Hessisches LSG, Beschluss vom 11.07.2007 - L 7 AL 61/06
Fundstelle
openJur 2012, 28775
  • Rkr:

Liegen die persönlichen und sachlichen Voraussetzungen für eine Gleichstellung nach § 2 Abs. 3 SGB IX vor, kann es pflichtgemäßen Ermessen der Behörde entsprechen, nicht eine sofortige Gleichstellung auszusprechen, sondern eine entsprechende Zusicherung abzugeben.

Eine solche Vorgehensweise entspricht jedenfalls dann dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung, wenn der Antragsteller aktuell keinen Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX inne hat und nach der Beurteilung der Bundesagentur für Arbeit ein Teil der Arbeitgeber einer Einstellung von schwerbehinderten Menschen bzw. ihnen gleichgestellten Personen abgeneigt gegenüber steht. In diesem Fall wird dem Arbeitsuchenden durch die Zusicherung die Option offen gehalten, sich auch auf diese Arbeitsplätze zu bewerben. Die Nachteile, die dem Antragsteller durch diese Verfahrensweise erwachsen, sind angesichts der durch die Zusicherung erreichten Verbesserung seiner Wettbewerbssituation zu vernachlässigen.

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SozialgerichtsFulda vom 11. Januar 2006 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichenKosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt die Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen gemäß § 2 Abs. 3 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX).

Der 1969 geborene Kläger ist ausgebildeter Schreiner. In seiner letzten versicherungspflichtigen Beschäftigung arbeitete er vom 22. August 1991 bis 29. Februar 2004 für einen Möbelmarkt im Bereich der Küchenmontage. Ab 1. März 2004 war er arbeitslos und bezog Arbeitslosengeld. Seit 12. Mai 2005 ist der Kläger selbständig tätig mit einem Montageservice.

Mit Bescheid vom 10. September 2004 stellte das Versorgungsamt C. bei dem Kläger einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 und folgende Behinderungen fest: „Wirbelsäulen-Syndrom, depressive Anpassungsstörung“. Unter dem 13. Juni 2005 erteilte das Versorgungsamt D. einen Bescheid, mit dem rückwirkend ab dem 4. Februar 2003 ein GdB von 40 festgestellt wurde. Als zusätzliche Behinderung wurde eine Handgelenk-Versteifung aufgenommen. Im Bescheid ist ferner ausgeführt, die Gesundheitsstörung „Kniegelenksleiden“ stelle keine Behinderung dar, die zu einer fortdauernden Funktionsbeeinträchtigung führe, die mit einem GdB von mindestens 10 zu bewerten sei.

Am 14. Oktober 2004 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX. Zur Begründung gab er an, dass er sich die Verbesserung der Vermittlungsaussichten/Förderungsmöglichkeiten für zukünftige Arbeitgeber verspreche. Er sei in laufender ärztlicher Behandlung wegen Bandscheibenproblemen, Depressionen, Handgelenksfunktionsminderung sowie Arthrose beidseitig, Kniegelenksleiden.

Mit Datum vom 15. Dezember 2004 erteilte die Beklagte eine Zusicherung gemäß § 34 Zehntes Buch des Sozialgesetzbuches (SGB X), wonach die Gleichstellung für den Fall erfolgen werde, dass im Zuge der Vermittlungsbemühungen bzw. der eigenen Bemühungen des Klägers zur Erlangung eines Arbeitsplatzes der Arbeitgeber die Einstellung von einer Gleichstellung abhängig mache. Hierüber werde zu gegebener Zeit um schriftliche Unterrichtung gebeten.

