SG Gießen, Urteil vom 10.09.2008 - S 9 KR 359/07
Fundstelle
openJur 2012, 30722
  • Rkr:
Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Im Streit die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung.

Die Kläger sind türkische Staatsangehörige und leben seit 1995 in Deutschland. Sie erhalten seit 30.04.2006 Leistungen der Jugendhilfe. Die Eltern der Kläger bezogen Sozialhilfe. Die Kläger waren bei der Beklagten nicht zur Krankenversicherung gemeldet. Die Eltern der Kläger sind nunmehr unbekannten Aufenthaltes. Am 20.07.2007 beantragten die Kläger bei der Beklagten die Aufnahme in die gesetzliche Krankenversicherung. Mit Bescheiden vom 22.08.2007 lehnte die Beklagte die Aufnahme der Kläger in die gesetzliche Krankenversicherung ab. Nicht versicherungspflichtig seien Personen, die laufende Leistungen der Jugendhilfe erhalten würden. Hiergegen erhoben die Kläger Widerspruch und machten geltend, sie seien keine Empfänger von Hilfen nach den Kapiteln 3, 4, 6 und 7 des SGB XII und auch § 5 Abs. 8 a SGB V sei nicht einschlägig. Personen, die lediglich Leistungen nach Kapitel 5 des SGB XII beziehen würden, seien nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V pflichtversichert.

Den Widerspruch der Kläger wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheiden vom 22.11.2007 zurück. Die Kläger hätten im Rahmen der laufenden Leistungen der Jugendhilfe einen Anspruch auf Hilfe bei Krankheit nach § 40 SGB VIII. Dieser anderweitige Leistungsanspruch schließe die geltend gemachte Versicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V aus.

Mit der am 21.12.2007 beim Sozialgericht Gießen eingegangenen Klage begehren die Kläger die Feststellung, dass sie bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert sind. Die Kläger vertreten die Ansicht, § 40 SGB VIII stelle keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfalle dar. Kinder und Jugendliche, die Leistungen nach § 40 SGB VIII erhalten würden, seien ohne anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall. Dies ergebe sich bereits aus dem Wortlaut des § 5 Abs. 8 a Satz 2 SGB V, wonach der Ausschluss nicht für Empfänger laufender Leistungen nach dem 5. Kapitel des Zwölften Buches gelte. Soweit nach § 264 Abs. 2 Satz 1 SGB V seit 01.04.2007 auch Empfänger von Krankenhilfeleistungen nach dem Achten Buch, die nicht versichert sind, angemeldet werden könnten, folge daraus lediglich, dass für die Empfänger von Jugendhilfeleistungen das Gleiche gelte wie für Empfänger von SGB XII-Leistungen. Die Ausschlussregelung in § 5 Abs. 8 a Satz 2 SGB V sei abschließend.

Die Kläger beantragen,

die Bescheide vom 22.08.2007 und die Widerspruchsbescheide vom 22.11.2007 aufzuheben und festzustellen, dass sie seit dem 01.04.2007 bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert sind.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sich die Beklagte auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid.

Wegen der weiteren Einzelheiten, auch im Vorbringen der Parteien, wird auf die Gerichts- und die Beklagtenakten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Kläger sind nicht seit dem 01.04.2007 bei der Beklagten pflichtversichert.

Versicherungspflichtig sind gemäß § 5 Abs. 1 Ziffer 13 SGB V Personen, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und zuletzt gesetzlich krankenversichert waren oder bisher nicht gesetzlich oder privat krankenversichert waren, es sei denn, dass sie zu den in Abs. 5 oder den in § 6 Abs. 1 oder 2 genannten Personen gehören oder bei Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit im Inland gehört hätten. Nach Abs. 1 Nr. 13 ist nicht versicherungspflichtig, wer nach Abs. 1 Nr. 1 bis 12 versicherungspflichtig, freiwilliges Mitglied oder nach § 10 versichert ist. Satz 1 gilt entsprechend für Empfänger laufender Leistungen nach dem 3., 4., 6. und 7. Kapitel des Zwölften Buches und für Empfänger von Leistungen nach § 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes (§ 5 Abs. 8 a SGB V).

Die Kläger haben einen Anspruch auf anderweitige Absicherung im Krankheitsfall. Die Kläger erhalten Leistungen der Jugendhilfe. Zu den Leistungen der Jugendhilfe gehört auch die Krankenhilfe gemäß § 40 SGB VIII. Für den Umfang der Hilfe gelten die §§ 47 bis 52 des Zwölften Buches. Das Gesetz definiert nicht, was unter einer anderen Absicherung im Krankheitsfall zu verstehen ist. Nach der Gesetzesbegründung, BT Drucks. 16/3100, Seite 94, sind ohne Anspruch auf anderweitige Absicherung im Krankheitsfall insbesondere die nicht gesetzlich oder privat krankenversicherten Personen, die keinen Anspruch auf Hilfe bei Krankheit nach § 40 SGB VIII und § 48 SGB XII haben. Dies hat zur Konsequenz, dass der Anspruch auf Krankenhilfe nach § 40 SGB VIII vorrangig ist. § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V ist grundsätzlich subsidiär, also jede andere Absicherung im Krankheitsfall geht vor.

Gegen diese Auslegung spricht auch nicht § 5 Abs. 8 a SGB V. § 5 Abs. 8 a SGB V schließt die Versicherungspflicht für Empfänger von laufenden Leistungen nach dem 3., 4., 6. und 7. Kapitel des Zwölften Buches aus. § 5 Abs. 8 a SGB V kann nur dann zur Anwendung kommen, wenn eine Versicherungspflicht nach den Vorschriften des § 5 Abs. 1 SGB V eintreten würde.

Für die Auslegung des § 5 Abs. 1 Ziffer 13 in dem Sinne, dass Empfänger von Krankenhilfeleistungen nach dem Achten Buch nicht versicherungspflichtig sind, weil eine andere Absicherung im Krankheitsfall besteht, spricht auch die Neuregelung in § 264 Abs. 2 SGB V. Nach § 264 Abs. 2 wird von der Krankenkasse die Krankenbehandlung von Empfängern von Krankenhilfeleistungen nach dem Achten Buch, die nicht versichert sind, von der Krankenkasse übernommen. Einer entsprechenden Neuregelung hätte es nicht bedurft, wenn § 40 SGB VIII nicht ein anderer Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall sein würde, da automatisch eine Pflichtversicherung bestehen würde.

Sinn und Zweck einer Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Ziffer 13 SGB V war vom gesetzgeberischen Gedanken her alle bisher nicht versicherten Personen, deren Krankenbehandlung nicht anderweitig sichergestellt war, in die gesetzliche Krankenversicherung aufzunehmen. Der Gesetzgeber wollte jedoch nicht Personen, die vom Sozialhilfeträger bisher Leistungen im Krankheitsfall erhalten haben, in die Versicherung aufnehmen. § 5 Abs. 8 a SGB V regelt dies ausdrücklich für die Empfänger von laufenden Leistungen nach dem SGB XII.

Aus den vorgenannten Gründen konnte die Klage keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG, die Zulässigkeit der Berufung aus § 143 SGG.

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