SG Marburg, Urteil vom 14.05.2008 - S 4 EG 8/07
Fundstelle
openJur 2012, 30127
  • Rkr:
Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Höhe des monatlichen Zahlbetrages des dem Kläger zustehenden Elterngeldes.

Der Kläger und seine Ehefrau R. A. haben am 20. März 2007 drei Kinder bekommen, die Drillinge L. A., F. A. und M.-L. A.

Am 17.04.2007 beantragte der Kläger Elterngeld für diese drei Kinder (Bl. 1 – 4 Beiakte). Nach Vorlage der Lohnabrechnungen der F. oHG mbH für die Monate Februar 2006 bis Februar 2007 (Bl. 12 – 24 Beiakte) erließ die Beklagte am 27.04.2007 einen Bescheid nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) (Bl. 26 – 29 Beiakte). Darin bewilligte sie dem Kläger für den Zeitraum vom 20.03.2007 – 19.01.2008 Elterngeld in Höhe von 1.635,44 € pro Monat. Sie führte aus, Elterngeld werde in Höhe von 67 % des in den 12 Kalendermonaten vor dem Monat der Geburt der Kinder durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommens aus Erwerbstätigkeit bis zu einem Höchstbetrag von 1.800,00 € monatlich für volle Monate gezahlt, in denen die berechtigte Person kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erziele. Die Höhe des Nettoeinkommens aus Einkommen nichtselbständiger Arbeit bei dem Kläger betrage 1.545,44 €. Die Ermittlung des errechneten Einkommens sei aus der Bescheidanlage Teil 2 zu entnehmen. Aus dem genannten Nettobetrag ergebe sich ein Elterngeld in Höhe von monatlich 1.545,44 € x 67,00 % = 1.035,44 €. Gemäß § 2 Abs. 1 BEEG sei Elterngeld auf einen Höchstbetrag von 1.800,00 € begrenzt. Bei Mehrlingsgeburten erhöhe sich das zustehende Elterngeld um je 300,00 € für das zweite und jedes weitere Kind.

Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 22.05.2007 Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, der Beklagte habe bei der Berechnung des Elterngeldes insbesondere die Zuschläge für Nachtarbeit (Sonn- und Feiertagsarbeit) nicht als regelmäßiges Einkommen berücksichtigt. Er arbeite seit 4 Jahren nur noch in der Nachtschicht. Sein regelmäßiges Einkommen bestehe also ganz wesentlich auch aus diesen Zuschlägen. Mit Widerspruchsbescheid vom 04.06.2007 (Bl. 37 – 38 Beiakte) wies der Beklagte den Widerspruch zurück. In der Begründung führte er aus, die Nachtschichtzulage von 15 % und 20 %, Mehrarbeitsstunden / Nacht von 22,50 %, Sonn- und Feiertagsschicht von 25 % sowie Mehrarbeitsstunden Sonntag / Nacht von 60 % seien steuerfrei Bezüge iS von § 3 b EStG. Steuerfreie Einnahmen würden bei der Berechnung des Elterngeldanspruches nicht als Einkommen berücksichtigt, ohne dass es auf die Frage ankomme, ob sie sonst als Einkommen aus Erwerbstätigkeit anzusehen wären. Eine Berücksichtigung von Nachtzuschlägen bei der Berechnung des Elterngeldes könne deshalb nicht erfolgen.

Am 05.07.2007 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Marburg Klage erhoben (Bl. 1 d.A.). Zur Begründung seiner Klage trägt er vor, der Kläger sei bis zur Geburt der Drillinge bei der Firma F. beschäftigt gewesen. Er habe überwiegend in der Nachtschicht gearbeitet, so dass sich sein Arbeitsentgelt durch entsprechende Zuschläge erhöht habe. Die von dem Beklagten vorgenommene Auslegung des Bundeselterngeldgesetzes sei nicht richtig. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 iVm Abs. 7 BEEG werde das Einkommen aus Erwerbstätigkeit bei der Berechnung des Elterngeldes aus der Summe der positiven Einkünfte aus nicht selbständiger Arbeit iS von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 – 4 des Einkommensteuergesetzes ermittelt. Eine Regelung, dass die steuerfreien Anteile von Zulagen und Zuschlägen nicht angerechnet werden dürften, enthalte § 2 Abs. 7 BEEG nicht.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 27.04.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.06.2007 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, das Elterngeld zu berechnen nach dem Bruttoverdienst des Klägers (einschließlich des steuerfreien Anteils).

