OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 05.05.2010 - 3 U 126/09
Fundstelle
openJur 2012, 33096
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des LandgerichtsFrankfurt am Main - 8. Zivilkammer - vom 15.05.2009 (2/08 O 199/08)wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf dieVollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von115 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden,wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 115 % desjeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt Leistungen aus einerMehrfamilienhaus-Versicherung wegen eines Leitungswasserschadens imObjekt X-Strasse .. in Stadt01. Dem Vertrag liegen die MFH 99zugrunde. Es handelt sich um ein Hauptgebäude mit 3 Wohnungen undein Seitengebäude. Das Hauptgebäude war seit spätestens Dezember2007 bis auf einen Raum im 2. Obergeschoss vollständig leer. DiesenRaum benutzten die Klägerin und ihr Ehemann, wenn sie sich auf demGrundstück aufhielten. Das Erdgeschoss des mittleren Seitengebäudeswar an Frau A vermietet.

Am 13.11.2007 stellte die Klägerin durch die Firma B dieWasserversorgung teilweise ab. Der Haupthahn der Wasserversorgungim Hauptgebäude wurde zum Zwecke der Aufrechterhaltung derWasserversorgung des Nebengebäudes nicht abgestellt. DieHeizungsanlagen für die Wohnungen im 1. und 2. Obergeschoss desHauptgebäudes wurden abgestellt und entleert. Am 10.01.2008entdeckten die Klägerin und ihr Ehemann Wasser im Hauptgebäude,hervorgerufen durch eine Leckage der Kaltwasserleitung im Bad des1. Obergeschosses. Das Wasser hatte sich über das gesamte 1.Obergeschoss und durch das Treppenhaus ins Erdgeschossverteilt.

Nach erfolgter Schadensmeldung lehnte die Beklagte dieRegulierung wegen Verstoßes gegen die Obliegenheit des § 4 Ziffer2.2 MFH 99 ab und kündigte zugleich den Versicherungsvertrag.Gegenstand der Klage sind die bislang bereits angefallenenSanierungskosten in Höhe von Euro 79.103,28, Mietausfall in Höhevon Euro 980,00, vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von Euro580,00 und die Feststellung der Ersatzverpflichtung für weitereSchäden.

Die Klägerin hat geltend gemacht, sie habe selbst und durch dieHausverwaltung ausreichende Kontrollen vorgenommen und dabeiWohnungen und Wasserhähne überprüft.

Die Beklagte hat sich weiterhin für leistungsfrei gehalten undüberdies grob fahrlässige Schadensverursachung eingewandt.

Das Landgericht, auf dessen Urteil zur Ergänzung des Sach- undStreitstandes verwiesen wird, hat die Klage abgewiesen undLeistungsfreiheit der Beklagten angenommen, weil die Klägerinentgegen § 4 Nr. 2.2 MFH 99 die Wasser führenden Anlagen imHauptgebäude nicht vollständig abgesperrt habe. Es handele sichhierbei um eine Sonderregel zu § 4 Nr. 2.3 MFH 99, die für diekalte Jahreszeit gelte. Der Verstoß gegen die Obliegenheit stehedurch den unstreitigen Wasseraustritt fest, denKausalitätsgegenbeweis habe die Klägerin nicht geführt. Sie habeauch die Verschuldensvermutung aus § 4 Nr. 4, S. 3 MFH 99 nichtwiderlegt. Schließlich habe die Beklagte den Versicherungsvertragfristgerecht gekündigt.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzlichesBegehren weiter. Sie macht geltend, § 4 Nr. 2.2 MFH 99 sei nichtautomatisch Spezialregelung. Eine Feststellung der Realisierung desFrostrisikos sei vom Landgericht nicht getroffen. Das Seitengebäudesei von der Mieterin A benutzt gewesen, eine Teilfläche des 2.Obergeschosses des Hauptgebäudes von der Klägerin. EineFeststellung nicht hinreichender Kontrolle sei ebenfalls nichtgetroffen. Die Voraussetzungen der Leistungsfreiheit wegenVerstoßes gegen § 4 Nr. 2.2 MFH 99 lägen nicht vor. Für dasErdgeschoss bzw. 1. Obergeschoss des Hauptgebäudes habe es keineseparate Absperrmöglichkeit gegeben. Eine Verpflichtung zurHerstellung entsprechender Absperrmöglichkeiten bestehe nicht, weiles sich um eine Obliegenheit handele. Die Leistungsbegrenzung müssedem Versicherungsnehmer bei Abschluss des Versicherungsvertrageserkennbar sein. Der Versicherer habe vor Abschluss desVersicherungsvertrages die Liegenschaft in Augenschein genommen,ohne etwaige Beanstandungen zu erheben. Schließlich verstoße dieVorschrift des § 4 Nr. 2.2 MFH gegen das Transparenzgebot.Leistungsfreiheit sei nur bei mindestens grober Fahrlässigkeitanzunehmen. Die Klägerin habe indessen nichts von ihrerVerpflichtung der Änderung der Wasserführung gewusst. DieVerpflichtung hätte sich ihr aufdrängen müssen, was nicht der Fallgewesen sei.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 15.05.2009 -2/08 O 199/08 - abzuändern und

