Hessisches LAG, Beschluss vom 20.06.2008 - 3 Ta 131/08
Fundstelle
openJur 2012, 30307
  • Rkr:
Tenor

Die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Offenbach vom 20. Februar 2008 - 5 Ca 16/08 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Beschwerdeführerin zu tragen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

A

Die Parteien streiten über die Rechtswegzuständigkeit zu den Gerichten für Arbeitssachen.

Die Beklagte ist Trägerin einer Werkstätte für behinderte Menschen im Sinne des 9. Buches des Sozialgesetzbuches. Der Kläger ist ein schwerbehinderter Mensch. Mit seiner am 17. Januar 2008 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat er die Aufnahme in die Werkstätte der Beklagten, hilfsweise die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger in ihrer Einrichtung als Werkstattmitarbeiter aufzunehmen. Durch Beschluss vom 20. Februar 2008 hat das Arbeitsgericht den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für zulässig erklärt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten sei gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 10 ArbGG eröffnet, weil das Rechtsverhältnis zwischen dem behinderten Menschen und der Werkstatt zivilrechtlich geprägt sei. Durch die Regelung des § 138 Abs. 1 SGB IX erhalte die Rechtsbeziehung eine arbeitsrechtliche Dimension (wegen der weiteren Begründung im Einzelnen wird auf die Gründe Seite 4 bis 6 - Bl. 28 bis 30 d.A. - Bezug genommen).

Mit ihrer am 11. März 2008 bei Gericht eingegangenen sofortigen Beschwerde wendet sich die Beklagte gegen den ihr am 28. Februar 2008 zugestellten Beschluss. Sie meint, dass der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben sei. Der Aufnahmeanspruch habe öffentlich-rechtlichen und keineswegs zivilrechtlichen Charakter. Dem Zivilrecht und dem Arbeitsrecht sei ein in der Vorschrift des § 137 SGB IX niedergelegter Kontrahierungszwang fremd. § 2 Abs. 1 Nr. 10 ArbGG stehe dem nicht entgegen, da er nur die Rechtswegzuständigkeit für Streitigkeiten aus den in § 138 SGB IX geregelten bereits bestehenden arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnissen betreffe. Im Streitfall solle demgegenüber erst ein Rechtsverhältnis aufgrund der öffentlich-rechtlichen Verpflichtung begründet werden. Dies sei auch verfahrensrechtlich sinnvoll, weil der jeweilige Rehabilitationsträger nur in Verfahren vor dem Sozialgericht mit in den Rechtsstreit einbezogen werden könne.

Die Beklagte beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Offenbach vom 20. Februar 2008 - 5 Ca 16/08 - aufzuheben und den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten für unzulässig zu erklären.

Der Kläger beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er verteidigt den Beschluss des Arbeitsgerichts unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens.

B

I.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig, da sie an sich statthaft ist (§§ 17 a Abs. 4 Satz 3 GVG, 78 Satz 1 ArbGG, 567 Abs. 1 ZPO) und form- sowie fristgerecht (§§ 569 Abs. 1 Satz 1, 2; 222 Abs. 2 ZPO) eingelegt wurde.

II.

In der Sache hat die sofortige Beschwerde allerdings keinen Erfolg. Zu Recht hat das Arbeitsgericht den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für zulässig erklärt.

Nach § 2 Abs. 1 Nr. 10 ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen behinderten Menschen im Arbeitsbereich von Werkstätten für behinderte Menschen und den Trägern der Werkstätten aus den in §138 SGB IX geregelten arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnissen. Die Bestimmung erfasst nicht nur Streitigkeiten über den Inhalt des Beschäftigungsverhältnisses eines Mitarbeiters im Arbeitsbereich einer Werkstatt für Behinderte (arbeitnehmerähnliches Rechtsverhältnis nach §138 Abs. 1 SGB IX), sondern auch  Streitigkeiten über die Umsetzung des Aufnahmeanspruchs aus §137 Abs. 1 SGB IX (i.E. auch Wiegand-Jung, SGB IX / Teil 2 Schwerbehinderten Recht, § 137 Rn. 4; Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, SGB IX, § 137 Rn. 3; GK-Schimanski, SGB IX, § 137 Rn. 79). Es handelt sich auch insoweit um eine bürgerliche und nicht um eine öffentlich-rechtliche Rechtsstreitigkeit.

