FG Kassel, Urteil vom 31.01.2008 - 9 K 1661/05
Fundstelle
openJur 2012, 29537
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob Aufwendungen zur Behandlung einer Lese- und Rechtschreibschwäche des Sohnes steuerlich zu berücksichtigen sind.

Die Klägerin zu 2. ist die leibliche Mutter des am ...1985 geborenen K.

Im Mai 1995 wandte sich die Klägerin auf Anregung einer Beratungsstelle an eine Legasthenie-Therapeutin mit der Bitte zu prüfen, ob bei ihrem Sohn eine Lese- und Rechtschreibschwäche vorliege. Aufgrund verschiedener Tests diagnostizierte die Therapeutin in ihrem Analysebericht vom 02.10.1995 eine „eindeutige und schwere Lese- und Rechtschreibschwäche“, aufgrund derer K bereits eine starke Verunsicherung entwickelt und die sein Sozialverhalten nachteilig beeinflusst habe.

Im Rahmen einer Bescheinigung zur Vorlage bei der Grundschule bestätigte auch die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie … am 12.01.1996 das Vorliegen einer Legasthenie.

In der Folgezeit nahm K innerhalb des schulischen Rahmens an einem Differenzierungsunterricht teil und besuchte wöchentlich eine 2-stündige Lerntherapie. An drei Tagen in der Woche nahm er auch an einer Hausaufgabenbetreuung in einer Kleingruppe einer pädagogischen Werkstatt teil.

In ihrem Abschlussbericht vom 12.08.1998 führte die Therapeutin aus, der bisherige Verlauf sowie abschließende Tests hätten zu ihrer Empfehlung und zu dem Entschluss der Mutter geführt, K einer fachlich versierten Schule und ihrem Internat anzuvertrauen.

Auch ein Jugendpsychiater der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie … gelangte aufgrund ambulanter Untersuchungen in seinem Bericht vom 04.12.1998 zu dem Ergebnis, ein Verbleib des Sohnes auf einer Regelschule mit begleitender Legasthenietherapie werde die Situation kaum günstig beeinflussen. Die von der Mutter angestrebte Lösung einer Beschulung in einer entsprechenden Einrichtung halte er für eine der weiteren Entwicklung durchaus zuträgliche Maßnahme. Der Junge brauche den geschützten Rahmen, in welchem die Lese- und Rechtschreibschwäche nur einen Teilaspekt der Förderung und Betreuung darstelle. Nach seiner Einschätzung liege bei K eine seelische Behinderung im Sinne des § 35 a des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG) vor.

Tatsächlich besuchte K bereits seit dem 01.08.1998 die X-Schule in … .

Die X-Schule ist eine staatlich anerkannte Privatschule mit einem integrierten Legastheniezentrum, in deren Rahmen auch eine Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche im Sinne des § 35 a KJHG durchgeführt wird. Die Schule wird von ca. … Schülern besucht, von denen etwa … in dem angeschlossenen Internat leben.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Schulvertrag vom 15.08.1998 sowie auf die vorliegende Kurzinformation der X-Schule (Bl. 185 ff. der Einkommensteuerakte 2002) verwiesen.

Bereits vor Abschluss des Schulvertrags, nämlich am 18.07.1998, hatte die Klägerin einen Antrag auf Gewährung von Eingliederungshilfe für seelisch behinderte junge Menschen gem. § 35 a KJHG beim Jugendamt des …-Kreises gestellt. Ziel des Antrags war es, eine Übernahme der Kosten der X-Schule zu erreichen. Im Rahmen der Antragstellung war die Klägerin auch darüber informiert worden, dass sie verpflichtet ist, im Rahmen ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse einen angemessenen Kostenbeitrag zu leisten.

In der Folgezeit wurde der Antrag auf Kostenübernahme nach dem Vortrag der Kläger nicht mehr weiter verfolgt.

