LG Wiesbaden, Urteil vom 08.07.2010 - 9 S 44/09
Fundstelle
openJur 2012, 33271
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des AmtsgerichtsWiesbaden vom 21.09.2009 – 92 C 9116/08 (22) – mit demihm zugrunde liegenden Verfahren aufgehoben. Der Rechtsstreit wirdzur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten desBerufungsverfahrens, an das Amtsgericht Wiesbaden zurückverwiesen.Gerichtskosten für das Berufungsverfahren werden nicht erhoben.

Gründe

Der Kläger verlangt von dem Beklagten die Zahlung von 1.300,00 EUR nebst Zinsen seit Rechtshängigkeit Zug um Zug gegen Rückgabe eines PKW der Marke Ford sowie die Feststellung, daß der Beklagte sich in Annahmeverzug befindet.

In tatsächlicher Hinsicht wird zunächst gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Das Amtsgericht Wiesbaden hat mit Urteil vom 21.09.2009 – 92 C 9116/08 (22) – die Klage abgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, die Klage sei unbegründet, weil der Kläger auf Grund der Mängel des Fahrzeugs nicht zum Rücktritt von dem Kaufvertrag berechtigt sei. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugen Ö. und As. stehe nämlich zur Überzeugung des Amtsgerichts gemäß § 286 Abs. 1 ZPO fest, daß die Parteien einen Gewährleistungsausschluß vereinbart hätten und daß der Beklagte dem Kläger keineswegs die Fahrbereitschaft und Verkehrssicherheit des PKW im Sinne einer bestimmten Eigenschaft der Kaufsache zugesichert habe, weshalb die Klage nach allem als unbegründet abzuweisen gewesen sei.

Mit seiner hiergegen gerichteten Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Klagebegehren weiter. Er macht geltend, das angefochtene Urteil beruhe zunächst einmal auf einer Verletzung materiellen Rechts. Obwohl das Amtsgericht das Zustandekommen eines Kaufvertrages zwischen den Parteien ZUTREFFEND bejaht habe, habe es dessenungeachtet die Vorschriften über den Verbrauchsgüterkauf gemäß den §§ 474 ff. BGB nicht angewandt. Dies sei aber fehlerhaft, weil der Beklagte als gewerblicher Kfz-Händler auf einen Gewährleistungsausschluß, den das Amtsgericht angenommen habe, sich ihm, dem Kläger, gegenüber gerade nicht berufen könne. Zur Unzulässigkeit eines Gewährleistungsausschlusses hätte das Amtsgericht aber selbst dann gelangen müssen, wenn es einen Vertragsschluß zwischen dem Kläger und dem Beklagten verneint hätte, weil insoweit ein Umgehungsgeschäft gemäß § 475 Abs. 1 Satz 2 BGB anzunehmen gewesen wäre. Für ein Umgehungsgeschäft gebe es aber genügend Anhaltspunkte. So sei der Bruder des Beklagten, der den PKW zuvor angeblich erworben und sodann angeblich selbst abgemeldet habe, niemals im Kfz-Schein eingetragen gewesen. Auch sei der PKW nicht von dem Bruder des Beklagten, sondern von dem Beklagten selbst auf dessen Betriebsgelände zum Verkauf angeboten worden. Bei dem Beklagten handele es sich aber unbestrittenermaßen um einen gewerblichen Kfz-Händler. Daneben verkenne das Amtsgericht, daß es sich bei der Fahrbereitschaft und der Verkehrssicherheit eines PKW um eine übliche Beschaffenheit handele, die gerade keine besondere Vereinbarung erfordere. Ebenfalls zu beanstanden, sei die Beweiswürdigung des Erstgerichts. Zu der Annahme, die Parteien hätten einen Gewährleistungsausschluß vereinbart, sei das Amtsgericht auf Grund einer unzutreffenden Würdigung der Aussage des Zeugen Ö. gelangt. Der Zeuge Ö. habe zwar kundgetan, daß Gewährleistungsausschlüsse bei dem Kauf von Gebrauchtfahrzeugen üblich seien, gleichzeitig habe er aber auch ausgesagt, daß der Beklagte seinerzeit ausdrücklich nach der Fahrbereitschaft und nach Mängeln am Motor und Getriebe gefragt worden sei und hieraufhin die Fahrbereitschaft des PKW bejaht und das Vorliegen von Mängeln am Motor und Getriebe verneint habe. Es sei unverständlich, wie das Amtsgericht vor dem Hintergrund dieser Bekundungen einen wirksamen Gewährleistungsausschluß habe annehmen können. Zudem habe das Amtsgericht in diesem Zusammenhang auch die Verteilung der Beweislast verkannt. Darlegungs- und beweispflichtig für einen Gewährleistungsausschluß sei derjenige, der sich auf einen solchen berufe. Das sei hier der Beklagte. Der Annahme, die Parteien hätten sich auf einen Gewährleistungsausschluß geeinigt, stünden vorliegend aber zumindest die Bekundungen des Zeugen Ö. entgegen. Dessen Aussage sei vom Amtsgericht auf eine nicht mehr nachzuvollziehende Art und Weise gewürdigt worden. Die Vernehmung des Zeugen Ö. sei deshalb zu wiederholen.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil und führt aus, dem Kläger sei zwar darin beizupflichten, daß das Erstgericht fälschlicherweise einen Vertragsschluß zwischen den Parteien bejaht habe. An dem Ergebnis ändere sich hierdurch indes nichts. Er, der Beklagte, habe nämlich vortragen lassen und unter Beweis gestellt, daß der PKW von seinem Bruder erworben, abgemeldet und sodann lediglich aus Zeitmangel durch ihn, den Beklagten, zum Kauf angeboten worden sei, und zwar ohne daß er, der Beklagte, deshalb zum Verkäufer habe werden sollen und wollen. Eben hierauf sei der Kläger ausdrücklich hingewiesen worden, weshalb der Berufung der Erfolg versagt bleiben müsse.