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf die im Vorverfahren getroffenen Feststellungen und trägt ergänzend vor, nach Punkt 2.1.4 der Richtlinien zum BEEG würden steuerfreie Einnahmen nicht als Einkommen berücksichtigt, ohne dass es auf die Frage ankomme, ob sie sonst als Einkommen aus Erwerbstätigkeit anzusehen wären. Dies betreffe alle in Abschnitt II.2 (§ 3 bis 3c) EStG genannten Einnahmen wie beispielsweise auch Zuschläge aus Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit nach Maßgabe des § 3 b EStG.

Das Gericht hat die bei dem Beklagten geführte Verwaltungsakte zu dem Rechtsstreit beigezogen.

Aufgrund einer Anfrage des Gerichts in der Verfügung vom 07.01.2008 (Bl. 23 d. A.) hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 16.01.2008 (Bl. 24 – 25 d. A.) mitgeteilt, dass bei Berücksichtigung aller Zuschläge bei der Berechnung des Elterngeldes dem Kläger ein monatliches Elterngeld in der fiktiven Höhe von 1.826,43 € zustehen würde.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten, insbesondere zum Vorbringen der Beteiligten, wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Akte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Gründe

Die form- und fristgerecht nach ordnungsgemäß durchgeführtem Vorverfahren erhobene Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Elterngeld nach seinem Bruttoeinkommen der letzten 12 Monate vor der Geburt der Kinder einschließlich der steuerfreien Anteile. Der Bescheid des Beklagten vom 27.04.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.06.2007 war daher abzuändern und der Beklagte zu verurteilen, das Elterngeld nach dem Bruttoeinkommen des Klägers einschließlich der steuerfreien Anteile zu berechnen.

Nach § 2 Abs. 1 S. 1 BEEG wird Elterngeld in Höhe von 67 % des in den 12 Kalendermonaten vor dem Monat der Geburt des Kindes durchschnittlich erzielten Einkommens aus Erwerbstätigkeit bis zu einem Höchstbetrag von 1.800,00 € monatlich für volle Monate gezahlt, in denen die berechtigte Person kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt. Vorliegend hat der Kläger nach der Geburt der drei Kinder 1 Jahr lang keine Erwerbstätigkeit ausgeübt. Somit ist ein Anspruch auf Erziehungsgeld nach dieser Vorschrift gegeben.

Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 BEEG ist als Einkommen aus Erwerbstätigkeit die Summe der positiven Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb, selbständige Arbeit und nichtselbständige Arbeit iS von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 – 4 EStG nach Maßgabe der Abs. 7 – 9 (von § 2 BEEG) zu berücksichtigen. Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 richtet sich die Einkommensermittlung beim Elterngeld nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes und nicht – wie ursprünglich geplant – nach der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 - 4 EStG unterliegen der Einkommensteuer Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft (Nr. 1), aus Gewerbebetrieb (Nr. 2), aus selbständiger Arbeit (Nr. 3) und aus nichtselbständiger Arbeit (Nr. 4). Die in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 – 7 EStG aufgeführten weiteren Einkünfte aus Kapitalvermögen, aus Vermietung und Verpachtung oder sonstige Einkünfte kommen bei der Elterngeldberechnung nicht in Betracht. Zu berücksichtigen als Erwerbseinkommen bei der Berechnung des Elterngeldes ist also nach § 2 Abs. 1 Satz 2 BEEG die Summe der positiven Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb, aus selbständiger Arbeit und aus nichtselbständiger Arbeit, wobei sich die Einzelheiten der Einkommensermittlung aus Abs. 7 – 9 ergeben (vgl. ZF./KY., Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz, Kommentar, Berlin 2007, § 2 Anm. 7). Einbezogen in die Elterngeldberechnung sind nach dem Wortlaut von § 2 Abs. 1 Satz 2 BEEG ausdrücklich nur die positiven Einkünfte, nicht die negativen Einkünfte bzw. Verluste nach §§ 2a, 2b, 10d EStG (vgl. ZF./KY., a.a.O., § 2 Anm. 8).

