LG Saarbrücken, Urteil vom 28.01.2009 - 4 O 148/08
Fundstelle
openJur 2009, 114
  • Rkr:
Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreites trägt der Kläger.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht zuvor das beklagte Land Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger hat am 26.09.2007 gegen 8:00 Uhr in ... einen Unfall erlitten, als er mit seinem Motorrad die ..., welche in der Verkehrssicherungspflicht des Beklagten Landes steht, in Richtung ... befahren hat.

Der Kläger ist mit seinem Motorrad zu Fall gekommen als er im Kurvenbereich, etwa in Höhe des Anwesens ..., auf glatten Straßenbahnschienen ins Rutschen gekommen ist. Im Unfallbereich queren die Straßenbahnschienen die Fahrbahn.

Der Kläger meint, dass das beklagte Land für seinen Unfall hafte. Bei seinem Unfall habe sich die erhebliche Gefahr realisiert, welche von Straßenbahngleisen in nassen Zustand für Motorradfahrer ausgehe. Das beklagte Land habe - nach Meinung des Klägers - geeignete Maßnahmen zur Verhinderung solcher Unfälle treffen müssen.

Erst ca. 15-20 m vor der Stelle, wo die Gleise in die Fahrbahn einschwenken wird durch das Verkehrszeichen 101 (Gefahrenstelle mit dem Zusatzschild "Gleise") hingewiesen, wobei der Kläger meint, dass es sich hierbei um einen zu geringen Abstand zwischen dem Warnschild und dem gefährlichen Bereich handele, zumal in diesem Straßenbereiche "eine Geschwindigkeit von 50 km/h erlaubt" sei.

Der Kläger meint weiter, dass das beklagte Land verpflichtet gewesen sei, für Motorradfahrer, ebenso wie für Radfahrer und Mofafahrer geschehen, eine Umleitung zu empfehlen.

Der Kläger macht mit seiner Klage Schadenersatz (Sachschäden, Attestkosten, Haushaltsführungsschaden) und ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 1500 € geltend und begehrt die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden.

Der Kläger beantragt,

1. das beklagte Land zu verurteilen, an ihn einen Betrag in Höhe von 4432,68 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 06.11.2007 zu zahlen.

2. Ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 06.11.2007 zu zahlen.

3. Festzustellen, dass das beklagte Land ihm alle zukünftigen materiellen und immateriellen Personenschäden sowie Sachschäden zu ersetzen hat, die aus dem Verkehrsunfallereignis vom 26.09.2007 in ... in der ... hervorgehen, soweit diese nicht durch gesetzlichen Forderungsübergang an Dritte übergegangen sind.

4. Das beklagte Land zu verurteilen, an ihn einen anwaltlichen Gebührenschaden in Höhe von 827,05 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Das beklagte Land beantragt,

die Klage abszuweisen.

Das beklagte Land meint, dass es schon deshalb nicht hafte, weil es für die ordnungsgemäße Beschilderung der Straße nicht zuständig sei.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen und der weiteren Einzelheiten wird auf die wechselseitig ausgetauschten Schriftsätze nebst Anlagen, die soweit sich aus den Protokollen der mündlichen Verhandlungen nichts Gegenteiliges ergibt, vollständig zum Gegenstand des Parteivortrages in den mündlichen Verhandlungen gemacht wurden sowie den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.

Gründe

I.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Ansprüche des Klägers gegen das beklagte Land aus den als Anspruchsgrundlage allein in Betracht kommenden Vorschriften des § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG bestehen unter keinem der vom Kläger genannten oder sonst in Betracht kommenden Gesichtspunkten.

A.

Soweit der Kläger Ansprüche aus dem Gesichtspunkt einer fehlerhaften Beschilderung herleiten will , also eine Pflichtverletzung in der nach seiner Auffassung unzureichenden Aufstellung von Verkehrszeichen sieht, welche vor den Gleisen warnen sollen oder eine Umleitung auch für Motorradfahrer anordnen oder empfehlen sollen, ist das beklagte Land nicht passiv legitimiert.