Der Kläger erhob Widerspruch und machte insbesondere geltend, aus der Zusicherung ergebe sich, dass von den anerkannten Behinderungen die Gefährdung der Vermittelbarkeit ausgehe bzw. seine Integration auf dem Arbeitsmarkt erschwert werde. Mit der Gleichstellung werde es für ihn leichter, einen Arbeitsplatz zu finden, da die Förderungsfähigkeit sodann bei Vertragsanbahnungsgesprächen mit potenziellen Arbeitgebern bereits fest stehe und er Hilfen des Integrationsamtes bzw. der Integrationsfachdienste bereits in Anspruch nehmen könne. Die Beklagte habe nicht begründet, warum sie die Zusicherung und nicht die Gleichstellung als Bescheidung gewählt habe. Auch ihre Ermessensausübung sei nicht begründet worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Juli 2005 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers im Gleichstellungsantrag und der in seinem Fall vom Versorgungsamt festgestellten Behinderungen könne eine Benachteiligung der Wettbewerbsfähigkeit des Klägers bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz nicht ausgeschlossen werden. Andererseits habe aus den Vermittlungsbemühungen aber auch nicht die Erkenntnis gewonnen werden können, dass die Behinderung wesentliche Ursache für die bis dato nicht realisierte berufliche Eingliederung gewesen sei. Mit dem Instrument der Zusicherung könne insbesondere solchen Fällen angemessen Rechnung getragen werden, in denen die Anhaltspunkte für behinderungsbedingte Eingliederungsprobleme vergleichsweise schwach ausgeprägt seien. Die Praxis der Arbeitsvermittlung und die Erfahrung der für behinderte Menschen zuständigen Arbeitsvermittler hätten gezeigt, dass bei der Arbeitsplatzsuche potenzielle Arbeitgeber sehr häufig von einer Einstellung eines arbeitsuchenden behinderten Menschen Abstand nähmen, wenn sie (z. B. im Vorstellungsgespräch) Kenntnis davon erlangten, dass der Bewerber den schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sei. Eine pauschale Gleichstellung würde in diesen Fällen nicht dem Ziel des Schwerbehindertenrechts gerecht werden, sondern die berufliche Eingliederung minder behinderter Menschen eher erschweren. Sei der Arbeitgeber dagegen an der Einstellung des behinderten Menschen, z. B. im Hinblick auf die Erfüllung der Pflichtplatzquote interessiert, könne er durch die Vorlage der Zusicherung darauf vertrauen, dass der Bewerber den schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werde. Sei nämlich die Gleichstellung zugesichert, werde der Gleichstellungsbescheid unverzüglich erteilt, wenn das Eintreten der in der Zusicherung genannten Umstände belegt werde. Die Zusicherung erstrecke sich auf den für den behinderten Menschen in Betracht kommenden Arbeitsmarkt und nicht auf ein spezielles Arbeitsplatzangebot.

Am 22. August 2005 hat der Kläger zum Sozialgericht Fulda (im Folgenden: SG) Klage erhoben. Er hat vorgetragen, die Rechtswidrigkeit der Zusicherung liege bereits dann vor, wenn eine Begründung fehle. Der Betroffene könne nämlich dann nicht erkennen, wie die Behörde ihr Ermessen bzw. den ihr obliegenden Beurteilungsspielraum ausgeübt habe. Eine Begründung enthalte die angefochtene Zusicherung nicht. Die Beklagte verkenne, dass Teil II SGB IX in den Kapiteln 2 bis 12 eine ganze Anzahl von Rechten normiere, die nur von Schwerbehinderten oder aber Schwerbehinderten gleichgestellten behinderten Menschen ausgeübt werden könnten. Die Argumentation, dass die Gleichstellung auch negativ sein könne, gehe deutlich an den Intentionen des Schwerbehindertenrechts vorbei. Soweit auf die Praxis der Arbeitsvermittlung und die Erfahrung der Arbeitsvermittler abgestellt werde, dass potenzielle Arbeitgeber gehäuft von der Einstellung Schwerbehinderter oder Gleichgestellter Abstand nähmen, soweit diese hiervon Kenntnis erlangten, werde dies zum einen in Abrede gestellt, zum anderen solle es dem Betroffenen freigestellt sein, ob dieser dieses Risiko trage und zum anderen aber den Nutzen der sodann bei Gleichstellung zur Verfügung stehenden Beratungs- und Hilfsangebote wahrnehme oder aber sich mit einer Zusicherung begnüge.

