bis April 2008 jeweils4.018,11 € brutto monatlich unter Berücksichtigung desUmstandes, dass die Beklagte zumindest in den Monaten Januar bisApril 2008 teilweise Arbeitslosengeld bezogen hat. Die Zahlungerfolgte, wie der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schreibenvom 1. Juli 2008 (Bl. 36 d. A.) klarstellte, unter dem Vorbehaltder Rückforderung.

Die Klägerin hat gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel indem Kündigungsrechtsstreit 5 Ca 193/07 Berufung zum HessischenLandesarbeitsgericht eingelegt. Mit Urteil vom 31. Oktober 2008 - 3Sa 1637/07 – hat das Hessische Landesarbeitsgerichtfestgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien aufGrund der Kündigung der Klägerin vom 28. Juni 2007 mit Ablauf des31. Dezember 2007 geendet habe. Im Übrigen ist dieKündigungsschutzklage abgewiesen worden. Die Revision ist nichtzugelassen worden. Die Beklagte hat Nichtzulassungsbeschwerde zumBAG eingelegt.

Die Klägerin forderte die Beklagte erfolglos mit Schreiben vom19. Dezember 2008 (Bl. 37 d. A.) zur Rückzahlung der geleistetenVergütung für die Monate Januar bis April 2008 in Höhe von16.072,44 € auf.

Die Beklagte hat auch Berufung gegen das Urteil desArbeitsgerichts Kassel 3/4 Ca 213/07 betreffend dieLohnzahlungsklage eingelegt. Das Hessische Landesarbeitsgericht hatmit Urteil vom 19. Juni 2009 - 3 Sa 1006/08 - festgestellt, dassder Beklagten ein Anspruch auf Vergütungszahlung lediglich für denZeitraum bis 31. Dezember 2007 zustehe. Die Klage im Hinblick aufdie Vergütungszahlungen für die Monate Januar bis April 2008 istabgewiesen worden. Dieses Urteil wurde der Klägerin am 19. August2009 zugestellt.

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten in demKündigungsrechtsstreit ist vom Bundesarbeitsgericht mit Beschlussvom 15. Mai 2009 - 2 AZN 1141/08 - als unzulässig verworfen worden.Dieser Beschluss ist bei der Klägerin am 28. Mai 2009eingegangen.

Mit bei dem Gericht am 15. Dezember 2009 eingegangener und derBeklagten am 18. Dezember 2009 zugestellter Klageschrift hat dieKlägerin Zahlung von 16.147,28 € für den Zeitraum Januar 2008bis April 2008 geltend gemacht.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass sie gegenüberder Beklagten einen Anspruch auf Rückerstattung des überzahltenLohnes bzw. auf Abtretung der Rückzahlungsansprüche gegenüber denSozialversicherungsträgern und dem Finanzamt aus ungerechtfertigterBereicherung habe. Sie hat ferner gemeint, dass der Anspruch auchnicht verfallen sei. Es würden Zweifel bestehen, dass auf den hierstreitigen Rückzahlungsanspruch die Ausschlussfrist des § 37 Abs. 1TVöD Anwendung fände. Es handele sich hier nicht um einen Anspruchaus dem Arbeitsverhältnis, sondern um einen Rückforderungsanspruchaus einem Zwangsvollstreckungsverhältnis der Parteien. Sie hatferner die Auffassung vertreten, dass es treuwidrig sei, wenn sichdie Beklagte auf die Ausschlussfrist berufe. Denn die Klägerin habein der Vergangenheit gemessen an der prozessualen Situation stetsalles Erforderliche veranlasst. Sie habe bereits mit Schreiben vom19. Dezember 2008 den Rückerstattungsanspruch geltend gemacht. DieProzessbevollmächtigten der Beklagten hätten mit Schreiben vom 9.Januar 2009 darum gebeten, den Rückforderungsanspruch zunächstzurückzustellen und den Ausgang desNichtzulassungsbeschwerdeverfahrens abzuwarten. Dieser Bitte habedie Klägerin dann entsprochen. Die Ausschlussfrist sei zudemgewahrt, nachdem das Bundesarbeitsgericht erst mit Beschluss vom15. Mai 2009 die Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen habe. Sieverweist auch darauf, dass das Hessische Landesarbeitsgericht dieweiter gehenden Vergütungsansprüche erst mit Urteil vom 19. Juni2009 zurückgewiesen habe.