Mit ihrer Einkommensteuererklärung des Streitjahres 2002 machten die Kläger Aufwendungen für die Internatsunterbringung des Sohnes in Höhe von 19.944,- EUR als außergewöhnliche Belastung im Sinne des § 33 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) geltend. Ausweislich der vorgelegten Bescheinigung der X-Schule setzt sich dieser Betrag folgendermaßen zusammen:

Schulbeitrag 1.416,-- EURUnterkunft, Verpflegung, Betreuung13.620,-- EURLegasthenietherapie 4.908,-- EUR.Der Beklagte berücksichtigte mit seinem Einkommensteuerbescheid 2002 vom 03.09.2004, der am 17.09.2004 wegen nicht im Zusammenhang mit dem vorliegenden Rechtsstreit stehender Umstände geändert wurde, die geltend gemachten Aufwendungen nicht. In den Erläuterungen führte er vielmehr aus, diese seien mit dem erhaltenen Kindergeld/Kinderfreibetrag abgegolten.

Dagegen wandten sich die Kläger mit ihrem Einspruch vom 22.09.2004, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 13.05.2005 als unbegründet zurückwies.

Mit der vorliegenden Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter.

Sie tragen vor, die Unterbringung in dem Internat sei, was inzwischen auch unstreitig sei, aufgrund der seelischen Behinderung des Sohnes erforderlich gewesen. Unzutreffend sei aber die Auffassung des Beklagten, ein Abzug der Kosten als außer-gewöhnliche Belastung könne nicht erfolgen, weil sie - die Kläger - auf die Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs von dritter Seite verzichtet hätten. Tatsächlich habe der behauptete Anspruch auf Übernahme der Kosten im Rahmen des § 35 a KJHG nicht bestanden. Über die Art und Weise der Hilfe im Rahmen dieser Vorschrift entscheide nämlich nicht die die seelische Behinderung feststellende Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, sondern vielmehr das zuständige Jugendamt. In Betracht kämen dabei in aller Regel nur ambulante Therapiemaßnahmen. Eine Hilfe in Form einer Unterbringung in einem Privatinternat sei dagegen nur in äußerst seltenen Extremsituationen denkbar. Sollte ein Anspruch auf Übernahme der Kosten dem Grunde nach bestanden haben, wäre dieser im Verhältnis zu den tatsächlich angefallenen Kosten von geringer Bedeutung gewesen. Wegen der Höhe ihrer Einkünfte hätte nämlich ein erheblicher eigener Kostenbeitrag geleistet werden müssen. Im Übrigen sei auch zu berücksichtigen, dass sie - die Kläger - aus ehrenhaften und von sozialer Verantwortung getragenen Motiven auf die Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs verzichtet hätten. Durch den Verzicht sollte sozial schwächer gestellten Kindern die Möglichkeit der Inanspruchnahme staatlicher Hilfe gegeben werden.

Der Einkommensteuerbescheid 2002 wurde im Laufe des Klageverfahrens wegen nicht im Zusammenhang mit dem vorliegenden Rechtsstreit stehender Umstände mehrfach - zuletzt am 19.01.2006 - geändert.

Die Kläger beantragen, den Einkommensteuerbescheid 2002 in der Fassung vom 19.01.2006 sowie die Einspruchsentscheidung vom 13.05.2005 dahingehend zu ändern, dass Aufwendungen in Höhe von 19.944,-- EUR - abzüglich der zumutbaren Belastung im Sinne des § 33 Abs. 3 EStG - als außergewöhnliche Belastung im Sinne des § 33 Abs. 1 EStG berücksichtigt werden.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er vertritt die Ansicht, Aufwendungen für die auswärtige Unterbringung in einem Internat seien dem Grunde nach als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig, wenn sie ausschließlich zum Zwecke der Heilung einer Krankheit erfolgten, so dass die Schulausbildung nur anlässlich der Heilbehandlung gleichsam nebenbei und nachrangig erfolge. Voraussetzung für die Abzugsfähigkeit sei aber, dass durch ein vor der Behandlung ausgestelltes amtsärztliches Attest nachgewiesen werde, dass die auswärtige Unterbringung krankheitsbedingt erfolge. Daran fehle es im Streitfall. Im Übrigen sei auch weiter unklar, ob - und ggf. in welcher Höhe - eine Bezuschussung durch das Jugendamt hätte erfolgen können. Es sei nicht auszuschließen, dass eine Bezuschussung nur deshalb unterblieben sei, weil die Internatsunterbringung auf Wunsch der Kläger erfolgt sei.

