OLG Celle, Beschluss vom 04.05.2011 - 10 UF 78/11
Fundstelle
openJur 2012, 51855
  • Rkr:

Für die Entgegennahme des Beschlusses, mit dem die Erbausschlagung vom Familiengericht genehmigt wird, ist grundsätzlich ein Ergänzungspfleger zu bestellen, da - unabhängig vom Vorliegen eines erheblichen Interessengegensatzes im Sinne von §§ 1629 Abs. 2 S. 3, 1796 Abs. 2 BGB - die Eltern bzw. der allein sorgeberechtigte Elternteil gemäß § 41 Abs. 3 FamFG verhindert sind.

Tenor

I. Die Beschwerde der Ergänzungspflegerin wird auf deren Kosten zurückgewiesen.

II. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

III. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Das betroffene Kind J. L. H., geboren am ….. 2004, ist aus einer Verbindung seiner Mutter mit Herrn A. V., geboren am …. in …. , verstorben am …. in …. , hervorgegangen. Die Kindeseltern waren nicht miteinander verheiratet.

Aufgrund der Anordnung in seinem Testament ist die Kindesmutter Alleinerbin nach dem verstorbenen Kindesvater geworden. Sie hat die Erbschaft am 13. Dezember 2010 beim Amtsgericht - Nachlassgericht - Hannover (Az.: 50 VI 5113/10) ausgeschlagen. Die Erbschaft ist daraufhin dem betroffenen Kind angefallen. Die Kindesmutter hat deshalb am 13. Dezember 2010 die Erbschaft auch als gesetzliche Vertreterin des betroffenen Kindes ausgeschlagen und die Genehmigung der Erbschaftsausschlagung beim zuständigen Familiengericht beantragt.

Das Amtsgericht - Familiengericht - Hannover hat am 15. März 2011 für das betroffene Kind Ergänzungspflegschaft angeordnet und die Landeshauptstadt Hannover zum Ergänzungspfleger bestellt, wobei der Beschluss auf den Antrag der Kindesmutter vom 24. März 2011 hinsichtlich des Datums der Erbausschlagung sowie des Vornamens des betroffenen Kindes durch den Beschluss vom 25. März 2011 berichtigt worden ist. Als Wirkungskreis der Ergänzungspflegerin ist die Entgegennahme der Zustellung des noch zu erlassenden Beschlusses über die Genehmigung der Erbausschlagung vom 13. Dezember 2010 gegenüber dem zuständigen Amtsgericht - Nachlassgericht - Hannover (50 VI 5113/10) und die Erklärung eines Rechtsmittelverzichts bzw. Einlegung eines Rechtsmittels gegen diesen Beschluss für den Minderjährigen bestimmt worden.

Dagegen richtet sich die Beschwerde der Ergänzungspflegerin, die geltend macht, dass das Kind auch im Wirkungskreis der Ergänzungspflegschaft von der sorgeberechtigten Mutter vertreten werden könne.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt; sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Der angefochtene Beschluss ist zwar formell fehlerhaft, weil das Amtsgericht entgegen § 160 Abs. 2 S. 1 FamFG die Kindesmutter nicht angehört hat, denn sie hat vor Erlass des Beschlusses keine Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Bei der Bestellung eines Ergänzungspflegers handelt es sich nach § 151 Nr. 5 FamFG um eine Kindschaftssache, so dass die Eltern grundsätzlich anzuhören sind. Anderenfalls wird der in Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz normierte Anspruch der Eltern auf rechtliches Gehör nicht beachtet. Dieser Verfahrensfehler ist aber durch die Zustellung des angefochtenen Beschlusses an die Kindesmutter und deren Berichtigungsantrag vom 24. März 2011 geheilt worden.

Das Amtsgericht hat zu Recht eine Ergänzungspflegschaft angeordnet.

Nach § 1909 Abs. 1 S. 1 BGB erhält, wer unter elterlicher Sorge steht, für Angelegenheiten, an deren Besorgung die Eltern verhindert sind, einen Pfleger. Eine Verhinderung der Eltern oder - wie hier - eines allein sorgeberechtigten Elternteils ist gemäß § 1629 Abs. 2 S. 3 BGB i.V.m. § 1796 Abs. 2 BGB insbesondere gegeben, wenn das Interesse des betroffenen Kindes zu dem Interesse der Kindesmutter in erheblichem Gegensatz steht.