Mit Urteil vom 11. Januar 2006 hat das SG die Klage abgewiesen. Dabei hat es im Wesentlichen auf die Begründung des Widerspruchsbescheides Bezug genommen (§ 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz – SGG –). Das Gericht teile die Auffassung der Beklagten, dass viele Arbeitgeber gerade keine Schwerbehinderten oder Gleichgestellten einstellen wollten, weil sie den besonderen Kündigungsschutz dieses Personenkreises gemäß §§ 85 ff. SGB IX fürchteten. Das sei gerichtsbekannt durch Erfahrungen der schwerbehinderten Vorsitzenden bei früheren Arbeitsplatzsuchen und auch der ehrenamtlichen Richter, die mit derartigen Angelegenheiten als Arbeitgeber bzw. Betriebsrat befasst seien und ergebe sich auch aus den besonderen Förderungsleistungen der Arbeitgeber, die gerade über die teilweise erheblichen finanziellen Anreize die Vorbehalte der Arbeitgeber gegen Schwerbehinderte und Gleichgestellte überwinden sollten.

Gegen dieses ihm am 16. März 2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13. April 2006 Berufung eingelegt. Er sei ab 12. Mai 2005 selbständig und betreibe einen Montageservice. Die Tätigkeit übe er unter „Raubbau“ an seiner Gesundheit und entgegen ärztlichem Rat aus, weil ihm die Beklagte keinen Arbeitsplatz habe nachweisen können, und auch – nach Aussagen der Beklagten – eine Umschulung in seinem Falle nicht möglich gewesen sei. Er werde die Tätigkeit sofort abbrechen bzw. beenden, wenn er einen seinem Gesundheitszustand entsprechenden geeigneten Arbeitsplatz finde. Er wolle offensiv eigene Bemühungen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes entfalten und gegenüber potenziellen Arbeitgebern mit möglichen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gemäß §§ 33 bis 43 SGB IX und unterhaltssichernden und ergänzenden Leistungen gemäß §§ 44 bis 54 SGB IX argumentieren. Von besonderem Interesse seien hierbei mögliche Leistungen an den potenziellen Arbeitgeber. Diese Möglichkeiten seien ihm durch die lediglich ausgesprochene Zusicherung verwehrt. Er sei nämlich mit der Zusicherung nicht in den Leistungsempfängerbereich des Schwerbehindertengesetzes einbezogen. Er verstehe das Schwerbehindertengesetz nicht so, dass willkürlich mit dem pauschalen Argument, er würde gleichgestellt, wenn er über einen Arbeitsplatz bzw. Arbeitsplatzangebot verfüge, sein Begehren auf eine Gleichstellung abgewiesen werde. Soweit das erstinstanzliche Gericht als gerichtsbekannt mitteile, dass potenzielle Arbeitgeber schwerbehinderte Menschen benachteiligten und mithin die Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen ein Nachteil bei der Arbeitsplatzsuche sei, sei dies eine verwunderliche und einseitige Betrachtungsweise. Sicherlich werde es solche Tendenzen geben, es gebe aber auch eine große Zahl verständiger Arbeitgeber, die bei Gewährung von Hilfen und Unterstützungen, insbesondere aber finanzieller Hilfen gerne bereit seien, Schwerbehinderte oder gleichgestellte Menschen einzustellen.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 11. Januar 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15. Dezember 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 2005 zu verpflichten, ihn mit Wirkung ab 14. Oktober 2004 einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die vom Kläger erwähnten Leistungen könnten auch mit der Zusicherung gewährt werden, denn die Zusicherung stelle sicher, dass die Gleichstellung ausgesprochen werde, wenn sich ein Arbeitgeber finde, der im Falle der Gleichstellung zur Einstellung und Beschäftigung des Klägers bereit sei. Die Berufungsbegründung räume selbst ein, dass es Arbeitgeber gebe, die nur in bestimmten Fällen, namentlich bei Gewährung finanzieller Hilfen oder zur Erfüllung ihrer Pflichtplatzquote, bereit seien, schwerbehinderte und gleichgestellte Arbeitnehmer zu beschäftigen. Gerade in diesen Fällen erweise sich die Zusicherung als wirksames Instrument für die berufliche Eingliederung minder behinderter Menschen, wie dies bereits im Widerspruchsbescheid dargelegt worden sei. Nachteile habe der Kläger hierdurch nicht, weil ihm die Gleichstellung im Falle eines einstellungsbereiten Arbeitgebers rechtsverbindlich zugesagt worden sei. Es sei deshalb auch keineswegs so, dass dem Kläger willkürlich die Gleichstellung versagt worden sei. Es komme dem Kläger zugute, dass er bei Bewerbungen flexibel agieren und z. B. wahrheitsgemäß erklären könne, nicht gleichgestellt zu sein, wenn ein potenzieller Arbeitgeber nicht zur Einstellung eines gleichgestellten Menschen bereit sei. Diese Möglichkeit habe der Kläger nicht, wenn die Gleichstellung bereits ausgesprochen wäre. Zutreffend habe das SG deshalb bestätigt, dass die Beklagte mit der Zusicherung ihr Ermessen in einer dem Zweck des SGB IX entsprechenden Weise ausgeübt hätte.