Sie hat schließlich behauptet, dass die Beklagte 2.703,76 €netto erhalten habe. Ferner habe sie, die Klägerin, 4.487,56 €an das Finanzamt, 3.370,00 € Arbeitnehmeranteile zurSozialversicherung an die Einzugsstelle sowie schließlich 5.716,80€ an die C für D gezahlt. An zu Unrecht entrichtete Zinsenmüsse die Beklagte 74,84 € netto erstatten.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 16.072,74 € bruttosowie einen weiteren Betrag i. H. v. 74,84 € netto nebstZinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatzseit dem 18. Dezember 2009 zu zahlen;

hilfsweise

2. die Beklagte zu verurteilen, an sie 12.881,76 € nettonebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligenBasiszinssatz seit dem 18. Dezember 2009 zu zahlen;

3. die Beklagte zu verurteilen, ihre Erstattungsansprüchegegenüber der Krankenversicherung in Höhe von insgesamt 1.166,40€, der Pflegeversicherung i. H. v. 158,40 €, derRentenversicherung i. H. v. 1.664,68 € und derArbeitslosenversicherung i. H. v. 276,04 € an sieabzutreten.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Meinung vertreten, dass die Klägerin keinen Anspruchauf Rückerstattung der Vergütungszahlungen habe. Der Anspruch seinämlich verfallen. Auf das Arbeitsverhältnis würde die tariflicheAusschlussfrist von sechs Monaten zur Anwendung gelangen. Auf dieKenntnis des Arbeitgebers würde es nicht ankommen. DieRückforderungsansprüche seien am 31. Januar, 28. Februar, 31. Märzsowie 30. April 2008 entstanden. Die Verfallswirkung sei demnachspätestens am 31. Oktober 2008 eingetreten. Das Anspruchsschreibenvom 19. Dezember 2008 sei demnach verspätet gewesen. Selbst wennman für die Fälligkeit der Ansprüche auf den Zeitpunkt abstellenwollte, in dem der Kündigungsrechtsstreit durch den Beschluss desBAG über die Nichtzulassungsbeschwerde am 15. Mai 2009rechtskräftig entschieden worden sei, wäre das Anspruchschreibender Klägerin vom 19. Dezember 2008 verfrüht gewesen und könntedemnach auch nicht die Ausschlussfrist wahren. Sie hat fernergemeint, dass sie sich auf den Wegfall der Bereicherung berufenkönne. Das ursprünglich Erlangte sei nicht mehr vorhanden. Sie habedie Nettovergütung in Form erhaltenen Arbeitslosengeldes vonangeblich 5.716,80 € und die zusätzlich von der Klägeringezahlte Nettovergütung von angeblich 2.703,76 € für dieprivate Lebensführung verbraucht, es seien keine Vermögenswertegeschaffen worden, die noch vorhanden seien. Bezüglich derSozialversicherungsbeträge hat sie gemeint, dass eine aufgedrängteBereicherung vorliege. Hinsichtlich der Steuern müsse sich dieKlägerin an das Finanzamt halten. Sie sei insoweit nicht passivlegitimiert.

Mit Urteil vom 1. April 2010 hat das Arbeitsgericht Kassel derKlage nach dem Hauptantrag stattgegeben. Der Anspruch sei gemäß §717 Abs. 2 ZPO begründet. Die Voraussetzungen für einen solchenSchadensersatzanspruch würden vorliegen. Die Klägerin könne von derBeklagten Zahlung der jeweils für die Monate Januar bis April 2008gezahlten 4.018,11 € nebst Zinsen i. H. v. 74,84 €verlangen. Sie sei auch nicht darauf zu verweisen, dass sieanstelle des gesamten Betrages die Abtretung der Ansprüchegegenüber dem Finanzamt bzw. der Sozialversicherung geltend machenmüsse. Der Schadensersatz aus § 717 Abs. 2 ZPO würde auch diegezahlten Steuern und die abgeführten Arbeitnehmeranteile zurSozialversicherung umfassen. Schließlich sei der Anspruch auchnicht nach § 37 TVöD verfallen. Die Ansprüche seien erst mitVerkündung des Urteils des Hessischen Landesarbeitsgerichts am 19.Juni 2009 „fällig“ im Sinne von § 37 TVöD geworden.Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Urteils desArbeitsgerichts Kassel wird verwiesen auf Bl. 41 – 54 d.A.

