Hessischer VGH, Beschluss vom 27.02.2008 - 8 UZ 1214/07
Fundstelle
openJur 2012, 29571
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel vom 19. April 2007 – 3 E 905/06 – wird abgelehnt.

Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsantragsverfahrens zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind auch im zweitinstanzlichen Verfahren nicht erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Zulassungsantragsverfahren auf 7.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Der am 11. Juni 2006 rechtzeitig gestellte und am 11. Juli 2007 rechtzeitig begründete Berufungszulassungsantrag des Klägers gegen das seinen Bevollmächtigten am 11. Mai 2007 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel vom 19. April 2007 – 3 E 905/06 – hat keinen Erfolg, weil sich die geltend gemachten Zulassungsgründe des Bestehens ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung, der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und der Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus der am 11. Juli 2007 eingegangenen Antragsbegründung und den ergänzenden Ausführungen vom 10. September 2007 nicht ergeben.

Dies beruht im Hinblick auf den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils darauf, dass der Kläger zur Begründung dieses Zulassungsgrundes weder einen "tragenden Rechtssatz" noch eine "erhebliche Tatsachenfeststellung", also eine entscheidungserhebliche rechtliche oder tatsächliche Begründung des Verwaltungsgerichts mit "schlüssigen Gegenargumenten" in Frage gestellt hat (vgl. zu diesen Voraussetzungen BVerfG, Beschlüsse vom 23. Juni 2000 – 1 BvR 830/00DVBl. 2000, 1458 f., 3. März 2004 – 1 BvR 461/03BVerfGE 110, 77 f. = juris, Rdnr. 19, und vom 26. März 2007 - 1 BvR 2228/02GewArch 2007, 242 ff. = juris, Rdnr. 25).

Entgegen der Auffassung des Klägers begegnet die Entscheidung der Vorinstanz hinsichtlich ihrer Richtigkeit keinen ernstlichen Zweifeln im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, weil das Verwaltungsgericht, selbst bei Unterstellung der Behauptung des Klägers als wahr, der Bürgermeister der Gemeinde habe als Wahlleiter davon erfahren, das Frau Weber-Steinmüller auf der Liste der BLGD kandidiere und dies ihren Eltern verraten, was zur Folge gehabt habe, dass diese erheblichen Druck auf ihre Tochter ausgeübt hätten, die Kandidatur zu unterlassen, keinen Wahlanfechtungsgrund im Sinne des § 26 Abs. 1 Nr. 2 des Hessischen Kommunalwahlgesetzes – KWG – in der Fassung vom 1. April 2005 (GVBl. I, Seite 197) gesehen hat. Die Vorinstanz hat insoweit zu Recht ausgeführt, dass selbst dann, wenn man diese Behauptung als wahr unterstellen und in dem behaupteten Verhalten eine Unregelmäßigkeit im Wahlverfahren im Sinne des § 26 Abs. 1 Nr. 2 KWG erblicken wolle, es an der Erheblichkeit der behaupteten Unregelmäßigkeit für das Wahlergebnis fehle. Die mangelnde Erheblichkeit des behaupteten Wahlverstoßes ergibt sich daraus, dass Frau Weber-Steinmüller trotz des behaupteten Verhaltens des Bürgermeisters bei der Wahl zur Gemeindevertretung auf der Liste der BLGD kandidiert hat und zur Wahl angetreten ist. Soweit der Kläger dem mit dem Zulassungsantrag entgegenhält, die behauptete Unregelmäßigkeit habe doch Einfluss auf das Wahlergebnis gehabt, weil Frau Weber-Steinmüller sich von ihrer Kandidatur distanziert habe, trifft dies nicht zu, da Frau Weber-Steinmüller auf der Liste der BLGD zur Wahl angetreten ist und sich mit der "Bürgerinformation zur Wahlbroschüre Nr. 15 der BLGD" lediglich von der Behauptung der BLGD distanziert hat, ihr Foto sei von dem Bürgermeister zensiert worden. Eine Ergebnisrelevanz des behaupteten Wahlverstoßes kann auch nicht deshalb bejaht werden, weil Frau Weber-Steinmüller der BLGD für die Wahlwerbung kein Bild ihrer Person zur Verfügung gestellt und sich trotz ihrer Kandidatur für die BLGD nicht an den Wahlkampfveranstaltungen der Bürgerliste beteiligt hat. Gegenstand der Wahlprüfung ist allein die Frage, ob der behauptete Bruch der Verschwiegenheitspflicht durch den Bürgermeister Einfluss auf die Willensbildung der Wählerinnen und Wähler gehabt hat. Dies ist, wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat, offensichtlich nicht der Fall, da Frau Weber-Steinmüller bei der Wahl zur Gemeindevertretung auf der Liste der BLGD trotz des behaupteten Verhaltens des Bürgermeisters kandidiert hat. Ob sie dieser Liste zu Wahlkampfzwecken ein Bild ihrer Person zur Verfügung gestellt hat oder nicht und in welchem Umfang sie an Wahlkampfveranstaltungen der Liste teilgenommen hat, fällt allein in den Verantwortungs- und Entscheidungsbereich der Kandidatin und ist dem Bürgermeister der Gemeinde nicht zuzurechnen.