Mit Verfügung vom 2. Mai 2007 hat der Berichterstatter die Beteiligten zu einer Entscheidung gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss angehört. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 24. Mai 2007 mitgeteilt, dass er mit der vom Gericht ins Auge gefassten Verfahrensweise nicht einverstanden sei.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen, insbesondere wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten, wird auf einen Band Gerichtsakten und einen Hefter Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, die dem Senat vorlagen und zum Gegenstand der Entscheidungsfindung gemacht worden sind.

II.

Gemäß 153 Abs. 4 SGG konnte der Senat die Berufung durch Beschluss zurückweisen, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Dass die Klägerseite sich mit einer solchen Verfahrensweise nicht einverstanden erklärt hat, steht dem nicht entgegen.

Die Berufung ist unbegründet.

Der Kläger verfolgt sein Begehren, die Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen zu erreichen, zulässig in einer Kombination von Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen (§ 54 Abs. 1 SGG). Insbesondere kann die Zusicherung mit der Anfechtungsklage angegriffen werden, denn bei ihr handelt es sich um einen Verwaltungsakt (vgl. BSG, Urteil vom 29. Januar 2004, SozR 4-2600 § 46 Nr. 1).

Die Klagen sind jedoch unbegründet. Das SG hat sie zu Recht abgewiesen. Die Entscheidung der Beklagten, zu Gunsten des Klägers nicht bereits eine Gleichstellung auszusprechen, sondern diese nur zuzusichern, ist rechtmäßig (Zusicherung vom 15. Dezember 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 2005).

Die Zusicherung ist nicht formell rechtswidrig. Zwar fehlt es an der gemäß § 35 Abs. 1 SGB X erforderlichen Begründung, doch ist dieser Mangel rechtzeitig durch die ausführliche Begründung im Widerspruchsbescheid geheilt worden (§ 41 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 SGB X).

Dem vom Kläger erhobenen Anspruch steht es nicht entgegen, dass der Kläger seit 12. Mai 2005 selbständig berufstätig ist. Zwar kann eine Gleichstellung gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX für selbständige Tätigkeiten nicht erfolgen, weil Selbständige keinen Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX innehaben. Im vorliegenden Fall geht es dem Kläger aber nicht um die Gleichstellung für seinen aktuellen Arbeitsplatz, sondern um die Verbesserung seiner Chance, einen Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX zu erhalten. Damit ist der Anwendungsbereich des § 2 Abs. 3 SGB IX dem Grunde nach eröffnet.

Gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX sollen behinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen oder nicht behalten können. Vorliegend kommt nur die erste Alternative (Erlangen eines Arbeitsplatzes) in Betracht, weil der Kläger einen Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX - wie bereits angesprochen - nicht innehat.

Der Kläger erfüllt die persönlichen Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 SGB IX, denn bei ihm liegt ein GdB von 40 vor. Auch die sachlichen Voraussetzungen für eine Gleichstellung sind erfüllt. Entscheidendes Kriterium für die Beurteilung der sachlichen Voraussetzungen ist die mangelnde Konkurrenzfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt insgesamt (vgl. BSG Urteil vom 2. März 2000, SozR 3-3870 § 2 Nr. 1). Die Gleichstellung gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX dient dabei der Behebung der ungünstigen Konkurrenzsituation bzw. der Chancenangleichung (vgl. Hauck/Noftz/Götze, Kommentar zum SGB IX, § 2, Rdnr. 53). Der Kläger befindet sich aufgrund seiner Behinderungen in einer geschwächten Wettbewerbsposition gegenüber anderen nicht behinderten Arbeitsuchenden. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Auch die Beklagte vertritt diese Auffassung. Ansonsten hätte sie bereits die Zusicherung nicht aussprechen können.