Dieses Urteil ist der Beklagten am 27. Mai 2010 zugestelltworden. Mit bei dem Hessischen Landesarbeitsgericht am 25. Juni2010 eingegangenen Schriftsatz hat sie Berufung eingelegt. Nachdemdie Frist zur Begründung der Berufung bis zum 27. August 2010verlängert worden war, hat sie mit bei Gericht an diesem Tageingegangenen Schreiben die Berufung auch begründet.

Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass derSchadensersatzanspruch nach § 717 Abs. 2 ZPO gemäß der tariflichenAusschlussfrist verfallen sei. Das Arbeitsgericht habe zu Unrechtauf den Fälligkeitseintritt am 19. Juni 2009 abgestellt. Es habe inseinen Entscheidungsgründen letztlich auf die Kenntnisnahme derAnspruchsberechtigung der Klägerin abgestellt. Dabei sei esfehlerhaft vorgegangen. Die Klägerin habe bereits mit dem Beschlussdes Bundesarbeitsgerichts vom 15. Mai 2009 erfahren, dass ihrnunmehr auch Rückzahlungsansprüche zustünden. Denn mit derFeststellung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.Dezember 2007 sei denknotwendig der Wegfall derVergütungsverpflichtung ab Januar 2008 verbunden gewesen. Ausgehendvon dem Fälligkeitsbeginn am 15. Mai 2009 sei die tariflicheVerfallsfrist bereits am 15. November 2009 abgelaufen gewesen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 1. April 2010, 1 Ca130/09, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und vertritt dieAuffassung, dass der gesetzliche Schadensersatzanspruch aus § 717Abs. 2 ZPO aus dem Urteil abgeleitet werde, aus dem dieZwangsvollstreckung betrieben werde. Da dieses Urteil durch das am19. Juni 2009 verkündete Urteil des HessischenLandesarbeitsgerichts - 3 Sa 1006/08 - abgeändert worden sei, seidie Ausschlussfrist gewahrt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringenswird ergänzend Bezug genommen auf sämtliche gewechseltenSchriftsätze nebst Anlagen sowie auf dieSitzungsniederschriften.

Gründe

Die Berufung ist zulässig, hat in der Sache aber keinenErfolg.

I. Die Berufung ist zulässig. Sie begegnet hinsichtlich desWertes des Beschwerdegegenstandes keinen Bedenken und ist daherstatthaft (§§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 b) ArbGG). Sie wurde auch form-und fristgerecht eingereicht (§§ 519, 520 Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 5ZPO, 66 Abs. 1, 1. Alt. ArbGG). Schließlich wurde sie innerhalb derauf rechtzeitigen Antrag hin bis zum 27. August 2010 verlängertenBerufungsbegründungsfrist auch begründet (§ 66 Abs. 1 S. 1, 2.Alt., Abs. 1 S. 5 ArbGG).

II. Die Berufung ist allerdings unbegründet.

Das Arbeitsgericht hat dem Hauptantrag der Klägerin zu Rechtstattgegeben. Der Anspruch auf Zahlung von 16.072,44 € bruttosowie von 74,84 € netto ergibt sich aus § 717 Abs. 2 ZPO.

