OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 07.06.2010 - 1 W 30/10
Fundstelle
openJur 2012, 33180
  • Rkr:

1. Als Schadensersatz geltend gemachte anderweitig entgangene Anlagezinsen nach fehlsamem Beitritt zu einer Gesellschaft stellen keine Zinsen, jedenfalls aber keine Nebenforderungen im Sinne der §§ 4 Absatz 1 Satz 2 ZPO, 43 Absatz 1 GKG dar; sie sind als eigenständige Schadenspositionen dem übrigen Streitwert hinzuzurechnen.

2. Verlangt ein aufgrund unzulänglicher Beratung oder mangelnder Aufklärung fehlsam einer Gesellschaft beigetretener Gesellschafter zum einen Schadensersatz im Wege der Rückabwicklung und zum anderen hilfsweise Feststellung der Unwirksamkeit des Beitritts, betreffen die Ansprüche denselben Gegenstand im Sinne des § 45 Absatz 1 Satz 3 GKG.

Tenor

Auf die Beschwerde der Bevollmächtigten des Klägers wird der Beschluss der 21. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 15.03.2010 über die die Festsetzung des Streitwerts 1. Instanz abgeändert.

Der Streitwert wird auf 58.355,01 € festgesetzt.

Die Beschwerde der Bevollmächtigten der Beklagten gegen den nämlichen Streitwertbeschluss wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt von der Beklagten Rückzahlung seiner Einlage im Umfang von 42.519,03 € als atypisch stiller Gesellschafter der Rechtsvorgängerin der Beklagten unter den rechtlichen Gesichtspunkten eines fehlerhaften Emissionsprospekts, einer Formnichtigkeit des Beitritts sowie fehlerhafter Beratung. Des Weiteren begehrt er Schadensersatz in Höhe von 15.835,98 € unter dem Gesichtspunkt, dass er den Einlagebetrag - wäre er nicht zum Beitritt veranlasst worden - jedenfalls zu einem Zinssatz von 4 % hätte anderweitig anlegen können. Hilfsweise beantragt er, festzustellen, dass sein Beitritt zur Rechtsvorgängerin der Beklagten wegen Formnichtigkeit unwirksam war. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; es ist Berufung eingelegt.

Mit Beschluss vom 15.03.2010 hat das Landgericht den Streitwert für den vorliegenden Rechtsstreit auf 42.519,03 € festgesetzt. Hiergegen wenden sich die Bevollmächtigten der Beklagten und die des Klägers, letztere ausdrücklich aus eigenem Recht, jeweils mit dem Ziel einer höheren Festsetzung des Streitwerts. Die Bevollmächtigten des Klägers sind der Auffassung, der Betrag der entgangenen Anlagezinsen müsse dem Streitwert hinzugerechnet werden, die der Beklagten meinen, der Wert des Hilfsantrags sei bei der Streitwertfestsetzung zusätzlich zu berücksichtigen. Das Landgericht hat den Beschwerden nicht abgeholfen.

II.

Die jeweils als sofortige Beschwerde bezeichneten Eingaben der Bevollmächtigten des Klägers und der Bevollmächtigten der Beklagten sind als Beschwerden gem. § 68 GKG i.V.m. § 32 Abs. 2 RVG statthaft, wobei der Senat die Beschwerde der Bevollmächtigten der Beklagten mangels ausdrücklicher Angabe dahin auslegt, dass sie im eigenen Namen erhoben ist; sie sind auch im Übrigen zulässig. Die Beschwerde der Bevollmächtigten des Klägers führt unter Abänderung des Streitwertbeschlusses zu einer um 15.835,98 € höheren Festsetzung, die Beschwerde der Bevollmächtigten der Beklagten hat keinen Erfolg.

1. Die Beschwerde der Bevollmächtigten des Klägers hat Erfolg, weil die als entgangen geltend gemachten anderweitigen Anlagezinsen im vorliegenden Rechtsstreit nicht als Nebenforderung im Sinne der in der Regelung identischen Vorschriften des § 43 Abs. 1 GKG und des § 4 Abs. 1, 2. Halbs. ZPO anzusehen sind. Vielmehr macht der Kläger insoweit eine eigenständige Schadensposition geltend.

Ist auf dem Kapitalmarkt ein Anlageinteressent durch unrichtige Prospekte oder Verletzung von Aufklärungspflichten bewogen worden, einer (Anlage-) Gesellschaft beizutreten, kann er - als eine denkbare Möglichkeit des Schadensausgleichs - verlangen, so gestellt zu werden, wie er stehen würde, wie er gestanden hätte, wenn er der Gesellschaft nicht beigetreten wäre. In diesem Fall sind dem Geschädigten seine Einlage und die Vorteile zu ersetzen, die er durch deren anderweitige Anlage hätte erzielen können (BGH, Urt. v. 02.12.1991, NJW 1992, 1223 [juris Rn. 11]). Dies entspricht dem Begehren des Klägers im vorliegenden Rechtsstreit. Er begehrt Rückzahlung der Einlage und Ausgleich für die entgangenen Zinsvorteile; denn ein solcher Zinsschaden ergibt sich typischerweise daraus, dass das Eigenkapital in solcher Höhe erfahrungsgemäß nicht ungenutzt geblieben, sondern zu einem allgemein üblichen Zinssatz angelegt worden wäre (BGH, a.a.O., Rn. 14).