Wegen weiterer Einzelheiten des zweitinstanzlichen Parteivorbringens wird auf die in der zweiten Instanz gewechselten Schriftsätze und das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 08.07.2010 verwiesen.

Die zulässige, weil frist- und formgerecht eingelegte, Berufung hat mit dem Antrag, die Sache an das Erstgericht zurückzuverweisen, Erfolg, weil die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, das angefochtene Urteil vielmehr auf einer Rechtsverletzung, insbesondere einer Verletzung materiellen Rechts, sowie auf einer unvollständigen und unrichtigen Tatsachenfeststellung beruht. Da das Verfahren im ersten Rechtszug gleichzeitig an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche oder aufwendige Beweisaufnahme notwendig ist, war die Sache auf Antrag des Klägers unter Aufhebung des Verfahrens und des Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen (§ 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

Das angefochtene Urteil beruht auf einer Rechtsverletzung, namentlich der gänzlichen Übergehung der Vorschriften über den Verbrauchsgüterkauf (§§ 474 ff. BGB). Indem das Amtsgericht, und zwar ohne jede Begründung, den Vertragsschluß zwischen dem Kläger, einem Verbraucher, und dem Beklagten, einem Unternehmer, über den streitgegenständlichen PKW kurzerhand bejaht und die Klage sodann wegen eines zwischen den Parteien vermeintlich wirksam vereinbarten Gewährleistungsausschlusses abgewiesen hat, hat es verkannt, daß für einen Gewährleistungsausschluß in der vom Amtsgericht angenommenen Konstellation kein Raum ist (§ 475 BGB). Beim Verbrauchsgüterkauf ist ein vertraglicher Haftungsausschluß seit Neuregelung des Kaufrechts durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz sowohl bei gebrauchten als auch bei neuen Sachen generell unzulässig (§ 475 Abs. 1 BGB). Lediglich die Schadensersatzansprüche des Käufers gegen den Verkäufer lassen sich ausschließen oder beschränken (§ 475 Abs. 3 BGB). In der Praxis hat dies besondere Bedeutung bei dem – möglicherweise auch vorliegend einschlägigen – privaten Gebrauchtwagenkauf von einem gewerblichen Autohändler. Der hier früher übliche weitgehende Gewährleistungsausschluß ist heute nicht mehr möglich. Das angefochtene Urteil konnte allein wegen des vom Amtsgericht zu Unrecht angenommenen wirksamen Gewährleistungsausschlusses keinen Bestand haben. Denn es entspricht dem unstreitigen Parteivorbringen, daß der Kläger den streitgegenständlichen PKW als Privatmann gekauft habe und daß es sich bei dem Beklagten um einen gewerblichen Kfz-Händler handele. Mithin war es mit der Begründung, die Klage sei wegen eines wirksamen Gewährleistungsausschlusses abzuweisen gewesen, nicht getan.