1. Nach § 717 Abs. 2 S. 1 ZPO, der gemäß § 62 Abs. 2 S. 1 ArbGGauch im arbeitsgerichtlichen Verfahren Anwendung findet, ist derKläger zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der dem Beklagtendurch die Zwangsvollstreckung des Urteils oder durch eine zurAbwendung der Zwangsvollstreckung gemachten Leistung entstandenist, wenn ein für vorläufig erklärtes Urteil aufgehoben oderabgeändert wird. Bei § 717 Abs. 2 S. 1 ZPO handelt es sich um eineverschuldensunabhängige Haftung. Es ist lediglich Voraussetzung,dass ein für vorläufig vollstreckbares Urteil aufgehoben bzw.abgeändert wurde, der Gläubiger des vorläufig vollstreckbarenTitels die Vollstreckung aus diesem betrieben hat oder derSchuldner des vorläufig vollstreckbaren Titels zur Abwendung derZwangsvollstreckung eine Leistung erbracht hat und dass dadurchadäquat kausal ein Schaden bei dem Schuldner eingetreten ist(BAG 18.12.2008 – 8 AZR 105/05 – AP Nr. 9 zu § 717ZPO).

2. Die Voraussetzungen für einen solchen Schadensersatzanspruchliegen im Streitfalle vor.

a) Die Leistung erfolgte aufgrund eines vorläufigvollstreckbaren Urteils, das später abgeändert wurde. Daserstinstanzliche Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 15. Mai2008, mit dem die Klägerin verurteilt worden war, an die damaligeKlägerin Vergütung i. H. v. jeweils 4.018,11 € monatlich fürdie Zeit von Juli 2007 bis April 2008 zu zahlen, war nach § 62 Abs.1 S. 1 ArbGG vorläufig vollstreckbar. Dieses Urteil ist durchUrteil des Hessischen Landesarbeitsgerichtes vom 19. Juni 2009 -3Sa 1006/08 - teilweise abgeändert worden, wobei zugrunde gelegtwurde, dass ein Vergütungsanspruch der Beklagten nur für denZeitraum bis 31. Dezember 2007 bestand. Die Vergütungsansprüche fürden Zeitraum Januar bis April 2008 wurden abgewiesen.

b) Die Beklagte hat durch die Leistung der Klägerin wegen deserstinstanzlichen Urteils 16.072,44 € brutto erlangt.

Die Klägerin hat im Einzelnen dargelegt, welche Steuern undwelche Arbeitnehmeranteile für die Sozialversicherung zu Gunstender Klägerin abgeführt wurden. Von diesen Beträgen ist hierauszugehen. Ein Bestreiten mit Nichtwissen ist im vorliegenden Fallnach § 138 Abs. 4 ZPO nicht zulässig. Durch die Abführung vonSteuern (vgl. §§ 38, 41a EStG) hat die Klägerin eine eigene Schuldder Beklagten getilgt. Der Arbeitnehmer bleibt letztlich derSteuerschuldner. Nichts anderes gilt auch für dieArbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung. Zwar ist auch derArbeitgeber Schuldner des gesamten Sozialversicherungsbeitragesgegenüber der Einzugsstelle (§ 28 e SGB IV). § 28 e Abs. 1 SGB IVregelt aber nur die Zahlungspflicht, nicht dagegen, wer letztlichfinanziell belastet wird, also den Betrag „zu tragenhat“. Dies ist der Arbeitnehmer, den in demArbeitnehmeranteil liegenden Vermögenswert erlangt damit auch derArbeitnehmer (BAG 29.03.2001 – 6 AZR 653/99 – APNr. 1 zu § 26 SGB IV). Es wäre der Beklagten vor diesemHintergrund ohne weiteres möglich und auch zumutbar gewesen, sichüber die Höhe der zu ihren Gunsten getätigten Zahlungen zuerkundigen. Dass sie für den Zeitraum Januar bis April 2008tatsächlich auch Nettoleistungen erhielt, hat sie nicht in Abredegestellt. Mit der Berufung sind diesbezügliche Rügen auch nichtweiter erhoben worden.