Strittig ist zwischen den Beteiligten aber die Frage, ob die Beklagte bei Vorliegen der persönlichen und sachlichen Voraussetzungen mit einer Gleichstellungsentscheidung reagieren muss oder ob sie im Wege der Ausübung pflichtgemäßen Ermessens berechtigt ist, lediglich eine Zusicherung für die Gleichstellung zu erteilen. Der Senat beantwortet diese Frage im Sinne der Rechtsauffassung der Beklagten.

Nach § 2 Abs. 3 SGB IX „sollen“ Gleichstellungen mit den Schwerbehinderten erfolgen, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind. Über die Bedeutung des Begriffes „sollen“ herrscht in der Literatur Streit (vgl. die Darstellung bei Schimanski in: Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch – SGB IX, § 2, Rdnrn. 308, 309). Nach der Rechtsprechung des BSG (a.a.O.) ist unter dem Prädikat „sollen“ ein gebundenes Ermessen zu verstehen, wonach im Regelfall eine Gleichstellung zu erfolgen hat, es sei denn, es läge ein atypischer Fall vor. Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an, weil sie einerseits dem Sinn der gesetzlichen Regelung entspricht und andererseits garantiert, dass der Einheitlichkeit der Auslegung des Merkmals „soll“ Rechnung getragen wird (vgl. z. B. § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X).

Bei ihrer Entscheidung, dem Kläger lediglich eine Zusicherung zu erteilen, hat die Beklagte ihr Ermessen sachgerecht und dem Zweck der Ermächtigung entsprechend ausgeübt (§ 39 Abs. 1 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – SGB I –). Auf die pflichtgemäße Ausübung des Ermessens hat der Kläger einen Anspruch (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB I).

Es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte bei ihrer Ermessensausübung sowohl dem Umstand, dass der Kläger aktuell nicht Inhaber eines Arbeitsplatzes gemäß § 73 SGB IX ist als auch der Arbeitsmarktsituation Bedeutung beigemessen hat. Diese Gesichtspunkte entsprechen dem Zweck der Ermächtigung, denn der Sinn der gesetzlichen Regelung besteht – wie dargestellt – darin, die Chancen des von § 2 Abs. 3 SGB IX betroffenen Personenkreises gegenüber nicht behinderten Arbeitnehmern bzw. Arbeitsuchenden zu verbessern. Würde im vorliegenden Fall die Gleichstellung ausgesprochen, hätte dies zur Folge, dass sich zwar einerseits die Chancen des Klägers verbesserten (nämlich soweit er die Einstellung bei einem Arbeitgeber anstrebt, der bereit bzw. interessiert ist, einen Schwerbehinderten einzustellen), anderseits aber auch verschlechterten, weil ein Teil des Arbeitsmarktes verschlossen würde, nämlich soweit es sich um Arbeitsstellen bei einem Arbeitgeber handelt, der die Einstellung eines Schwerbehinderten (z. B. wegen des erweiterten Kündigungsschutzes) ablehnt. Dieser tatsächlichen Situation auf dem Arbeitsmarkt kann nur durch die Zusicherung Rechnung getragen werden. Dass es durchaus Arbeitgeber gibt, die sich in der beschriebenen Weise verhalten, kann die Beklagte aufgrund ihrer Verpflichtung zur Beobachtung, Untersuchung und Auswertung des Arbeitsmarktes (vgl. §§ 280 ff. SGB III) beurteilen. Diese Sachnähe ist auch der Grund, warum nicht den Versorgungsämtern oder den Hauptfürsorgestellen (jetzt Integrationsämtern), sondern der Bundesagentur für Arbeit die Prüfung der Gleichstellungsanträge übertragen wurde (vgl. Spiolek in: Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch – SGB IX § 104, Rdnr. 75). Die Arbeitsmarktsituation ist damit nicht nur zulässiges, sonders sogar notwendiges Kriterium für die Ausübung des der Beklagten aufgegebenen gebundenen Ermessens. Dass es entsprechende Tendenzen bei Arbeitgebern gibt, gerade Schwerbehinderte nicht einstellen zu wollen, bestreitet der Kläger inzwischen im Übrigen nicht mehr (vgl. Schriftsatz vom 30. Juni 2006).