1. Die Ausführung der Beschilderung obliegt nach § 44 Abs. 1 StVO nicht dem beklagten Land, sondern dem Regionalverband ... (§ 6 Straßenverkehrszuständigkeitsgesetz Saarland). Da das beklagte Land nicht zur Beschilderung verpflichtet ist, haftet es auch nicht für eine eventuell fehlerhafte Beschilderung.

2. Auch wenn man davon ausgehen wollte, dass das beklagte Land im Rahmen seiner allgemeinen Verkehrssicherungspflicht (siehe hierzu unten B.2.) verpflichtet wäre, die für die Beschilderung zuständige Straßenverkehrsbehörde auf fehlerhafte Beschilderung in hinzuweisen, ist festzustellen, dass eine fehlerhafte Beschilderung auch nicht vorliegt, das heißt, dass die Aufstellung des Verkehrszeichens ca. 15-20 m vor der Stelle, an denen die Gleise die Straße kreuzen, nicht fehlerhaft ist (weshalb es auch offen bleiben kann, und inwieweit eine solche Verpflichtung des Straßenverkehrssicherungspflichtigen Straßenbaulastträgers besteht).

Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang meint, dass im entsprechenden Straßenabschnitt "eine Geschwindigkeit von 50 km/h erlaubt ist", ist schon dies rechtsirrig, jedenfalls dann wenn man den übrigen Sachvortrag des Klägers zur (behaupteten) Gefährlichkeit des Straßenabschnittes zu seinen Gunsten zu Grunde legt. Es ist erkennbar, dass die Schienen die Straße kreuzen und es wird durch ein Schild darauf hingewiesen. Maßgeblich für die Wahl der zulässigen Geschwindigkeit ist nicht in erster Linie - worauf der Kläger abstellen will - § 3 Abs. 3 StVO in Verbindung mit der dortigen Beschilderung auf der Grundlage, dass es sich bei der Unfallstelle um eine geschlossene Ortslage handelt und damit 50 km/h zulässig sei.

Die genannte Vorschrift des Abs. 3 lautet: "Die zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt auch unter günstigsten Umständen innerhalb geschlossener Ortschaften für alle Kraftfahrzeuge 50 km/h."

Unter Berücksichtigung der unstreitig vorhandenen Gefahrenstelle durch die die Fahrbahn kreuzenden Schienen liegen diese "günstigsten Umstände" eben gerade nicht vor. Wie oben ausgeführt sind sie auch erkennbar und es wurde auch durch das Schild auf diese Umstände hingewiesen.

Dementsprechend richtet sich die zulässige Geschwindigkeit - was immer wieder übersehen wird - nach § 3 Abs. 1 StVO ("Der Fahrzeugführer darf nur so schnell fahren, dass er sein Fahrzeug ständig beherrscht. Er hat seine Geschwindigkeit insbesondere den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen sowie seinen persönlichen Fähigkeiten und den Eigenschaften von Fahrzeug und Ladung anzupassen.").

Dies zu Grunde gelegt, ist die Platzierung der Warnschilder in einem Abstand von 15-20 m vor dem Bereich, in dem die Gleise die Straße kreuzen nicht fehlerhaft.

B.

Soweit der Kläger im Schriftsatz vom 13.06.2008 nunmehr seine Ansprüche gegen das beklagte Land "auf den gesamten, in der Klageschrift vorgetragenen Sachverhalt" stützen will, ohne zu konkretisieren, was er damit meint, also wo konkret eine dem beklagten Land obliegende Pflicht (welche ?), wodurch verletzt sein soll, sieht das Gericht auch hierbei keine zu Gunsten des Klägers durchgreifende Anspruchsgrundlage.

1. Das beklagte Land hat die für den Verkehrsunfall ursächlichem Gleise der Saarbahn nicht verlegt, nicht verlegen lassen und ist auch nicht Betreiber der Saarbahn.

Insofern ist nicht ersichtlich, weshalb das beklagte Land für Gefahren haften sollte, die von den Schienen ausgehen, insbesondere greifen in Bezug auf das beklagte Land die Vorschriften des § 1 Abs. 1 HaftPflG bezüglich des Betriebes einer Schienenbahn nicht ein, weil das beklagte Land nicht "Betriebsunternehmer" im Sinne dieser Vorschrift ist.