c) Es ist auch davon auszugehen, dass die damalige Schuldnerinund jetzige Klägerin diesen Betrag „zur Abwendung derZwangsvollstreckung“ zahlte. Dass schon einzelneZwangsvollstreckungsmaßnahmen eingeleitet wurden, ist nichterforderlich. Wesentlich ist, dass sich der Schuldner demVollstreckungsdruck beugt. Es kann im vorliegenden Fall keinZweifel bestehen, dass die Zahlungen nur unter dem Druck derunmittelbaren bevorstehenden Zwangsvollstreckung erfolgten. Diesergibt sich ohne weiteres aus der zwischen denProzessbevollmächtigten der Parteien gewechselten Korrespondenz.Mit Schreiben vom 23. Juni 2008 wurde die Schuldnerin und jetzigeKlägerin aufgefordert, zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung dieAnsprüche aus dem Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 15. Mai2008 - 3/4 Ca 213/07 - freiwillig zu erfüllen. Mit Schreiben vom 1.Juli 2008 erwiderte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin, dasseine Zwangsvollstreckung nicht nötig sei, dass aber die Zahlungenunter dem Vorbehalt der Rückforderung erfolgen würden.

d) § 717 Abs. 2 ZPO sieht als Rechtsfolge den Ersatz des durchdie unrechtmäßige Zwangsvollstreckung entstandenen Schaden vor. Esgelten die §§ 249 ff. BGB. § 717 Abs. 2 ZPO gewährt einenmateriellrechtlichen Anspruch auf Schadensersatz, nicht aufHerausgabe der Bereicherung. Er setzt daher nicht voraus, dass derGläubiger durch die Vollstreckung etwas erlangt hat. Der Anspruchgeht auf Ersatz des vollen Vollstreckungsschadens, wobei lediglichinadäquate Geschehensabläufe und außerhalb des Schutzzwecks derNorm liegende Schadensereignisse auszuscheiden sind (BAG25.09.2003 – 8 AZR 427/02 – AP Nr. 8 zu § 717 ZPO; A/B,ZPO, 3. Auflage, § 717 Rz. 18).

aa) Direkt erlangt hat die Beklagte die 2.703,76 € netto.Diesen Betrag hat sie unproblematisch zu erstatten.

bb) Die Beklagte ist auch zum Ersatz der 5.716,80 €verpflichtet, die die Klägerin an Arbeitslosengeld an die C für Dgezahlt hat. Soweit ein Anspruch auf Arbeitsentgelt nicht erfülltwird und deshalb ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat,geht der Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber nach §115 SGB X auf den Leistungsträger über. Die Klägerin war daherverpflichtet, an die C für D 5.717,80 € zu zahlen. In dieserHöhe ist ihr ein ersatzfähiger Schaden erstanden.

cc) Des Weiteren kann die Klägerin gezahlte Lohn- undKirchensteuer in Höhe von 4.281,88 € sowie 205,68 €Solidaritätszuschlag erstattet verlangen. DerSchadensersatzanspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO umfasst bei einem zurAbwendung der Zwangsvollstreckung gezahlten Entgeltbetrag auch dievon dem Arbeitgeber für den Arbeitnehmer gezahlten Steuerneinschließlich des Solidaritätszuschlages (BAG 18.12.2008– 8 AZR 105/08 – aaO, unter B I 2. b der Gründe).Für die Verpflichtung der Klägerin, Steuern abzuführen, warlediglich entscheidend, dass der Beklagten von Januar bis April2008 Arbeitsentgelt zugeflossen war. Auf Grund dieses Umstandes wardie Klägerin gemäß § 38 Abs. 1 EStG verpflichtet, die Lohnsteuerabzuführen. Die Zahlung des Lohns wiederum war durch die angedrohteZwangsvollstreckung aus dem erstinstanzlichen Urteil vom 15. Mai2008 bedingt.

dd) Im Rahmen von § 249 Abs. 1 BGB kann die Klägerin auch dieArbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung in Höhe von 3.370,00€ erstattet verlangen.

