FG Kassel, Urteil vom 14.04.2010 - 6 K 2122/07
Fundstelle
openJur 2012, 33004
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Aufrechnung der Finanzbehörde gegen den Umsatzsteuer-Erstattungsanspruch einer Insolvenzschuldnerin, der aus der Geltendmachung des Vorsteuerabzugs wegen der Leistungen eines vorläufigen Insolvenzverwalters herrührt. Mit Beschluss vom 03.05.2004 bestellte das Amtsgericht den Kläger als vorläufigen Insolvenzverwalter der A, legte dieser nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 Var. 1 InsO ein allgemeines Verfügungsverbot auf und stellte klar, dass damit die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen der A auf den Kläger überging. Ferner beauftragte es den Kläger, als Sachverständiger zu prüfen, ob ein Eröffnungsgrund vorliegt und welche Aussichten für die Fortführung des Unternehmens der A bestehen und ob das vorhandene Vermögen die Kosten des Verfahrens decken wird. Das Insolvenzverfahren wurde daraufhin am 01.08.2004 eröffnet und der Kläger als Insolvenzverwalter bestellt. Unter dem 16.02.2005 stellte dieser der A seine vom Insolvenzgericht festgesetzte Vergütung für die vorläufige Insolvenzverwaltung nebst Auslagen in Höhe von insgesamt 15.930,49 Euro zuzüglich Umsatzsteuer in Rechnung. Auf den Inhalt dieser Rechnung wird Bezug genommen (Bl. 47 der Klageakte). Am 24.08.2006 gab er eine Umsatzsteuerjahreserklärung für 2005 bei dem für die Veranlagung der A zuständigen Finanzamt ab. Dabei gab er Ausgangsumsätze zu 0,00 Euro an. Aufgrund der Geltendmachung von Vorsteuerbeträgen – einschließlich des in der Rechnung vom 16.02.2005 ausgewiesenen Vorsteuerbetrages von 2.548,88 Euro – ergab sich jedoch ein verbleibender Erstattungsanspruch von 5.639,16 Euro.

Der nach der Verordnung über die Zuständigkeit der hessischen Finanzämter für Angelegenheiten des Erhebungsverfahrens örtlich zuständige Beklagte (im Folgenden: das Finanzamt, ‚FA’) erließ auf Antrag des Klägers am 12.02.2007 einen Abrechnungsbescheid, in dem er ausführte, dass „in Höhe des auf der Leistungserbringung des vorläufigen Insolvenzverwalters beruhenden Teils des Umsatzsteuerguthabens von 2.548,88 Euro“ die Aufrechnung mit den aus der Umsatzsteuerjahreserklärung 2004 resultierenden Zahlungsansprüchen erklärt werde. Der Restbetrag von 3.090,28 Euro werde antragsgemäß ausgezahlt. Wegen der Einzelheiten wird auf die in den Steuerakten abgelegte Verfügung zum Bescheid vom 12.02.2007 (Bl. 12 bis 14 der vorgelegten Steuerakten) Bezug genommen. Zur Begründung führte das FA aus, es könne mit „Vorsteuervergütungsansprüchen gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 UStG“ aufrechnen, da diese schon begründet seien, wenn die fragliche Leistung erbracht werde. Die Auszahlung des verbleibenden Betrages beruhe darauf, dass der Erstattungsanspruch in dieser Höhe erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet und die Aufrechnung insoweit – anders als in Bezug auf den Teilbetrag von 2.548,88 Euro – nach den insolvenzrechtlichen Vorschriften nicht zulässig sei. Den gegen den Abrechnungsbescheid gerichteten Einspruch des Klägers wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 27.06.2007 als unbegründet zurück.

