Hessischer VGH, Beschluss vom 05.03.2007 - 3 UE 2823/06
Fundstelle
openJur 2012, 28543
  • Rkr:

Der Bezug von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz durch ausreisepflichtige Ausländer stellt einen Bezug von Sozialhilfe dar und erfüllt damit einen Ausweisungsgrund.

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil desVerwaltungsgerichts Kassel vom 23. Mai 2006 - 4 E 33/05 - insoweitaufgehoben, als die Ausweisung des Klägers in dem Bescheid desLandrates des Landkreises Waldeck-Frankenberg vom 25. Juli 2000 inder Fassung des Widerspruchsbescheides des RegierungspräsidiumsC-Stadt vom 6. Dezember 2004 aufgehoben worden ist.

Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügenzu tragen.

Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oderHinterlegung nach Maßgabe der Kostenfestsetzung abwenden, fallsnicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicherHöhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 5.000,- Eurofestgesetzt.

Gründe

I.

Im Berufungsverfahren streiten die Beteiligten nur noch um die Rechtmäßigkeit der Ausweisung des Klägers.

Der Kläger reiste im Januar 1991 ins Bundesgebiet ein. Zwei Asylanträge blieben in der Folgezeit erfolglos. Der Kläger geht keiner Erwerbstätigkeit nach. Er bezieht von Anfang an bis jetzt öffentliche Unterhaltsleistungen.

Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 4. Januar 2000 die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 4 AuslG. Mit Bescheid vom 25. Juli 2000 lehnte der Beklagte die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis ab und wies den Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland aus. Zur Begründung heißt es, die Voraussetzungen für eine Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 oder 4 AuslG seien nicht erfüllt. Er sei seit mindestens zwei Jahren unanfechtbar ausreisepflichtig. Eine Abschiebung sei wegen fehlender Rückreisedokumente nicht möglich, was er zu vertreten habe. Er habe wahrheitswidrige Angaben zu seinem Geburtsort und zu seiner Staatsangehörigkeit gemacht. Mit der Angabe falscher Personalien habe er nach erfolglosem Asylverfahren über Jahre hinweg erfolgreich aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen sich verhindert und in dieser Zeit Sozialhilfe bezogen. Er erfülle sowohl den Ausweisungsgrund des § 46 Nr. 2 sowie den des § 46 Nr. 6 AuslG. Die Ausweisung sei aus spezial- und generalpräventiven Gründen geboten.

Den klägerischen Widerspruch wies das Regierungspräsidium C-Stadt mit Widerspruchsbescheid vom 6. Dezember 2004 zurück.

Das Verwaltungsgericht Kassel hat der am 7. Januar 2005 erhobenen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage teilweise stattgegeben und die Ausweisungsverfügung aufgehoben. Hinsichtlich der Versagung der Aufenthaltserlaubnis hat es die Klage abgewiesen.

Mit Beschluss vom 21. November 2006 - 3 UZ 2153/06 - hat der Senat auf Antrag des Beklagten wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils die Berufung zugelassen, soweit die Ausweisungsverfügung aufgehoben worden ist.

Im Berufungsverfahren macht der Beklagte geltend, der Kläger habe durch falsche Angaben über Namen, Geburtstag, Geburts- und Aufenthaltsort im asyl- und ausländerrechtlichen Verfahren seine Identität über mehrere Jahre hinweg verschleiert und damit den Tatbestand der mittelbaren Falschbeurkundung nach § 271 StGB erfüllt. Sein Verhalten erfülle die Ausweisungsgründe des § 46 Nr. 2 wie auch des § 46 Nr. 6 AuslG, da er unstreitig seit seiner Einreise ins Bundesgebiet durchweg Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehme.

Der Beklagte beantragt,

unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils des Verwaltungsgerichts Kassel vom 23. Mai 2006 - 4 E 33/05 - die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er teilt mit, er habe inzwischen einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Bleiberechtsregelung der Innenministerkonferenz (IMK) vom 16./17. November 2006 gestellt. In der Sache ist er der Ansicht, angebliche Rechtsverstöße seinerseits beruhten auf Spekulationen. Dass er falsche Angaben zu seiner Identität gemacht haben solle, sei nicht belegt, was er im Einzelnen ausführt. Aufgrund eines ihm erst neuerdings vorliegenden Familienregisterauszugs gehe er davon aus, dass er am 11. November 19.. in Bab al-Hawa in Syrien geboren und syrischer Staatsbürger sei. Es erscheine jetzt möglich, einen syrischen Reisepass zu besorgen.

Zum Ausweisungsgrund des Sozialhilfsbezugs hatte der Kläger im Zulassungsverfahren mitgeteilt, er habe weder bei Erlass der angefochtenen Verfügung vom 25. Juli 2000 noch jetzt Sozialhilfe bezogen, sondern nur Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Der vom Gesetzgeber gewählte Begriff der Sozialhilfe sei rechtlich unzweideutig und könne nur auf frühere Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz bzw. jetzige Leistungen nach dem SGB XII bezogen werden.

Dem Senat liegen zwei Hefter Behördenakten vor, die Gegenstand der Beratung gewesen sind.

Die Beteiligten sind auf die Möglichkeit einer Stattgabe der Berufung durch Beschluss gemäß § 130a Satz 1 VwGO hingewiesen worden.