Maßgebend ist insoweit, ob der zur Klagebegründung vorgetragene Sachverhalt für die aus ihm hergeleitete Rechtsfolge von Rechtssätzen des bürgerlichen Rechts oder des öffentlichen Rechts geprägt wird (vgl. BAG 08. November 2006 - 5 AZB 36/06 -Rn. 10, m. w. N.; zitiert nach Juris). Grundsätzlich unterstehen die Rechtsbeziehungen zwischen Privaten dem Zivilrecht. Ausnahmsweise können sie zwar dem öffentlichen Recht zuzuordnen sein, wenn eines der Rechtssubjekte seinerseits als Teil der öffentlichen Verwaltung zu betrachten ist oder jedenfalls auf die Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten in Anspruch genommen wird (BAG a. a. O. Rn. 16, m. w. N.; zitiert nach Juris). Dies trifft im Streitfall indessen nicht zu. Die sozialrechtliche Leistungsbeziehung besteht zwischen dem behinderten Menschen und dem Rehabilitationsträger. Aus dieser gesonderten Rechtsbeziehung erwächst der Anspruch des behinderten Menschen auf Eingliederungsbeihilfe (vgl. Hauck/Noftz/Götze, SGB IX, 137 Rn. 6). Sie besteht nicht aus der Verschaffung eines Werkstattvertrages, sondern aus der Gewährleistung der Kostenübernahme für die Aufnahme des behinderten Menschen in die Werkstatt (vgl.Hauck/Noftz/Götze, SGB IX, § 137 Rn. 6). Demgegenüber wird der Träger der Werkstatt nicht zur Erfüllung eines öffentlich-rechtlichen Sachleistungsanspruchs des behinderten Menschen gegen den Rehabilitationsträger tätig (Neumann/Pahlen/Makerski-Pahlen, SGB IX, § 138 Rn. 18; Münchner Handbuch-Cramer §237 Rn 38). Zwischen dem Behinderten und dem Träger der Werkstatt besteht kein hoheitliches Verhältnis der Über - und Unterordnung, sondern beide treten - jedenfalls nach der Vorstellung des Gesetzgebers - gleichgeordnet  einander gegenüber (zu diesem Aspekt, BAG 22.9.1999 - 5 AZB 27/99 - NZA 2000, 55(56)). Nach §138 SGB IX gelten im Arbeitsbereich anerkannter Werkstätten Beschäftige, sofern sie nicht nach allgemeinen Grundsätzen  als Arbeitnehmer einzustufen sind, als arbeitnehmerähnliche Personen, soweit sich aus dem zugrunde liegenden Sozialleistungsverhältnis nichts anderes ergibt. Auch wenn nicht von der Hand zu weisen ist, dass neben der Arbeitsleistung die Betreuung und Förderung des behinderten Menschen im Vordergrund stehen, handelt es sich um eine zivilrechtliche Beziehung, die nach § 138 Abs. 1 SGB IX eine arbeitsrechtliche Komponente hat. Sinn und Zweck der Vorschrift ist es, dem behinderten Menschen in den Geltungsbereich der Arbeitsschutzgesetzgebung einzubeziehen (vgl. Münchner Handbuch - Cramer §237 Rn 38; Neumann-Wendz, Handbuch SGB IX, § 22 Rn. 43). Der mit dem Aufnahmeanspruch verbundene Kontrahierungszwang spricht entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht für eine öffentlich-rechtliche Rechtsnatur des Rechtsverhältnisses. Im Arbeitsrecht ist beispielsweise bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen ein Wiedereinstellungsanspruch nach Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung (vgl. BAG 27. Februar 1997 - 2 AZR 160/96 - Rn 25 zitiert nach juris) und damit ein Kontrahierungszwang anerkannt und im Zivilrecht kann im Einzelfall ein Anspruch auf Aufnahme in einen Verband mit einer überragenden Machtstellung im wirtschaftlichen oder sozialen Bereich bestehen (vgl. BGH 23.11.1998 - II ZR 54/98 - NJW 1999, 1326ff).

