SG Gießen, Urteil vom 16.10.2009 - S 1 U 85/08
Fundstelle
openJur 2012, 32188
  • Rkr:
Tenor

1. Unter Aufhebung der Bescheide vom 26.02.2008 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 11.04.2008 wird die Beklagte verurteilt, das Ereignis vom 02.10.2007 als Arbeitsunfall des Versicherten ... ... anzuerkennen und den Klägern Hinterbliebenenversorgung zu gewähren.

2. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Koten der Kläger zu tragen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten wegen der Anerkennung eines Ereignisses als Arbeitsunfall und Zahlung von Hinterbliebenenrenten aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

Die Kläger sind die Witwe und die Kinder des verstorbenen Versicherten ... .... Der Versicherte war bei der Holzhandlung A. DG. in D-Stadt beschäftigt und in dieser Tätigkeit bei der Beklagten im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung versichert. Am 02. Oktober 2007 verunglückte er auf dem direkten Heimweg von der Arbeitsstelle zum Wohnort auf der B 49 tödlich. Der Arbeitgeber des tödlich verunglückten Versicherten zeigte das Ereignis mit Unfallanzeige vom 04.10.2007 bei der Beklagten an. Die Beklagte leitete daraufhin ein Verwaltungsverfahren ein und zog zunächst die polizeilichen Ermittlungsakten über den Verkehrsunfall bei. Daraus ergab sich, dass der Versicherte mit einem entgegenkommenden Fahrzeug auf dessen Fahrspur kollidiert war. Die Fahrbahn war zum Zeitpunkt des Unfalls trocken, es bestand Tageslicht. Der Unfall ereignete sich ca. 200 m vor einer Verengung der Fahrbahn von zwei auf einen Fahrstreifen. Der Versicherte hatte zunächst mehrere Fahrzeuge überholt, die rechte Fahrspur war durch PKW und LKW stark befahren gewesen. Als der Versicherte mit seinem Fahrzeug gerade auf der Höhe eines rechtsfahrenden Wohnmobils war, bremste er nach Zeugenaussagen so stark ab, dass die Räder blockierten. Er geriet ins Schleudern und kam auf die Gegenspur, auf der er mit dem entgegenkommenden Fahrzeug kollidierte. Dabei wurde er tödlich verletzt. Die Polizei ordnete im Folgenden eine Blutentnahme bei der Leiche des Versicherten an, das Institut für Rechtsmedizin der LK. Universität GH. stellte aufgrund dieser Blutentnahme eine Blutalkoholkonzentration von 0,54 Promille zum Zeitpunkt des Unfalls fest. Eine weiterhin im Ermittlungsverfahren angeordnete Begutachtung des Unfallfahrzeugs des Versicherten ergab keine schwerwiegenden technischen Mängel, die zum Unfall geführt haben könnten. Es handelte sich bei dem Fahrzeug des Versicherten um ein BMW 320 i Cabriolet Baujahr 1987 ohne ESP. Der Sachverständige stellte fest, dass lediglich das vordere rechte Federbein ölfeucht war. Aufgrund der Kollisionsschäden an den beteiligten Fahrzeugen errechnete der Sachverständige für das Fahrzeug des Versicherten eine Annäherungsgeschwindigkeit zum Zeitpunkt des Unfalls zwischen 108 und 126 km/h. Nach Auswertung der polizeilichen Ermittlungsakte befragte die Beklagte weiterhin fernmündlich die Kollegen des Versicherten C. und B. Beide waren erstaunt darüber, dass bei dem verstorbenen Versicherten eine Blutalkoholkonzentration festgestellt worden sei. Sie selbst hätten bei dem Verstorbenen am Unfalltag keine Auffälligkeiten bemerkt, dieser habe einen ganz normalen Eindruck gemacht. Mit drei gleichlautenden Bescheiden gegenüber den Klägern vom 26. Februar 2008 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall und Gewährung von Hinterbliebenenleistungen mit der Begründung ab, bei einem Wegeunfall müsse ein Zusammenhang zwischen der Zurücklegung des Weges und dem Unfallereignis bestehen. Eine auf einen Alkoholgenuss zurückzuführende Fahruntüchtigkeit schließe den Zusammenhang aber dann aus, wenn sie die unternehmensbedingte Umstände derart in den Hintergrund dränge, dass sie als die allein rechtlich wesentliche Ursache anzusehen sei. Nach den Ermittlungen im Verwaltungsverfahren spreche nichts dafür, dass neben der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit andere Ursachen für den Unfall verantwortlich seien. Den gegen diese Bescheide am 07.03.2008 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit gleichlautenden Widerspruchsbescheiden vom 11.04.2008 zurück.