II.

Der Senat kann über die Berufung gemäß § 130a VwGO durch Beschluss entscheiden, weil er sie einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet. Die Klage ist in vollem Umfang abzuweisen.

Die in der streitbefangenen Verfügung vom 25. Juli 2000 enthaltene Ausweisungsverfügung ist rechtmäßig. Der Beklagte hat die Ausweisung zutreffenderweise selbstständig auch auf den bei Erlass der Verfügung maßgeblichen Ausweisungsgrund des § 46 Nr. 6 AuslG gestützt (vgl. jetzt § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG). Danach kann ausgewiesen werden, wer für sich Sozialhilfe in Anspruch nimmt. Dies ist für den Kläger von seiner Einreise im Januar 1991 bis heute der Fall. Der Kläger geht keiner Erwerbstätigkeit nach. Bis zum Inkrafttreten des Asylbewerberleistungsgesetzes hat der Kläger Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz bezogen. In der Sache handelt es sich bei dem jetzigen Bezug von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ebenfalls um den Bezug von Sozialhilfe, womit ein Ausweisungsgrund nach dem früheren § 46 Nr. 6 AuslG, jetzt § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG erfüllt ist. In beiden Fällen spricht das Gesetz nicht von Sozialhilfebezug auf der Grundlage des Bundessozialhilfegesetzes oder des SGB XII, sondern lediglich von Sozialhilfe. Auch wenn Asylbewerber und vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer aus dem Anwendungsbereich des früheren § 120 BSHG herausgenommen wurden und für sie im Asylbewerberleistungsgesetz eine eigenständige Regelung des Mindestunterhalts während des asylrechtlichen Verfahrens bei Absenkung des Leistungsniveaus und Vereinfachung des Leistungsrechts geschaffen wurde, ändert dies nichts daran, dass es sich insoweit um einen Sozialhilfebezug handelt. Man spricht auch von einem "Sonder-Sozialhilferecht" (vgl. Hohm, NVwZ 1998, 1045, 1048). Eine Verknüpfung mit dem SGB XII stellt im Übrigen auch § 2 Abs. 1 AsylbLG her.

Angesichts des langjährigen Sozialhilfebezugs kann offen bleiben, ob der Kläger, der 1991 mit einem gefälschten niederländischen Reisepass ins Bundesgebiet eingereist ist, in der Folgezeit auch, wie der Beklagte meint, über Jahre hinweg falsche Identitätsangaben gemacht und damit zusätzlich den Ausweisungsgrund des § 46 Nr. 2 AuslG, jetzt § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG erfüllt hat oder nicht. Auf diesen Gesichtspunkt kommt es nicht mehr entscheidend an. Mithin ist auch das klägerische Vorbringen in den Schriftsätzen seines Bevollmächtigten vom 12. und 28. Februar 2007 in vollem Umfang nicht entscheidungserheblich. Daher bedurfte es deswegen auch keiner neuen Anhörungsmitteilung nach § 130a VwGO.

Die behördliche Ermessensentscheidung über die Ausweisung des Klägers ist beanstandungsfrei erfolgt. Der Beklagte hat ausreichend deutlich zu erkennen gegeben, dass er den langjährigen Bezug von Sozialhilfe zum Nachteil des hiesigen Sozialhilfeträgers nicht länger hinnehmen will. Bei Erlass des Widerspruchsbescheids vom 6. Dezember 2004 waren schon mehr als 13 Jahre vergangen, in denen der Kläger keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen ist. Der Beklagte hat auch die persönlichen Interessen des ledigen Klägers, der im Bundesgebiet allein lebt, ausreichend in die Abwägung eingestellt. Der Beklagte konnte beanstandungsfrei davon ausgehen, dass der Kläger schutzwürdige Bindungen im Bundesgebiet während seines Aufenthalts nicht begründet hat. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang auf seine polnische Lebensgefährtin und zwei gemeinsame Kinder hinweist, die mit der Mutter zusammen in Polen leben, sind damit keine durchschlagenden gegenläufigen privaten Interessen dargelegt, zumal es gemäß § 45 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 AuslG auf Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet und auf Familienangehörige des Ausländers ankommt, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm hier in familiärer Lebensgemeinschaft leben, was nicht der Fall ist.

Soweit sich der Kläger jetzt auf einen neu gestellten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Bleiberechtsregelung für ausreisepflichtige Ausländer mit langjährigem Aufenthalt (Erlass des HMdIS vom 28.11.2006 i. V. m. der Bleiberechtsregelung der IMK vom 16./17.11.2006) beruft, steht dieser Antrag einer Entscheidung über die Ausweisungsverfügung und ihrer Rechtmäßigkeit nicht entgegen. Der Kläger hat nichts dafür vorgetragen, dass er die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Bleiberechtsregelung erfüllt. Im Übrigen hat ihm schon der Beklagte entgegengehalten, dass die verfügte Ausweisung der Anwendung der Bleiberechtsregelung gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 und § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zwingend entgegensteht. Dies gilt auch unabhängig davon, dass die Ausweisungsverfügung bisher nicht rechtskräftig ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

Die Streitwertfestsetzung für das Berufungsverfahren beruht auf § 52 Abs. 2 und § 47 Abs. 1 GKG.