Ebenfalls eine Rechtsverletzung stellt es allerdings dar, daß das Erstgericht vorliegend ohne jede Begründung einen Vertragsschluß zwischen dem Kläger als Käufer und dem Beklagten als Verkäufer unterstellt, obwohl der Kern des Streits, namentlich die Frage, ob der Vertrag zwischen dem Kläger und dem Beklagten oder aber zwischen dem Kläger und dem Bruder des Beklagten durch Vermittlung des Beklagten zustande gekommen ist, ausweislich des Tatbestandes der angefochtenen Entscheidung dem Erstgericht keineswegs entgangen ist. Die darin liegende Nichtanwendung der Vorschriften des § 164 BGB stellt eine berufungsrechtlich beachtliche Rechtsverletzung dar, mit Rücksicht auf welche das angefochtene Urteil ebenfalls keinen Bestand haben konnte.

Mit der Nichtanwendung des § 164 BGB geht vorliegend allerdings auch eine unvollständige und damit unzutreffende Tatsachenfeststellung durch das Amtsgericht einher. Um die unter § 164 BGB gegebenenfalls zu subsumierenden Tatsachen festzustellen, hätte es das Erstgericht nicht lediglich bei der Vernehmung der Zeugen As. und Ö. belassen dürfen. Für die Frage, ob der Beklagte vorliegend für sich selbst als Partei des Kaufvertrages oder aber, wie von ihm behauptet und vom Kläger bestritten, als Vertreter seines Bruders gehandelt habe, hätte es daneben auch der Vernehmung der beklagtenseits angebotenen Zeugen An. und B. bedurft. Denn es entspricht dem klägerischerseits bestrittenen Beklagtenvorbringen, wonach es sich bei dem streitgegenständlichen PKW um ein Fahrzeug handele, welches der Bruder des Beklagten, der Zeuge An., von dem Zeugen B. käuflich erworben, sodann abgemeldet und dem Beklagten lediglich zum Verkauf in seinem, des Zeugen An., Namen überlassen habe. Ebenfalls nachzuholen haben wird das Amtsgericht die Vernehmung des bereits in der Klageschrift angebotenen Zeugen M. Denn dieser ist für die klägerische Behauptung angeboten worden, wonach der Beklagte aus Anlaß seines Anrufs bei dem Zeugen M., bei welchem es sich um den Unterzeichner der Klageschrift handelt, diesem gegenüber am 01.08.2008 eingeräumt habe, daß er, der Beklagte, sein seinerzeitiges Handeln für einen anderen nicht offengelegt habe, weil der Umstand, daß nicht er, der Beklagte, Partei des Kaufvertrages sein solle, sich bereits aus dem Fehlen eines schriftlichen Vertrages ergebe. Diese umfangreiche Beweiserhebung durch Vernehmung von immerhin fünf Zeugen, von denen zumindest einer auf einen Dolmetscher angewiesen ist, wird das Erstgericht zwecks Klärung der Frage, inwiefern vorliegend die Voraussetzungen des § 164 BGB zu bejahen oder aber zu verneinen seien, nunmehr nachzuholen haben. Bei der Würdigung der noch zu erhebenden Beweise wird das Amtsgericht zu beachten haben, daß die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 164 BGB hier den Beklagten als den unmittelbar Handelnden trifft, weil der Beklagte mit der Behauptung, lediglich als Stellvertreter des Zeugen An. aufgetreten zu sein, seiner eigenen Inanspruchnahme aus dem Kaufvertrag zu entgehen sucht. Aber selbst wenn die noch nachzuholende Beweisaufnahme durch Vernehmung der fünf vorgenannten Zeugen ergeben sollte, daß die Voraussetzungen des § 164 BGB vorliegend zu bejahen seien, bedeutet dies noch nicht zwingend die mangelnde Passivlegitimation des Beklagten. Vielmehr wird das Amtsgericht in diesem Fall zu prüfen haben, ob es sich nicht um ein Umgehungsgeschäft im Sinne von § 475 Abs. 1 Satz 2 BGB handelt, mit der Folge, daß der Beklagte dessenungeachtet in dem Rückabwicklungsprozeß als passivlegitimiert anzusehen ist und sich nicht auf einen Gewährleistungsausschluß berufen kann, sondern der vollen Sachmangelhaftung unterliegt. Insoweit ist das Amtsgericht auf die seit Neuregelung des Kaufrechts durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz mittlerweile ergangenen ober- und höchstrichterlichen Entscheidungen zu § 475 Abs. 1 Satz 2 BGB zu verweisen. Beispielhaft genannt seien hier nur das Urteil des Oberlandesgericht Celle vom 15.11.2006 – 7 U 176/05 –, das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26.01.2005 – VIII ZR 175/04 – oder dasjenige des Bundesgerichtshofs vom 22.11.2006 – VIII ZR 72/06 –.