Es ist darüber hinaus insgesamt sachgerecht und entspricht auch dem Erfordernis einer klaren und praktikablen Abgrenzung der Rechtswegzuständigkeiten sowie dem Ziel einer weitgehenden Integration des schwerbehinderten Menschen in das Arbeitsleben, wenn für alle Streitigkeiten in der Rechtsbeziehung zwischen dem Behinderten und dem rechtlich gleichgeordneten Träger der Werkstätte der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen eröffnet ist. Die Regelungen im Zuständigkeitskatalog des § 2 ArbGG sind weit auszulegen. Es ist seit jeher das Ziel des Arbeitsgerichtsgesetztes, alle bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten, die in so greifbar naher Beziehung zu einem Arbeitsverhältnis stehen, dass sie überwiegend durch das Arbeitsverhältnis bestimmt werden, auch prozessual im Rahmen der Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen zu erfassen (vgl. BAG 19.3.1975 - 4 AZR 270(74 - AP Nr. 14 zu §5 TVG; BAG 14. November 1979 - 4 AZR 3/78 - Rn. 13, 14; zitiert nach Juris; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, § 2 Rn. 6; Bader /Creutzfeldt/Friedrich, ArbGG, §2 Rn 1). Dementsprechend werden von der Ziffer 3 a des § 2 Abs. 1 ArbGG nicht nur Streitigkeiten aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis, sondern auch solche erfasst, in denen es um die Begründung des Vertragsverhältnisses geht (vgl. ErfK-Koch, §2 Rn. 17; Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, § 2 Rn. 53; Hauck/Helml, ArbGG, §2 Rn 22). Nichts anderes gilt für die Auslegung der Ziffer 10 des § 2 Abs. 1 ArbGG. Da dem Gesetzgeber die vom Bundesarbeitsgericht praktizierte weite Auslegung des Zuständigkeitskataloges für Arbeitsverhältnisse bekannt war, muss davon ausgegangen werden, dass er die durch das Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts vom 23. Juli 1996 eingefügte Ziffer 10 des § 2 Abs. 1 ArbGG ebenfalls umfassend verstanden wissen wollte. Dafür spricht auch der Wortlaut, da in Ziffer 10 in Anlehnung an Ziffer 3 a die Formulierung „bürgerliche Rechtsstreitigkeiten (...) aus arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnissen“ gewählt wurde. Der Hinweis in § 2 Abs. 1 Nr. 10 ArbGG auf § 138 SGB IX dient lediglich der Qualifizierung der Rechtsstellung der Beschäftigten in einer Werkstatt für behinderte Menschen und damit der Kennzeichnung des erfassten Rechtsverhältnisses und nicht - wie die Beklagte meint - einer Beschränkung der Rechtswegzuständigkeit auf Rechtsstreitigkeiten, die in einem bereits bestehenden arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnis wurzeln. Die von der Beklagten befürwortete strikte Trennung von Streitigkeiten die einem bereits bestehenden Rechtsverhältnis entspringen und solchen, die der Begründung des Rechtsverhältnisses dienen, ist im Gesetz nicht angelegt. Zwar kommt das arbeitnehmerähnliche Rechtsverhältnis bereits mit der Aufnahme in die Werkstatt zustande (vgl. Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, SGB IX, § 138 Rn. 20) und der darauf gerichteter Anspruch ist in § 137 SGB IX geregelt. Durch den Aufnahmeanspruch aus § 137 SGB IX wird aber der Inhalt der zwischen dem Träger der Werkstätte und dem behinderten Menschen bestehenden Rechtsbeziehung keineswegs abschließend geregelt. Vielmehr bedarf es hierfür weiterer Vereinbarungen zwischen dem behinderten Menschen und dem Träger der Werkstätte. Auf den Abschluss einer solchen Vereinbarung hat der behinderte Mensch ebenfalls einen unmittelbaren gesetzlichen Anspruch, der allerdings nicht in § 137 SGB IX, sondern wiederum in § 138 Abs. 3 SGB IX eingeräumt wird (vgl. Neumann/Pahlen, SGB IX, Rn. 20). Die enge Verknüpfung zeigt sich auch daran, dass der Aufnahmeanspruch zu einem Weiterbeschäftigungsanspruch führt, §137 Abs. 2 SGB IX.

C

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

D

Ein Grund für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß §§ 78 Satz 2, 77 Abs. 2 ArbGG ist nicht ersichtlich. Damit ist der Beschluss unanfechtbar.