Soweit der Kläger das Bestehen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass der Bürgermeister nicht gegen die ihm obliegende Verschwiegenheitspflicht verstoßen habe, geltend macht (Seite 3 der Begründung des Zulassungsantrages dritter Absatz bis Seite 4 Mitte), handelt es sich bei diesen Ausführungen des Verwaltungsgerichts lediglich um Hilfserwägungen, die die Entscheidung nicht selbständig tragen, da das Verwaltungsgericht – zu Recht – schon von der fehlenden Erheblichkeit des behaupteten Wahlverstoßes ausgegangen ist. Mangels Entscheidungserheblichkeit sind die diesbezüglichen Angriffe des Klägers damit nicht geeignet, zur Zulassung der Berufung unter dem Gesichtspunkt des Bestehens ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung zu führen.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist das Verwaltungsgericht auch zu Recht davon ausgegangen, dass auch die Herausgabe der "Bürgerinformation zur Wahlbroschüre Nr. 15 der BLGD" durch den Bürgermeister rechtlich nicht zu beanstanden ist und insbesondere keine Verletzung der ihm obliegenden Neutralitätspflicht darstellt. Zwar ist es zutreffend, dass gemeindliche Organe, also auch der Bürgermeister einer Gemeinde, im Kommunalwahlkampf sich neutral zu verhalten haben und nicht zu Gunsten bestimmter Bewerber durch öffentliche Auftritte, Anzeigen, Wahlaufrufe, gemeindliche Öffentlichkeitsarbeit oder sonstige amtliche Verhaltensweisen eine unzulässige Wahlbeeinflussung begehen dürfen (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 29. November 2001 – 8 UE 3800/00 – HSGZ 2002, 171, 175). Eine solche unzulässige Wahlbeeinflussung hat der Bürgermeister vorliegend aber mit der Herausgabe der "Bürgerinformation zur Wahlbroschüre Nr. 15 der BLGD" nicht vorgenommen. Die genannte Bürgerinformation enthält – ebenso wie die von Frau Weber-Steinmüller abgegebene Erklärung, mit der sie eine Einheit bildet – weder in offener noch in versteckter Form eine Wahlempfehlung zu Gunsten einer Partei. In der genannten Erklärung hat sich der Bürgermeister vielmehr lediglich in sprachlich angemessener, sachlicher und zurückhaltender Weise mit dem in der Broschüre der BLGD enthaltenen Vorwurf auseinandergesetzt, eine Zensur des Fotos der Kandidatin Weber-Steinmüller in der Wahlbroschüre der BLGD vorgenommen zu haben, und diesen zurückgewiesen. Zu der Herausgabe dieser Erklärung war der Bürgermeister vorliegend auch in der Vorwahlzeit berechtigt, denn der von der BLGD gegen ihn erhobene Zensurvorwurf war schwerwiegend, griff den Bürgermeister in seiner amtlichen Funktion an und erforderte deshalb eine zeitnahe Entgegnung, die auch in der Form einer "Bürgerinformation" erfolgen durfte, da anerkannt ist, dass selbst die gemeindliche Öffentlichkeitsarbeit in der Gestalt von Presserklärungen oder Pressegesprächen auch in der Vorwahlzeit grundsätzlich keinen Einschränkungen unterliegt, sofern sie sich – wie vorliegend – auf die Richtigstellung wirklicher oder vermeintlicher Unrichtigkeiten beschränkt (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 22. September 2005 – 8 UE 609/05NVwZ 2006, 610, 611). Soweit der Kläger geltend macht, der Bürgermeister sei nicht zur "Inanspruchnahme der Kandidatin Weber-Steinmüller" berechtigt gewesen, so hat eine solche Inanspruchnahme offensichtlich nicht stattgefunden. Dass Frau Weber-Steinmüller ihre Erklärung mit der des Bürgermeisters räumlich verbunden hat, war ihre eigene, freie Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht ausgeführt, dass weder dem Bürgermeister noch Frau Weber-Steinmüller vorgeworfen werden kann, dass sie sich, um die Aussagekraft ihrer jeweiligen Erklärungen zu erhöhen, zu einem gemeinsamen Vorgehen gegen den von der BLGD erhobenen Zensurvorwurf entschlossen hatten. Entgegen der Auffassung des Klägers hatte das Verwaltungsgericht auch nicht auszuführen, "inwiefern das Gebot der Neutralitätspflicht eines Amtsträgers sich danach bestimme, inwiefern die Verletzung der Neutralitätspflicht durch eine an einer Wahl teilnehmende Wählergruppe mit verursacht worden ist". Aus den vorstehend dargelegten und auch bereits vom Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführten Gründen, ist eine Verletzung der Neutralitätspflicht durch den Bürgermeister der Gemeinde vorliegend überhaupt nicht gegeben.