§ 2 Abs. 1 Satz 2 verweist ausdrücklich auf die Absätze 7 – 9, nach deren Maßgabe das Einkommen u.a. aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen ist. Nach § 2 Abs. 7 BEEG ist als Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit der um die auf dieses Einkommen entfallenden Steuer und die aufgrund dieser Erwerbstätigkeit geleisteten Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung in Höhe des gesetzlichen Anteils der beschäftigten Person einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung verminderte Überschuss der Einnahmen in Geld oder Geldeswert über die in einem Zwölftel des Pauschbetrages nach § 9 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG anzusetzenden Werbungskosten zu berücksichtigen. Sonstige Bezüge iS von § 38 a Abs. 1 Satz 3 EStG werden nicht als Einnahmen berücksichtigt. Als auf die Einnahmen entfallende Steuern gelten die abgeführte Lohnsteuer einschließlich Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer, im Falle einer Steuervorauszahlung der auf die Einnahmen entfallende monatliche Anteil. Grundlage der Einkommensermittlung sind die entsprechenden monatlichen Lohn- und Gehaltsbescheinigungen des Arbeitgebers. Vorliegend sind die Gehaltsbescheinigungen des Arbeitgebers für die Monate Februar 2006 bis Februar 2007 dem Beklagten vorgelegt worden (Bl. 12 – 24 Beiakte). Aus diesen Gehaltsbescheinigungen ist zu entnehmen, dass der Kläger tatsächlich durchgehend in Nachtschicht gearbeitet und dafür die tarifvertraglich bestimmten besonderen Zuschläge erhalten hat. Nach den Berechnungen in diesen Gehaltsabrechnungen lag das monatliche Netto des Klägers mitunter deutlich über dem von dem Beklagten errechneten Nettoeinkommen in Höhe von 1.545,44 €. Dieses monatliche Netto ist der in § 2 Abs. 7 BEEG formulierte „Überschuss der Einnahmen in Geld“. Nach dem Gesetzeswortlaut ist dieser Überschuss der Einnahmen in Geld als Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen. Dieses dem Kläger ausgezahlte monatliche gesetzliche Netto ist der Betrag, der sich ergibt, nachdem die Steuern und Sozialversicherungsbeiträge von dem Bruttoeinkommen abgezogen sind (§ 2 Abs. 7 Satz 1 BEEG). Der Kläger hat daher Anspruch, dass sein Elterngeld von diesem gesetzlichen monatlichen Netto berechnet wird.

Nicht durchgreifen kann der Vortrag der Beklagten, dass nach Ziff. 2.1.4 der Richtlinien zum BEEG des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 18.12.2006 (BMFSFJ/204) nur Einkommen aus Erwerbstätigkeit dem Elterngeld zugrunde gelegt und bei Anwendung dieser Norm die steuerfreien Nachtschichtzuschläge nicht berücksichtigt werden dürfen. Diese Richtlinien sind von dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erlassen worden, um das Bundeselterngeld und –elternzeitgesetz für die Verwaltung und die Gerichte anwendbar zu machen. In ihrer Rechtsqualität stehen die Richtlinien eindeutig unter dem Gesetz selbst. Das Gericht kommt in dem vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, dass sich die Richtlinien in Ziff. 2.1.4 mit dem Gesetzeswortlaut aus § 2 Abs. 7 BEEG widersprechen. In einem solchen Fall von Diskrepanz gehen der Gesetzestext und seine Auslegung zweifelsfrei den von der Verwaltung des Ministeriums erlassenen Richtlinien vor. Der Klage war daher stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Rechtsmittelbelehrung auf §§ 143, 144 SGG.

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