Dem Senat lagen 2 Bände Einkommensteuerakten vor.

Gründe

Die Klage ist unbegründet.

Zu Recht hat der Beklagte die geltend gemachten Aufwendungen nicht als außer-gewöhnliche Belastung berücksichtigt.

Dies gilt zunächst für die Kosten, die die X-Schule für die eigentliche Legasthenietherapie in Rechnung gestellt hat.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs -BFH- können Aufwendungen eines Unterhaltspflichtigen für die Behandlung seines Kindes, dessen Lese- und Rechtschreibfähigkeit beeinträchtigt ist, als Krankheitskosten gemäß § 33 EStG berücksichtigt werden, wenn die Lese- und Rechtschreibschwäche im konkreten Fall eine Krankheit darstellt und die Aufwendungen zum Zwecke ihrer Heilung oder Linderung getätigt worden sind. Dies ist durch Vorlage eines vor der Behandlung ausgestellten amtsärztlichen Attestes nachzuweisen (vgl. Urteil des BFH vom 03.03.2005 III R 64/03; amtlich nicht veröffentlichte Entscheidungen des BFH -BFH/NV- 2005, 846 m.w.N.). Einem amtsärztlichen Attest gleichzustellen ist auch ein Attest des medizinischen Dienstes einer öffentlichen Krankenversicherung. Nur in Ausnahmefällen kann von diesen strengen Nachweiserfordernissen abgesehen werden, wenn sich die medizinische Notwendigkeit der Maßnahme bereits aus anderen amtlichen Unterlagen offensichtlich ergibt (vgl. z.B. Urteil des BFH vom 20.06.1995 III R 52/93, Bundessteuerblatt -BStBl- II 1995, 614).

Der erkennende Senat schließt sich der Rechtsprechung des BFH an.

Die Finanzbehörden und die Gerichte besitzen nicht die nötige Sachkunde, um die medizinische Indikation solcher Behandlungsmaßnahmen zu beurteilen.

Ein Nachweis durch privatärztliche Gutachten, bietet nach der Überzeugung des Senats nicht in hinreichendem Umfang die Gewähr, dass die Inanspruchnahme ungerechtfertigter steuerlicher Vorteile verhindert wird. Damit ist in besonderem Maße zu rechnen bei Maßnahmen, die - wie auch eine Lese- und Rechtschreibtherapie - ihrer Art nach nicht stets eindeutig der Heilung oder Linderung einer Krankheit dienen, sondern mitunter auch aus anderen Erwägungen getätigt werden, z.B. um die sprachliche, soziale, psychologische oder pädagogische Entwicklung eines Kindes zu fördern und zu unterstützen. Damit wird die Fachkompetenz der tätig gewordenen privaten Einrichtungen bzw. Personen nicht in Zweifel gezogen. Würde ein Nachweis durch privatärztliche Gutachten aber genügen, müsste in jedem Einzelfall eine umfassende Beweiswürdigung stattfinden. Es müssten ggf. weitere Ermittlungen über die Tätigkeit der eingeschalteten Stellen, die Qualifikation der begutachtenden Personen und die Aussagekraft derartiger Bescheinigungen angestellt werden. Gerade die damit für die Finanzbehörden sowie die Gerichte verbundenen Schwierigkeiten haben den BFH jedoch veranlasst, nur unter engen Voraussetzungen Ausnahmen von dem qualifizierten Nachweis zuzulassen. Selbst wenn der Amtsarzt oder der medizinischen Dienst der gesetzlichen Krankenkasse nicht einschlägig spezialisiert sein sollte, wäre es ohne weiteres möglich, erforderlichenfalls im Rahmen einer Nachfrage bei den tätig gewordenen Stellen, sich ein eigenes medizinisches Urteil zu bilden und eine auf all-gemeinen Grundsätzen beruhende, die Behörden und Gerichte grundsätzlich bindende amtliche Bestätigung abzugeben (vgl. dazu auch Urteil des BFH vom 07.06.2000 III R 54/98, BStBl 2001, 94).