Am 07.05.2008 haben die Kläger jeweils gegen die sie betreffenden Widerspruchsbescheide Klage vor dem Sozialgericht Gießen erhoben. Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 16.10.2009 die Rechtsstreite zur weiteren gemeinsamen Beweiserhebung und Entscheidung verbunden. In der mündlichen Verhandlung vom 16.10.2009 hat es die Zeugen C. und D. vernommen. Gleichzeitig hat es die Klägerin A., Witwe des Versicherten, persönlich angehört. Der Zeuge D. hat angegeben, er habe den Kollegen ... am Unfalltag nur kurz morgens gesehen. Dabei sei ihm nichts am Verhalten des Versicherten aufgefallen. Der Zeuge C. hat erklärt, er habe den Versicherten nach der Arbeit, ca. 10 bis 15 min. vor dem Unfallzeitpunkt noch einmal getroffen, und sich mit ihm kurze Zeit unterhalten. Dabei sei ihm bezüglich eines Alkoholkonsums beim Versicherten nichts aufgefallen. Die Witwe des verstorbenen Versicherten hat erklärt, am Vortag des tödlichen Unfalls habe es keine Besonderheiten gegeben. Am Unfalltag habe sie noch zweimal mit ihrem Ehemann telefoniert, es ging dabei um das Abholen von Karten für eine Veranstaltung. Kurz vor dem Unfall habe ihr Mann nochmals angerufen und ihr mitgeteilt, sie müsse sich nicht hetzen, er könne die Karten abholen. Bei diesem letzten Anruf sei ihr bei ihrem Ehemann nichts besonderes aufgefallen. Er sei gut gelaunt gewesen, denn am nächsten Tag sei ja Feiertag gewesen.

Die Kläger sind der Ansicht, das streitige Ereignis sei als Arbeitsunfall anzuerkennen und ihnen seien die gesetzlichen Entschädigungsleistungen zu gewähren. Nach den Ergebnissen der Ermittlungen im Verwaltungsverfahren und nach der Beweisaufnahme im Gerichtsverfahren stehe nicht fest, dass die alkoholbedingte Einschränkung der Fahrtüchtigkeit des Versicherten die rechtlich allein wesentliche Ursache sei. Alle Zeugen hätten angegeben, dass der Versicherte kurz vor dem Unfall noch einen normalen Eindruck gemacht hätte.

Die Kläger beantragen,

die Bescheide vom 26.02.2008 jeweils in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 11.04.2008 aufzuheben, das Ereignis des verstorbenen Versicherten ... ... vom 02.10.2007 als Arbeitsunfall anzuerkennen und ihnen Hinterbliebenenversorgung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klagen abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, die alkoholbedingte Einschränkung der Fahrtüchtigkeit des Versicherten sei die allein wesentliche Ursache für den Unfall gewesen. Alle Ermittlungen bezüglich anderer Ursachen seien erfolglos gewesen.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen, insbesondere wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme, wird auf die Klage- und Unfallakten der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 16.10.2009 gewesen sind.

Gründe

Die form- und insbesondere fristgerecht erhobenen Klagen sind zulässig.