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin Euro 80.083,28nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatzaus Euro 78.488,88 seit dem 26.06.2008 sowie aus Euro 1.594,40 seitdem 15.08.2008 zu zahlen.2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerinsämtlichen weitergehenden Schaden aus dem Wasserschaden zumEreignis vom 10.01.2008 bezüglich der Liegenschaft X-Strasse…, Stadt01, nach Maßgabe des Versicherungsscheins Nr.…-zu erstatten,3. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin vorgerichtlicheRechtsanwaltsgebühren in Höhe von Euro 1.580,00 nebst Zinsen inHöhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem15.08.2008 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angegriffene Urteil.

II.

Die Berufung der Klägerin ist statthaft und zulässig, sie istform- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Die Berufunghat jedoch in der Sache keinen Erfolg, denn das Landgericht hat mitRecht Leistungsfreiheit der Beklagten wegen Verletzung derObliegenheit aus § 4 Nr. 2.2 MFH 99 angenommen.

Die Bestimmung stellt eine Spezialregelung zu § 4 Nr. 2.3 MFH 99dar. Diese Auffassung vertritt der Senat in ständigerRechtsprechung zu gleich gelagerten Vorschriften im Rahmen derGebäudeversicherung (Urt. v. 11.03.2009 - 3 U 76/08; Urt. v.11.09.2003 - 3 U 184/02 -; vgl. auch OLG Köln VersR 2003, 1034 f zu§ 11 Ziffer 1 c und d VGB 88). Angesichts dessen bedurfte es keinerFeststellungen darüber, ob sich das Frostrisiko realisiert hat, wasnur im Falle von § 4 Nr. 2.3 eine Rolle spielen würde.

Die Voraussetzungen von § 4 Nr. 2.2 MFH 99 sind gegeben. DasHauptgebäude ist nämlich als vollständig ungenutzt anzusehen. DieMieterin A bewohnt das Erdgeschoss eines Seitengebäudes, also einenanderen Gebäudeteil. Eine Nutzung des Zimmers im 2. Obergeschoss imSinne von § 4 Nr. 2.2 MFH 99 ist ebenfalls nicht gegeben. EineNutzung setzt nämlich voraus, dass sich im genutzten Gebäuderegelmäßig Menschen aufhalten, die das Gebäude zu privatenZwecken als Wohnung oder zu sonstigen Zwecken nutzen (DietzWohngebäudeversicherung 2. Aufl., Kapital O, Rdnr. 2.3.1); dies imSinne einer Vereinfachung der Kontrolle durch Anwesenheit,jedenfalls in dem Gebäudeteilen, in denen man sich ständig aufhält(OLG Köln a.a.O.). Da die Klägerin und ihr Ehemann den Raum im 2.Obergeschoss nur dann nutzten, wenn sie sich auf dem Grundstückaufhielten - sie wohnen in Stadt02 -, kann von einem ständigenAufenthalt im Sinne einer Nutzung nach § 4 Nr. 2.2 MFH 99 nicht dieRede sein.