Im Streitfall haben die Kläger den erforderlichen qualifizierten Nachweis nicht erbracht.

Die Kläger haben Berichte und Bescheinigungen der Legasthenie-Therapeutin … , der Diplom-Psychologin … sowie zweier Kinder- und Jugendpsychiater der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie … vorgelegt. Insoweit handelt es sich nicht um amtliche Unterlagen. Der Bericht der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie … vom 04.12.1998 erlangt auch nicht dadurch amtlichen Charakter, dass die Kläger vom Jugendamt des …-Kreises dorthin verwiesen wurden, um die Voraussetzungen des § 35 a KJHG feststellen zu lassen. Auch das Jugendamt selbst hat keine Entscheidung über das Vorliegen einer seelischen Behinderung getroffen, weil die Kläger ihren Antrag nicht weiter verfolgt haben.

Nach alledem sind die Kosten der eigentlichen Legasthenietherapie steuerlich nicht zu berücksichtigen.

Gleiches gilt auch für die sonstigen Aufwendungen, die mit dem Besuch der X-Schule verbunden sind (Schulbeitrag, Unterkunft, Verpflegung und Betreuung).

Nach der Rechtsprechung des BFH sind Aufwendungen von Eltern für die Internatsunterbringung eines Kindes nur dann als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen, wenn der Aufenthalt zur Heilung oder Linderung der Krankheit nachweislich unabdingbar notwendig ist und der Schulbesuch nur anlässlich dieser Heilbehandlung gleichsam nebenbei und nachrangig erfolgt. Der Nachweis ist grundsätzlich durch Vorlage eines amtsärztlichen Attests zu führen, wobei auch insoweit die dargelegten Ausnahmen gelten (vgl. Beschluss des BFH vom 16.08.2006 III B 20/06, BFH/NV 2006, 2075 m.w.N).

Im Streitfall scheitert die Abzugsfähigkeit schon daran, dass die Kläger den Nachweis der unabdingbaren Notwendigkeit der Internatsunterbringung nicht in der erforderlichen qualifizierten Form geführt haben.

Nur hilfsweise weist der Senat darauf hin, dass auch den vorgelegten - nicht amtlichen - Berichten und Bescheinigungen nicht zweifelsfrei entnommen werden kann, dass eine Internatsunterbringung unabdingbar notwendig war. So hat die Therapeutin … in ihrem Abschlussbericht vom 12.08.1998 ausgeführt, die Resultate verschiedener Test hätten zu dem Entschluss der Mutter und zu ihrer Empfehlung beigetragen, „den Jungen nach Möglichkeit ihrer fachlich versierten Schule und ihrem Internat anzuvertrauen“. Der Kinder- und Jugendpsychiater … hat in seinem Bericht vom 04.12.1998 dargelegt, er halte „die von der Mutter angestrebte Lösung einer Beschulung in einer entsprechenden Einrichtung …… für eine der weiteren Entwicklung durchaus zuträgliche Lösung“. Der Senat vermag daraus nicht zweifelsfrei zu entnehmen, dass die Internatsunterbringung zwingend notwendig und eine Behandlung in anderer Form ohne Erfolgsaussicht war.

Abschließend weist der Senat noch darauf hin, dass sich die geltend gemachten Aufwendungen ohnehin nur insoweit steuerlich ausgewirkt hätten, als diese der Höhe nach die nach § 33 Abs. 3 EStG zu berechnende zumutbare Belastung überschritten haben.

Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung abzuweisen.