Sachlich sind die Klagen auch begründet. Die Bescheide der Beklagten vom 26.02.2008 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 11.04.2008 waren aufzuheben, denn der Unfall, bei dem der Versicherte ... ... am 02.10.2007 verstarb, ist als Arbeitsunfall anzuerkennen und den Klägern als Hinterbliebenen des Versicherten sind in Anwendung des § 63 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch –Gesetzliche Unfallversicherung- (SGB VII) Leistungen in Form von Witwen- bzw. Waisenrenten zu gewähren.

Rechtsgrundlage für die Anerkennung des Unfalls des Klägers als Arbeitsunfall ist § 8 SGB VII. Nach § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Für einen Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt (Unfallkausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität).

Diese Voraussetzungen zur Anerkennung eines Arbeitsunfalls sind für den Unfall des Versicherten ... ... vom 2. Oktober 2007 erfüllt. Nach den Feststellungen im Verwaltungsverfahren war der Versicherte, als er an diesem Tag gegen 15.40 Uhr verunglückte und sich tödliche Verletzungen zuzog, auf dem Heimweg von seiner Arbeit. Dieser Weg zur Zeit des Unfalls stand nach § 8 Abs 2 Nr. 1 SGB VII im sachlichen Zusammenhang mit seiner bei der Beklagten versicherten Tätigkeit als Kraftfahrer. Aufgrund der tödlichen Verletzungen bestehen am Vorliegen eines Unfalls und der haftungsbegründenden Kausalität keine Zweifel. Aber auch die Unfallkausalität - der Zusammenhang zwischen dem der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden Weg als Verrichtung zur Zeit des Unfalls und dem Unfallereignis - ist gegeben, obwohl bei dem Kläger zum Unfallzeitpunkt eine BAK von 0,54 ‰ vorgelegen haben.

Zu diesem Zusammenhang zwischen der Verrichtung zur Zeit des Unfalls und dem Unfallereignis hat das BSG zuletzt in dem Urteil vom 12. April 2005 (Az.: B 2 U 11/04 R - BSGE 94, 262 - SozR 4-2700 § 8 Nr. 14) ausgeführt: Für diesen Zusammenhang gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung, nach der auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie aufbauend in einem zweiten wertenden Schritt als rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen werden, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (stRspr: BSGE 1, 72, 76; BSGE 1, 150, 156 f; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 13; zuletzt zusammenfassend BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R – RdNr. 13 ff). Typische Fallgestaltungen, in denen die Unfallkausalität näherer Erörterung bedarf, sind die Fälle einer möglichen inneren Ursache, einer gemischten Tätigkeit, einer unerheblichen Unterbrechung oder einer eingebrachten Gefahr, in denen neben die im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehende Verrichtung zur Zeit des Unfalls eine weitere, nicht versicherten Zwecken zuzurechnende Ursache hinzutritt (vgl. zur inneren Ursache: BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 11; zur eingebrachten Gefahr: BSG SozR 2200 § 550 Nr. 37).

Wie schon diesen Fallgestaltungen zu entnehmen ist, wird die Unfallkausalität zwischen der Verrichtung zur Zeit des Unfalls und dem Unfallereignis vermutet, weil oft kein Grund zu erkennen ist, warum sich der Unfall gerade jetzt und so zugetragen hat, z. B. bei einem versicherten Weg und dem bekannten "Stolpern über die eigenen Füße" (vgl. zu einem derartigen Anscheinsbeweis nur: Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 128 RdNr. 9 ff). Deshalb hat das BSG auch in der Vergangenheit wiederholt betont, dass die für die Annahme eines Arbeitsunfalls erforderliche Kausalität zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfallereignis stets gegeben ist, wenn außer dem kausalen Anknüpfungspunkt der versicherten Tätigkeit keine anderen Tatsachen festgestellt sind, die als Konkurrenzursachen wirksam geworden sein könnten. Kann eine in Betracht zu ziehende Konkurrenzursache in ihrer Grundvoraussetzung nicht festgestellt werden, scheidet sie bereits im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne als Ursache aus (BSG, Urteil vom 24. Februar 1988 - 2 RU 30/87; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).