Von der Erhebung von Gerichtskosten für das hiesige Berufungsverfahren war abzusehen, weil das aufgehobene Urteil auf Verfahrensmängeln beruht, diese aber eine unrichtige Sachbehandlung im Sinne von § 21 Abs. 1 GKG begründen. Die Tatsachenfeststellung erster Instanz ist verfahrensfehlerhaft, weil das Erstgericht bei der Feststellung der entscheidungsrelevanten Tatsachen es lediglich bei der Vernehmung von zwei der insgesamt fünf angebotenen Zeugen beließ. Die darin liegende Verletzung von § 286 ZPO ist nicht etwa von dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung, wie er in § 286 ZPO verankert ist, gedeckt. Denn Freiheit der Beweiswürdigung heißt nicht Freiheit in der Beweiserhebung. Wo eine entscheidungserhebliche Frage streitig ist, sind die hierfür angebotenen Beweise, sofern sie zur Beweisführung zulässig, geeignet und von der beweisbelasteten Partei beziehungsweise gegenbeweislich von deren Gegner angeboten sind, zu erheben. Erst nach dieser Beweiserhebung ist Raum für die richterliche Beweiswürdigung, die dann aber das gesamte Verhandlungsergebnis zu umfassen hat (Greger, in: Zöller, ZPO, 25. Aufl., § 286, Rdnr. 12). Zu einer umfassenden Würdigung ist das Gericht aber nicht lediglich berechtigt, sondern sogar verpflichtet; es verstößt deshalb gegen § 286 ZPO, wenn es angebotene Beweise übergeht oder aber Beweismittel nur unvollständig würdigt (Greger, in: Zöller, ZPO, 25. Aufl., § 286, Rdnr. 2). Hätte das Erstgericht es nicht lediglich bei der Vernehmung der Zeugen Ö. und As. belassen, sondern zugleich auch die ebenfalls angebotenen Zeugen B., An. und M. vernommen, hätte es bei der Würdigung der einzelnen Zeugenaussagen es nicht bei dem Bemerken belassen müssen, die Klage sei jedenfalls wegen eines vermeintlich wirksam vereinbarten Gewährleistungsausschlusses abzuweisen. Vielmehr wäre das Amtsgericht bei vollständiger Beweiserhebung in der Lage gewesen, die Frage nach dem Vorliegen eines Vertretergeschäfts oder aber eines Eigengeschäfts des Beklagten sowie nach dem Vorliegen eines möglichen Umgehungsgeschäfts im Sinne von § 475 Abs. 1 Satz 2 BGB zutreffend zu beantworten. Vorgeschildertes rechtfertigt es, von der Erhebung von Gerichtskosten für das Berufungsverfahren abzusehen. Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens war hingegen dem Amtsgericht vorzubehalten, weil es insoweit auf das Ergebnis des weiteren Verfahrens ankommt.

Einer Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit bedurfte es nicht, weil das Urteil keinen vollstreckungsfähigen Inhalt hat.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil der Rechtsstreit keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).