Soweit mit der Zulassungsantragsschrift Ausführungen dazu gemacht werden, dass trotz der durch Gesetz vom 31. Januar 2005 (GVBl. I, Seite 54) erfolgten Neufassung des § 26 KWG der Begriff "Unregelmäßigkeiten" weiterhin nicht nur Fehler im formal-technischen Ablauf der Wahl erfasse bzw. anderenfalls die geltend gemachten Pflichtverletzungen des Bürgermeisters unter das Tatbestandsmerkmal der "gegen die guten Sitten verstoßenen Handlungen" zu subsumieren sein, sind diese Ausführungen nicht geeignet, zur Zulassung der Berufung unter dem Gesichtspunkt des Bestehens ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung zu führen. Die Vorinstanz hat zu Recht ausgeführt, dass unabhängig davon, ob nach der Neufassung des Gesetzes für den Wahlanfechtungsgrund der "Unregelmäßigkeiten im Wahlverfahren" nur noch Wahlfehler verblieben, die sich auf den formal-technischen Ablauf der Wahl beschränkten, oder ob man den Begriff der sittenwidrigen Handlung als Unterfall der "Unregelmäßigkeiten im Wahlverfahren" ansehe und ihn im Sinne der bisherigen Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs verstehe (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 22. September 2005 – 8 UE 605/05 – a.a.O.), es vorliegend jedenfalls aus den dargelegten Gründen an einer Verletzung der Neutralitätspflicht durch den Bürgermeister und damit an dem Vorliegen eines Wahlanfechtungsgrundes fehle.

