AG Gelnhausen, Urteil vom 20.04.2007 - 55 C 851/06
Fundstelle
openJur 2012, 28595
  • Rkr:
Tenor

1. Das Versäumnisurteil vom 12.12.2006 wird aufrechterhalten.

2. Die weiteren Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen, mit Ausnahme der Mehrkosten, die durch die Anrufung des zunächst unzuständigen Gerichts entstanden sind, die der Kläger zu tragen hat.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Kosten aus außergerichtlicher anwaltlicher Beratung.

Der Kläger ist bei der Beklagten verkehrsrechtsschutzversichert. Gegen den Kläger wurden nach einem Verkehrsunfall am 18.10.2005 ein Ermittlungs- und ein Bußgeldverfahren eingeleitet. Am 24.10.2005 haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers die Verteidigung angetreten und in beiden Verfahren später Einstellung zugunsten des Klägers erwirken können. Hierüber wurden mit Schreiben vom 03.01.2006 Rechtsanwaltskosten in Höhe von EUR 887,80 in Rechnung gestellt. Hierauf beglich die Beklagte EUR 516,20.

Der Kläger ist der Auffassung, bei den Verfahren habe es sich um durchschnittliche Angelegenheiten gehandelt, wonach ein sog. "Mittelwert" für die Grundgebühr sowie die jeweilige Verfahrens- und Erledigungsgebühr angesetzt werden könne.

Nach ordnungsgemäßer Ladung zum frühen ersten Termin ist die Beklagte bei Aufruf der Sache nicht erschienen, woraufhin auf Antrag des Klägers gegen die Beklagte ein Versäumnisurteil mit dem Inhalt erging, die Beklagte zu verurteilen, den Kläger gegenüber den Rechtsanwälten S von den Rechtsanwaltskosten aus der Rechnung vom 3.1.2006 in Höhe von EUR 371,60 nebst 5 Prozentpunkten an Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 7.2.2006 freizustellen. Zudem wurden der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt und das Versäumnisurteil für vorläufig vollstreckbar erklärt.

Der Kläger beantragt,

das Versäumnisurteil vom 12.12.2006 aufrechtzuerhalten.

Die Beklagte beantragt,

das Versäumnisurteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Beklagte anerkennt schriftlich einen Betrag von EUR 156,60 und vertritt im Übrigen die Auffassung, sie habe ein Zurückbehaltungsrecht, bis der Kläger seinen Informationspflichten ihr gegenüber nachgekommen sei. Überdies erklärt die Beklagte bezüglich der anerkannten Erledigungsgebühr 4141 VV Aufrechnung mit den bereits erbrachten Zahlungen auf die Rechnung.

Gründe

Der Einspruch gegen das Versäumnisurteil ist zulässig aber unbegründet.

Der Einspruch ist zulässig. Insbesondere richtet sich dieser gegen ein erstes, echtes Versäumnisurteil (§§ 338, 345 ZPO) und ist form- und fristgemäß durch die Beklagte als beschwerte Prozesspartei ergangen (§§ 338, 339 I, 340 I ZPO).

Der Einspruch ist unbegründet, weil die Klage zulässig und begründet ist.

Die Klage ist zulässig. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich durch Verweisungsbeschluss des unzuständigen Amtsgerichts Frankfurt vom 14.7.2006 (§ 281 I, II ZPO).

Die Klage ist begründet. Dem Kläger steht aus Verkehrsrechtsschutzversicherungsvertrag ein Freistellungsanspruch zu. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig.

Bei der Höhe des Freistellungsanspruchs kommt es allein auf das streitige Vorbringen der Parteien an. Insbesondere das schriftlich angebotene Teilanerkenntnis der Beklagten kann nicht zu einem Teilanerkenntnisurteil führen, weil die Beklagte in der mündlichen Verhandlung auf ihren Antrag aus der Klageschrift keinen Bezug genommen hat (vgl. Palandt-Vollkommer, § 307 Rn. 3 f.).

Der Freistellungsanspruch besteht in Höhe des vom Kläger vorgetragenen Betrages. Ein Rechtsanwalt hat unter den in § 14 I RVG genannten Voraussetzungen denjenigen Gebührensatz selbst zu bestimmen, der billigem Ermessen entspricht und dabei alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Dabei wird dem Rechtsanwalt ein Rahmen zugestanden, innerhalb dessen seine Entscheidung durch das Gericht nicht überprüfbar ist (AG Saarbrücken, Az. 42 C 365/05). Ist die Gebühr von einem Versicherer zu ersetzen, so ist sie nur dann nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Unbillig ist die Gebühr, wenn die vorgenannten Kriterien nicht hinreichend berücksichtigt wurden, wobei den Versicherungsnehmer in diesem Fall die Darlegungs- und Beweislast trifft. Diesbezüglich kann der Versicherer also grundsätzlich ein Zurückbehaltungsrecht so lange geltend machen, bis der Versicherungsnehmer seiner Darlegungs- und Beweislast nachgekommen ist. Vorliegend hat der Kläger seine Pflicht getan, so dass ein von der Beklagten geltend gemachtes Zurückbehaltungsrecht ausgeschlossen ist.