Teilweise wird die Ansicht vertreten, ein allein sorgeberechtigter Elternteil könne das Kind grundsätzlich nicht in einem Erbausschlagungsverfahren vertreten, weil das Interesse des Kindes zu demjenigen der Mutter in erheblichem Gegensatz stehe, so dass die Bestellung eines Ergänzungspflegers notwendig sei (vgl. KG Berlin - Beschluss vom 4. März 2010 - 17 UF 5/10 - FamRZ 2010, 1171-1173). In Verfahren, die die Genehmigung eines Rechtsgeschäfts zum Gegenstand haben, könne das rechtliche Gehör nicht durch den Vertreter des durch die Entscheidung in seinen Rechten Betroffenen wahrgenommen werden. Es sei nicht zu erwarten, dass der Elternteil, wenn die zu erlassende Entscheidung seinem Antrag entspricht, den Beschluss noch einmal unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls prüft (vgl. KG Berlin a.a.O.).

Das Kammergericht stützt seine Entscheidung zur Notwendigkeit der Bestellung eines Ergänzungspflegers maßgeblich auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens das rechtliche Gehör im Regelfall nicht durch denjenigen vermittelt werden kann, dessen Handeln im Genehmigungsverfahren überprüft werden soll (vgl. BVerfG - Beschluss vom 18. Januar 2000 - 1 BvR 321/96 - NJW 2000, 1709-1711). Die nachlassgerichtliche Genehmigung eines von einem Nachlasspfleger abgeschlossenen Erbauseinandersetzungsvertrages ohne Anhörung der Erben verletzt danach die Grundsätze des fairen Verfahrens. Das Bundesverfassungsgericht hatte zuvor entschieden, dass ein Dritter das rechtliche Gehör nur vermitteln kann, wenn er das Vertrauen des Berechtigten genießt oder einer besonderen rechtsstaatlichen Objektivitätspflicht unterworfen ist (vgl. BVerfG - Beschluss vom 30. Oktober 1990 - 2 BvR 562/88 - NJW 1991, 1283 ff.).

Nach anderer Auffassung ist dem Kind in einem Erbausschlagungsverfahren nicht grundsätzlich zur Wahrnehmung der Verfahrensrechte ein Ergänzungspfleger zu bestellen. Die Entziehung der Vertretungsmacht komme nur in Betracht, wenn im Einzelfall - über eine allgemeine typische Risikolage hinaus - konkrete Hinweise auf einen Interessengegensatz zwischen Kindesmutter und Kind gegeben sind und wenn aufgrund konkreter Umstände nicht zu erwarten ist, dass die Kindesmutter unabhängig vom Ausgang des Genehmigungsverfahrens die Interessen des betroffenen Kindes wahrzunehmen bereit und in der Lage ist (vgl. Brandenburgisches OLG - Beschluss vom 6. Dezember 2010 - 9 UF 61/10 - juris).

Der Senat schließt sich im Ergebnis der zuerst genannten Auffassung an.

Es ist zwar kein erheblicher Interessengegensatz im Sinne von § 1629 Abs. 2 S. 3 BGB i.V.m. § 1796 Abs. 2 BGB gegeben. Entscheidend ist insoweit, dass die vorrangig als Erbin berufene Kindesmutter im Hinblick auf den offensichtlich überschuldeten Nachlass bereits die Erbschaft ausgeschlagen und selbst keinen wirtschaftlichen Vorteil durch die nachfolgende Ausschlagung der Erbschaft für das betroffene Kind hat.

Die allein sorgeberechtigte Kindesmutter ist aber an der Entgegennahme des Beschlusses, mit dem die Erbausschlagung vom Familiengericht genehmigt wird, verhindert.