2. Ein Verstoß gegen die ansonsten dem beklagten Land obliegende, allgemeine Verkehrssicherungspflicht für die streitgegenständliche Bundesstraße ist nicht ersichtlich.

Die hoheitlich ausgeübte Verkehrssicherungspflicht bezüglich öffentlicher Straßen, Wege und Plätze entspricht inhaltlich der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht (BGH VersR 1979, 1055 unter Hinweis auf BGHZ 60, 54; Kodal, Straßenrecht, 3. Auflage, S. 977). Ihr Umfang wird dabei von der Art und Häufigkeit der Benutzung des Verkehrsweges und seiner Bedeutung maßgebend bestimmt. Sie umfasst die notwendigen Maßnahmen zur Herbeiführung und Erhaltung eines für den Benutzer hinreichend sicheren Straßenzustandes (BGH VersR 1979, 1055), wobei jedoch eine absolute Gefahrlosigkeit nicht gefordert ist, da diese in der Regel nicht erwartet werden kann und unter Einsatz zumutbarer Mittel auch nicht zu erreichen ist. Vielmehr sind die öffentlichen Verkehrswege grundsätzlich in dem Zustand hinzunehmen, wie sie sich dem Benutzer erkennbar darbieten, wobei sich der Benutzer den gegebenen Straßenverhältnissen anpassen muss.

Dabei wird die Grenze zwischen abhilfebedürftigen Gefahren und von den Benutzern hinzunehmenden Erschwernissen ganz maßgeblich durch die sich im Rahmen des Vernünftigen haltenden Sicherheitserwartungen des Verkehrs bestimmt. Diese orientieren sich zu einem wesentlichen Maße an dem äußeren Erscheinungsbild der Verkehrsfläche. Je deutlicher die Wegebenutzer mögliche Gefahrenquellen erkennen können, desto geringer sind ihre Sicherheitserwartungen und desto mehr müssen sie sich eine Realisierung der Gefahren ihrem eigenen Risikobereich zurechnen lassen (OLG Hamm Urteil vom 08.12.1998; recherchierbar über Juris).

Der Verkehrssicherungspflichtige muss daher in geeigneter und objektiv zumutbarer Weise alle, aber auch nur diejenigen Gefahren ausräumen und erforderlichenfalls vor ihnen warnen, die für den Benutzer, der die erforderliche Sorgfalt walten lässt, nicht erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzustellen vermag (BGH a.a.O., Palandt, BGB, 62.Aufl., § 823 Rn.125, Geigel, Der Haftpflichtprozess, 23. Aufl. 2001 Kap.14 Rn. 35 ff. jew. m.w. Nw.).

Erkennbare Besonderheiten sind von den Verkehrsteilnehmern auch ohne Sicherung und Warnung hinzunehmen, wenn es diesen möglich ist, sich entsprechend hierauf einzustellen (Geigel a.a.O. und mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Das Oberlandesgericht Koblenz hat ferner zutreffend darauf hingewiesen, dass die Verantwortlichkeit des einzelnen Verkehrsteilnehmers für sich selbst stärkerer betont werden muss und dass die Verkehrssicherungspflicht insbesondere nicht dazu dient, das allgemeine Lebensrisiko auf den Sicherungspflichtigen abzuwälzen (OLGR 1998, 404, 405 ). Eine haftungsrelevante Verkehrssicherungspflicht beginnt hiernach erst dort, wo auch für den aufmerksamen Verkehrsteilnehmer eine Gefahrenlage überraschend eintritt und nicht rechtzeitig erkennbar ist (OLG Stuttgart, NZV 90, 286; OLG Hamm VersR 83, 466; zusammenfassend hierzu SOLG Urteil vom 21.12.1999 Az.: 4 U 317/99-149-, 4 U 319/00 – 80 – jew.m.w.Nw. und in Fortführung ständiger Rechtsprechung).