Die Feststellung, ob genügend häufige Kontrollen durchgeführtworden waren, musste nicht erfolgen, weil bereits die kumulativhinzutretende Pflicht zum Entleeren der Wasser führenden Leitungennicht beachtet worden war.

Dass eine separate Absperrmöglichkeit für die leerstehendenWohnungen im Hauptgebäude nicht bestand, vermag die Klägerin nichtzu entlasten. Das Landgericht hat mit Recht auf die Entscheidungdes OLG Koblenz vom 01.06.2006 (VersR 2008, 115 f) hingewiesen, dersich das Berufungsgericht anschließt. Wird danach beiVertragsschluss die Obliegenheit, Wasserleitungen zu entleeren,akzeptiert und besteht keine separate Absperrmöglichkeit, muss derVersicherungsnehmer eine solche auf seine Kosten einrichten lassen.Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn dies technisch nichtmöglich ist. Eine solche technische Unmöglichkeit wird vorliegendindessen nicht eingewandt. Nimmt der Versicherungsnehmer ungeachtetdessen eine solche technisch mögliche Absperrung nicht vor, so gehtdies auf sein Risiko, was angesichts der enormen Schäden, die beiunkontrolliert austretendem Wasser in einem Gebäude zu befürchtensind, im Interesse des Versicherers gerechtfertigt ist. DerUmstand, dass Beauftragte der Beklagten vor Begründung desVersicherungsvertrages im Jahre 1994 die Liegenschaft besichtigthatten, ohne Beanstandungen zu erheben, vermag die Klägerin nichtzu entlasten. Denn es ist nicht ersichtlich, dass die Problematikleerstehender Gebäudeteile sich damals stellte ungeachtet derFrage, ob der Versicherer verpflichtet ist zu überprüfen, ob derVersicherungsnehmer seinen Obliegenheiten nachkommen kann. Wenneine entsprechende Obliegenheit dennoch vereinbart wurde, so warfür die Klägerin jedenfalls klar erkennbar, dass in Fällen vonNichtbeachtung der Obliegenheit kein Versicherungsschutz gewährtwird. Eine Gefährdung des Vertragszwecks im Sinne von § 307 Abs. 2Nr. 2 BGB liegt darin nicht.

Mit Recht ist das Landgericht schließlich davon ausgegangen,dass die Klägerin den Entlastungsbeweis nicht geführt hat, da zuihren Lasten mindestens grob fahrlässige Nichtbeachtung derObliegenheit vermutet wird (§ 4 Nr. 4 MFH 99). Unkenntnis derVersicherungsbedingungen entlastet sie nicht, weil hier elementarePflichten der Gefahrenabwehr getroffen sind, deren Beachtung sichaufdrängt. Die Klägerin war sich einer entsprechenden Verpflichtungbewusst, denn sie hat versucht, die Wasserversorgung desHaupthauses vollständig zu unterbinden. Die von ihr beauftragteFirma B hat die Heizungsanlage entleert und die Wasserhähneabgestellt, nicht aber die Wasser führenden Leitungen entleert.Dies deshalb, weil die Wasserversorgung für das Seitengebäude nichtgewährleistet war, nachdem der Haupthahn für die Wasserversorgungdes Hauptgebäudes abgedreht worden war. Deswegen wurde dieser Hahnwieder aufgedreht. Die Klägerin hat damit also billigend in Kaufgenommen, dass die Wasser führenden Leitungen im Haupthaus nichtentleert waren. Der damit anzunehmende Vorsatz musste sich alleinhierauf, nicht aber auf die Herbeiführung eines Schadens,beziehen.

Angesichts dessen konnte die Berufung der Klägerin keinen Erfolghaben und war mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPOzurückzuweisen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit desUrteils ergibt sich aus §§ 708 Ziffer 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungenihrer Zulassung (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht gegeben sind.