Vor dem Hintergrund dieser rechtlichen Gegebenheiten ist es bereits erheblich zweifelhaft, ob es sich bei dem geltend gemachten Schaden in Gestalt anderweitig entgangener Anlagezinsen um „Zinsen“ im Sinne der §§ 43 Abs. 1 GKG, 4 Abs. 1 Satz 2 ZPO handelt. Denn Zinsen im Sinne dieser Vorschriften sind typischerweise das vom Schuldner zu entrichtende Entgelt für die Überlassung von Kapital (vgl. nur Zöller-Herget, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 4 Rn. 11). Der Kläger begehrt aber nicht Zinsen dafür, dass er die Einlage der Beklagten überlassen hat, sondern seine Klage ist auf Ausgleich des Nachteils gerichtet, dass ihm der Einlagebetrag nicht für eine anderweitige, für ihn vorteilhafte Anlagemöglichkeit zur Verfügung gestanden hat.

Jedenfalls aber ist der geltend gemachte Anspruch auf Ausgleich anderweitig entgangener Anlagezinsen nicht als Nebenforderung neben der Rückforderung der Einlage anzusehen. Das Wesen einer Nebenforderung besteht darin, dass sie sachlich-rechtlich vom Bestehen einer Hauptforderung abhängig ist; sind die Forderungen dagegen nach materiellem Recht gleichrangig, so ist keine von ihnen eine Nebenforderung (OLG München, Beschl. v. 16.11.1993, NJW-RR 1994, 153 [juris Rn. 3]); OLG Oldenburg, Beschl. v. 06.03.2007, OLGR 2007, 424 [juris Rn. 2]; KG, Beschl. v. 18.02.2008 - 2 AR 7/08 - NJW-RR 2008, 879 [juris Rn. 9, 11]). So liegt es hier. Denn die Forderung auf Rückzahlung der Einlage und ebenso die Forderung auf Ausgleich des anderweitig entgangenen Anlagezinses sind gleichwertige Berechnungsposten des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs (im Ergebnis ebenso BGH, Beschl. v. 29.04.2010 - III ZR 145/09 - juris Rn. 1); letztere hängt nicht vom Bestand der ersteren ab, sondern beide haben ihren gemeinsamen Grund in dem vom Kläger geltend gemachten fehlsamen Verhalten der Rechtsvorgängerin der Beklagten anlässlich des Beitritts des Klägers. Für die Höhe des Zinsschadens ist vorliegend nicht entscheidend, in welcher Höhe dem Kläger ein Rückforderungsanspruch bezüglich der Einlage zusteht - dann wäre eine Nebenforderung anzunehmen -, sondern welchen Betrag der Kläger bei seinem Beitritt zu der Gesellschaft investiert hat, so dass ihm dieser Betrag nicht für eine anderweitige Anlage zur Verfügung stand.

2. Dagegen hat die Beschwerde der Bevollmächtigten der Beklagten keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landgericht den Wert für den hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf Feststellung der Unwirksamkeit des Beitritts des Klägers zur Rechtsvorgängerin der Beklagten nicht gem. § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG mit dem Wert des Hauptanspruchs zusammengerechnet; denn die Ansprüche betreffen denselben Gegenstand im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG, so dass insoweit nur der - höhere - Wert des Hauptanspruchs auf Rückzahlung der Einlage maßgebend ist.

Der Begriff des „Gegenstands“ im Sinne der letztgenannten Vorschrift ist nicht im Sinne des prozessualen Streitgegenstands zu verstehen, vielmehr erfordert der kostenrechtliche Gegenstandsbegriff eine wirtschaftliche Betrachtung. Eine Zusammenrechnung hat grundsätzlich nur dort zu erfolgen, wo durch die Entscheidung über Klage und Widerklage (§ 45 Abs. 1 Satz 1 GKG) oder durch die Entscheidung über Haupt- und Hilfsantrag eine „wirtschaftliche Werthäufung“ entsteht, beide also nicht das wirtschaftlich identische Interesse betreffen (s. BGH, Beschl. v. 06.10.2004, NJW-RR 2005, 506). Mit „Gegenstand“ ist also das materielle Rechtsverhältnis gemeint (Binz/Dörndorfer/Petzold/Zimmermann, GKG, 2. Aufl. 2009, § 45 Rn. 4).

In diesem Sinne betreffen Haupt- und Hilfsantrag des Klägers denselben Gegenstand, nämlich seine durch den Beitritt zur Rechtsvorgängerin der Beklagten zu dieser begründete Rechtsbeziehung unter lediglich unterschiedlichen rechtlichen Ansatzpunkten.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 68 Abs. 3 GKG.

4. Eine Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 ZPO) ist gem. § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG, eine weitere Beschwerde ist gem. § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 4 GKG nicht statthaft.