Nach § 41 Abs. 3 FamFG ist ein Beschluss, der die Genehmigung eines Rechtsgeschäfts zum Gegenstand hat, auch demjenigen bekannt zu geben ist, für den das Rechtsgeschäft genehmigt wird. Die Vorschrift trägt der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Rechnung, wonach dem Beteiligten die Möglichkeit eingeräumt werden muss, bei einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort zu kommen (vgl. BT-Drucksache 16/6308 S. 197). Anders als in anderen Verfahren kann die Gewährung rechtlichen Gehörs bei der Genehmigung eines Rechtsgeschäfts nicht durch den Vertreter des durch die Entscheidung in seinen Rechten Betroffenen wahrgenommen werden. Der Gesetzgeber wollte gewährleisten, dass der Rechtsinhaber selbst von der Entscheidung frühzeitig Kenntnis erlangt, dass er selbst fristgerecht Rechtsmittel einlegen sowie einen etwaigen Rechtsmittelverzicht zügig widerrufen kann (vgl. BT-Drucksache 16/6308 S. 197).

Die Genehmigung eines Rechtsgeschäfts ist also auch dem Kind bekannt zu geben (vgl. Keidel16-Meyer-Holz, FamFG, § 41 Rdn 4; Heinemann, DNotZ 2009, 6,17). Da das hier betroffene Kind gemäß § 9 Abs. 1 FamFG nicht verfahrensfähig ist, kommt eine unmittelbare Bekanntgabe an das Kind nicht in Betracht. Soweit ein Kind nicht verfahrensfähig ist, handeln gemäß § 9 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 1629 Abs. 1 S. 1 BGB grundsätzlich die Eltern für das Kind. Die Bekanntgabe der familiengerichtlichen Genehmigung der Erbausschlagung an die sorgeberechtigten Elternteile genügt aber nicht den Anforderungen des § 41 Abs. 3 FamFG. Aus dem Wortlaut des § 41 Abs. 3 FamFG, wonach der Beschluss "auch" demjenigen bekannt zu geben ist, für den das Rechtsgeschäft genehmigt wird, ergibt sich, dass die Bekanntgabe nach § 41 Abs. 3 FamFG neben die Bekanntgabe nach § 41 Abs. 1 FamFG tritt (vgl. BT-Drucksache 16/6308 S. 197). Außerdem wollte der Gesetzgeber etwaigen Widersprüchen zu § 1828 BGB vorbeugen, wonach das Familiengericht die Genehmigung zu einer Erbausschlagung (§ 1822 Nr. 1 BGB) nur den Eltern bzw. dem allein sorgeberechtigten Elternteil gegenüber erklären kann.

Die Bestellung eines Verfahrensbeistandes kommt nicht als milderes Mittel statt einer Anordnung der Ergänzungspflegschaft in Betracht (anders: Zöller28-Feskorn, ZPO, § 41 FamFG Rdn. 8; Heinemann DNotZ 2009, 6, 17; Harders DNotZ 2009, 725, 730). Zustellungen an nicht verfahrensfähige Personen sind gemäß §§ 41 Abs. 3, 15 Abs. 1 und 2, 9 Abs. 2 FamFG, § 170 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu Händen des gesetzlichen Vertreters zu bewirken. Die Ergänzungspflegerin vertritt das Kind gemäß §§ 1915 Abs. 1 S. 1, 1793 Abs. 1 S. 1 BGB. Im Gegensatz dazu ist der Verfahrensbeistand nach § 158 Abs. 4 S. 6 FamFG nicht gesetzlicher Vertreter des Kindes, so dass Zustellungen für das Kind nicht an den Verfahrensbeistand bewirkt werden können (vgl. ebenso OLG Köln - Beschluss vom 10. August 2010 - 4 UF 127/10 - FamRZ 2011, 231 (Leitsatz); OLG Oldenburg - Beschluss vom 26. November 2009 - 14 UF 149/09 - FamRZ 2010, 660-662).

Da eine als ehrenamtlicher Ergänzungspfleger geeignete Einzelperson nicht vorhanden ist, hat das Amtsgericht zu Recht das Jugendamt der Landeshauptstadt Hannover als Ergänzungspfleger bestellt (§§ 1915 Abs. 1 S. 1, 1791 b Abs. 1 S. 1 BGB).

Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 70 Abs. 2 Nr. 2 FamFG zuzulassen, weil die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte nicht einheitlich ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG, die Entscheidung über den Verfahrenswert auf § 45 Abs. 1 S. 1 FamGKG.