Mit seiner am 27.07.2007 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Rechtsbegehren weiter. Er vertritt die Auffassung, dass die vom FA erklärte Aufrechnung den Zwecken des Insolvenzverfahrens zuwider laufe und daher unzulässig und rechtswidrig sei. Die Kosten des vorläufigen Insolvenzverwalters müssten nach §§ 53, 54 Nr. 2 InsO als Verfahrenskosten bzw. nach §§ 53, 55 Abs. 2 InsO als sonstige Masseverbindlichkeiten von der Schuldnerin vorab beglichen werden. Die entsprechenden Forderungen seien daher im Vergleich zu gewöhnlichen Insolvenzforderungen i.S.d. § 38 InsO, die – nach Anmeldung zur Insolvenztabelle – nur in Höhe der erreichten Quote befriedigt werden könnten, gesetzlich privilegiert. An dieser Privilegierung müsse auch der unmittelbar mit diesen Forderungen zusammenhängende Vorsteuerbetrag teilhaben. Es müsse dabei auch berücksichtigt werden, dass der Vorsteuerbetrag nicht auf den Handlungen des Schuldners vor Verfahrenseröffnung, sondern auf Handlungen des (vorläufigen) Verwalters zur Durchführung des Insolvenzverfahrens beruhe. Das FA erhalte einen sachwidrigen Vorteil, wenn es gegen den entsprechenden Erstattungsbetrag mit einer einfachen Insolvenzforderung aufrechnen könne. Eine solche Aufrechnung sei nach dem Sinn und Zweck der §§ 53, 54 Nr. 2, 55 Abs. 2 InsO sowie nach dem Rechtsgedanken des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unzulässig. Zur Schließung einer diesbezüglichen Regelungslücke müsse § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO analog angewendet werden. Dies sei auch durch das FG Nürnberg (Urteil vom 11.10.2005 – II 426/2003, EFG 2006, 1139) bestätigt worden. Die zuvor in Bezug auf die Rechtslage nach der Konkursordnung entwickelten Grundsätze könnten auf die Rechtslage nach der Insolvenzordnung nicht übertragen werden. In der Konkursordnung sei der Vergütungsanspruch des Sequesters gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt worden.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Abrechnungsbescheid vom 12.02.2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.06.2007 aufzuheben sowie hilfsweise im Unterliegensfall die Revision zuzulassen.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das FA ist der Ansicht, die Aufrechnung sei nach den allgemeinen Vorschriften zulässig, da der entsprechende Erstattungsanspruch – ebenso wie die zur Aufrechnung eingesetzte Gegenforderung – in Bezug auf den streitigen Betrag von 2.548,88 Euro auf den Zeitraum vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entfalle. Der streitige Vorsteuerbetrag resultiere aus der Tätigkeit des Klägers vor Verfahrenseröffnung. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO stehe dem nicht entgegen, da das FA insoweit nicht erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Masse schuldig geworden sei.

Die Beteiligten haben sich mit Schriftsätzen vom 02.10.2009 (FA) und 12.10.2009 (Kläger) mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Auf die vorgelegten Steuerakten (1 Band Vorgänge zur Erteilung eines Abrechnungsbescheides nebst Rechtsbehelfsvorgängen) sowie auf die Schriftsätze der Beteiligten wird Bezug genommen. Sie waren Gegenstand des Verfahrens.

Gründe

Die Klage ist unbegründet. Der Abrechnungsbescheid vom 12.02.2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.06.2007 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der sich aus der Umsatzsteuererklärung der A für 2005 ergebende Erstattungsanspruch ist in Höhe von 2.548,88 Euro durch Aufrechnung nach §§ 47, 226 Abs. 1 AO i.V.m. § 387 ff. BGB mit dem sich aus der Umsatzsteuererklärung für 2004 ergebenden Zahlungssoll erloschen. Ein Aufrechnungsverbot, das die vom FA erklärte Aufrechnung unwirksam machen könnte, ist nicht gegeben. Das in § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO enthaltene Aufrechnungsverbot ist im Streitfall nicht entsprechend anwendbar.

Nach der vom FA zu Recht angeführten Rechtsprechung des BFH ist es – im Anwendungsbereich der bis zum 31.12.1998 geltenden Konkursordnung – für die Aufrechnung des FA mit vor Eröffnung des Konkursverfahrens begründeten Steuerforderungen gegen den auf dem Vorsteuerabzug aus der Sequestertätigkeit beruhenden Umsatzsteuer-Erstattungsanspruch ohne Bedeutung, dass die Sequestervergütung einschließlich der darauf entfallenden Umsatzsteuer als ein gegen die Masse gerichteter Anspruch (§§ 57 bis 59 KO) anzusehen ist. Denn die umsatzsteuerrechtliche Verknüpfung zwischen der Steuerschuld des Leistenden und dem Vorsteuerabzugsanspruch des Leistungsempfängers hat nicht zur Folge, dass auch konkursrechtlich die zu entrichtende bzw. in Rechnung gestellte Umsatzsteuer und die abzugsfähige Vorsteuer zwingend in jeder Hinsicht gleich zu behandeln, d.h. derselben Vermögensmasse (Konkursforderung, Masseanspruch oder konkursfreie Forderung) zuzuordnen sind (BFH vom 21.09.1993 – VII R 119/91, BStBl. II 1994, 83 unter II. 3.).