Hieraus folgt zugleich, dass der vorliegenden Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zukommt. Die von dem Kläger als grundsätzlich klärungsbedürftig angesehene Frage, "ob § 26 Abs. 1 Nr. 2 KWG in der Fassung vom 1. April 2005 (GVBl. I, Seite 197) entsprechend der bis dahin geltenden Fassung des KWG dahin auszulegen ist, dass deren Voraussetzungen auch dann gegeben sind, wenn gemeindliche Organe unter Verletzung der ihnen im Kommunalwahlkampf obliegenden Neutralitätspflicht durch öffentliche Anzeigen, Aufrufe oder sonstige amtliche Verhaltensweisen unzulässige Wahlbeeinflussung begehen", stellt sich im vorliegenden Fall nicht, da es an einer Verletzung der Neutralitätspflicht fehlt und der Bürgermeister mit der Veröffentlichung der "Bürgerinformation zur Wahlbroschüre Nr. 15 der BLGD" keine unzulässige Wahlbeeinflussung begangen hat.

Die Berufung ist schließlich auch nicht gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO in Verbindung mit § 138 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Soweit der Kläger geltend macht, die Vorinstanz sei zu Unrecht nicht dem Beweisangebot nachgegangen, zum Beweis der Richtigkeit der Behauptung, der Bürgermeister habe allein durch die offizielle Einreichung des Wahlvorschlags der BLGD Kenntnis von der Kandidatur von Frau Weber-Steinmüller erhalten, Bürgermeister Weber als Zeugen zu vernehmen, bedurfte es einer Beweisaufnahme mangels Entscheidungserheblichkeit der behaupteten Tatsache nicht. Das Beweisangebot sollte nämlich zum Nachweis eines Verstoßes des Bürgermeisters gegen die ihm nach § 75 HBG obliegende Verschwiegenheitspflicht dienen; die Vorinstanz hat jedoch – unabhängig von einem eventuellen Verstoß des Bürgermeisters gegen seine Verschwiegenheitspflicht – die Klage bereits deshalb abgewiesen, weil es an der Erheblichkeit des geltend gemachten Wahlfehlers fehlt. Entgegen der Auffassung des Klägers musste ihm von der Vorinstanz auch nicht Gelegenheit dazu gegeben werden, zu der Frage, ob der Zeitung "Fulda Aktuell zum Sonntag" am Tag vor der Kommunalwahl noch Wahlwerbung anderer Parteien oder Wählergruppen beigefügt war, noch weiter vorzutragen bzw. Beweis anzutreten. Bei der Erwägung der Vorinstanz, dass der Ausgabe der genannten Zeitung an diesem Tag unmittelbar vor der Kommunalwahl vermutlich auch noch Wahlwerbung anderer Parteien oder Wählergruppen beigefügt gewesen sein dürfte, handelt es sich lediglich um eine Hilfserwägung. Entscheidend ist das Urteil der Vorinstanz in diesem Punkt aber auf die Erwägung gestützt, dass die Wahlinformation des CDU-Gemeindeverbandes und die von dem Bürgermeister und Frau Weber-Steinmüller herausgegebene "Bürgerinformation zur Wahlbroschüre Nr. 15 der BLGD", die beide der Ausgabe der Wochenzeitung "Fulda Aktuell zum Sonntag" am 25. März 2006 beigelegen haben, in keiner Weise mit einander verbunden gewesen sein. Zu diesem tatsächlichen Umstand Stellung zu nehmen, hatte der Kläger Gelegenheit. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs liegt damit nicht vor.

Der Zulassungsantrag ist danach mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen. Anlass zu einer Streitwertfestsetzung zu Gunsten der Beigeladenen gemäß § 162 Abs. 3 VwGO hat der Senat nicht, da diese keine Anträge gestellt haben und damit auch kein eigenes Kostenrisiko eingegangen sind. Unter diesen Umständen entspricht es nicht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären.

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 in Verbindung mit § 52 Abs. 2 und § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG und folgt der erstinstanzlichen Wertfestsetzung auch für das zweitinstanzliche Verfahren.

Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO und gemäß § 66 Abs. 3 Satz 3 in Verbindung mit § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG unanfechtbar.

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