Richtig ist zunächst jedoch, dass bei einer Rückabwicklung nachBereicherungsrecht im Falle überzahlten Lohns der Arbeitgebergrundsätzlich gehalten ist, sich den dem Arbeitnehmer zustehendenErstattungsanspruch nach § 26 Abs. 2 SGB IV im Hinblick auf dieArbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung abtreten zu lassen. AlsRechtsfolge sieht § 818 Abs. 1 BGB die Herausgabe des Erlangtenvor. Dies ist der dem Arbeitnehmer nach dem Sozialrecht im Falleunberechtigter Abführung von Arbeitnehmeranteilen entstandeneErstattungsanspruch. Die Rückabwicklung über die„Abtretungslösung“ wird für das Bereicherungsrecht ganzüberwiegend vertreten (vgl. hierzu BAG 29.03.2001 – 6 AZR653/99 – AP Nr. 1 zu § 26 SGB IV; E, BB 2010, 2629, 2634;F/G, Personalbuch, 17. Auflage, Stichwort: Entgeltrückzahlung Rz.12).

Diese Gründsätze sind auf die Rückabwicklung nach § 717 Abs. 2ZPO aber nicht zu übertragen. Denn hierbei handelt es sich, wiebereits oben dargelegt, um einen Schadensersatzanspruch, der aufdie Wiederherstellung des früheren Zustandes gerichtet ist. Daherist § 717 Abs. 2 ZPO auch nicht auf den Nettobetrag beschränkt, derAnspruch geht auf den Ersatz des vollen Vollstreckungsschadens,ohne dass es darauf ankommt, was der Arbeitnehmer„erlangt“ hat (BAG 25.09.2003 – 8 AZR 427/02– aaO.). Es ist daher richtig, wenn der Arbeitgeber imRahmen von § 717 Abs. 2 ZPO auch die zu Gunsten des Arbeitnehmersabgeführten Arbeitnehmeranteile zu Sozialversicherung direkt vomArbeitnehmer zurück verlangen kann (ebenso LAG Rheinland- Pfalz09.07. 2009 – 10 Sa 112/09 – H RS 2010 65218). DieEntscheidung des BAG vom 18.12.2008 – 8 AZR 105/08 –(aaO.) steht nicht entgegen. Zwar wurde dort derSchadensersatzanspruch bezüglich der Arbeitnehmeranteile zurSozialversicherung im Rahmen von § 717 Abs. 2 ZPO verneint. ImUnterschied zu der hier vorliegenden Sacheverhaltskonstellationbestand in dem dortigen Fall für den im Streit stehenden Zeitraumdas Arbeitsverhältnis allerdings noch fort. Demnach bestand auchein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne der§§ 7 ff. SGB IV, sodass der Arbeitgeber in jeden Fall auch dengesamt Sozialversicherungsbeitrag abzuführen hatte. Im vorliegendenFall steht allerdings fest, dass das Arbeitsverhältnis zum 31.Dezember 2007 geendet hat. In dem hier gegenständlichen ZeitraumJanuar bis April 2008 bestanden kein Arbeitsverhältnis und auchkein sozialversicherungsrechtliches Beschäftigtenverhältnis mehrfort.

ee) Zu dem der Klägerin entstandenen Schaden nach § 249 Abs. 1BGB zählen auch die zu Unrecht entrichteten Zinsen. Diesen Schadenhat sie, ohne dass dies substantiiert bestritten wurde, mit 74,84€ beziffert.

e) Schließlich ist der Anspruch auch nicht nach § 37 Abs. 1 TVöDverfallen.

aa) Der Beklagten ist zunächst zuzugestehen, dass es sich beidem streitgegenständlichen Anspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO um einen„Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis“ im Sinne dertariflichen Norm handelt. Nach ständiger Rechtssprechung des BAGfallen unter die „Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis“im Sinne einer tariflichen Ausschlussfrist grundsätzlich alledenkbaren Ansprüche, die mit dem Arbeitsverhältnis im Zusammenhangstehen. Es kommt nur darauf an, ob der betreffende Lebensvorgangeine enge Verknüpfung mit dem Arbeitsverhältnis aufweist (BAG13. Dezember 2007 – 6 AZR 222/07 – AP Nr. 53 zu § 242unzulässige Rechtsausübung – Verwirkung; BAG 18.12.2008– 8 AZR 105/05 – aaO.). Dies ist auch imvorliegenden Fall zu bejahen.

bb) Die Verfallfrist greift allerdings nicht ein, da derSchadensersatzanspruch rechtzeitig mit bei Gericht am 15. Januar2009 eingegangener Klage, zugestellt am 18. Januar 2009, geltendgemacht wurde.