Jede andere Betrachtung würde dem Versicherten bzw. hier seinen Hinterbliebenen die objektive Beweislast dafür auferlegen, warum es gerade zu diesem Zeitpunkt aufgrund von Ursachen, die der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sind, zu dem Unfall gekommen ist, und damit den Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung und die mit ihm verfolgten Ziele des sozialen Schutzes und des Betriebsfriedens in vielen Fällen leerlaufen lassen. Auch die in § 7 Abs 2 SGB VII getroffene Regelung, dass verbotswidriges Verhalten den Versicherungsschutz nicht ausschließt, will eine Ursachenforschung in der Regel vermeiden und würde sonst keinen Sinn ergeben. Letztlich steht einer anderen Auslegung der seit Jahrzehnten angewandte und vom Gesetzgeber in § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII übernommene (BT-Drucks 13/2204 S 77) Begriff des Unfalls entgegen, weil für das zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignis nach völlig einhelliger Auffassung gerade kein besonderes Geschehen gefordert wird, sondern alltägliche Vorgänge genügen und dieser Begriff vor allem der Abgrenzung zur inneren Ursache dienen soll (vgl. schon BSGE 94, 269 - SozR 4-2700 § 8 Nr. 15, jeweils Rdnr. 7; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 8 SGB VII Rdnr. 11.2; Krasney in Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Band 3, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand September 2006, § 8 Rdnr 9; Ricke, in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 8 SGB VII Rdnr 24). Erfordert ein Unfallereignis aber kein besonderes Geschehen, so würde es die Anforderungen an die Feststellung der Unfallkausalität überspannen, wenn jeweils eine besondere Feststellung der versicherten Ursachen für das Unfallereignis notwendig wäre.

Vielmehr muss, wenn bei Ausübung einer Verrichtung, die im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht, ein Unfallereignis eintritt, vom Vorliegen der Unfallkausalität ausgegangen werden, es sei denn, es ist eine konkurrierende Ursache, wie z.B. eine innere Ursache, eine eingebrachte Gefahr oder der unversicherte Teil bei einer gemischten Tätigkeit feststellbar. Erst wenn eine solche konkurrierende Ursache neben der versicherten Ursache als naturwissenschaftliche Bedingung für das Unfallereignis festgestellt wurde, ist in einem zweiten Prüfungsschritt wertend zu entscheiden, ob die versicherte Ursache wesentlich nach der Theorie der wesentlichen Bedingung ist.

Für die zur Beurteilung der Wesentlichkeit der versicherten Ursache erforderliche Abwägung zwischen der versicherten Ursache und der nichtversicherten Ursache ist zu beachten, dass "wesentlich" nicht gleichzusetzen ist mit "gleichwertig" oder "annähend gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere Ursache keine überragende Bedeutung hat und als rechtlich allein wesentliche Ursache anzusehen ist. Eine naturwissenschaftliche Ursache, die nicht als wesentlich anzusehen ist und damit keine Ursache iS der Theorie der wesentlichen Bedingung ist, kann als Gelegenheitsursache bezeichnet werden (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, aaO, RdNr. 13 ff).

Um eine solche Fallgestaltung handelt es sich auch bei dem Zurücklegen eines versicherten Weges unter einem der versicherten Tätigkeit nicht zuzurechnenden Alkoholeinfluss, wie vorliegend. Denn als konkurrierende Ursache für den Unfall des Versicherten am 2. Oktober 2007 kommen neben dem Zurücklegen des der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden Weges die Folgen seines vorherigen, durch die BAK belegten Alkoholgenusses in Betracht. Ihnen ist jedoch keine derart überragende Bedeutung für den Unfall beizumessen, dass sie als rechtlich allein wesentliche Ursache das Zurücklegen des versicherten Weges zur Gelegenheitsursache werden lassen.