Der Kläger hat hinreichend dargelegt, dass seine Prozessbevollmächtigten zu mehreren Besprechungen geladen hatten, eine Einlassung bei der Polizeistation Gelnhausen erfolgte, ein Aktenauszug und die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft angefordert sowie ein Ampelschaltplan eingeholt wurden. Der Vortrag der Beklagten, dies habe für die Rechtsanwälte "keine besondere Schwierigkeit" dargestellt und entspreche "ständiger anwaltlicher Routine" ist unerheblich.

Insbesondere der Beklagtenvortrag, die Prozessbevollmächtigten des Klägers hätten vor Anforderung der Akten kein Informationsgespräch mit dem Kläger geführt, widerspricht der späteren Behauptung durch die Beklagten, die Vermutung, der Unfallgegner sei "bei Rot über die Ampel gefahren", stamme aus einem Gespräch mit dem Mandanten. Gerade letztere Darstellung wurde durch die Prozessbevollmächtigten des Klägers bereits in den ersten Schriftsätzen zur Entlastung ihres Mandanten aufgeführt. Vom Kläger kann über die dargebotenen Informationen zum Verfahrensablauf hinaus nicht verlangt werden, dem Versicherer noch detailliertere Auskünfte zu den einzelnen Verfahren zu geben.

Nach den schlüssigen Darstellungen des Klägers steht fest, dass es sich bei dem Strafverfahren sowie bei dem anschließenden Bußgeldverfahren um durchschnittliche anwaltliche Tätigkeiten nach einem durchschnittlichen Verkehrsunfall gehandelt hat, wofür bei der Bemessung der einzelnen Gebühren grundsätzlich ein Mittelwert anzusetzen ist. Der Kläger hat überdies schlüssig vorgetragen, dass ihm im Falle einer Fortsetzung des Ermittlungsverfahrens wegen fahrlässiger Körperverletzung eine Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder Geldstrafe gedroht hätten. Auch wurden durch den Kläger dessen finanziellen Verhältnisse vorgetragen (vgl. § 14 I RVG). Bestimmt der im Rahmen eines üblichen Verkehrsunfalls tätige Rechtsanwalt seine Gebühren mit dem Mittelwert überschreitet er jedenfalls unter Berücksichtigung einer Toleranzgrenze von 20% nicht das ihm bei der Gebührenbestimmung eingeräumte Ermessen.

Die Rechtsanwälte haben zu Recht ... für das Straf-...verfahren ... eine Grundgebühr sowie für Straf- als auch das Bußgeldverfahren jeweils eine Verfahrensgebühr und eine Erledigungsgebühr berechnet. Gem. § 17 Nr. 10 RVG sind das Strafverfahren und das sich anschließende Bußgeldverfahren verschiedene Angelegenheiten. Die Auffassung der Beklagten, die Einstellung des Strafverfahrens durch die Staatsanwaltschaft stelle keine Erledigung i.S.d. RVG 4141 VV dar, ist unerheblich. RVG 4141 VV setzt voraus, dass durch die anwaltliche Mitwirkung die Hauptverhandlung entbehrlich wird. Durch die Einstellung des Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft und Abgabe an die Bußgeldbehörde ist dieser Tatbestand erfüllt.

Eine von der Beklagten schriftlich angeregte Aufrechnung mit den bereits gezahlten Gebühren ist unbeachtlich, weil sie von der Beklagten nicht beantragt wurde.

Der Kläger kann von der Beklagten ferner Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit 7.2.2006 verlangen (§ 288 I BGB).

Die Kosten des Rechtsstreits, eingeschlossen des Versäumnisurteils, hat die Beklagte zu tragen, da sie in vollem Umfang unterliegt (§ 91 I 1 ZPO). Mehrkosten, die dadurch entstanden sind, dass zunächst das unzuständige Amtsgericht Frankfurt angerufen wurde und dieses den Rechtsstreit an das Amtsgericht Gelnhausen verwiesen hat, sind gem. § 281 III ZPO vom Kläger zu tragen. Das Urteil ist gem. § 708 Nr. 11, 713 ZPO vorläufig vollstreckbar.