An diesem Grundsatz ist auch im Anwendungsbereich der ab dem 01.01.1999 geltenden Insolvenzordnung festzuhalten (ebenso Viertelhausen UR 2008, 873 [878]; Klünemann UStB 2001, 220 [221]; Loose in Tipke / Kruse, AO/FGO-Kommentar, Stand 9/2009, § 251 AO Rn. 102). Dass – worauf der Kläger hinweist – der Vergütungsanspruch des vorläufigen Insolvenzverwalters in der Insolvenzordnung eine ausdrückliche gesetzliche Regelung erfahren hat, steht dem nicht entgegen. Allein entscheidend ist insoweit der weiterhin gültige allgemeine Grundsatz, nach dem eine Aufrechnung durch das FA möglich ist, soweit die fragliche Gegenforderung des Schuldners im insolvenzrechtlichen Sinne aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens herrührt, weil die entsprechende Tätigkeit des Leistenden in diesem Zeitraum ausgeübt wurde (FG Schleswig-Holstein vom 29.10.2003 – 4 K 4/02, EFG 2004, 460; BFH vom 16.11.2004 – VII R 75/03, BStBl. II 2006, 193). Dass es erst zu einem späteren Zeitpunkt zur Ausstellung einer Rechnung gekommen ist und insoweit die Tatbestandsvoraussetzungen des Vorsteuerabzugs nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG erst später vollständig vorlagen, ist dabei nicht von Belang, da allein auf die insolvenzrechtliche (d.h. nicht auf die steuerrechtliche) Begründetheit des Anspruchs abzustellen ist (Klünemann UStB 2001, 220 [221]).

Die gegenteilige Auffassung des FG Nürnberg in dessen Urteil vom 11.10.2005 (II 426/2003, EFG 2006, 1193, nachfolgend – dies jedoch mangels Entscheidungserheblichkeit offen lassend – BFH vom 16.01.2007 – VII R 4/06, BStBl. II 2007, 747) hält der Senat nicht für überzeugend. Die dargestellten Grundsätze der insolvenzrechtlichen Begründetheit stehen der Annahme entgegen, die Aufrechnung des FA verstoße gegen den Sinn und Zweck des Insolvenzverfahrens sowie gegen den Rechtsgedanken des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Die vom Kläger angeführten Regelungen der §§ 54 Nr. 2, 55 Abs. 2 InsO bewirken zwar, dass der in seinem Vergütungsanspruch enthaltene Umsatzsteueranteil ebenfalls eine privilegierte Masseverbindlichkeit darstellt. Mit diesen Regelungen ist jedoch – wie entsprechend im Anwendungsbereich der Konkursordnung – noch keineswegs gesagt, dass auch der korrespondierende und sich in einem Erstattungsanspruch gegen das FA manifestierende Vorsteuerbetrag zwingend als Vermögensgegenstand der Masse anzusehen ist und damit für die Befriedigung der Masseverbindlichkeiten zur Verfügung steht (Viertelhausen UR 2008, 873 [879]). Hiergegen spricht bereits, dass sich die Rechtsfolgen der §§ 54 Nr. 2, 55 Abs. 2 InsO lediglich auf die Verbindlichkeiten des Schuldners i.S.d. § 53 InsO, nicht jedoch auf dessen Forderungen beziehen. Nur hinsichtlich der Verbindlichkeiten des Schuldners besteht ein Regelungsbedarf, diese in vor und nach der Verfahrenseröffnung begründete Ansprüche aufzuteilen.

Der Umstand, dass der Kläger im Streitfall als sog. „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter tätig geworden ist, führt zu keinem anderen Ergebnis. Der vorläufige Insolvenzverwalter erbringt seine Leistungen unabhängig davon, ob er vom Insolvenzgericht mit den Befugnissen des § 21 Abs. 2 Nr. 2 Var. 1 InsO oder lediglich mit den Befugnissen des § 21 Abs. 2 Nr. 2 Var. 2 InsO ausgestattet worden ist. Auch ist nicht von Belang, dass – wie der Kläger ebenfalls anführt – der fragliche Vergütungsanspruch und die hierauf entfallende Umsatzsteuer nicht durch Handlungen der A ausgelöst wurden. Denn auch hieraus kann nicht abgeleitet werden, dass der entsprechende (Vorsteuer-) Erstattungsanspruch zwingend in der Masse verbleiben müsste (Viertelhausen UR 2008, 873 [880]).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Gründe für die Zulassung der Revision i.S.d. § 115 Abs. 2 FGO lagen nicht vor. Der Senat teilt nicht die Ansicht des Klägers, dass es sich bei der Frage der Aufrechnung gegen Umsatzsteuer-Erstattungsansprüche aus Anlass des Vorsteuerabzugs aus der Rechnung des vorläufigen (schwachen oder starken) Insolvenzverwalters um eine Rechtsfrage mit grundsätzlicher Bedeutung handelt. Diese Rechtsfrage erscheint aufgrund der Entscheidungen des BFH vom 21.09.1993 (VII R 119/91, BStBl. II 1994, 83) und vom 16.11.2004 (VII R 75/03, BStBl. II 2006, 193) hinreichend geklärt.