Bei Alkoholgenuss ist nach ständiger Rechtsprechung zunächst zu prüfen, ob dieser zu einem Vollrausch geführt hat, der die Ausübung einer dem Unternehmen dienenden Verrichtung ausschließt, sodass eine Lösung vom Betrieb vorliegt, die schon den sachlichen Zusammenhang zwischen der grundsätzlich versicherten Tätigkeit und der Verrichtung zur Zeit des Unfalls ausschließt (vgl. zuletzt: BSG, Urteil vom 5. September 2006 - B 2 U 24/05 R). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben.

Auch wenn der Alkoholgenuss nicht zu einer Lösung vom Betrieb führt, können seine Folgen zu einem Leistungsabfall führen und als konkurrierende Ursache neben die versicherte Ursache treten. Der alkoholbedingte Leistungsabfall kann dann derart stark sein, dass ihm im Vergleich zur versicherten Ursache - der Verrichtung zur Zeit des Unfalls - überragende Bedeutung für das Eintreten des Unfallereignisses beizumessen ist und die versicherte Ursache nicht mehr als wesentlich für das Unfallereignis zu bewerten und die Unfallkausalität zu verneinen ist (stRspr des BSG: BSGE 12, 242 - SozR Nr. 27 zu § 542 RVO; BSGE 38, 127 - SozR 2200 § 548 Nr. 4; BSGE 59, 193 - SozR 2200 § 548 Nr. 77). Ein typischer Anwendungsfall für die alkoholbedingte Herabsetzung der Leistungsfähigkeit ist die eingeschränkte Fahrtüchtigkeit von Kraftfahrern, weil der Alkoholgenuss ihre Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit beeinträchtigt.

Eine absolute Fahruntüchtigkeit, bei der ohne weitere Beweisanzeichen vermutet wird, dass die Folgen des Alkoholgenusses für die Verursachung des Unfalls von überragender Bedeutung waren, hat das BSG in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BGH zunächst bei einer BAK von 1,3 ‰ und höher (BSGE 12, 242, 245) und, nachdem der BGH diesen Wert aufgrund neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse und verbesserter Messmethoden auf 1,1 ‰ herabgesetzt hat (BGHSt 37, 89) ab diesem Wert angenommen (BSG, Urteil vom 25. November 1992 - 2 RU 40/91 -). Dem hat sich die Literatur angeschlossen (Bereiter-Hahn/Mehrtens, aaO, § 8 SGB VII RdNr. 9.2 ff, 12.40 ff; Keller, aaO, § 8 RdNr. 274 ff, 348; Krasney, aaO, § 8 RdNr. 345 ff; Ricke, aaO, § 8 SGB VII RdNr. 106 ff). Daran ist mangels anderer neuerer Erkenntnisse festzuhalten. Eine solche absolute Fahruntüchtigkeit allein wegen des Alkoholgenusses lag bei dem Versicherten nicht vor, da bei ihm nur eine BAK von 0,54 ‰ gemessen wurde.