Vor diesem Hintergrund bietet die von der Beklagten gewählte verwaltungsrechtliche Handlungsform der Zusicherung die Möglichkeit, die Konkurrenzsituation des Klägers auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Wegen der Zusicherung der Gleichstellung kann er sich – soweit es darauf ankommt – auf den Gleichstellungsanspruch berufen und damit seine Chancen bei Bewerbungen verbessern, gleichzeitig kann er für jenen Teil des Arbeitsmarktes, bei dem die Schwerbehinderung bzw. die Gleichstellung nicht weiterhilft bzw. sogar schadet, als Nichtbehinderter auftreten. Sollte der Kläger als Nichtbehinderter einen Arbeitsplatz erlangen, ergäbe sich bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 SGB IX (Gefährdung dieses Arbeitsplatzes aufgrund seiner Behinderungen) die Möglichkeit, eine Gleichstellung zu erreichen. Insgesamt bietet damit die Entscheidung der Beklagten eine wesentlich bessere Möglichkeit, eine Reintegration des Klägers in das Erwerbsleben zu erreichen, als eine (sofortige) Gleichstellung.

Die Entscheidung der Beklagten entspricht nach alledem dem Zweck der Ermächtigung und dem Sinn der gesetzlichen Vorschrift des § 2 Abs. 3 SGB IX. Der Vorwurf des Klägers, er könne aufgrund der Zusicherung bestimmte Förderungs- und Beratungsmöglichkeiten nach dem SGB III und dem SGB IX nicht in Anspruch nehmen, trifft nicht zu bzw. wiegt angesichts der Verbesserung seiner Integrationsmöglichkeiten nicht schwer. Die vom Kläger im Schriftsatz vom 30. Juni 2006 beschriebenen Leistungen an potenzielle Arbeitgeber sind durch die Zusicherung nicht ausgeschlossen, vielmehr steht dieser Leistungskatalog bei einer Einstellung potenziell zur Verfügung. Dass der Kläger wegen der fehlenden Gleichstellung an einer evtl. Schulungs- und Bildungsveranstaltung sowie Aufklärungsmaßnahmen gemäß § 102 Abs. 3 Satz 2 SGB IX nicht teilnehmen könnte, lässt sich aus dem Gesetz nicht ableiten. Es wäre dies auch nur ein geringer Nachteil im Vergleich zu der durch die Zusicherung erreichten weitgehenden Verwirklichung des Gesetzeszwecks gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX. Soweit der Kläger darauf verweist, er wolle den Integrationsfachdienst in Anspruch nehmen, benötigt er hierfür nicht die Gleichstellung, weil der Integrationsfachdienst auch zur beruflichen Eingliederung von behinderten Menschen, die nicht schwerbehindert sind, tätig werden kann (§ 109 Abs. 4 Satz 1 SGB IX).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Ein Kostenerstattungsanspruch konnte auch für das Widerspruchsverfahren nicht zugesprochen werden, obwohl der angegriffene Verwaltungsakt vom 15. Dezember 2004 einer Begründung entbehrte und (zunächst) formell rechtswidrig war. § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X greift nicht ein. Nach dieser Norm besteht ein Anspruch auf Erstattung der im Widerspruchsverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen auch, wenn der Widerspruch nur deshalb keinen Erfolg hatte, weil die Verletzung einer Verfahrens- oder Formvorschrift nach § 41 SGB X unbeachtlich ist. Die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift liegen nicht vor, denn der Widerspruch ist nicht allein deshalb erfolglos geblieben, weil es aufgrund § 41 SGB X zu einer Heilung der formellen Rechtswidrigkeit kam, sondern auch deshalb, weil die von dem Kläger angestrebte Sachentscheidung nicht zu seinen Gunsten ergehen konnte (vgl. Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht – Krasney, § 63 SGB X, Rdnr. 9; Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 29. Juli 2004 - L 12 RJ 1144/03 -, Nachrichten der LVA Hessen 2004, 96).

Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er der Frage, ob die Beklagte bei Erfüllung der persönlichen und sachlichen Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 SGB IX statt mit einer Gleichstellungsentscheidung auch mit einer Zusicherung reagieren kann, grundsätzliche Bedeutung beimisst (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).