Die vorgenannten Grundsätze liegen auch der ständigen Rechtsprechung der in den Fällen öffentlich rechtlicher Verkehrssicherungspflichtverletzungen im Saarland ausschließlich zuständigen Kammer des erkennenden Gerichts zugrunde.

Selbst wenn das Land für die Verlegung der Gleise, so wie sie verlegt sind, verantwortlich wäre (was wie oben ausgeführt nicht der Fall ist), sieht das Gericht unter Anwendung der oben genannten Grundsätze zum Umfang der Verkehrssicherungspflicht auch insofern keine irgendwie geartete Pflichtverletzung des beklagten Landes (oder desjenigen, der die Schienen verlegt hat).

Schienenverschwenkungen sind - abhängig von der jeweiligen örtlichen Situation - notwendig und zulässig, sie stellen als solche keine Gefahr dar, welche den Vorwurf einer Verkehrssicherungspflichtverletzungen begründen könnte, weil sie erkennbar sind und sich die Verkehrsteilnehmer hierauf einstellen können.

Die sich aus den Gleisen ergebenden Gefahren (geringere Haftfähigkeit der Reifen und hierdurch bedingte Rutschgefahr und verringerte Bremsverzögerung, bei Zweiradfahrzeugen zusätzlich die Gefahr mit den Reifen in die Schienenspur zu geraten und damit verbunden der Verlust der Lenkfähigkeit) sind den Verkehrsteilnehmern bekannt oder haben ihnen bekannt zu sein, insbesondere Zweiradfahrern und sind deshalb von den Verkehrsteilnehmern hinzunehmen (OLG Hamm VersR 1981, 389, auch recherchierbar über Juris).

Gleise sind für die Verkehrsteilnehmer nicht unsichtbar. Die Gleise selbst zeichnen sich im Straßenbelag deutlich ab. Hinzu kommt, dass für jeden Verkehrsteilnehmer die übrigen Bahnanlagen, insbesondere die Oberleitung und die diese tragenden Masten nicht zu übersehen sind. Selbst wenn an einer konkreten Örtlichkeit in der Annäherung an die Stelle, an der Gleise eine Straße kreuzen durch den topographischen Verlauf die Gleise selbst schwer und unter Umständen erst relativ spät erkannt werden können, lässt sich jedoch ohne weiteres anhand der vorgenannten sonstigen Bahnanlagen erkennen, dass diese Bahnanlagen und damit auch die Gleise die Straße queren. Dies gilt insbesondere auch für die hier streitgegenständliche Unfallstelle. Die Saarbahn und deren Anlagen sind in der ... in ... nicht zu übersehen.

Der Kläger selbst behauptet nicht einmal, dass er die Schienen nicht gesehen hätte. Er trägt selbst vor, er sei vorsichtig und mit angepasster Geschwindigkeit gefahren (S. 3 der Klageschrift).

3. Soweit der anwaltlich vertretene Kläger meint, dass seine Rechtsauffassung ("Hierin ist eine vorwerfbare Verkehrssicherungspflichtverletzungen der Beklagten zu sehen."; Schriftsatz vom 13.06.2008, Bl. 18 d.A.) durch "Einholung eines verkehrstechnischen Sachverständigengutachtens" unter Beweis gestellt werden könnte, ist ein solcher Beweisantritt nicht zulässig.

Die Rechtsanwendung obliegt dem Gericht und nicht einem Sachverständigen.

Soweit der anwaltlich vertretene Kläger unter Umständen lediglich die Gefährlichkeit dieser Stelle durch Sachverständigengutachten unter Beweis stellen will, ist dieser Umstand nicht beweisbedürftig. Das erkennende Gericht hat - wie auch schon das OLG Hamm im oben zitierten Urteil - keine Zweifel daran, dass sich aus Schienen auf Fahrbahnen Gefahren, insbesondere für Zweiradfahrer ergeben.

Hierauf kann und muss sich jeder Verkehrsteilnehmer, insbesondere jeder Zweiradfahrer, einstellen.

Nach alledem ist die Klage abzuweisen.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

III.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 11 in Verbindung mit 711 ZPO.