Bei einer relativen Fahruntüchtigkeit mit einer BAK von unter 1,1 ‰ kann der Alkoholgenuss zwar auch von überragender Bedeutung für den Eintritt des Unfallereignisses sein, sodass der Unfall nicht als durch die versicherte Zusammenhangskette wesentlich verursacht anzusehen ist. Dies setzt jedoch voraus, dass neben der BAK aus weiteren Beweisanzeichen in Form von alkoholtypischen Ausfallerscheinungen darauf geschlossen werden kann, dass der Versicherte wegen der Folgen des Alkoholgenusses fahruntüchtig und damit der Alkoholgenuss die überragende Ursache für das Unfallereignis war. Als Beweisanzeichen für eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit hat das BSG angesehen: Die Fahrweise des Versicherten, zB überhöhte Geschwindigkeit, Fahren in Schlangenlinien, plötzliches Bremsen, aber auch sein Verhalten vor, bei und nach dem Unfall (BSGE 45, 285, 289 - SozR 2200 § 548 Nr. 38) sowie weitere Beweisanzeichen sind zB das Missachten von Vorfahrtszeichen oder einer roten Ampel, das Überqueren einer großen Kreuzung ohne Reduzierung der Geschwindigkeit. Zur Würdigung dieser Beweisanzeichen hat das BSG ausgeführt, dass ein Fehlverhalten nur dann eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit beweist, wenn es nicht ebenso gut andere Ursachen haben kann, wie zB Unaufmerksamkeit, Leichtsinn, Übermüdung usw., und dass nicht jedes Beweisanzeichen einzeln, sondern alle zusammen zu betrachten sind (BSG, aaO). Je geringer die festgestellte BAK ist, desto höhere Anforderungen sind an den Beweiswert dieser sonstigen Beweisanzeichen zu stellen, um eine allein wesentliche Verursachung des Unfalls durch eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit zu bejahen (BSGE 43, 110, 113 - SozR 2200 § 548 Nr. 27; BSGE 45, 285, 289 - SozR 2200 § 548 Nr. 38). Aber selbst bei einer BAK von 0,54 ‰ - wie beim Versicherten - ist sie nicht ausgeschlossen (BSGE 43, 110, 113), es müssen jedoch besonders gravierende oder außergewöhnliche Verhaltensweisen bzw. Ausfallerscheinungen festgestellt werden (BSGE 45, 285, 290 = SozR 2200 § 548 Nr. 38).

Zur praktischen Anwendung im Rahmen der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Hinblick auf das klägerische Vorbringen ist auf Folgendes hinzuweisen: Ebenso wie die der versicherten Tätigkeit zuzurechnende Verrichtung zur Zeit des Unfalls müssen die BAK und die weiteren für eine Fahruntüchtigkeit sprechenden Beweisanzeichen mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen und es muss mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von ihrer naturwissenschaftlichen Mitverursachung des Unfallereignisses auszugehen sein. Darauf aufbauend hat in einem weiteren Schritt die wertende Beurteilung zu erfolgen, ob die versicherte Ursache wesentlich für das Unfallereignis war oder ob die konkurrierenden Ursachen von überragender Bedeutung waren. Diese Beurteilung kann angesichts der anzustellenden Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, der verschiedenen Beweisanzeichen, der Gründe für sie usw. nur in einem Schritt im Rahmen einer Gesamtbetrachtung erfolgen (BSGE 45, 285, 289 - SozR 2200 § 548 Nr. 38).

Die so genannte objektive Beweis- und Feststellungslast (vgl. Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Aufl. 2005, III RdNr. 26 ff; Leitherer in Meyer-Ladewig, aaO, § 103 RdNr. 19 ff) für das Vorliegen einer alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit, die als konkurrierende Ursache die versicherte Ursache verdrängt, und für die sie ggf. begründende BAK sowie Beweisanzeichen trägt die Beklagte, weil es für diese günstig ist, wenn die nicht versicherte Ursache gegenüber der versicherten Ursache von überragender Bedeutung ist und kein Arbeitsunfall vorliegt (so schon BSGE 43, 110, 112 - SozR 2200 § 548 N. 27). Dies entspricht auch der einheitlichen Auffassung in der Literatur (Bereiter-Hahn/Mehrtens, aaO, § 8 SGB VII RdNr. 9.2.4, 12.43; Krasney, aaO, § 8 RdNr 368).