Für den Beginn der Ausschlussfrist kommt es auf die Fälligkeitdes Anspruches an. Die Fälligkeit setzt das Entstehen des Anspruchsvoraus. Der Anspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO entsteht grundsätzlicherst mit Aufhebung bzw. Abänderung des vorläufig vollstreckbarenTitels, aus dem die Zwangsvollstreckung betrieben wird. Durch § 717Abs. 2 ZPO soll gewährleistet werden, dass derjenige, der auf Grundeines vorläufig vollstreckbaren Urteils in Anspruch genommen wordenist, die zur Abwehr der Vollstreckung erbrachte Leistung nachAufhebung des Titels sogleich zurück erhält. Die Fälligkeit trittvor diesem Hintergrund erst dann ein, wenn über den Anspruch, derGegenstand des vorläufig vollstreckbaren Titels war, einerechtskräftige Entscheidung ergangen ist (BAG 18.12.2008– 8 AZR 105/08, aaO, unter II. 3. d der Gründe).

Grundlage der Zwangsvollstreckung war im vorliegenden Fall dasUrteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 15. Mai 2008 - 3/4 Ca 213/07-. Dieses Urteil wurde mit dem am 19. Juni 2009 verkündeten Urteildes Hessischen Landesarbeitsgerichts - 3 Sa 1006/08 - abgeändert.Gegen dieses Urteil hat die Beklagte kein weiteres Rechtsmittelmehr eingelegt. Es wurde daher mit Ablauf der einmonatigen Notfristfür die Einreichung der Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 72 a Abs.2 ArbGG rechtskräftig. Dieses Urteil wurde der Klägerin am 19.August 2009 zugestellt, sodass Rechtskraft des Urteils am 19.September 2009 eintrat. Vor diesem Hintergrund hat die Klägerin mitihrer Klage vom 14. Dezember 2009, der Beklagten am 18. Dezember2009 zugestellt, die Ansprüche fristwahrend geltend gemacht.

Soweit die Beklagte in der Berufungsschrift die Auffassungvertritt, dass für den Beginn der Frist auf den ablehnendenBeschluss des Bundesarbeitsgerichtes über dieNichtzulassungsbeschwerde vom 15. Mai 2009 abzustellen sei, kanndem nicht gefolgt werden. Der Beklagten ist zwar darin Recht zugeben, dass zu diesem Zeitpunkt an sich fest stand, dass dasArbeitsverhältnis zum 31. Dezember 2007 beendet war. Legt man dieszu Grunde, bestünde für den Zeitraum ab Januar 2008 auch keineGrundlage mehr für die Zahlung von Lohnansprüchen. Dadurch bestehtim vorliegenden Fall indes keine Veranlassung, von den obigenGrundsätzen abzuweichen. Denn die Sichtweise der Beklagtenberücksichtigt den systematischen Zusammenhang zwischen § 717 Abs.2 ZPO und dem vorläufig vollstreckbaren Urteil, welches dieGrundlage der Zwangsvollstreckung bildet, nicht hinreichend. Derspezielle gesetzliche Schadensersatzanspruch, der an eine erst imNachhinein sich als unbegründet erweisende Zwangsvollstreckunganknüpft, entsteht überhaupt erst mit der rechtskräftigenAbänderung der erstinstanzlichen Entscheidung, aus der dieZwangsvollstreckung betrieben wird. Es ist zudem sachgerecht, andiesen Zeitpunkt anzuknüpfen, da ein solch fester Bezugspunktletztlich auch der Rechtssicherheit dient. DerVollstreckungsschuldner muss in Ruhe abwarten dürfen, bis eineendgültige Klärung der Frage herbeigeführt ist, ob das Urteil, ausdem die Zwangsvollstreckung betrieben wird, Bestand hat odernicht.

III. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1ZPO. Die Beklagte hat als unterlegene Partei die Kosten desBerufungsverfahrens zu tragen.

Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision liegt nach§ 72 Abs. 2 ArbGG nicht vor.