In Anwendung dieser Maßstäbe ist die Kammer aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gekommen, dass die beim verstorbenen Versicherten festgestellte Fahruntüchtigkeit aufgrund des Alkoholgenusses keine überragende Bedeutung für die Verursachung des Unfallereignisses gehabt hat. Seine BAK (Blutalkoholkonzentration) war mit 0,54 ‰ verhältnismäßig weit von der absoluten Fahruntüchtigkeit entfernt. Weiter Beweisanzeichen für eine alkoholbedingte Verursachung des Unfalls sind die aufgrund der polizeilichen Ermittlungen festgestellten Tatsachen, dass der verstorbene Versicherte im Zeitpunkt des Unfalls mit überhöhter Geschwindigkeit von mindestens 108 km/h gefahren ist und mit einer für die im Verwaltungsverfahren gehörten Zeugen nicht nachvollziehbaren Vollbremsung reagiert hat. Diese Beweisanzeichen sind jedoch nicht von derartigem Gewicht, dass sie eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit als alleinwesentliche Ursache für den Unfall zu rechtfertigen vermögen. Eine Geschwindigkeitsüberschreitung um bis zu 20 km/h ist auch vielfach bei nüchternen Kraftfahrern zu beobachten (Vergleiche hierzu: BGH, Urteil vom 03. April 1985 –IV a ZR 111/83- VersR. 1985, 779) und auch für die plötzliche Blockierbremsung kommen andere Gründe in Betracht, wie Müdigkeit und Unaufmerksamkeit, insbesondere im vorliegenden Fall aber die Verengung der Fahrbahn von zwei auf einen Fahrstreifen und einen ggf. eingetretenes „Verschätzen“ der Überholmöglichkeit durch den verstorbenen Versicherten.

Daneben sind aufgrund der Ermittlungen im Verwaltungsverfahren und insbesondere aufgrund der Beweisaufnahme im sozialgerichtlichen Verfahren aber auch mehrere Beweisanzeichen dafür festgestellt worden, dass beim Versicherten die alkoholbedingte Beeinträchtigung überhaupt nicht oder zumindest nur in einem sehr geringen Umfang bestand. Der Zeuge C. hat hierzu ausgesagt, dass er bei einer Unterhaltung ca. 10 bis 15 min. vor dem tödlichen Unfall keinerlei Einschränkungen beim Kläger festgestellt habe. Beide trafen sich in der Firma beim Abstellen ihrer LKW. Der Versicherte hatte seinen LKW in Parkposition vor dem Zeugen abgestellt. Von fahrerischen Auffälligkeiten bei der Abstellung des LKW hat der Zeuge nichts berichtet. Aber auch im direkten Gespräch ist ihm nichts aufgefallen. Der Nachweis einer Fahruntüchtigkeit kann aufgrund dieser Aussage nicht geführt werden. Dies wurde auch von der Witwe des Versicherten bestätigt, die noch kurz vorher mit ihrem Ehemann telefoniert hatte. Darüber hinaus muss davon ausgegangen werden, dass der verstorbene Versicherte schon einige Zeit vor Beendigung seiner Arbeit den Alkohol zu sich genommen haben muss. Wie der Zeuge D. erklärt hat, hatte der Versicherte direkt vor dem Gespräch erst seinen LKW abgestellt. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass er mit derselben Blutalkoholkonzentration vorher seinen LKW unfallfrei gesteuert hat.

Letztlich ist die Kammer aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass vorliegend mehrere Ursachen für den Unfall des Versicherten kausal waren. Die BAK von 0,54 ‰ ist dabei sicherlich eine auch wesentliche Ursache. Es kann aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme aber nicht nachgewiesen werden, dass diese BAK die einzige Ursache oder Ursache von „überragender Bedeutung“ ist. Es bestehen daneben mehrere andere Ursachen wie z. B. insbesondere die Gefährlichkeit der Fahrstrecke mit Verengung von zwei auf eine Fahrspur, die dicht befahrene Strecke aber auch mögliche Fahrfehler des Versicherten aus Unaufmerksamkeit oder ähnlichen Ursachen. Eine Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall wäre nach den oben dargestellten Grundsätzen der ständigen Rechtsprechung aber nur dann ausgeschlossen, wenn die überragende Bedeutung der BAK für den Unfall nachgewiesen wäre. Hierfür ist die Beklagte beweispflichtig. Da dieser Beweis auch unter Ausschöpfung aller Beweismittel nicht geführt werden kann, war das Ereignis als Arbeitsunfall anzuerkennen. Den Klägern stehen Hinterbliebenenleistungen zu.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

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